Donnerstag, 24. Mai 2018

Pyramus & Tippse

Das könnte so eine Thisbe-Tippse sein...

Donnerstag - nicht nur jetzt, sondern auch während meiner Zeit in St.Peter-Ording war der Donnerstag immer der letzte Schultag der Woche für mich. Damals bin ich nach der sechsten Stunde in's Auto gesprungen und die zwei Stunden von Küste zu Küste gefahren. Danach: Meditationsnachmittag/-abend, um die vielen Eindrücke der Arbeitstage abzuarbeiten. Heute bin ich nach der siebten Stunde in den Bus gestiegen, und die Fahrt dauerte auch nur etwa zwanzig Minuten, aber ansonsten bleibt es dabei: Meditationstag, Kopf frei bekommen.

Zum Beispiel frei von Latein, das ich heute sechs Stunden lang erleben durfte. Kreativ (in der Klassenarbeit), neugierig (die 6c fängt mit der Caius ist ein Dummkopf-Lektüre an) und albern: Im E-Jahrgang übersetzen wir als eine von Ovids Metamorphosen die Geschichte von Pyramus und Thisbe, die sich ineinander verlieben, aber ihre Väter sind gegen diese Liebe. Zum Glück hat die Wand der benachbarten Wohnhäuser einen Riss, durch den sie sich romantische Dinge zuflüstern können. Irgendwann reicht das nicht mehr und sie planen ein Treffen. Und wer Ovid kennt, der weiß, das nur ein verschwindend geringer Teil seiner Metamorphosen ein happy ending hat, und so wird auch diese Geschichte tragisch enden.

Oder aber komisch. So wie heute, als eine Schülerin nachgefragt hat, welche Metamorphosen sie für die Klausur kennen soll, bzw. aus welchen der Klausurtext stammen könnte. "Also, das war dieser Aktion, ach ne, Acktaijohn, oder Aktaeon oder so, und dann hier der Pyramus und Thsis, Sthis, Zipth, Tippse oder so" - und das war mein Ende. Die Vorstellung von Thisbe als Tippse hat alle Gedankenzüge entgleisen lassen und ich bin zwei Minuten lang vor Lachen fast gestorben. Talk about authentische Lehrkraft...

Und dann gab es, wie jeden Donnerstag zwischen Schule und Meditation, einen neuen Film. Horizont erweitern und so. Und wieder ein Film, den ich in meine Liste "Potential für schulischen Gebrauch" aufnehme, so wie unlängst Get Out (2017) und The Babadook (2014). Der heutige Film stammt ebenfalls aus 2014, wurde in Cannes gezeigt und hat sich nach und nach in die Kritikerherzen gekämpft: Siebenundneunzig Prozent aller Rezensionen auf rottentomatoes.com sind positiv, und das muss ja einen Grund haben, und es geht nicht nur um den souveränen Umgang des Regisseurs mit minimalistischen, aber äußerst effektiven Mitteln.

Und warum ist dieser Film für Schule interessant? Weil es um Teenager geht. Und um Sex. Um Initiation, Entjungferung, jugendlichen Leichtsinn und Paranoia. Um HIV/AIDS. Der Film ist auf mindestens zwei Ebenen sehr interessant; zunächst einmal auf der direkten, wörtlichen Ebene, ist es ein verdammt unheimlicher Film. Ich habe phasenweise eine Panik gehabt wie seit Project Zero II nicht mehr - und die große Buba weiß, was das bedeutet und wird sich diesen Film vermutlich niemals anschauen.

Und dann wäre da die Metaebene: Der Film bietet wunderbare Interpretationsansätze, und es kursieren bereits viele Deutungen im Internet. Man kann an dem Film das Konzept der literarischen Parabel wunderbar verdeutlichen. Diese Ebene hatten wir auch bei The Babadook (Umgang mit Trauer) und Get Out (Rassismus) - und hier geht es um das Bewusstwerden von Angst. Das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit. Und die Aufforderung, damit umzugehen zu lernen.

Vom Aufbau und Grundkonzept her hat mich der Film an Ringu (1998) erinnert; in jenem Film ging es um einen Videofluch. Wer sich das Video anschaute, musste sieben Tage später sterben, es sei denn, er schaffte es, den Fluch "weiterzugeben". Das ist die gleiche Prämisse wie im heutigen Film; beide Filme eröffnen mit einer Darstellung der Folgen des Fluches, schwenken dann auf die Protagonistin und ihren Kampf gegen ihre eigene Verfluchung und landen auf einer bittersüßen Endnotiz: Der Fluch kann nicht gebrochen werden. Er wird immer weitergehen. Und man muss lernen, damit zu leben.

Der ganze Plot des Films heute wird im Titel sehr konzis zusammengefasst. Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass ich mich um den Titel bisher gedrückt habe - ich möchte etwas aus dem Film nachahmen, denn dort wird der Titel erst nach der allerletzten Szene des Films eingeblendet und bringt es auf den Punkt: It Follows (2014).


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen