Donnerstag, 31. Mai 2018

Schweig' still, Dr Hilarius!

"Ich bin der Lehrer, und alle hören mir zu!" - Yeah, whatever...

Okay, heute geht es einmal um ein Thema, das mir wirklich unangenehm ist, aber vielleicht stehe ich mit dem Problem nicht allein da. Vielleicht fühlt sich jemand ertappt. Und dann im nächsten Schritt erleichtert, dass er nicht der Einzige ist, dem es so geht. Genauso, wie ich hoffe, dass ich nicht der Einzige bin, der dieses Problem hat.

Ich liebe es, ein Lehrer zu sein, ich liebe es, bestimmte Fachinhalte zu vermitteln. Ich liebe es so sehr, dass ich in's Schwärmen geraten kann. Und dann fange ich an, zu erzählen. Meine Augen leuchten, während ich möglichst plastisch und altersgerecht etwas erzähle, was in der ursprünglichen Stundenplanung gar nicht vorgesehen war. Beispiel gefällig?

(Ist echt unangenehm, das jetzt schwarz auf weiß zu lesen...)

"Aulus Popidius magno in honore est." Schüler: "Der große Aulus Popidius ist in Ehre." Dr H: "Ja, bestimme bitte noch einmal die Form magno nach Kasus, Numerus und Genus." Schüler: "Das ist... Dativ oder Ablaaa....ach so! Das kann ja gar nicht zu Aulus Popidius gehören, das steht nicht in KNG-Kongruenz, das muss zu... honore!" Dr H: "Genau richtig erklärt! Das in hat sich da reingedrängelt. Das haben die Römer oft so gemacht, und das war so bekannt, dass wir das auch heute noch finden können. Zum Beispiel, wenn man eine Doktorarbeit an der Universität schreibt, da gibt es magna cum laude..." usw., inklusive Schüler: "Gibt es auch etwas Besseres als magna cum laude und reichlich weitere Fragen, sechste Klasse eben, mein Problem: Ich will immer jede Frage beantworten, und das klappt einfach nicht.

Eine Stelle, die eigentlich nur eine Minute dauert, aber nein, ich gerate in's Schwärmen, ich sehe eine Chance, etwas für die Schüler anschaulich darzustellen, und stürze mich darauf wie ein Verhungernder auf rohe Zwiebeln. Und die Kinder gehen alle voll mit, sie hängen an meinen Lippen - ist ja schön und gut, aber das rächt sich.

Vielleicht nicht in dieser Stunde - im Gegenteil, ich fand die Stunde total toll. Es ist peinlich... aber ich höre mich nun mal gern reden, und verliere darüber hinaus aus dem Blick, dass ich die Stunde auf die Kinder hin auszurichten habe. Auf einen Kompetenzzuwachs bei ihnen. Das soll keine Vorlesung sein. Die Zeit meiner ganzen Erläuterungen hätten wir wesentlich produktiver nutzen können, und irgendwann nach der Stunde wird mir das bewusst und ich bekomme Bauchschmerzen.

Und wenn es mir nicht von selbst bewusst wird, dann bekomme ich eben irgendwann das Feedback "Bei Dr H lernen die Schüler nicht so viel", und das ist an "Hochleistungs-Schulen" (z.B. Gymnasien) besonders problematisch. Das kommt einfach nicht gut an.

Und auch nach sieben Jahren im Schuldienst passiert es mir noch immer. Und nicht nur im schulischen Kontext; ich rede zuviel. Dabei versuche ich so sehr, darauf zu achten, meinen Gesprächspartner reden zu lassen. Er soll zu Wort kommen, ich möchte etwas über ihn lernen. Das habe ich zuerst in der Drogenarbeit gelernt: Den Anderen zum Reden bringen. Das klappt nicht, wenn ich ihn zuschwalle.

Also schweig' still, Dr Hilarius!

Mittwoch, 30. Mai 2018

Vampirischer Putzplan & Hitzefrei auf Chinesisch

Schräg. Neuseeland. Sehr erfrischend!

Zu viele Themen für einen Eintrag, im Europa-Park gab es einen Großbrand und eine meiner Lieblingsattraktionen seit vielen Jahren ist zu Asche geworden (Piraten in Batavia), wie deprimierend, warum streiche ich nicht alles Unwichtige, warum streiche ich nicht einfach den Eintrag für heute und komme erstmal zur Vernunft? Ich frage mich immer wieder, ob ein HB-Gehirn das auf Abruf kann. Jetzt kann ich das nicht. Jetzt will ich das nicht, und schreibe beide Themen in der Überschrift auf, mal schauen, ob ich heute damit fertig werde, weil mein Kopf implodiert.

Das geht also los mit diesem Putzplan, der den Film What We Do In The Shadows (2014, 5 Zimmer, Küche, Sarg) eröffnet. Herrliche kleine Ablenkung gestern, die einfach gut getan hat. Ich schaue sonst eigentlich eher selten Komödien, aber die war ganz erfrischend, weil sie als mockumentary den Alltag in einer Vampir-WG zeigt, die kaum schräger sein könnte: Petyr, ein uralter Vampir, der stark an Nosferatu/Max Schreck erinnert, Vladislaus, der einen Hauch von Mittelalter mitbringt, als Erzähler Viago, ein ganz leicht angeschwuchtelter Dandy-Vampir (gespielt von Co-Autor und Co-Regisseur Taika Waititi).

Es kommt alles, was zu einem WG-Alltag gehört - ein neuer Mitbewohner, der Rauswurf eines Mitbewohners, Parties, Gesellschaftsspiele und die Sauerei, wenn man seinem Opfer das Blut nicht vernünftig aussaugt. Der Film nimmt sich ernst, ist aber verdammt albern, und egal wie flach das klingt, diese kurzweilige Komödie hat Charme. Außerdem ist sie mit zweiundachtzig Minuten eher kurz, und die Originaltonspur lohnt sich, denn es wird ein sehr breites Neuseeland-Englisch gesprochen (hatte phasenweise echt Probleme, das zu verstehen, aber das hat Spaß gemacht). Hat mich gestern wunderbar von Schulsachen abgelenkt, und ist derzeit bei Amazon Prime kostenlos verfügbar.

Wäre wunderbar gewesen, wenn diese Ablenkung dann dafür gesorgt hätte, dass ich abends gut einschlafen kann, denn - naja, wie schon beschrieben, war ich sehr müde - bin aber diese Nacht wieder nur auf etwa eine Dreiviertelstunde Schlaf gekommen, die Hitze hat ihr Übriges dazu getan. Und heute hat sie eiskalt weitergemacht, oder besser brühwarm. Jedenfalls so warm, dass an unserer Schule Hitzefrei verkündet wurde. Vielleicht keine schlechte Idee nach einem Bericht in den Nachrichten mit einem Krankenwagen-Einsatz an einem schulischen Sportfest. Sehr verwirrend, weil meine gesamte Tagesplanung umgeworfen wurde und ich mich wieder irgendwo hinsetzen und erstmal fünf Minuten die Wand anstarren musste, um mich umzustellen.

Ging dann auch. So war nur wenig Unterricht, aber viele intensive Eindrücke (kam mir vor, als ob Herr R-B einer qualitätssichernden Einrichtung sich heute bei mir für eine Hospi mit chinesischen Gästen bedankt hat - Halluzination, anyone?) und ich habe das immer noch nicht alles verarbeitet. Und heute kommt der zweite Versuch: Direkt nach den Nachrichten in's Bett stürzen und vielleicht einschlafen. Einen Tag noch...

Dienstag, 29. Mai 2018

Das Paket


Diese Woche ist etwas mehr als nur ein pädagogisch-fachdidaktisches Clubsandwich mit Überstunden. Und sicherlich gibt es das nicht nur an dieser Schule, nicht nur in Kiel, sondern betrifft viele Lehrkräfte - nicht unbedingt in dieser Woche - aber viele kennen das, dass nach den Osterferien der Schulalltag am Rad dreht, die Schülerschaft sowieso und dass man manchmal einfach nur noch mitten in den Klassenraum kotzen möchte. Und die Lehrkraft auch.

Diese Woche besteht aus einem Haufen Terminen in gefühlten vierzig Grad Schatten, im Anschluss an sieben-Stunden-Tage. Nein, fühlt sich nicht nur so an, ist so. Dazu schön korrigieren und Formalitäten; so habe ich heute ein Paket mit nach Hause genommen. Da ich keinen Beutel in der Schule dabei hatte (und Andere darum zu bitten mir nicht in den Sinn kommt), habe ich mir also den linken Arm fast verrenkt im Versuch, dieses Paket heil nach Hause zu bekommen, ohne dass zwölf Abiturklausuren inklusive Bewertungsunterlagen (gefühlte zehn Blätter pro Kandidat) herausfallen.

Ich hätte sie in der Schule lassen können: Meine Unterschriften und meine Tinte sind überall zu finden, wo man sie finden soll. Ich möchte sie der Kollegin aber lieber persönlich in die Hand drücken - denn wenn ich das Paket in der Schule lasse, besteht die nicht ganz unbegründete Angst, dass sie geklaut werden, und das ist bei derart amtlichen und wichtigen Unterlagen echt nicht erstrebenswert. Also fühle ich mich wie ein Geheimagent, der Lasten von drei bis fünfzehn Punkten herumträgt.

Und eigentlich müsste ich jetzt direkt weiterarbeiten, aber ich brauche erst einmal zwei Stunden, um den Kopf klarzubekommen, pädagogische Gespräche raus, alles raus, das geht bei mir leider nicht so schnell. Und dann auch noch das Schlafdefizit, was ich immer am Wochenanfang habe - diese Woche hat einfach eine irre Konfiguration, und ich mache drei Kreuze, wenn ich übermorgen in der Meditation angekommen bin...

Sonntag, 27. Mai 2018

Surrealer Samstagmittag

Something's wrong...

Donnerstag

Sie ist im Unterricht, englische Literatur. Gelangweilt. Die Dozentin trägt ein Gedicht vor (gar nicht mal so schlecht), aber sie schläft fast ein. Sie sollte sich Notizen machen, aber sie klopft nur mit ihrem Bleistift auf dem Schreibblock herum, sie scheint in ihrer eigenen Welt versunken zu sein; hin und wieder fügt sie der Zeichnung auf dem Block einen weiteren Strich hinzu, während sie auf die Wanduhr über der Tafel schaut. Sie wendet ihren Kopf nach links, aus den Panoramafenstern hinaus, und schaut über den Campus. Wunderbares Wetter, überall sitzen Studenten herum, essen, trinken, hören Musik oder träumen einfach nur. Hier ein Fahrradfahrer, dort ein Jogger, da hinten eine alte Frau - die ersten beiden zügig, sie langsam, jeder scheint den Tag in seinem eigenen Tempo zu erleben. Sie auch. Sie blickt zum gegenüberliegenden Gebäude, versucht in die dortigen Fenster hineinzuschauen, kann aber nur die Reflektion des Campus erkennen. Und vorn steht die Dozentin und reiht einen Vers an den anderen - gar nicht mal so schlecht, aber eben doch recht monotone Dichtung und die Vorgänge draußen scheinen interessanter zu sein. Der Jogger ist mittlerweile nach links verschwunden, der Fahrradfahrer nach rechts, nur die alte Frau ist zwischen den rastenden Studenten noch zu sehen. Das ist kein Wunder, denn der Jogger ist nach links gelaufen, der Fahrradfahrer nach rechts gefahren, nur die alte Frau geht geradeaus, und irgendwas stimmt nicht. Sie trägt ein Nachthemd und ihr Bein und ein Arm sind teilweise bandagiert.

Die alte Frau geht geradewegs auf sie zu.

Langsam dämmert es ihr, und in ihren Ohren beginnt ein ganz leises Pfeifen. Es wird lauter, je näher die alte Frau kommt, es wird zu einem Schwirren, das zwischen ein paar Tönen oszilliert, und langsam weiten sich ihre Augen in eine Maske der Angst. Sie packt ihre Sachen zusammen und verlässt wortlos das Klassenzimmer. Sie geht den Gang hinunter, dreht sich um, bis auf zwei Schülerinnen ist niemand dort. Alles wie immer. Bis die alte Frau um die Ecke biegt und immer näher kommt, ihr Gesicht ausdruckslos, sie geht ganz langsam, einen Schritt nach dem anderen auf sie zu. Das Schwirren in den Ohren wandelt sich zu einem beißenden Stalking-Soundtrack...

...so in etwa geht eine recht eindrucksvolle Szene aus dem vorgestern erwähnten It Follows, eine Szene, die ich noch nicht aus meinem geistigen Auge streichen konnte. Falls jemand sie sehen möchte - aber vorgewarnt sein, ich habe zum literarischen Zweck ein kleines bisschen Freiheit in meinem Text genommen. Und keine Sorge, niemand stirbt, kein Blut und so, nur eine alte, langsame Frau:



Samstag

Alles klar, noch neun Minuten, dann kommt der Bus, den ich nehmen muss, um mich mit der Sannitanic zu treffen. Ich habe sie schon so oft versetzt, darauf habe ich keine Lust mehr (lustige Randnotiz, ich habe mich eben verschrieben und ersetzt getippt. Freud anyone?). In diesen neun Minuten muss ich noch schnell zur Sparkasse, zwei Überweisungen erledigen. Kommt hin, ich habe alles direkt vor der Haustür. Also stürze ich das Treppenhaus zur Hälfte hinunter, dann wieder hinauf: Ich habe meine Armbanduhr vergessen, und auch den Anhänger, den ich fast immer trage, damit Er auf eine Weise immer bei mir ist.

Nun also noch sieben Minuten, ich laufe schnell zur Sparkasse, Samstag, also brauche ich die Karte, um die Tür zu öffnen, und mitten vor der Tür steht eine ältere Dame und spricht mit der Tür. WTF?! Aber das hier ist Hassee, das ist normal, wir sind schräg, wir sind bunt, wir sind vielfältig wie das Leben, also gehe ich einfach draufzu und hoffe, dass sie mich nicht anspricht, ich habe keine Zeit.

Natürlich spricht sie mich an. "Können sie mir sagen, ob das hier die Volksbank ist? Vor vielen Jahren war hier mal die VB, oder irgendwo in diesem Viertel, können sie mir sagen, wo die ist?" Gedanklich bin ich bereits im Bus, mein Körper ist gerade auf Überweisungsdaten-Tippen eingestellt und ich antworte kurz, möglichst freundlich, dass ich hier noch nie eine VB gesehen habe, und betrete die Filiale. Die alte Dame geht mit und fängt an, mit der Säule zu reden, mitten im Raum, an der die Geschäftsbedingungen der Förde Sparkasse ausgehängt sind.

Ich versuche sie elegant zu ignorieren, denn ein wenig muss ich mich nun doch darauf konzentrieren, dass ich keine Fehler mache. Ein bisschen creepy ist das nun schon, wie die Dame durch den Raum geht und mit irgendjemandem spricht, der nicht da ist. Dann geht sie nach draußen und spricht eine weitere Kundin an, meine Überweisungen sind fertig, drei Minuten noch, bis der Bus kommt, und sie fragt sie, ob das hier die VB ist oder wo sie denn wohl ist, weil hier früher mal eine VB war. Ich kann diesen ganzen Eindruck nicht so schnell abschütteln und setze mich etwas verwirrt an die Bushaltestelle und genieße die Sonne, so gut es geht. Im Häuschen sitzt noch jemand und warte auf den Bus, ein älterer Mann. Er sieht mich und steht auf.

Für einen Moment fühle ich mich deutlich unsicherer: Es kommt mir vor, als würde It mich verfolgen, er geht aber nicht auf mich zu, sondern geht hinter mir den Fußweg auf und ab. Ein bisschen humpelnd, so wie die alte Frau in der Filmszene, mit kleinen, tapsigen Schritten, und immer wieder scheint er auf meine Bank zuzugehen und ich bete mittlerweile, dass der Bus bald kommt, dass er mich nicht anspricht, dass gleich nicht wieder die alte Frau von der Sparkasse kommt, ich will nur noch zur Sannitanic, irgendwie ist das alles mega surreal. Ich fange an zu schwitzen, Sonne, Temperatur, Unsicherheit.

Und ich mache drei Kreuze, als ich realisiere, dass die nächste Person, die mich anspricht, tatsächlich meine beste Freundin ist. Okay, ja, sie mag auch alt sein (*duck*), quasi als Rechtfertigung sage ich ihr in der Campus Suite, dass sie wie ein Erstsemester aussieht. Und fange langsam an, mich ein wenig zu entspannen, endlich. Okay, dann möchte sich ein älterer Herr neben uns setzen, und bevor er seine Teetasse auf den Tisch stellen kann, fällt sie ihm aus der Hand und der Inhalt ergießt sich über die Bodenplatten. Kompletter Filmriss, überfordert. Augen zu, Hand an die Schläfe, geistiger Neustart.

Und dann ist es endlich überstanden und der Samstag wird realer, greifbarer, echter. Creepy... aber solche Momente kommen vor, und das hat nichts mit Hochbegabung zu tun, das haben sicherlich viele Leser schon einmal erlebt. Paranoia.

post scriptum: Ja. Ertappt. Ich finde diesen Film wirklich richtig gut. Sonst würde ich ihn nicht dreimal innerhalb von zwei Tagen geschaut haben. Sonst würde ich ihn nicht beim zweiten Ansehen noch besser als beim ersten Mal gefunden haben. Sonst würde ich ihn nicht je einmal hinsichtlich der Kameraarbeit und des Soundtracks analysiert haben. Das hatte ich zuletzt vor nicht allzu langer Zeit bei "Dark City" (1998), davor aber monate- bzw. jahrelang nicht mehr. Es sind Filme wie diese, oder zum Beispiel "Suspiria" (1977), die einfach künstlerisch reichhaltig sind und jedes Anschauen neu und anders belohnen.

Freitag, 25. Mai 2018

Steht ein Hochbegabter im Bus...

Faszination Bus... (Quelle: NDR)

Irgendwann hat ja sicherlich jeder einmal diese "Steht ein..."-Witze gehört. Ich musste unweigerlich an diese Phrase denken, als ich heute an der Haltestelle Hummelwiese in die Fünfhundertzwei eingestiegen bin. Das war allerdings bereits die Rückfahrt, und auch wenn zwei meiner Schülerinnen sich gefreut haben, mich in einem ungewöhnlichen - weil normalen - Outfit im Bus zu sehen, war das Gefühl, das ich heute beschreiben möchte, auf der Hinfahrt sehr deutlich zu spüren.

Ist ja eigentlich nichts Besonderes. Ich habe Lust auf ein bisschen Authentizität, also schlendere ich in Gaarden durch die Adelheidstraße. Weil ich aber faul bin, nehme ich von der Hummelwiese bis zum Karlstal den Bus, Linie Elf. Die Elf ist eine der vollsten Buslinien Kiels, das ist auch kein Wunder, weil sie die Wik über die Aorta Holtenauer Straße mit dem Hauptbahnhof verbindet und dann quer durch Gaarden nach Dietrichsdorf fährt. Gleichzeitig ist die Elf eine der Vorzeige-Buslinien Kiels, da auf ihr viele der neuen Busse mit Hybrid-Antrieb benutzt werden. Und die sind tatsächlich leiser als die guten alten roten Busse, irgendwie echt nicht schlecht.

Auch heute mittag war es wieder gerammelt voll. Natürlich waren alle Sitzplätze besetzt und auch der Gang bis hinten durch mit Menschen vollgestopft. Das sind Situationen, in denen ich froh bin, fast zwei Meter groß zu sein, denn dadurch habe ich den Überblick und nicht das Gefühl von Enge, Platzangst und Konsorten. Gut, es sind ja eh' nur ein paar Stationen, ich komme ja auch schnell wieder raus. Gablenzstraße (Lieblingshaltestelle aller Arbeitslosen...), KVG-Verwaltung Werftstraße und schließlich Karlstal. Der Bus muss sich aufgrund von Baumaßnahmen (u.a. wegen des neuen Schwimmzentrums in Gaarden) einigermaßen zwischen den gesperrten Arealen hindurchschlängeln - viel Umkipp-Potential, also gut festhalten! Oder...?

Ich liebe es - wenn ich stehen muss - herauszufinden, wie ich meine Beine und vor allem Füße positionieren muss, um jederzeit das Gleichgewicht halten zu können. Idealerweise ohne mich festzuhalten. Es ist so spannend, den Winkel zwischen den Füßen zu kalkulieren, den Abstand der Beine, immer mit Blick auf die Strecke vor uns. Oh, da kommt eine scharfe Rechtskurve? Schnell die Fliehkräfte durchrechnen, Füße umpositionieren und ganz ohne Hände aufrecht stehen bleiben, während einige der anderen Fahrgäste stolpern, durcheinandertaumeln und sich dem Schwung hingeben.

Das sind die kleinen Freuden des HB-Lebens...

Donnerstag, 24. Mai 2018

Pyramus & Tippse

Das könnte so eine Thisbe-Tippse sein...

Donnerstag - nicht nur jetzt, sondern auch während meiner Zeit in St.Peter-Ording war der Donnerstag immer der letzte Schultag der Woche für mich. Damals bin ich nach der sechsten Stunde in's Auto gesprungen und die zwei Stunden von Küste zu Küste gefahren. Danach: Meditationsnachmittag/-abend, um die vielen Eindrücke der Arbeitstage abzuarbeiten. Heute bin ich nach der siebten Stunde in den Bus gestiegen, und die Fahrt dauerte auch nur etwa zwanzig Minuten, aber ansonsten bleibt es dabei: Meditationstag, Kopf frei bekommen.

Zum Beispiel frei von Latein, das ich heute sechs Stunden lang erleben durfte. Kreativ (in der Klassenarbeit), neugierig (die 6c fängt mit der Caius ist ein Dummkopf-Lektüre an) und albern: Im E-Jahrgang übersetzen wir als eine von Ovids Metamorphosen die Geschichte von Pyramus und Thisbe, die sich ineinander verlieben, aber ihre Väter sind gegen diese Liebe. Zum Glück hat die Wand der benachbarten Wohnhäuser einen Riss, durch den sie sich romantische Dinge zuflüstern können. Irgendwann reicht das nicht mehr und sie planen ein Treffen. Und wer Ovid kennt, der weiß, das nur ein verschwindend geringer Teil seiner Metamorphosen ein happy ending hat, und so wird auch diese Geschichte tragisch enden.

Oder aber komisch. So wie heute, als eine Schülerin nachgefragt hat, welche Metamorphosen sie für die Klausur kennen soll, bzw. aus welchen der Klausurtext stammen könnte. "Also, das war dieser Aktion, ach ne, Acktaijohn, oder Aktaeon oder so, und dann hier der Pyramus und Thsis, Sthis, Zipth, Tippse oder so" - und das war mein Ende. Die Vorstellung von Thisbe als Tippse hat alle Gedankenzüge entgleisen lassen und ich bin zwei Minuten lang vor Lachen fast gestorben. Talk about authentische Lehrkraft...

Und dann gab es, wie jeden Donnerstag zwischen Schule und Meditation, einen neuen Film. Horizont erweitern und so. Und wieder ein Film, den ich in meine Liste "Potential für schulischen Gebrauch" aufnehme, so wie unlängst Get Out (2017) und The Babadook (2014). Der heutige Film stammt ebenfalls aus 2014, wurde in Cannes gezeigt und hat sich nach und nach in die Kritikerherzen gekämpft: Siebenundneunzig Prozent aller Rezensionen auf rottentomatoes.com sind positiv, und das muss ja einen Grund haben, und es geht nicht nur um den souveränen Umgang des Regisseurs mit minimalistischen, aber äußerst effektiven Mitteln.

Und warum ist dieser Film für Schule interessant? Weil es um Teenager geht. Und um Sex. Um Initiation, Entjungferung, jugendlichen Leichtsinn und Paranoia. Um HIV/AIDS. Der Film ist auf mindestens zwei Ebenen sehr interessant; zunächst einmal auf der direkten, wörtlichen Ebene, ist es ein verdammt unheimlicher Film. Ich habe phasenweise eine Panik gehabt wie seit Project Zero II nicht mehr - und die große Buba weiß, was das bedeutet und wird sich diesen Film vermutlich niemals anschauen.

Und dann wäre da die Metaebene: Der Film bietet wunderbare Interpretationsansätze, und es kursieren bereits viele Deutungen im Internet. Man kann an dem Film das Konzept der literarischen Parabel wunderbar verdeutlichen. Diese Ebene hatten wir auch bei The Babadook (Umgang mit Trauer) und Get Out (Rassismus) - und hier geht es um das Bewusstwerden von Angst. Das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit. Und die Aufforderung, damit umzugehen zu lernen.

Vom Aufbau und Grundkonzept her hat mich der Film an Ringu (1998) erinnert; in jenem Film ging es um einen Videofluch. Wer sich das Video anschaute, musste sieben Tage später sterben, es sei denn, er schaffte es, den Fluch "weiterzugeben". Das ist die gleiche Prämisse wie im heutigen Film; beide Filme eröffnen mit einer Darstellung der Folgen des Fluches, schwenken dann auf die Protagonistin und ihren Kampf gegen ihre eigene Verfluchung und landen auf einer bittersüßen Endnotiz: Der Fluch kann nicht gebrochen werden. Er wird immer weitergehen. Und man muss lernen, damit zu leben.

Der ganze Plot des Films heute wird im Titel sehr konzis zusammengefasst. Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass ich mich um den Titel bisher gedrückt habe - ich möchte etwas aus dem Film nachahmen, denn dort wird der Titel erst nach der allerletzten Szene des Films eingeblendet und bringt es auf den Punkt: It Follows (2014).


Sonntag, 20. Mai 2018

Mein Outing

Es war ein sehr langer Weg...

"Mi, der 6. 7. 05, 20:18 Uhr:
Nur noch zwei Klausuren. Text Production morgen und Tacitus nächsten Donnerstag. Kann gut sein, dass ich Tacitus nicht schaffe. Naja, dann ist das eben so. Was ist mit Olli? Nix Halbes und nix Ganzes. Ich versuche, auch wenn es sehr, sehr schwer wird, Reiners Ratschlag ernstzunehmen und mich ein wenig rar zu machen. Damit Olli ein wenig das Interesse geweckt werden kann. Vielleicht. Langsam werden meine Knie etwas weicher, denn am Freitag in einer Woche werde ich Mama sagen, dass ich schwul bin. Ich meine, es ist nicht viel dabei, es ist mein Leben und schnurz, aber ich muss es halt einmal gesagt haben und das ist das Schwierigste. Abwarten, immer weiter abwarten…

Sa, der 6. 8. 05, 21:13 Uhr:
Hallo! Ich kann gar nicht glauben, dass ich vergessen habe, einen der wichtigsten Momente in meinem Leben niederzuschreiben: Am 15.7. diesen Jahres habe ich mich bei meinen Eltern geoutet. Genauer gesagt: Ich habe es Mama erzählt. Sie hat gefragt, ob ich damit glücklich bin und war ganz zufrieden und ich habe sie dann gebeten, es Papa zu sagen. Die beiden haben echt toll reagiert und auch keinen Staatsakt draus gemacht. Das ist ganz gut, denn im selben Moment habe ich gemerkt, dass ich gerade mit Mama und Papa nicht unbedingt viel mehr darüber reden möchte. Also ist diese Hürde geschafft! "


Es gab Schnitzel.

Ich saß in der Küche, am Küchentisch, ich glaube, ich hatte eine Zitrone durchgeschnitten. Oder war es Spiegelei? Mama stand am Herd und irgendwas brutzelte in der Pfanne. Papa war hinten im Garten, an einem sonnigen Sommertag. So unspektakulär mein Outing im Tagebuch auch klingt - mir ging der Arsch auf Grundeis. Ich hatte weiche Knie. In Kiel wussten es inzwischen alle. Bei Freunden, naja, da ist es ja auch nicht so dramatisch. Aber die Angst vor den Eltern...

Denn sie würden damit leben müssen, dass ich den Familiennamen wohl nicht weiterführe. Dass ich nicht für Enkel sorge. Und wie soll ich es überhaupt sagen? "Ach übrigens, ich bin..." oder in irgendeinen Nebensatz einbauen? So sitze ich am Küchentisch, Mama schwenkt die Pfanne, ich schaue auf die Tischdecke. Gedankenzüge fahren von links nach rechts und zurück.

Ich bin einundzwanzig Jahre alt und habe dieses Geheimnis ewig mit mir herumgetragen. Es war mir so unangenehm, als ich mich in den Drummer unserer Musicalband verliebt hatte. Es war mir so unangenehm, wie ich Jungs aus unserem Jahrgang hinterhergaffte. Es war mir so unangenehm, dann auch noch so ein Streber zu sein - in der Oberstufe konnte ich endlich mein intellektuelles Potential ausreizen.

Wovor hatte ich denn Angst? Dass sie mich nicht mehr lieben? Keine Ahnung, what do I know, ich habe Filme gesehen und Geschichten gehört und ich hatte null Selbstbewusstsein. Und sie wendet die Schnitzel. Ob ich es nicht doch lieber verschieben sollte? Hat doch keine Eile, ich sage es einfach ein anderes Mal. Wir reden über Alltägliches, und ich habe keine Idee, wie ich das Thema anbringen soll. Aber ich habe jetzt so lange gewartet, ich möchte mich nicht mehr verstecken müssen. Was soll ich nur machen?

Sie: "Ich hab uns für heute zum Kaffee und Kuchen bei Oma Zitronenrolle geholt, die magst du doch, oder?"
...jetzt oder nie...
Ich: "Ja, ich mag Zitronenrolle... und ich bin schwul."

...

Um ehrlich zu sein, bekomme ich die Szene nicht mehr haargenau hin, aber es müsste ungefähr so gewesen sein. Und dann war es endlich raus, mit einem "Papa hatte sich sowas schon gedacht" von ihr und einem "Kannst du es Papa sagen?" von mir. In diesem Moment haben meine Eltern mir klargemacht, dass sie mich lieben und dass sie möchten, dass ich glücklich bin.

So, wie ich bin.

Rückblickend wirkt das Outing wie eine Kleinigkeit, und manchmal denke ich mir "Warum rückt der Knabe nicht einfach mit der Wahrheit raus", wenn ich einen Jugendlichen erlebe, der offensichtlich unter dieser Last der Geheimniskrämerei zu leiden hat. Aber gerade in diesen Momenten ist es wichtig, dass ich mir in Erinnerung rufe, wie hart das damals für mich war. Und auch wenn du noch so sehr versuchst, es geheimzuhalten, die Menschen, die dich lieben, merken es irgendwann.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der es die Ehe für Alle gibt. Wir leben in einer Gesellschaft ohne den §175, der damals Homosexualität unter Strafe stellte. Wir leben in einer (teilweise) aufgeschlosseneren Gesellschaft - aber das Outing ist dadurch kein bisschen leichter geworden. Für einen schwulen Jugendlichen bleibt es nach wie vor eine der schwierigsten Hürden in seinem Leben, und wir Pädagogen sollten uns dessen immer bewusst bleiben, wenn wir mit Schülern arbeiten, denen eine Last auf den Schultern liegt.

Freitag, 18. Mai 2018

Nigga

Daniel Kaluuya liefert eine großartige Performance ab.

Ich mag Filme, die dem sogenannten psychological horror zugeordnet werden, das ist schon seit... gute Frage. Mindestens seit meiner Jugend so. Ich mag das Düstere, aber ich mag noch viel mehr, dass der Horror sich in meinem Kopf abspielt, nicht auf dem Bildschirm. Es hatte schon einen Grund, warum ich im Projektunterricht Filmanalyse bei Frau Schiller damals in der Oberprima einen Film untersucht habe hinsichtlich der Frage, wie Spannung erzeugt wird. Und ich bin damals gelandet bei der Feststellung, dass es nicht nur darum geht, was auf dem Bildschirm gezeigt wird, sondern insbesondere darum, was nicht gezeigt wird. Angedeutet. Kleine Denkanstöße, subtil, horrifying.

Dazu gehören Werke wie Rosemary's Baby (1968), Shining (1980), aber immer wieder auch ganz moderne Werke wie Twin Peaks (dritte Staffel, 2017), The Babadook (2014) oder, wie ich heute gesehen habe, Get Out (2017).

Ich will über diesen Film gar nicht zuviel sagen, weil ich meine, dass die größte Wirkung erzielt wird, wenn man uninformiert und aufgeschlossen an diesen Film herangeht. So habe ich es heute versucht und ich bin nicht enttäuscht worden. Mir geht es in diesem Beitrag eher wieder um ein schulisches Thema; wann immer ich neue Medien konsumiere, sei es Musik, Film oder Videospiel, überlege ich, ob ich das irgendwie sinnvoll in den Unterricht integrieren kann. Vor Kurzem habe ich darüber anhand des Films Lola rennt (1998) geschrieben.

Get Out hat mir unglaublich gut gefallen, und er bietet tatsächlich Potential für die Schule - aber bitte nur in der Oberstufe - weil er auf eine gut zugängliche Art das Thema Rassismus beleuchtet. Ich war zwar ein bisschen überrascht, dass der Film am Ende auf klassische Horrorfilm-Formeln zurückgreift, aber der Weg bis dahin ist beeindruckend. Ich weiß nicht, wie Jugendliche diesen Film sehen würden, ich würde das gern einmal testen - denn es könnte eine Chance sein. Eine Chance, auf anschauliche Weise den Schülern klarzumachen, dass es Rassismus "noch immer" gibt. Manche Menschen denken ja, naja, wir sind aus der Zeit der Sklaverei raus, ist doch alles in Ordnung.

Nichts ist in Ordnung. Mittels subjektiver Kamera erlebt der Zuschauer, wie der Hauptcharakter aufgrund seiner anderen Hautfarbe anders behandelt wird als seine Mitmenschen, und man erlebt mit, wie diese Mitmenschen jeden Verdacht von Rassismus entschieden von sich weisen. Klasse! Ich freue mich, dass es auch moderne Filme gibt, die wichtige, schwierige Sachverhalte veranschaulichen können für eine Generation, die als digital natives aufwächst. Nicht umsonst hat der Film einen Academy Award erhalten und seither zahlreiche weitere Auszeichnungen, nicht umsonst berichtet rottentomatoes.com, dass von über dreihundert Rezensionen neunundneunzig Prozent positiv sind. Das ist sehr selten und signalisiert, dass wir einen qualitativ hochwertigen Film haben.

Get Out und The Babadook - wenn man sich umschaut, findet man tolle Horrorfilme, die unter die Haut gehen, verstören und aufklären können. Ich nehme sie auf in meine "geistige Videothek", als potentielles Material für den Unterricht.

post scriptum: Das muss komisch wirken - auf der einen Seite jammere ich über die vielen Korrekturen, die ich vor mir habe, und in der Tat liegen hier mehrere Stapel Leistungsnachweise herum. Auf der anderen Seite habe ich genügend Zeit, um mir Filme anzuschauen?! Das ist halt das Ding mit dem hochbegabten Gehirn: Ich kann nicht gegenan, ich mache, was mich gerade am meisten interessiert.

Donnerstag, 17. Mai 2018

Ökonomie eines Kollegiums


"Hey, ich hab' dich schon einmal gesehen!"

Ein Satz, den man oft hört. Seien es nun Schüler, denen man im Bus begegnet, oder Kollegen beim Supermarkt oder whatever; meistens kein Anlass, um aus der Fassung zu geraten. So auch gestern: Siebte Stunde, Latein in Klasse Neun, es ist heiß und ich Idiot habe natürlich nicht daran gedacht, dass wir den Unterricht auch unten im Schulhof hätten machen können; so musste ich zweimal Treppen steigen, was im Moment echt unpraktisch ist.

Wie dem auch sei, so findet sich also der halbe Kurs im Fachraum ein, wir reißen die Fenster auf und lassen die Tür zum Flur offen stehen. Moment... der halbe Kurs? Etwas verwirrend. Drei Minuten später kommt Schüler B herein, "Entschuldigen sie, dass ich zu spät bin!" - "Ach, das ist schon okay, ich bin im Moment, ehrlich gesagt, froh, dass überhaupt jemand da ist." - "Naja, die anderen haben alle Chorprobe für das Musical nächste Woche (Mamma Mia steht an)." "Oh... okay..."

Und die Gedanken fangen an zu rattern. Scheiße, ist das heiß hier, was mache ich denn nun, kann ja nichts Neues mit denen machen, wenn mehr als die Hälfte fehlt, wo ist überhaupt das Klassenbuch, naja, dann schließen wir jetzt halt endlich die nd-Formen mit einer kleinen Wiederholung ab und ab morgen geht es dann an die verschränkten Relativsätze. Ja, so könnte das gehen. Und frage, wer den ersten Satz des Arbeitsblattes mal eben direkt vom Papier übersetzen möchte. Drei Finger gehen hoch, ich bin schon voll im Text drin und habe alle grammatikalischen Fragen bereit, die ich stellen möchte. So, nehme ich jetzt M, oder doch lieber C, oder...

"Hey, ich hab' dich schon einmal gesehen!"

Oh mann, immer diese Schüler, die an einem offenen Klassenraum vorbeigehen und dann reinrufen, sehen die nicht, dass gerade Unterricht ist? Und so schaue ich zur Tür, das scheint ein Lehrer zu sein, ich bin etwas verwirrt. Aus seinem Blick versuche ich abzuleiten, welchen Schüler er meint - doch sein Blick ruht ausschließlich auf mir. Was, ich??? Äh... und dann brechen meine Gedankengänge komplett zusammen und ich sitze da wie eine Salzsäule.

Die große Buba kennt diese Momente bei mir. Sie sagt dann immer direkt: "Ach herrje, Blockade - gar nicht weiter drüber nachdenken, egal, nicht so wichtig!" - denn sonst verheddere ich mich immer mehr in diesen Gedanken und kann keinen Unterricht mehr leiten.

Ich muss wirklich sehr verwirrt ausgesehen haben. "Naja, von der IGS", schiebt der Kollege hinterher. IGS... war das die Schule in Hassee, bei der ich mich beworben hatte? Oder Brachenfeld? Aber letztere hieß für mich immer nur Brachenfeld... aber ich kenne das Gesicht von irgendwoher, das stimmt definitiv! Mein Gesicht ist eingefroren, und unausgesprochene Worte purzeln mir wie Eiswürfel aus meinem offenstehenden Mund. Puh... und was mache ich jetzt?

Dann merkt auch der Kollege, dass ich auf der Leitung stehe, grinst und sagt "Kein Problem, fällt dir schon wieder ein", und geht weiter. Und tatsächlich, am Nachmittag fällt mir wieder ein, dass ich das Gesicht aus Neumünster kenne. Da habe ich immerhin über ein Jahr gearbeitet - peinlich, dass ich den Kollegen nicht zuordnen konnte. Wobei, gar nicht mal so peinlich, wenn ich an meine eigene Kollegiums-Ökonomie denke.

Ich entlehne diesen Begriff einer Rezension von Roger Ebert, in der er über sein Konzept der Economy of Characters in Slasherfilmen redet. Den Ausdruck fand ich spannend, und mir ist dabei bewusst geworden, wie ökonomisch ich mit neuen Bekanntschaften umgehe: Ich versuche zu ermessen, wie wichtig diese Person für mich sein wird, und merke mir ihre Identität, oder meistens eben nicht. Das führt dazu, dass ich auch nach Monaten einige Kollegennamen noch nicht kann und mir selbst einige Gesichter fremd vorkommen.

Dass es auch in Brachenfeld so war, dafür gibt es eine einfache Erklärung: Jener Kollege, der mich nun an der KGS wiedererkannt hat, saß nicht in "meinem" Lehrerzimmer; Gemeinschaftsschulen haben ein Konzept mehrerer kleinerer Lehrerzimmer, sogenannter Fachstützpunkte. Ich saß im Stützpunkt Sprachen, der andere Kollege nicht, und daher habe ich ihn nicht so oft gesehen und mir seine Identität nicht genauer gemerkt.

Wann immer ich an eine neue Schule komme, sagt mir die Kollegiums-Ökonomie: "Warum willst du dir den Aufwand machen und all' diese neuen Gesichter und Namen lernen, wenn du eh' bald wieder von der Schule gehst?" - und dem kann ich dann nicht viel entgegensetzen. Ich hoffe, das nehmen mir nicht so viele Kollegen krumm...

Montag, 14. Mai 2018

Extrapyramidale Hyperkinesie

Gewitter im Kopf kann verdammt unangenehm werden...

Eine Nacht mit Restless Legs Syndrom (RLS) ist scheiße. Ein ganzes Leben damit muss die Hölle sein, es sei denn, die Therapie greift. Mir reicht es vollkommen, einmal im Halbjahr solch' eine Nacht zu erleben, so wie im vergangenen November. So auch letzte Nacht.

Natürlich habe ich auch ein bisschen blöd darauf hin gearbeitet, habe mir in den letzten Nächten ein Schlafdefizit aufgebaut und gedacht, nun gut, dann gehe ich in dieser letzten Nacht vor Schulbeginn (die letzte Woche war für mich frei) zeitig in's Bett, Schlaf von zweiundzwanzig bis sieben Uhr, neun Stunden, das sollte ausreichen. Ich ziehe mich aus, lösche das Licht, lege mich hin. Auf den Rücken, ausgestreckt, von der Bettdecke warm eingepackt. Und so vergehen zehn Minuten, zwanzig Minuten, dreißig. Und ich liege wach.

Ich wälze mich von einer auf die andere Seite, probiere alle möglichen Schlafpositionen aus, aber nichts hilft gegen dieses ekelhafte Kribbeln in den Beinen und in den Armen. Ich möchte die ganze Zeit zappeln und treten, und nach gut einer Stunde des Herumwälzens ist mir klar, dass ich wieder eine RLS-Nacht vor mir habe. Ich versuche alle Tricks, Beine mit eiskaltem Wasser abduschen, ein Heizkissen draufzulegen, Massagen mit den Händen, ich schraube meinen  Schrubber auseinander, um die Gelenke abzubürsten und auf diese Weise zu stimulieren, denn all' das kann helfen. Hat es allerdings nicht getan; die Nacht schreitet weiter fort und ich habe noch keine einzige Minute geschlafen.

Stundenlang zieht sich das hin. Immer wieder stehe ich auf, gehe mehrmals durch die Wohnung, die Bewegung verschafft Linderung, aber kaum liege ich wieder still und komme zur Ruhe, kehrt dieses quälende Prickeln zurück und mir schwant, dass ich diese Nacht überhaupt keinen Schlaf bekommen werde. Nützt alles nichts. Um vier Uhr morgens stehe ich wieder auf, um in der Wohnung auf und ab zu gehen. Ich bin todmüde, kann kaum den Kopf aufrecht halten, gähne vor mich hin und schlurfe durch die Wohnung - bleibe schließlich mit dem linken Fuß an der Couch hängen und lege eine lautstarke Bruchlandung hin. Sorry, liebe Nachbarn. Und der Versuch, mich mit dem rechten Fuß abzufangen, geht gründlich daneben, denn ich knicke mit dem Fuß um, und ich habe keine Ahnung, was genau passiert ist, aber es tut weh, also nehme ich etwas gegen die Schmerzen und haue mich wieder auf's Bett.

Immerhin, das Erlebnis war so auslaugend, dass ich für eine Dreiviertelstunde einschlafe. Dann wache ich wieder auf, die Beine und Arme kribbeln wieder und es pocht in meinem rechten Fuß. Wie praktisch, dass hier die Kühlpacks herumliegen, von dem Versuch, die Beine runterzukühlen; ich mache mir daraus ein kaltes Polster für den rechten Fuß. Aber einschlafen ist nicht mehr drin, und so ist die armselige Quote für letzte Nacht fünfundvierzig Minuten Schlaf und über acht Stunden Wachsein. Ich muss aussehen wie ein Zombie, und der Fuß ist jetzt dick geworden und das Auftreten tut richtig weh. Diesmal gehe ich zum Arzt. Als ich mir im letzten Jahr den Finger gebrochen hatte und nicht zum Arzt gegangen war, hatte ich mit den Konsequenzen zu kämpfen. Manchmal lerne ich aus meinen Fehlern.

Ich hasse RLS. Ich sollte versuchen, meine Hausapotheke auf solche "Notfälle" einzurichten. Dabei muss man wissen, dass die gängigen Medikamente gegen das RLS, Levodopa, Ropinirol, Pramipexol o.ä. allesamt rezeptpflichtig sind und in der Regel chronischen Patienten für eine Langzeittherapie verschrieben werden. Aber man kann sich selbst behelfen, neben den Kälte/Wärme-Tricks, der Bewegung und Massage, auch mit Gaben von Eisen und Magnesium; auch ein heißer Tee, ein heißes Bad und eine gute Schlafhygiene sind hilfreich. Wenn man das nur einmal alle paar Jubelmonate hat, sollte man ohne Verschreibung auskommen.

Hier gibt es Informationen zum Restless Legs Syndrom / Wittmaack-Ekbom-Syndrom.

post scriptum: Die Altphilologen verstehen den Titel vermutlich - Hyperkinesie als "Zuviel-Bewegung", sozusagen, und der erste Teil bezieht sich auf die Pyramidenbahnen. Ich habe NULL Ahnung von Medizin, weiß nur, dass das RLS ein Teil dieser Hyperkinesien ist.

PS2.: Special Olympics in Kiel, das finde ich toll. Ein Zeichen für Inklusion, ein Zeichen dafür, dass wirklich JEDER Mensch gut ist und okay ist. Schade, dass Inklusion an Schulen in Schleswig-Holstein bisher ein... gewisses... ich sollte mir den Kommentar schenken, sonst denkt das Ministerium, ich hielte nichts von seinem Inklusionskonzept.

Sonntag, 13. Mai 2018

Unterricht

Da ist alles dabei, anständig, aufreizend, selbstironisch und peinlich ;-)
Damit die große Buba einmal sieht, was Schüler so auf einem Bunten Abend anlässlich ihres Abiturs machen. Damals dachte ich, das gehört zum Pflichtprogramm und das machen wohl alle Abiturjahrgänge so: Ein Abend aus Sketchen, Musik und Tanz, auf dem die Lehrer einmal ordentlich durch den Kakao gezogen werden und man sich an seine Schulzeit erinnert. Unser Mitschüler a.k.a. Eric G. Bass hat damals dafür gesorgt, dass die Aktion gefilmt, geschnitten und auf CD gebannt wurde, so dass ein Zeugnis unseres Wahnsinns vor sechzehn Jahren bleibt. Da die Buba besonders daran interessiert sein dürfte, wie wir unsere Lehrer auf's Korn genommen haben, enthält dieser Zusammenschnitt zwei Unterrichts-Sketche.



Spannend, für wie wichtig und toll sich viele Abiturienten halten - davon kann auch ich mich nicht frei machen. Spaßig, die alte Truppe mal wieder zu sehen. Interessant, das hier als Ergebnis einer bewegten Schulzeit zu erleben, die auch einiges an Mobbing seitens mehrerer Parteien enthielt.

Ich glaube, ich wäre stolz, wenn auch ich irgendwann zum Ziel solcher Persiflagen gemacht würde - aber dazu wäre es einigermaßen wichtig, endlich fester Bestandteil einer Schule zu sein. Eines nach dem Anderen...

post scriptum: Sieh' an, damals gab es noch "Negerküsse".

Freitag, 11. Mai 2018

The Age Of Upset

Man muss zum Glück nicht bei jedem Aufreger zum Messer greifen.

Donald Trump verlässt das Atomabkommen mit dem Iran und die halbe Welt ist verunsichert, irritiert oder sogar richtig empört. Und diese Menschen haben auch allen Grund dazu, wobei niemand mehr ernsthaft überrascht sein dürfte über die Dinge, die unter der derzeitigen Ägide im Weißen Haus passieren.

Wir erwarten gar nichts Anderes mehr. Und dennoch regen wir uns auf, denn es tut gut, mal etwas Dampf abzulassen. Ich kenne Menschen, die sich in jedem Gespräch über irgendwas aufregen können, das finde ich faszinierend... und dann frage ich mich, warum sie das tun, und fange an zu reflektieren, ob ich auch so ein Aufreger bin.

Im Studium definitiv. Ich konnte mich über die Debatten der Fachschaftsvertreterkonferenz aufregen, über das blöde Anmeldesystem und die zu vollen Busse. Und der Lektürekanon in Latein ist zu umfangreich und und und... und dann kam das Referendariat, und wer es erlebt hat, der weiß, dass man sich auch da herrlich aufregen kann. In dieser Phase allerdings habe ich angefangen, ernsthaft zu meditieren und mich ganz langsam mit dem Buddhismus auseinanderzusetzen.

Hat irgendjemand schon einmal gesehen, wie sich der Dalai Lama aufregt? Natürlich nicht, denn er regt sich nie auf, das widerspricht seiner Denkweise. Und genau genommen hat er Recht, denn eigentlich hat niemand etwas davon, sich aufzuregen, da kommt nichts bei rum. Die AfD regt sich über die Umvolkung auf und in Konsequenz regen sich die demokratischen Parteien über die AfD auf, und so geht es immer weiter.

Seit ein paar Jahren arbeite ich daran, mich nicht mehr ernsthaft aus der Ruhe bringen zu lassen, zum Beispiel durch zu kurz befristete Arbeitsverträge, Kollegen, mit denen ich nicht um kann und die Hitze in der Wohnung. Und ich werde langsam besser, wirke mittlerweile öfters tiefenentspannt. Aber ich habe noch einen weiten Weg vor mir, denn noch immer kann ich mich aufregen, obwohl ich das eigentlich nicht möchte.

Und ich merke, dass ich mich nicht gern mit Menschen unterhalte, die in Allem ein Aufreger-Potential sehen. Ich empfinde das als eine sehr negative Energie und damit kann ich nicht so gut umgehen.

Falls sich jemand angesprochen fühlt: Ich meine das nicht böse, ich sage nur, dass ich damit nicht so gut kann.

Mittwoch, 9. Mai 2018

Das Milkaherzen-Muster-Mysterium

Vor dem Massaker...

Milkaherzen. Kaum ist die Schachtel da, ist sie auch schon wieder weg - aber nicht ohne System. Meine Damen und Herren, es tritt auf: Das Milkaherzen-Muster-Mysterium, kurz MMM. Das kenne nicht nur ich, und das hat auch nicht unbedingt etwas mit HB zu tun. Es kann jeden ereilen - diese Situation: Da öffnet man eine frische Schachtel Milkaherzen und fragt sich: Welches nehme ich zuerst? Wie möchte ich diese Schachtel entjungfern?

"Ach komm, so ein Schwachsinn, die schmecken doch eh' alle gleich", meckert Biege, die Ziege. Aber das hat damit gar nichts zu tun, es geht hier nicht um Geschmack, sondern visuelle Ästhetik. Also Biege, mach' die Fliege!
Ich versuche mit jedem Teil, das ich aus der Schachtel nehme, ein Muster hinzubekommen. Am liebsten symmetrisch, weswegen ich sehr selten nur eines esse. Und das könnte dann so aussehen:


Ist es nicht wunderbar? Diese Genugtuung, wenn man ein Muster in der Schachtel hinbekommt? Und es kommt noch besser: Die Macht des MMM erstreckt sich auch über andere Bereiche des Lebens. Man nehme einen Tablettenblister, zum Beispiel mit Nahrungsergänzungsmitteln. Natürlich drücke ich auch hier die Tabletten systematisch heraus. Welch' Drama es für mich war, als ich sah, wie unordentlich meine Eltern damit umgegangen sind!

Das geht wirklich überhaupt nicht, dann lieber gleich ganz aufessen!

Nein nein, Ordnung muss sein (außer es geht um meine Wohnung). Und gern symmetrisch und mit geraden Zahlen (ich achte zum Beispiel auch drauf, dass die Lautstärke meines Heimkinos immer durch zwei teilbar ist - ansonsten werde ich unruhig).

Das ist ja auch der Grund, warum ich symmetrische Zimmertürenspiegelverkleidungen habe, oder eine im Ansatz punktsymmetrische Regalwand über meinem Bett. Es beruhigt mich, es versichert mich, dass alles so ist, wie es sein soll. Und vielleicht geht diese Ausprägung manchmal rauf in die Kategorie HB/Autismus - wie beschrieben, die Lautstärke meines Heimkinosystems ist niemals ungerade -  acht, zehn, zwölf, super! Selbst wenn objektiv betrachtet elf besser wäre, würde ich diesen Level niemals wählen. Auch richte ich meine Schulsachen auf dem Lehrerpult immer mit Parallelitäten, fünfundvierzig Grad oder rechten Winkeln aus.

Denn es kann mich wirklich verunsichern, wenn die Sachen nicht passen...

post scriptum: Endlich ist dieser Beitrag fertig, der lag hier schon monatelang im "Entwurf"-Status, der musste dringend raus!

Dienstag, 8. Mai 2018

Ein ungewohntes Gefühl

You're welcome!

Als ich vor etwas mehr als zwei Jahren angefangen habe, diesen Blog zu schreiben, konnte ich sehen, dass im Durchschnitt sechs bis acht Menschen die Beiträge angeklickt hatten. Das war vollkommen in Ordnung, denn es geht mir ja nicht um Besucherzahlen. Ich wollte den Menschen, die es interessiert, etwas von mir preisgeben. Ich kann meine Gedankenwelt oft nicht in Worte fassen, und sicherlich sind viele Beiträge in diesem Blog missverständlich (wobei ich immer noch nicht nachvollziehen kann, dass ein Beitrag über Leni Riefenstahl als Deutung rechter Tendenzen bei dem Autor gelesen wurde).

So nach und nach erweitert sich die Leserschaft, ich sehe vierzig, fünfzig Klicks, und frage mich, woher die wohl kommen mögen. Ob es so viele Menschen gibt, die immer mal wieder in diesen Blog hineinschauen. Das ist das ungewohnte Gefühl: Gibt es da draußen ernsthaft Leute, die sich dafür interessieren, was ich zu sagen habe? Ich bin während meines gesamten Studiums davon ausgegangen, dass dem nicht so ist; deswegen habe ich während meiner dreijährigen Abgeordnetenzeit im Studierendenparlament meistens den Mund gehalten. Zuschauen, zuhören, Verbindungen im eigenen Kopf knüpfen, fertig. Sehr selten habe ich etwas gesagt (abgesehen von den Finanzanträgen, die ich als Vorsitzender des Haushaltsausschusses dem Parlament aufbereitet präsentieren musste).

Weil ich mich eben auch nicht getraut habe, all' diese Dinge zu sagen. Meine Gedanken, meine Richtlinien und Denkrichtungen gehen kreuz und quer, und manchmal so sehr entgegen dem Mainstream, oder auch entgegen dem gesunden Menschenverstand, darf ich solche Gedanken überhaupt äußern? Klar haben wir in Deutschland Presse- und Meinungsfreiheit, und mir ist bewusst geworden, was das bedeutet, nachdem mir in diesem Blog zeitweise der Mund verboten wurde. Aber ich hatte ja auch schon als Jugendlicher immer Angst davor, etwas Falsches zu sagen, und deshalb habe ich lieber gar nichts gesagt.

Nun äußere ich mich in dieser Publikation seit etwa fünfundzwanzig Monaten und es finden sich immer neue Leser, während andere abspringen, aber der allgemeine Trend geht dahin, dass es mehr werden. Mittlerweile wird ein Beitrag innerhalb von vierundzwanzig Stunden nicht mehr sechsmal angeklickt, sondern sechzigmal. Natürlich ist das nichts im Vergleich zu Kolumnisten, zu V-Loggern, Youtubern, zu all' diesen Menschen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und denen Tausende, ja, Millionen Menschen folgen.

Aber es geht ja gerade auch um das Gefühl, das ich habe. Ich kann nicht benennen, ob das gut oder schlecht ist. Ich schreibe einfach weiter, und wenn ich durch einen Beitrag auch nur bei einem einzigen Leser irgendwas bewirken konnte, dann bin ich ziemlich stolz darauf.

So, das musste ich mal loswerden.

Montag, 7. Mai 2018

Wie peinlich!


"Oh mein Gott, Herr Lauber hat schon wieder loggisch gesagt!"

Fremdschämen pur. Lateinunterricht elfter Jahrgang, erstes Jahr in der Oberstufe und wir kamen uns alle unglaublich erwachsen vor. Umso mehr versuchten wir, unsere Würde zu bewahren, wann immer der kleine dickliche Mann da vorne, mein Lateinlehrer, das Wort "logisch" wie "loggisch" aussprach. Ich meine, wir wussten doch alle, dass es "loooooogisch" heißt. Einige von uns lachten - immer wieder, wenn Lauber sich diesen vermeintlichen Fehltritt leistete.

Denn vermeintlich, das war dieser Fehltritt, und nicht mehr. Herr Lauber wusste natürlich, dass unser heutiges Wort "logisch" sich vom altgriechischen lógos ableitete, an beiden Stellen mit je einem Omikron geschrieben. o-mikron - "kleines O". Und natürlich sagen die altsprachlich nicht bewanderten Menschen Oooohhhmikron und Ommmeeeehhhga, obwohl es genau andersherum lauten müsste - Ommmmikron und Oooohhhmegga. Herr Lauber wusste einfach nur Bescheid, und wir nicht, und weil wir diese Aussprache nicht kannten, weil wir das noch nie gehört hatten, weil es ungewohnt war, wollten wir uns darüber lustig machen.

Wie viele Jugendliche eben so sind: Halten sich für das Zentrum der Welt, für das Maß aller Dinge, was sie nicht kennen, gibt es nicht, oder zumindest ist es eklig, wie in der schwulen Schulgeschichte hier. Und wir werden alle erwachsener, erweitern unseren Horizont, jeder in seinem eigenen Tempo und in seiner eigenen Ausprägung. Wir werden aufgeschlossener, Ungewohntes nicht als eklig oder falsch zu betrachten, sondern Neues kennenzulernen. Zumindest gibt es viele Menschen, die sich so entwickeln. Manche fühlen sich im Konservativismus wohler aufgehoben, manchen macht das Progressive Angst.

Ich denke, eine unserer Aufgaben besteht darin, Schüler dahingehend zu schulen, dass sie auf das Unbekannte neugierig zugehen, nicht abwehren, dichtmachen, auslachen.

Samstag, 5. Mai 2018

Verkauft

Wie wird es weitergehen...?

Eigentlich hätte ich es kommen sehen müssen.

Ich bin in den letzten Wochen immer mal wieder in unserem Viertel umhergewandert und mir ist aufgefallen, dass an einem Haus in der Helgolandstraße irgendwann ein neues Schild angebracht worden ist. So ein weißes, transparentes, wie es häufig üblich ist bei Wohnungsbaugesellschaften. Ich kenne das, weil ich in Kronshagen neun Jahre lang in einer solchen Wohnung gelebt habe. Und danach in Husum ebenso.

Mich machen diese Gesellschaften zwar etwas misstrauisch - weil sie in Kronshagen sehr gern und regelmäßig die Miete erhöht haben, und weil sie in Husum nur noch darauf gewartet haben, dass niemand mehr in ihre Wohnungen zieht, damit sie die ganze Häuserzeile plattmachen können. Aber das hat mich nicht interessiert.

Ich habe einen privaten Vermieter, über ein Mietbüro, und ich muss zugeben, ich bin bisher sehr zufrieden: In den vier Jahren, die ich jetzt hier lebe, ist die Miete nur einmal und auch nur geringfügig angepasst worden. Ich fühle mich hier sauwohl. Bis heute. Vielleicht.

Denn heute ist ein Schreiben eingetrudelt, vom Vermieter, dass das ganze Haus verkauft worden ist, und zwar an dieselbe Wohnungsbaugesellschaft, die ich vor einigen Wochen schon ein paar Häuser weiter an der Hauswand als Schild habe blitzen sehen. Und diese Mitteilung löst bei mir natürlich gedankliche Lawinen aus, allerdings versuche ich, sie unter Kontrolle zu halten. Und die erste Frage geht natürlich in die Richtung: Wie wird sich das auf die Miete auswirken? Natürlich kommen Überlegungen, ob jetzt auch jährlich die Miete steigen wird, wie (un)kompliziert sind diese Menschen - deswegen würde ich jetzt gern Euch, liebe Leser, fragen, ob jemand schon einmal Erfahrungen gesammelt hat mit der BUWOG (bei'm Vorlesen bekomme ich Hunger auf asiatische Nudeln).

Die große Buba meinte heute, dass die einen relativ guten Ruf haben - das würde mich freuen. Für einen HB fällt so ein Vermieterwechsel unter Umständen in die Kategorie "schwerwiegende Veränderung im Leben", ich hoffe, dass ich mittlerweile etwas reifer geworden bin und damit gut umgehen kann.

Freitag, 4. Mai 2018

Who am I kidding?

Es wird Zeit, die Zeit zu nutzen...

Es stehen eine Menge freie Tage an, dank Feiertagen, beweglichen Ferientagen, Brückentage, man nimmt sich halt eine kleine Auszeit. Klein bedeutet, dass ich nicht nur heute frei habe (bedingt durch meinen Stundenplan), sondern auch die nächsten neun Tage. So ist es, die ganze nächste Woche ist frei. Und eine meiner ersten Reaktionen war: "Endlich kann ich ein bisschen abschalten, puh, das kommt genau richtig."

Als hätte ich das nötig.

Als arbeitete ich jeden Tag voll durch, nach der Schule gleich rein in die Korrekturen. Wem will ich da etwas vormachen: Wenn ich nach sieben Stunden Unterricht nach Hause komme, bin ich platt. Bzw., im Gegenteil, mein Gehirn ist aufgebläht mit Eindrücken des Schultages, die verarbeitet werden müssen. Sieben Stunden hintereinander, dazwischen Pausenaufsicht und Notenbesprechungen, das ist hart. "Ach du Armer", bekundet eine Kollegin ihr Mitleid. Aber ich habe mir das ausgesucht, ganz bewusst, und ziehe das auch durch - Dienstag, Mittwoch und Donnerstag je sieben Stunden am Stück. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich damit ganz gut klar komme, allerdings brauche ich dann zurück in meiner Wohnung erstmal eine Weile, um die Eindrücke sacken zu lassen. Mein Gehirn rennt dann auf Hochtouren, und meistens springe ich in die Welt der Videospiele, um auf andere Gedanken zu kommen. Oder ich gehe direkt in die Meditation, um das alles abzuarbeiten. Unter'm Strich bleibt: Ich tue an einem Schultag nicht mehr wirklich viel für die Schule, von der Kopfarbeit mal abgesehen (die ist dafür sehr umfangreich, you gotta love Hochbegabung). Und so stapeln sich die Klassenarbeiten...

Und deswegen sollte ich mir jetzt nichts vormachen. Ich sollte jetzt keine freien Tage machen. Ich sollte mir einen Rhythmus einrichten, in dem ich einen Teil des Tages arbeite und einen Teil entspanne, denn ich möchte das Leben genießen, ich lebe nicht, um zu arbeiten. Ich möchte mir den Genuss aber verdienen, denn er fühlt sich dann so viel besser an.

Also, Dr Hilarius: Hör' auf mit dem "Endlich frei"-Gelaber und komm' in die Gänge, nutze die freie Zeit sinnvoll und vergiss' dabei nicht, im Einklang mit Dir selbst zu bleiben. Keine Flucht in "Endlich frei"-Räume oder -Phasen, sondern aktiv und bewusst bleiben.

Das Genöle muss aufhören.

post scriptum: Ob sich jemand ertappt fühlt???

Donnerstag, 3. Mai 2018

Kuchen und Leistungsdruck

Nix Karies: Ungebacken lösen die Brownies die Zähne direkt im Mund auf!

"Also, deine Brownies, die waren ja echt superlecker, haben dir bestimmt schon mehrere Kollegen gesagt" - nein, eigentlich nicht, und noch besser: Es ist zum ersten Mal seit vierzehn Jahren vorgekommen, dass etwas von den Brownies übrig geblieben ist! Dabei dachte ich immer, Lehrer wären alle verhungert und/oder verfressen, aber vielleicht sollte ich nicht schon wieder von mir auf Andere schließen. Und es ist toll, dass ein großes Stück übrig geblieben ist, so kann ich mich heute durch den Korrekturfrust kämpfen.

Korrekturfrust? Nur wegen einer schlechten Note, oder einer Arbeit, die dann mal eben nicht so gut ausgefallen ist? Stimmt. Eigentlich sollte ich mir das nicht zu Herzen nehmen. Denn schließlich ist alles ab Vier aufwärts bestanden, ist doch voll in Ordnung. Es ist ja nicht so, dass auf den Schülern ein Leistungsdruck herrscht, es ist ja nicht so, dass eine Drei schon als "sauschlecht" angesehen wird. Es ist ja nicht so, dass Zeugnisnoten ab Drei Minus schon eine Benachrichtigung an die Eltern ergeben und dann etwas mehr Druck auf die Schüler gemacht wird. Wir sind in einem Bildungsbetrieb, in dem wir unseren Schülern suggerieren, dass sie okay sind, wie sie sind. Niemals würden wir da von allen Seiten - auch wegen des Eindrucks nach außen hin - zu erreichen versuchen, dass nur gute Noten entstehen, weil alle denken sollen, dass wir eine Schule sind, die Hochleister produziert, und die Eliten fördert. So ist es ja nicht.

Ich bin immer wieder sehr froh, wenn ich erleben darf, wie Schule ein Lebensraum für die Schüler ist. Wenn ich sehe, dass sie dort ohne Angst sind, denn schließlich nimmt die Unterrichtszeit einen großen Raum ihrer Jugend ein. Ich mag den Grundgedanken der Gemeinschaftsschulen, dass jeder Schüler nach seinen Möglichkeiten arbeitet und dass es in Ordnung ist. Ich mag die Geisteshaltung, dass eine Drei total toll ist. Manchmal frage ich mich, wenn ich mündliche Noten geben soll und die Schüler sich immer anhand von Leitfragen selbst einschätzen lasse, ob da eine Paralleldimension existiert. In den meisten Fällen treffen die Schüler ihre Note recht gut - kritisch wird es, wenn der Schüler dann sagt "Also, ich seh' mich eigentlich besser" - kritisch deswegen, weil da Aufklärungsbedarf herrscht. Respekt vor den Noten einimpfen und die Lerner von ihren hohen Rössern herunterholen.

Ich hasse Leistungsdruck, der auf Schülern lastet, und ich versuche immer ein Mindset herzustellen, in dem man sich seine Noten erkämpfen kann und jede erlangte Note ein Triumph ist.

Dienstag, 1. Mai 2018

Plädoyer für Videospiele

Für viele Spieler hat alles damit begonnen.

Ich lege den Controller zur Seite. Ich lehne mich zurück, lehne den Kopf an die Lehne der Couch. Ich schaue nach oben, ich schließe die Augen und atme tief durch. Im Hintergrund läuft unbeirrt die dramatische Musik des Streicherorchesters, uneingedenk der Tatsache, dass mir gerade der Boden unter den Füßen weggezogen wurde und ich mich verloren, hilflos, verwirrt, wütend und begeistert sortieren muss.

Das war ein Schlag, ein emotionaler Schock, den ich in dieser Intensität nur bei wenigen Filmen miterlebt habe - und ich liebe Filme und bin dabei, mein Repertoire ständig zu erweitern, um immer wieder auf's Neue begeistert zu werden. Doch es gibt Dinge, die ein Film nicht leisten kann. Diese kleine Eigenart, die eben nur die Videospiele mit sich bringen: Der - je nach Spiel - unglaublich hohe Grad an Immersion. Das Eintauchen. Die eigene Verantwortung für das, was auf dem Bildschirm passiert. Ich identifiziere mich nicht nur mit den Hauptfiguren, ich werde zu ihnen, ich denke wie sie, ich versinke in der Spielewelt. Ich steuere jede einzelne ihrer Aktionen, ich übernehme das Denken und das Handeln, sie werden zum Ausdruck dessen, was ich in dieser fiktiven Welt bewirken möchte.

Ein Film nimmt mich neunzig Minuten mit, vielleicht hundertzwanzig, vielleicht drei Stunden oder, wie bei Shoah (1985), vielleicht sogar über neun Stunden, und sie mögen über die gesamte Dauer ihrer Spielzeit Meisterwerke sein. Ein Videospiel kann mich wesentlich länger mitnehmen und mich zu einem festen Bestandteil seiner Welt machen. Ich gewöhne mich an die Spielfiguren, an ihre Stimmen, an ihre Charakterzüge. Mit der Zeit, den Stunden, den Tagen, werden sie zu einer Familie für mich, und ich bekomme das Gefühl, sie besser zu kennen als sie selbst.

Und genauso glaubte ich ihn, den Helden dieses Spiels, zu kennen. Leibwache und Berater eines jungen Königs, der ein eigenes Königreich aufbauen will, um den Mord an seinem Vater zu rächen, unterstützt von ihm, dem Berater, in dessen Rolle ich seit über sechzig Stunden in der Welt von Ni No Kuni 2 umherstreife. Und dann, in einem Moment genialer Irreführung - bzw. besser Augenöffnung, realisiere ich, unterstützt von obliquen Kameraperspektiven und einem dramatischen orchestralen Soundtrack, dass ich in Wahrheit den Bösewicht spiele. Mein Mund steht offen, fassungslos erlebe ich mit, wie mein Protagonist einen seiner engsten Freunde erschießt - in einem Spiel für Kinder!

Ich lehne noch immer zurück auf meiner Couch, ich fühle mich hilflos, als ob mir plötzlich, nach diesen Tagen in jener Welt, die Kontrolle entgleitet. Was habe ich getan?! Ich hinterfrage all' mein Handeln, ich hinterfrage die Rolle von Gut und Böse und werde mir gleichzeitig der Genialität der Köpfe hinter diesem Spiel bewusst - und werde an dieser Stelle auch nicht weiter spoilern.

Und geniale Köpfe finden sich hinter so vielen Videospielen. So genial, dass Hitchcock stolz wäre, der einst gesagt hat "I like to play the audience like a piano". Die besten Spielentwickler wissen genau, wie sie ihr Publikum zu führen haben, lenken mich in die Irre, arbeiten mit geradezu filmischen Techniken und erweitern nicht nur meinen Horizont, sondern füttern meine Fantasie, meine Vorstellungskraft, meine Kreativität.

So habe ich damals, als ich ein junger Teenager war, in meiner Freizeit alle Items aus Zelda - A Link To The Past mit realen Gegenständen nachgebastelt und damit gespielt. Ich habe eine Kurzgeschichte geschrieben, inspiriert von Secret Of Mana, und ich habe meine erste längere Geschichte geschrieben als literarische Umsetzung von Resident Evil. Die Geschichte Das Schiff in der Nacht basiert offensichtlich auf Eindrücken aus Videospielen. Die Fantasiewelten in meinem Kopf sind um so Vieles bereichert worden, auf das ich nun in meinen Gedankenreisen und Meditationen nach Lust zugreifen kann.

Ich habe Tempel auf Südseeinseln erforscht (Indiana Jones And The Infernal Machine), ich habe alte, verfallene Herrenhäuser durchstreift (Alone In The Dark - The New Nightmare), ich habe fremde Planeten und Dimensionen bereist (Metroid Prime 2: Echoes), ich habe eine Familie gegründet und durch die Höhen und Tiefen des Lebens geführt (The Sims), eine Welt vor dem Untergang durch einen größenwahnsinnigen Irren gerettet (Final Fantasy VI), ich habe Zeitreisen erlebt (Secret Of Evermore), habe mit dem Schmetterlingseffekt herumprobiert (Shadow Of Memories), eine Familiengeschichte in bester Gothic-Tradition miterlebt (Black Mirror), eine andere Familiengeschichte von epischen Ausmaßen begleitet (die Myst-Reihe), mich auf die Suche nach Atlantis gemacht (Tomb Raider), den Untergang von Atlantis erlebt (Atlantis - The Lost Tales), eine Horrorgeschichte mit literarischem Anspruch erfahren (Silent Hill 2), nur mit einer Kamera bewaffnet japanischen Horror kennengelernt (Project Zero 2: Crimson Butterfly)...

...diese Liste könnte noch weit fortgeführt werden, mit weiteren Namen, die nicht umsonst von vielen Publikationen als best video games ever made genannt werden. Und je mehr Namen ich aufliste, umso stolzer werde ich. Ich habe vor einigen Tagen ein Plädoyer gegen Videospiele im Blog veröffentlicht, und auch wenn es eine ironische Vorbereitung auf diesen Beitrag sein sollte, waren einige wahre Punkte dran - zum Beispiel, dass Videospiele extrem viel Zeit fressen können. Und ich habe - leider - auch Schüler erlebt, die unter dem Einfluss von Videospielen mehrere Noten abgerutscht sind. Deswegen halte ich es für eine wichtige Aufgabe für mich als Pädagogen, Videospiele nicht zu verbieten, im Gegenteil, sondern den Schülern eine Kompetenz für den Umgang mit ihnen mitzugeben. Sie könnten daraus etwas über das Maß aller Dinge lernen.

Selbstkompetenz.

post scriptum: Selbstverständlich gibt es Spiele, in denen ich einen nicht so großen positiven Effekt für die Schüler sehe, und oftmals spielen sie genau diese Spiele. "Castle Wolfenstein", "Fifa", "Grand Theft Auto" - aber, um ehrlich zu sein, ich möchte mir eigentlich kein Urteil über diese Spiele erlauben, bevor ich sie selbst gespielt habe. Nicht, dass ich das derzeit vorhätte; ich mag es aber auch in anderen Situationen nicht, wenn Menschen sich ein Urteil anmaßen, ohne überhaupt zu wissen, worüber sie sprechen, zum Beispiel bei Filmen oder Achterbahnen. The proof is in the pudding.