Montag, 22. Januar 2018

One Trick Pony


Warnung: Dieser Beitrag enthält wesentliche Spoiler zu den folgenden Geschichten aus Film und Fernsehen; wer noch keine davon gesehen hat, sollte diesen Text überspringen oder sich dessen bewusst sein, dass die Auflösung hier vorweggenommen wird:

The Twilight Zone S01E16 - "The Hitch-Hiker" (1960)
The Twilight Zone S05E22 - "La rivière du hibou" (1962/64)  
Carnival of Souls (1962)
The Sixth Sense (1999)
Yella (2008) 

Die zugrundeliegende Geschichte hat auch Ambrose Bierce erzählt ("An Occurrence at Owl Creek Bridge", 1890); es lohnt sich, sie zu lesen, um den Ursprüngen näher zu kommen.

Fünf unterschiedliche Regisseure (Rod Serling, Robert Enrico, Herk Harvey, M.Night Shyamalan, Christian Petzold) bearbeiten auf ihre eigene Art und Weise die jeweils gleiche zugrunde liegende Geschichte: Die Hauptfigur durchlebt eine traumatische Erfahrung (beispielsweise einen Unfall oder einen Einbruch) und wird vor die Aufgabe gestellt, dieses Trauma zu verarbeiten. Zunächst gelingt das gut, doch mit der Zeit tauchen immer mehr Symptome auf, die die Hauptfigur an ihrem Verstand zweifeln lassen, bis sie sich schließlich in der finalen Offenbarung darüber klar wird (bzw. der Zuschauer darüber in Kenntnis gesetzt wird), dass sie bei dem damaligen Ereignis um's Leben gekommen ist und die gesamte Dauer der Erzählung über in einer Art Limbus zwischen Leben und Tod wandelt.

Wer noch nie eine dieser Geschichten gesehen hat und das mittlerweile berühmte twist ending nicht kennt, dürfte einigermaßen überrascht werden; je nach Erzählung sind die "Signale" unterschiedlich deutlich. Während Hauptfigur Nan Adams in The Hitch-Hiker nur ein Reifen geplatzt ist und von der Reparaturwerkstatt an jener titelgebende Anhalter erscheint, der sie zunächst leicht, später ziemlich verstört, sind die Hinweise bei The Sixth Sense wesentlich deutlicher - wenn man sie zu erkennen weiß. Ich gebe zu, dieser Film war mein erster Kontakt mit der Erzählung und auch wenn dieser kleine Junge der Hauptfigur mitten in's Gesicht sagt "Ich kann tote Menschen sehen" - habe ich nicht damit gerechnet.

Ich war vollkommen überrascht, wahnsinnig beeindruckt und habe den Film ein zweites Mal sehen müssen, um auf all' die Hinweise zu achten, die wirklich zahlreich und auffällig gegeben werden. Und danach habe ich den Film nie wieder gesehen. Anders ist es bei der Serienfolge aus der Twilight Zone und bei Carnival of Souls, die ich beide immer wieder sehen kann, weil sie in ihrer Wirkung nicht so sehr vom Twist am Ende abhängig sind, sondern einfach so gut sind, dass ich den ganzen Verlauf, vom traumatischen Ereignis bis zur apokalypsis, immer wieder genießen kann.

Mir stellt sich auch die Frage, ob man eine Geschichte, die in ihrem Effekt so sehr auf den Twist angewiesen ist, auf Filmlänge aufblasen kann. Rod Serlings Filmepisode ist nach vierundzwanzig Minuten um, sie wirkt zügig und eindrucksvoll und ich bin zu keinem Zeitpunkt gelangweilt. Shyamalan nimmt sich knapp zwei Stunden Zeit, und meiner Wahnehmung nach ist das ein bisschen zu lang. Dennoch immerhin genug Zeit, um Haley Joel Osment zu bewundern, der ein erstaunliches Schauspieltalent für sein junges Alter zeigt - wenngleich ich ihn in A.I. - Artificial Intelligence noch überzeugender fand.

Neulich habe ich nun also eine der neuesten Adaptationen geschaut, Yella von Christian Petzold, mit nun knapp zehn Jahren auf dem Buckel (2008). Und man könnte meinen: Unoriginell, Abklatsch, nicht schon wieder diese Story. Man könnte meinen, mit The Sixth Sense, unzweifelhaft der berühmtesten Verfilmung dieser Geschichte, bestehe nun kein Bedarf mehr für ein weiteres Remake, egal ob offiziell oder inoffiziell. Dann allerdings habe ich mich daran erinnert, dass Shyamalans Film nicht mein Favorit unter den tod-vs-lebendig-Erzählungen ist (Serlings Hitch-Hiker bleibt meine Nummer Eins), und das hat mir ein wenig mehr Lust gegeben, diesem deutschen Film eine Chance zu geben. Hinzu kommen noch ein paar andere Faktoren, die den Film für mich interessant gemacht haben, nämlich dass von allen Verfilmungen dieser Geschichte ausgerechnet die deutsche Verfilmung beim amerikanischen Filmkritiker Roger Ebert (r.i.p.) die höchste Bewertung bekommen hat, und dass es tatsächlich mal wieder ein deutscher Film über den großen Teich geschafft hat: Das muss einen Grund haben.

Es handelt sich tatsächlich um einen Lehrbuchfilm; Petzold verwendet Leitmotive, wie etwa die Mondscheinsonate, den Farbfilter, die Farbe Rot, die Szenen im Auto, das Wasser. Die Parallelen zu Carnival of Souls sind nicht zu übersehen - ein Auto, das von einer Brücke stürzt, eine Frau, die sich in einen neuen Ort und Beruf einfindet, die Bewusstseinsstörungen, das Zwitschern von Vögeln. Petzold ergänzt die Vorlage allerdings um eine deutliche Kapitalismuskritik. Yellas Welt ist kalt, aus Glas und Stahl, es geht um teure Autos, teure Hotelzimmer und um Abgebrühtheit.

Ich fand Petzolds Umsetzung nicht schlecht. Spannend: Manche Rezensenten lesen den Film gerade wegen seiner Kapitalismuskritik und sind vom Ende enttäuscht - sie scheinen nicht zu wissen, dass es sich hierbei um ein inoffizielles Remake von Carnival of Souls handelt. Ich bin froh, den Film gesehen zu haben, und kann ihn nur weiterempfehlen.

post scriptum: Sprachtümelei - der englische Begriff "one-trick-pony" bezeichnet eine Sache, die eigentlich nur aufgrund eines einzigen Effektes unglaublich beeindruckend erscheint - und wenn dieser Effekt erstmal bekannt ist, verpufft die Faszination damit sehr schnell. Wie oben beschrieben, trifft das nicht auf alle dieser Erzählungen zu.

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