Mittwoch, 30. Januar 2019

What the...?!

Was ist real und was nicht?

Später Nachmittag, es klingelt an der Tür. Ich erwarte niemanden - normalerweise bedeutet das, dass ich mich totstelle und warte, dass wer-auch-immer wieder weggeht; ich hasse Überraschungen. Und trotzdem öffne ich, denn mir fällt ein, was das sein könnte. Und ein paar Minuten später halte ich Stay in der Hand, den Film von gestern. Wow, vor achtzehn Stunden bestellt und schon halte ich die Bluray in Händen, manchmal ist es gruselig, wie schnell Hermes sein kann. Aber ich wollte diesen Film unbedingt haben, denn er ist ein Vertreter eines meiner Lieblingsgenres, Filme, die man mindfuck movies nennen könnte.

Solche Filme liebe ich ja: Filme, die sich nicht innerhalb der ersten fünf Minuten schon komplett erschließen lassen; solche, in denen nicht bereits nach zehn Minuten der gesamte kommende Handlungsverlauf klar ist und das Ende sehr vorhersehbar schon feststeht; Filme, in denen ich eine gewisse Arbeit zu leisten habe, in denen ich mir das Puzzle des Plots und des Charaktergeflechts in meinem eigenen Kopf zusammensetzen muss, und in denen auch in der zweiten Hälfte noch neue Aspekte hinzukommen; Filme, bei denen am Ende Fragen offen bleiben. Filme, die lange über die Schlusscredits hinaus nachwirken.



Mysterythriller, Science Fiction, psychological horror, alles, was sich unter der Überschrift „Mindfuck Movie“ einsortieren lässt. Das Paradebeispiel, das ich grundsätzlich nenne, ist David Lynchs Mulholland Drive (2001), aber ich freue mich immer sehr, wenn ich einen neuen Film der Sammlung hinzufügen kann. Viele interessante Filme aus dieser Kategorie sind vollkommen an mir vorbeigegangen, und deswegen habe ich Google vor einigen Tagen einmal befleißigt, mir etwas zu den best mindfuck movies zu sagen.



Ich bin dabei, diese Filme derzeit abzuarbeiten – das sorgt dafür, dass zwei Komödien, die ein Schüler mir ausgeliehen hat, warten müssen. Sorry, aber mein eigener sturer Kopf setzt sich dann durch. Und so bin ich gestern zu dem Film Vanilla Sky (2001) mit Tom Cruise gekommen, der zwar nett war, aber eher wie eine Fingerübung wirkte. Und der Cruise-Charakter war mit seinem Narzissmus wirklich sehr abstoßend. So war es schön, ab der Hälfte des Filmes immer weiter verwirrt zu werden, und ich liebe es, wenn Tom Cruise eine Abreibung bekommt, aber der Film ist nicht so intensiv in meinen Gedanken hängen geblieben wie zuvor Stay – der um gut eine halbe Stunde kürzer ist und mit knapp über neunzig Minuten die perfekte Dauer für solch' einen Rätselfilm hat.



Außerdem spielt Naomi Watts mit, in die ich seit Mulholland Drive verliebt bin, und Ryan Gosling, der auch in ein paar guten Filmen aufgetaucht ist (Drive, Blade Runner 2049), und auch Ewan McGregor wirkt sehr sympathisch in diesem Mysterythriller um einen Kunststudenten, der seinem Psychologen anküdigt, sich in drei Tagen umbringen zu wollen. Regisseur Marc Forster gibt vom Anfang an visuelle und akustische Hinweise, die dafür sorgen können, dass der Zuschauer ein gutes Stück vor dem Film bei der Auflösung ankommt; ich konnte genießen, wie viele clues in dem Film auftauchten und wie detailverliebt gearbeitet wurde. Das war echt cool und den möchte ich bald noch einmal sehen.



Ich pinne diesen Beitrag links in den Blog, wer weiß, vielleicht hat ja noch jemand ein ähnliches Interesse und findet hier ein paar Anregungen:



Memento (2000) über einen Mann, der den Mord an seiner Frau trotz seiner Amnesie aufklären will

The Invitation (2016) über eine sehr seltsame, surreale Dinnerparty

Eraserhead (1977) über die Ängste bei'm Vaterwerden

The Game (1997) über ein unheimlich passendes Geburtstagsgeschenk für ein reiches Arschloch

Solaris (1972/2002) über einen Planeten bzw. ein Meer, das ein Bewusstsein besitzt und unsere Erinnerungen rekreieren kann

Timecrimes (2007) über einen Mann, der zufällig in einen Mord verwickelt wird und in der Zeit zurückreist, um ihn zu verhindern

Predestination (2014) über einen Mann, der Verbrechen verhindern soll, bevor sie geschehen – per Zeitreisen (ähnlich wie bei Minority Report)

Looper (2012) über die „Entsorgung“ von Verbrechern per Zeitreise

Coherence (2013) über Schrödingers Katzen-Dinnerparty

Triangle (2009) über eine Gruppe Menschen, die ein Deja Vu auf einem Kreuzfahrtschiff erlebt

Inception (2010) werde ich hier nicht aufführen, und auch Dunkirk (2017) nicht, weil die Filme trotz ihrer fragmentarischen Erzählweise immer noch auf den Mainstream ausgerichtet sind

Persona (1966) über zwei Frauen, deren Identitäten immer größer werdende Schnittmengen aufweisen

Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004) über den Versuch der selektiven Erinnerungslöschung

Edge of Tomorrow (Live.Die.Repeat., 2014) über das Groundhog Day-Prinzip im Kampf gegen eine außerirdische Invasion (wesentlich besser, als es klingt!)

Cube (1997) über eine Gruppe Menschen, die in einem System aus würfelförmigen Räumen aufwachen und Antworten suchen

Jacob's Ladder (1990) über einen Kriegsveteranen, der nach der Heimkehr von Halluzinationen heimgesucht wird

Stay (2005) über einen Kunststudenten, der die Zukunft erahnen kann und seinen Suizid plant

Primer (2004), hochintelligenter Film über die zufällige Entdeckung von Zeitreisen

Berberian Sound Studio (2012), über einen Tontechniker, der bei der Arbeit an einem für ihn neuen Filmgenre allmählich den Verstand verliert

eXistenZ (1999), über ein erstaunlich realistisches Virtual Reality-Videospiel, eine Art Quasi-Vorläufer zu Inception

Paprika (2006), ein Anime über die Fähigkeit, in Träume anderer Menschen einzudringen - die Parallelen zu Inception (2010) sind unzählbar und Paprika wird oft als eine wesentliche Inspirationsquelle für Nolans Film genannt 

Welt am Draht (1973) über ein Computerprogramm, das reales Leben simulieren soll 

Remember (2015) über einen jüdischen Auschwitz-Überlebenden, der im hohen Alter Rache an dem Menschen nehmen möchte, der seine Familie ermordet hat 

Radius (2017) über einen Mann, der nach einem Autounfall nicht nur sein Gedächtnis verloren hat - alles, was ihm zu nahe kommt, stirbt auf mysteriöse Weise 

Come True (2020) über eine Schülerin mit Schlafproblemen, die an einer Studie im Schlaflabor teilnimmt
 
Hinter den Augen die Dämmerung (2021) über ein Paar, das seine Beziehung vor gothischer Kulisse neu überdenkt

Beyond the Infinite Two Minutes (2020) über einen Barista, zwischen dessen Café und Privatwohnung eine Zeitverschiebung besteht, so dass er je nach Standpunkt zwei Minuten in die Zukunft oder in die Vergangenheit schauen kann

Infinity Chamber (2016) über einen Mann, der in einer karg möblierten Kammer landet, Visionen von Zukunft (oder ist es die Vergangenheit?) hat und bewacht wird von einem freundlichen Roboter, der nicht über seinen Algorithmus springen kann, um ihm bei der Flucht zu helfen


Fröhliches mindbending!

Dienstag, 29. Januar 2019

Ungefragter Rat

"Es geht NUR so! Und NICHT anders!" - ich könnte kotzen...

YazzTazz hat jüngst bei Facebook einen Artikel über Die Müttermafia geteilt, und ich fand es sehr spannend, ihn zu lesen. Es geht mal wieder um typisch menschliche Verhaltensweisen, und wie sehr diese einem manchmal die Geduld rauben können. En detail geht es darum, wie es sich anfühlen kann, eine junge Mutter zu sein, im Kreis weiterer Mütter, egal welcher Generation. Da hagelt es gut gemeinte Ratschläge, Tipps, mehr als man je hören wollte, und leider nur selten in der etwas weniger aggressiven "Also ich würde..."-Formulierung, sondern im Lieblingston der großen Buba: "Du musst unbedingt..." (also, Lieblings- ist ironisch gemeint, sie hasst das).

Ich bin keine Mutter und werde mich mit dieser Situation vielleicht nie konfrontiert sehen. Sollte ich irgendwann ein Vater sein, werde ich mir vermutlich ab und an Sprüche sagen lassen müssen a la "Das Kind braucht Vater und Mutter...", aber ich werde mir nicht dieses Dauerfeuer an Beobachtung und Kritik gefallen lassen müssen. Und ich bin heilfroh darüber, und mir tun alle Mütter leid, die das jetzt mit ihren kleinen Goldstücken abbekommen. Denn, in einem anderen Kontext kenne ich das zumindest ein bisschen, nämlich als junge Lehrkraft.

Ich sehe aus, als wäre ich im nullten Semester. Als käme ich also frisch von der Uni und stünde zum ersten Mal vor Schülern - denn als richtiger Lehrer trägt man natürlich keine solchen Klamotten wie DrH. Und auch vom Gesicht her scheine ich jünger zu wirken, und das übt einen unüberwindbaren Reiz auf Kollegen aus, die bereits verbeamtet sind - den Reiz, mir Tipps zu geben, egal wo ich bin, egal was ich mache. Am schlimmsten sind die Tipps, die dann noch so entmündigend eingeleitet werden: "Du bist ja noch jung, da macht man solche Sachen noch, aber du solltest..." - egal was danach kommt, ich hasse es.

Es ist ja noch nicht einmal der Irrtum, dass ich nicht ganz so jung bin, wie ich aussehe. Sondern dieses Gefühl, das bei meinen Kollegen entsteht, dass ich noch gar nicht wissen könne, wie Schule funktioniert. Der Lehrerberuf bietet sich ähnlich wie der Junge-Mutter-Status an für ein Dauerfeuer von gut gemeinten Ratschlägen im Umgang mit Deinen Schülern. "So kannst du doch nicht mit ihnen reden!" (offensichtlich doch) "Die tanzen dir sonst auf der Nase herum!" (offensichtlich nicht) "Wer lernt denn bei dem Unterricht etwas?" (offensichtlich Einige) "Nein, das kann man so nicht machen."

Ich will damit nicht alle Kollegen unter das Rad schleifen. Aber ich habe nun wirklich im zweistelligen Bereich Kollegen miterlebt, die es vielleicht gut meinen, aber irgendwie aus dem Blick verloren zu haben scheinen, dass man Unterricht auch anders machen kann. Anders, als sie das tun. Vielleicht sind sie wirklich tolle Lehrer, vielleicht geben sie einen hervorragenden Unterricht. Aber ich bin ein anderer Mensch, und da ich viel von mir in den Unterricht einfließen lasse, ist auch mein Unterricht anders. Dass es nicht die richtige Unterrichtsmethodik gibt, sollte schon der Blick auf unzählige pädagogische, didaktische und menthodische Strömungen klarmachen. Alternativschulkonzepte, Suggestopädie, Ganzheitlichkeit, Rituale, Pestalozzi, Montessori, Steiner, Offener Unterricht, Demokratische Schule - diese Liste könnte sehr weit fortgeführt werden.

Wenn Kollege DrH in seinem Unterricht ein paar Dinge anders macht als Du, dann lass' ihn das doch ausprobieren, vielleicht klappt es ja. Sieh' Deinen Unterricht nicht als den einzig wahren Weg an, nur weil Du diensterfahrener bist als der vermeintliche Grünschnabel, der gerade von der Uni gekommen ist und noch gar nicht weiß, wie man mit Menschen umgehen muss.

Mich nervt das Wohlwollende manchmal ein wenig, weil es mir wieder das Modell der Ich-Zustände aus der Transaktionsanalyse (TA) vor Augen führt. Ich versuche immer wieder, im Umgang mit anderen Menschen "auf Augenhöhe" zu reden, vom Erwachsenen-Ich zum Erwachsenen-Du. Leider versuchen die ratgebenden Kollegen aber gern, sich in die Position des Eltern-Ich zu bringen, und sie hätten gern, dass ich im Kind-Ich darauf antworte. In diese Rolle mag ich mich aber nicht drängen lassen, versuche, im Erwachsenen-Ich zu bleiben, und im besten Fall haben wir eine gekreuzte Transaktion, die "nur" ein saures Gefühl hinterlässt, oder aber eine verdeckte Transaktion, die sich weiter fortziehen wird und unsere Kommunikationsbasis ernsthaft beschädigt.

Ich muss fair sein: Jene wohlwollenden Kollegen hatte ich bisher an jeder Schule. Aber, wenn man mir schon andere Ideen näher bringen wollte, warum macht man das nicht so wie mein derzeitiger Fachkollege: "Ja, das kannst du so machen. Ich mache das gern so und so, weil..." Ich-Botschaften. Mir ein Handlungsangebot machen. Möglichkeiten aufzeigen, aber nicht von mir einfordern, dass ich das alles umsetze (das hat sich meine Mentorin im Referendariat von mir gewünscht, und es hat gekracht). Ich suche mir selbst heraus, welches der Angebote ich im Kopf mit nach Hause nehme und überdenke selbst, was ich davon nutze.

Natürlich hinkt der Vergleich zur Mutter, die sich Hinweise zum Umgang mit ihrem Baby geben lassen muss. Aber wenn sich das nur ein kleines bisschen so scheiße anfühlt, wie von Kollegen belehrt zu werden, dann tun mir die jungen Mütter wirklich leid. Dickes Fell.

post scriptum: Ich weiß, dass ich darüber schonmal geschrieben habe. Aber der Artikel bei Facebook hat mir das mal wieder in's Bewusstsein gerückt, wie nervig es für junge Kollegen sein kann, das zu erleben...

Samstag, 26. Januar 2019

Mein erster Kuss


So, Klaus, nun kannst Du lesen, was Deine Mail angerichtet hat. Und vielleicht liest ja auch einer meiner ehemaligen Schüler, der sich gerade geoutet hat - Ich bin SO stolz auf Dich!

"Hase: Totes Kaninchen."

Ich glaube, ich war dreizehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal realisiert hatte, dass ich Männerkörper aufregend finde. Das war für mich schwierig einzuordnen, denn gleichzeitig war ich in eine Mitschülerin verliebt, und auch danach in der Oberstufe ging es wieder um ein Mädchen. Wenn es um Gefühle geht, kann man das oft nicht einfach einordnen. Bin ich jetzt schwul oder nicht? Und wozu sollte ich mich überhaupt auf eine einzige sexuelle Orientierung festlegen?

Ich bin in der Phase richtig neugierig geworden und habe mich gefragt, wie sich das wohl anfühlt, einen Mann zu küssen. Bestimmt nicht so schön, wenn er einen Bart hat, oder so was Kratziges - oder? Neugier war da, Interesse, ja, aber ich lebte auf dem Land. Nicht zu sehr auffallen. Wenn ich nach Kiel ziehe, da bin ich unbekannt, vielleicht kann ich da einen Mann küssen. Dachte ich mir.

Ich war auch bei diesem Thema ein Spätzünder, musste erst einundzwanzig Jahre alt werden, um meinen ersten Kuss zu bekommen. Und dann auch gleich mit einem Mann. Das war im Winter Zweitausendvier Släsch fünf, und ich hatte Daniel auf den blauen Seiten kennengelernt. Er war mir sehr sympathisch, hat ganz nette Sachen geschrieben, und ich hatte mich in sein Gesicht verguckt. Aber ich hatte keine Ahnung, wie man an einen Kuss kommt, absolut nicht. Muss man danach fragen? In den Filmen geht das irgendwie immer so automatisch.

Daniel hat einen ersten Schritt gemacht, indem er vorgeschlagen hat, dass wir uns zu einem Abendessen bei Burger King treffen. Und ich habe natürlich wieder mit meiner Standardantwort reagiert: "Oh, da habe ich leider keine Zeit, eine Freundin kommt da zu Besuch." Panische Angst, dass ich plötzlich einen offen schwulen Mann treffen könnte - bloß nicht!!! Und dann wäre das ja auch noch so ein unkompliziertes Treffen: Daniel könnte nach der Arbeit direkt zu BK gehen, nur fünf Minuten von seinem Büro entfernt - und fünf Minuten von meiner Wohnung. Eigentlich ideal, und gerade weil es so greifbar schien, musste ich auf jeden Fall absagen. Remember? Ich war schüchtern, zwei Meter groß und spindeldürr.

Daniel hat aber nicht locker gelassen. Er war sieben Jahre älter als ich, schon seit Langem geoutet und hatte scheinbar keine Berührungsängste, und das war wohl auch ganz gut so, denn sonst hätten wir uns nie getroffen, weil ich immer wieder neue Ausreden gebracht hätte, um abzusagen und in Sicherheit bleiben zu können. Er wusste schon recht genau, was er tat, als er dann den Tag des Treffens einfach verschob auf den siebzehnten Januar. Oh mein Gott... ich lag die halbe Nacht davor wach... und tippte etwas in mein Tagebuch:

Mo, der 17. 1. 05, 1:25 Uhr:
Guten "Morgen"! Ich bin VERDAMMT aufgeregt!!!!! Alles weitere morgen...

Wenn ich nur so wenig sage oder schreibe, ist das meistens ein Zeichen für meinen Gemütszustand. So kam also der Montag. Treffen 19 Uhr unten bei Burger King. Was ziehe ich nur an??? Zähne putzen, Haare waschen, Mundwasser, fünfmal neue Outfits anziehen. Soll ich nicht doch schnell noch absagen?? Ohgott, was mache ich nur... diesen Gedanken nahm ich mit nach unten und bummelte gen BK. Und dort wartete er. Einen Kopf kleiner als ich, und auf Krücken. Ich wollte ihm die Hand geben - ich meine, wie begrüßt man eigentlich einen schwulen Mann? Wie begrüßt man überhaupt Menschen?? Und warum hat er Krückenwassagichdennnurichbraucheeindrehbuchaaaaaahhhhhhh...

Keine Ahnung, wie es dann genau kam, ich sehe uns nur noch beide da sitzen und futtern und reden, er hat sich seinen Fuß verstaucht, als er auf Glatteis ausgerutscht ist. Was noch? Keine Ahnung, mir fuhren sieben Gedankenzüge gleichzeitig durch den Kopf, und dazu fünf verschiedene Filme auf derselben Leinwand, und deswegen konnte ich auch gar nicht mehr genau nachdenken, als sein Vorschlag kam, noch zu mir hoch zu gehen und einen Film zu schauen. Ich weiß nicht mal mehr, welcher Film es war, ich im Nippelsessel, Daniel neben mir, seine Hand auf meiner und ich hatte eigentlich nur noch darauf gewartet, dass der Teppich sich unter mir öffnet und mich einsaugt, oder dass Conny reinkommt und mich totrollt, um die angespannte Stimmung aufzulockern. Mein Puls muss gen zweihundert gegangen sein, und es hat nicht gerade zur Beruhigung beigetragen, dass Daniel sich nach dem Film zu mir gedreht hat und mich in die Hüfte gepiekst hat. Kitzeln, und bevor ich mich wehren konnte, saß er auf meinem Schoß und lächelte mich an, ich kicherte, weil ich unglaublich kitzelig bin, aber dann nahm er seine Finger wieder zu sich und wir wurden beide etwas ruhiger...

...und schauten uns in die Augen, und für den Bruchteil einer Sekunde ist mir durch den Kopf gegangen, dass ich vergessen habe, mir eine Anleitung im Internet durchzulesen, wie man jemanden küsst, aber dann war das auch schon wieder egal, weil sein Gesicht sich meinem näherte, und ich legte meine Hand um seinen Hinterkopf und plötzlich war mir vollkommen klar, wie man das macht, und wir schlossen unsere Augen, ich neigte meinen Kopf ein Stück nach links und zog Daniel näher an mich heran, bis ich seine Lippen auf meinen spürte, und plötzlich trat ein Zustand ein, den ich so noch nie gespürt hatte: Keine Gedanken mehr. Nichts mehr in meinem Kopf, ich ließ mich vollkommen fallen, in diesem Sessel, in diesen Kuss, der überhaupt nicht mehr zu enden schien, und ich wollte weiter eintauchen, wovor ich noch Stunden zuvor so viel Angst hatte, und ich öffnete meinen Mund und unsere Zungen...

...

...

...

Di, der 18 1. 05, 00:40 Uhr:

Oh mein Gott, die Aufregung war sehr berechtigt. Ich habe mich heute zum ersten Mal mit einem Schwulen getroffen. Und ich habe heute meinen ersten Kuss bekommen. Und meinen ersten Zungenkuss gleich hinterher - um genau zu sein, ganz viele Küsse. Mann, war das schön, und jetzt weiß ich ganz sicher, dass ich schwul bin. 
(...)
Einen Monat später, ich bin von Verrückten umgeben (...), denn plöztlich ist Daniel mein Freund. Ich muss ein paar Sachen nachtragen, zum Beispiel, dass Conny mich einen "komischen Mann" genannt hat, und einen "Affen", und Daniel hat auch irgendwas gesagt, und außerdem der Satz von Conny: "Hase: Totes Kaninchen". Damit wäre auch schon alles im Moment Wichtige gesagt.

Damit wäre auch schon alles im Moment Wichtige gesagt. Es war einer der schönsten Momente in meinem Leben, und ich glaube nicht, dass ich ihn vergessen werde.

Also, Ihr Ungeküssten da draußen: Freut Euch darauf, und wenn es so weit ist, Kopf abschalten und einfach nur genießen ;-)

post scriptum: Der Beitrag hat eine Weile gebraucht, weil ich per Meditationen versucht habe, vierzehn Jahre zurück zu reisen und den Abend nochmal zu erleben. Hat super geklappt, war ein irres Gefühl, und das Ergebnis habt Ihr gerade gelesen.

Mittwoch, 23. Januar 2019

Nummer 720128

Seit wann sind Schüler Individuen???

"Nummer Sieben Zwo Null Eins Zwo Acht, vier Fünfen, eine Sechs, Zulassung gefährdet. Der nächste."

Shirley Jackson hat zu Lebzeiten wunderbare Kurzgeschichten geschrieben, die oft subtil versucht haben, die düstere Seite unserer Gesellschaft herauszustreichen (The Lottery ist wohl ihr berühmtestes Werk, lese ich immer wieder gern mit Schülern, die auch heutzutage von dem Ende schockiert sind). Gern hat sie versucht, klarzumachen, dass es so etwas wie "gute Menschen" nicht gibt, da jeder von uns in der Lage ist, "Böses" zu tun. Ihre Kurzgeschichte The Renegade lässt den Leser mit einem Schauer auf dem Rücken spüren, wie gewaltbereit jeder von uns in seinen Anlagen ist - aber um die Geschichte geht es mir heute gar nicht, sondern um My Life With R. H. Macy; genau genommen geht es mir auch nicht um jene Geschichte, sondern um Schulpolitik. Aber wo soll ich anfangen?

Die nur drei A5-Seiten kurze Kurzgeschichte bietet sich an; sie handelt von einer jungen Frau, die einen Job im Kaufhaus Macy's übernimmt und dort nur als 13-3138 geführt wird. In aller Kürze handelt die Geschichte von der Sachlichkeit, der Unpersönlichkeit, mit der die elftausendsiebenhundert Angestellten des Kaufhauses geführt werden. Namen existieren nicht, nur Abteilungen und Nummern. Der Effizienz wegen. Ob man es da überhaupt merken würde, wenn einer fehlt? Und nun kommen wir zurück zum einleitenden Zitat. Das stammt nämlich nicht aus Jacksons Kurzgeschichte, sondern aus einem anderen Kontext, der allerdings mit demselben Problem zu tun hat: Zeugniskonferenzen.

Konferenzen. Manche Schulen können gar nicht genug davon bekommen: Konstituierende Konferenz, pädagogische Konferenz, Zwischenkonferenz, Zeugniskonferenz, Prüfungszulassungskonferenz, Prüfungskonferenz, Schulkonferenz, Lehrerkonferenz. An nicht wenigen Schulen liegt die Zahl der Konferenzen, die man im Jahr besucht, im zweistelligen Bereich. Man mag argumentieren, dass dadurch die schulische Arbeit gefördert wird, der Schulalltag, das schulische Leben. Lasse ich unkommentiert. Habe genug Schulen erlebt. Manche Schulen haben einen festen Konferenztag in der Woche. Jede Woche.

Aber das andere Extrem kann es doch auch nicht sein, oder? Wenn wir auf einer Zeugniskonferenz einen Schüler so abarbeiten wie oben beschrieben, dann verkommen unsere Schüler tatsächlich zu Ziffern, oder meinetwegen noch Namen, aber ohne Gesicht, ohne Persönlichkeit, ohne irgendwas. Sicher hat es einen Vorteil, wenn wir die Leistungen der Schüler auf prüfungszulassungsrelevante Kriterien beziehen: Eine Klasse mit fünfundzwanzig Schülern ist in gut zehn Minuten abgehakt und man ist noch am frühen Nachmittag wieder zuhause.

Und schließlich wird uns viel Nummernhaftiges aus dem Bürokratiergehege vorgegeben, das Ministerium ist immer wieder stolz, wenn es neue Formalitäten auf Schulen bringen kann, denn auf diese Weise rechtfertigen manche Mitarbeiter alleinig die Existenz ihres Postens.

Aber mit Menschlichkeit hat das nicht viel zu tun. Mit individueller Förderung schon gar nicht. Und selbst bei längeren Konferenzen sind gute Schüler oft mit "XY macht keine Probleme" oder "XY glattes Zeugnis" abgehakt. Kein Gesprächsbedarf.

Ich muss zugeben, mir fällt es nicht leicht, mich zu positionieren. Ich hasse Konferenzen, in denen jeder alles dreimal sagen muss, und die sich unnötigerweise ewig in die Länge ziehen. Gleichzeitig ist es jeder Schüler wert, dass wir einmal kurz über ihn sprechen, oder? Genau deswegen haben ja manche Schulen überhaupt erst die sogenannten pädagogischen Konferenzen mitten im Halbjahr eingeführt - um diese Themen aus der Zeugniskonferenz auszulagern.

Aber besteht nicht irgendwie die Gefahr, dass unsere Schüler mehr und mehr zu Posten verkommen? Wahrscheinlich mache ich mir da nur wieder zu viele Gedanken - seitdem ich Nummer 720128 an der Kieler Universität war.

Dienstag, 22. Januar 2019

Faulheit, damals wie heute


Wenn Schüler sich über ihre Noten beschweren, und über einen zu schlechten Ausfall einer Klausur, dann aber erkennen lassen, dass es einfach nur an ihrer Faulheit gelegen hat, dann muss man als Lehrkraft manchmal seinem Ärger Luft machen. Das haben auch Rebekka Klingshirn (née Mösenfechtel) und Susanne Hackmack an der Kieler Uni gemacht, indem sie folgenden offenen Brief im Englischen Seminar ausgehängt haben - lesen lohnt sich, denn es geht um die Faulheit der Studenten und auch darum, dass einfache Arbeitsaufträge nicht mehr verstanden werden. Und der Brief lässt sich für den eigenen Zweck einfach anpassen, und das sollte ich mal für meine Schüler tun:


Montag, 21. Januar 2019

Winter

Bruce Willis weiß, wie man den Winter genießt.

Der Schnee tut so gut. Er sieht sauber aus, das lenkt mich ein bisschen vom Zustand meiner Wohnung ab, weiß, unbefleckt, zumindest für eine Weile, und er macht mich wach. Frisch, irgendwie. Nicht jeder mag den Schnee. Andere mögen es lieber, wenn es etwas wärmer ist, wenn das Gefühl nicht so kalt, distanziert, geschwind ist. Ich tippe mit meinem Fingerknöchel gegen das Glas, und etwas von dem Schnee, der nur ganz dünn darauf liegt, fällt herunter. Ich kenne das ja: Der Schnee wird nicht lange bleiben. So realistisch muss ich sein, ich kenne diesen Ort, da bleibt Schnee nie lange liegen.

Eigentlich nie mehr als zwanzig Sekunden, und so rolle ich meinen Fünfziger zusammen und ziehe den in eine feine Linie dirigierten Schnee zügig durch die Nase. Weg ist er. Und er wird mich wach machen, klar im Kopf, irgendwie. Zumindest für eine Weile. Der Schnee tut so gut.

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Mir allerdings nicht, und ich habe hier im Blog schon mehrfach darüber geschrieben, dass mich der (diesmal nicht im übertragenen Sinn gesprochene) Schnee da draußen nervt. Hier im Norden ganz besonders, weil er sich binnen sehr kurzer Zeit in dreckigen Matsch verwandelt. Sicher hat der Winter irgendwo auch seine Vorteile, aber ich muss zugeben, im Studium habe ich damals auch sinniert, wie es wohl wäre, in einem Land wie Kalifornien zu leben.

Nun ist Durchhalten angesagt. Für die Autofahrten etwas mehr Zeit einplanen, Schuhe mit besserem Profil tragen. Warm einpacken. Und besser die Kieler Buszeiten abstimmen: Es ist ein Fehler, mittags um fünf vor halb Eins am Dreiecksplatz in die Fünfhunderteins zu steigen, in der Hoffnung, zwanzig Minuten später in der Wohnung zu sein - denn ich habe nicht daran gedacht, dass am Hauptbahnhof zweihundertdreiundachtzig Schüler einsteigen und wirklich jeden Winkel des Bus in Beschlag nehmen. Augen zu, trotzdem leichte Panikattacke, keinen Millimeter bewegen, Atmen wird sowieso überbewertet.

Hoffentlich dauert der Winter nicht so ewig lange -.-

Samstag, 19. Januar 2019

Nachschlag

Sprung in die Freiheit?

Zwiebelprinzip.

Es ist nun doch deutlich kälter geworden, Winter eben. Das hat mir gestern den Morgen versaut, und das habe ich vergessen, im letzten Beitrag zu schreiben: Wir hatten am Donnerstag Schneefall - von dem ich nichts mitbekommen habe, weil meine Rollos fast permanent unten sind. Dann gab es in der Nacht Frost und - wunderbar - eingefrorene Autos. Scheibenkratzen ist eine Sache, kalt, aber lässt sich erledigen und trübt nicht unbedingt den Fahrspaß und die morgendliche Stimmung. Anders ist es, wenn die Türen eingefroren sind. Ich konnte also das Auto aufschließen, aber die Tür nicht öffnen, und nach ein bisschen Ruckeln habe ich nach einer anderen Möglichkeit als Gewalt gesucht, ich hatte tatsächlich ein bisschen Angst, dass der Griff an der Tür abbrechen könnte. Der andere Weg war heißes Wasser, und so bin ich zurück in die Wohnung getingelt und habe einen Eimer mit heißem Wasser herausgeholt. Das mag nicht so klug sein, weil das Wasser danach den ganzen Laden noch fester einfrieren könnte, aber ich hatte etwas Zeitdruck, weil ich die letzten Noten in der Schule eintragen musste. Naja. Immerhin hat es geklappt.

Daran musste ich denken, als ich heute zum Einkaufen gegangen bin, dick eingepackt im Zwiebelprinzip, was sehr ekelhaft war, weil ich innen geschwitzt habe, und ich hasse es, verschwitzte Klamotten zu tragen. Zur Ablenkung habe ich nochmals an die Notengespräche von gestern gedacht. Ich hatte geschrieben, dass sich die Gespräche anders anfühlen als an den anderen Schülern, und das wird mir erst so nach und nach richtig bewusst.

Die Unterstufenschüler, bei denen ist es eigentlich wie auch an den anderen Schulen. Die Schüler allerdings, die die Oberstufe der Berufsfachschule III oder die Berufsoberschule belegen, kommen manchmal mit einem Leuchten in den Augen in's Gespräch: Sie haben gerade ihren Ausbildungsvertrag unterschrieben, oder eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommen, oder sie sind aufgeregt, weil sie auf Antworten auf ihre Bewerbungen warten. Es ist so schön, zu erleben, wie manche Schüler nun endlich den Sprung in's Leben machen wollen, auch wenn es noch viele gibt, die die Berufsschule nur besuchen, um sich noch nicht entscheiden zu müssen - Bedenkzeit, sozusagen.

Einige der tollsten Gespräche hatten diese "Aufbruchsstimmung", und das hat mich begeistert. Ich hätte eher gedacht, dass ich traurig sein würde, wenn ich meine Schüler in die Welt entlasse, aber das hier sind keine neunjährigen Bildungsgänge: Der Großteil der Schüler ist nur für ein oder zwei Jahre an Bord, so dass man keine allzu enge psychische Bindung aufbauen kann. Und ich glaube, dass das ganz gut für mich ist. Ich glaube, es wäre für mich schwieriger, einen Schüler gehen zu lassen, den ich womöglich schon viele Jahre im Unterricht erlebt habe (ich hatte damals Herrn Kries sieben Jahre am Stück).

Das sind alles ganz neue Erfahrungen, die mich so sehr faszinieren, dass unglaublich viel liegenbleibt: Unbeantwortete Briefe, Mails, Wäsche, Geschirr, Müll, da wabert mir der Begriff Messie durch den Kopf. So ist es nun mal; ich denke aber, wenn ich mich irgendwann ein wenig eingewöhnt habe, dann dürfte es einfacher werden. War in SPO auch so.

post scriptum: Heute gab es für mich einen frischen Gruselfilm aus Großbritannien, oldschool, eine Geistergeschichten-Anthologie, drei Stories, die auf interessante Weise miteinander verbunden sind, und ich kann den Film nur weiterempfehlen, zumal er bei "Amazon prime" kostenlos verfügbar ist. Vollkommen blutleer, mit einer besonderen Betonung auf Atmosphäre und schrägen Figuren. Zeigt mal wieder, dass Horror und Komödie gut miteinander harmonieren können: "Ghost Stories" (2018).

Freitag, 18. Januar 2019

Ich brauche mehr Zei...Stromausfall!

Zeit, zu reden!

Selten war ich an einem Freitag so wochenendreif wie heute. Nun mag die Träsch-Trüller ganz geschickt argumentieren, dass es daran liegt, dass die letzten Jahre über nämlich der Donnerstag mein letzter Schultag war. Der Punkt geht an sie, und das müssten wir eigentlich mit einer Lütticher Waffel begießen, oder, fette Schnecke?

Aber es liegt auch daran, dass in dieser Woche der Großteil meiner Zeugnis-Notengespräche mit meinen Schülern dran war. Das ist für mich immer ein absolutes Highlight, denn nachdem ich meine neuen Schüler nun ein paar Monate im Unterricht erleben durfte, fallen mir natürlich einige auf. Muss nicht immer eine vermutete Hochbegabung sein, sondern kann sich auch mal um Drogen und/oder sozial knifflige Fälle handeln. Oder um Schüler, die etwas hilflos sind - ich liebe es, herauszufinden, was das Problem ist, und wie man das vielleicht anpacken könnte.

Jaja, ich höre natürlich schon die Unkenrufe "Warum bist du dann nicht Sozialpädagoge geworden?" Ich habe keine Ahnung. Ich habe nie über diesen Beruf nachgedacht, ich wusste nicht, dass es sowas gibt, und erst recht wusste ich nicht, dass das etwas für mich sein könnte. Der Großteil der Schüler ist bei diesen Notengesprächen schnell abgefrühstückt, ich frage sie danach, was sie in Englisch im Zeugnis bekommen, frage nach, warum, und versuche dann passend auf ihre Antworten zu reagieren.

Aber dann gibt es da eben diese speziellen Schüler, die mir in's Auge gefallen sind (und auch mit einer Pinzette nicht wieder rauszukriegen sind, lasst Euch die Metapher schmecken!) - endlich habe ich eine legitime Gelegenheit, mit ihnen über sich selbst zu reden. Aus irgendeinem Grund habe ich das Glück, dass Schüler das dann auch machen. Nicht immer ehrlich, es sind auch Blender und Schleimer dabei, die es versuchen, aber die finde ich nicht so interessant. Die Schüler, die Probleme haben, packen aus. Und das ist für mich ein tolles Erlebnis. Weil ich hier vielleicht helfen kann.

Und das führt dazu, dass die meisten Notengespräche in zwei Minuten durch sind (wobei ich merke, dass sie an der Berufsschule länger dauern, weil ich viel zu sehr daran interessiert bin, was die jungen Erwachsenen denn bald nach der Schule machen wollen); die speziellen Fälle allerdings, da kann es vorkommen, dass mit einem Augenzwinkern zwanzig Minuten vergangen sind, weil ich mich so sehr in meine Charakterstudien vertieft habe, da ist mir Zeit nur im Weg. Da schaue ich meinen Schüler ganz aufmerksam an, nehme alles an, was er oder sie mir darbietet, und versuche es irgendwie hinzudrehen, dass S mit einem positiven Gefühl aus dem Gespräch geht. Ich liebe das!

Aber das kostet Zeit, und so eine Doppelstunde ist schnell rum. Ich brauche mehr Zeit, viel mehr Zeit. Vielleicht kann ich ja - sollte ich an der Schule bleiben können - so etwas wie eine wöchentliche Sprechstunde anbieten. Dann litte nämlich nicht mehr mein Untericht darunter und ich könnte all' solche Fälle in die Sprechstunde ausrangieren. Denn es kann unglaublich involvierend sein, mit einem womöglich hochbegabten Menschen oder mit einem Filmliebhaber in's Gespräch zu kommen. Da hätte das alles dann seinen Ort und seine Zeit.

Ich liebe es, pädagogisch zu arbeiten, scheinbar.

post scriptum: Ach ja, der Stromausfall! Da hatten wir doch gerade zwei Stühle nach draußen in das Treppenhaus gestellt, drinnen - passend für eine kaufmännische Abteilung - den Film "Phone Booth" auf Englisch angestellt, da ist mit einem Mal der Beamer aus. Kein Licht. Ist das Gerät kaputt? Nein, der DVD-Player geht nämlich auch nicht mehr. Blick in das Treppenhaus, alles ist zappenduster. Und Blick in den Schulflur, wo sich nach und nach die Türen der Klassenräume öffnen und ratlose Kollegen gerade realisieren, dass ein durch die Bauarbeiten (die Schule verändert sich - aber der Bunker bleibt) verursachter Stromausfall das gesamte Gebäude lahmgelegt hat. Aber who cares. Wir schieben die Stühle einfach in eine Ecke, in der ein wenig Tageslicht ist, und schon können diese spannenden Gespräche weitergehen.

paulo post scriptum: Ich mag die schwarze Szene. Visuell und auch akustisch. Ich mag Alex Proyas' Regiestil, seitdem ich "Dark City" zum ersten Mal gesehen habe. Wie konnte ich so lange an "The Crow" (1994) vorbeilaufen? Jetzt habe ich ihn gesehen, ein Genuss für die Augen. Und es ist spannend, zu erleben, wie Proyas' Regiestil von "The Crow" über "Dark City" bis hin zu "Knowing" sich verändert hat, erwachsener geworden ist. Große Klasse!

Mittwoch, 16. Januar 2019

(Fast) Sprachlos

Sie - Lehrer, Er - Schüler, bekannt? Dieses Gefühl, gegen eine Wand zu reden...

Ich habe es geliebt, an der Regionalschule zu unterrichten. Das war vor der großen Welle, die alles zu Gemeinschaftsschulen umgespült hat. Ich habe dort Schüler unterrichtet, die eine Haupt- oder Realschulempfehlung hatten (und vielleicht auch ein oder zwei, die für das Gymnasium vorgeschlagen waren). Ich habe die Authentizität der Schüler geliebt. Wenn sie keinen Bock hatten, haben sie das sehr deutlich gemacht, und sie haben die Konsequenz, in Noten gesprochen, getragen. Sie wussten, dass sie sich nicht ausreichend beteiligt hatten. Und ich habe es genossen, ihnen klarmachen zu können, dass wir da wieder rauskommen können. Dass sie zum nächsten Zeugnis wieder eine Vier schaffen können, und wie das geht. Einige haben den Weckruf dann tatsächlich genutzt. Sie haben sich den Arsch aufgerissen, um mit Müh' und Not auf eine Vier auf HS-Niveau zu kommen.

Und ich habe mich dann authentisch gefreut und sie authentisch angestrahlt und ihnen zu der Vier gratuliert, und so ist nie jemand allzu deprimiert in die Sommerferien gegangen. Diese Schüler haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, unabhängig davon, wie intelligent sie waren, und einige waren bei einer Drei im Zeugnis total aus dem Häuschen und haben gefeiert. Ich fand das alles so authentisch, so schön, und es gab mir das Gefühl, etwas im Unterricht und etwas bei diesen Schülern bewirkt zu haben.

Dann kam wieder das Gymnasium.

Irgendwie muss die Schulform es mit sich bringen: Viele Schüler denken, nur weil sie in die Oberstufe versetzt wurden, dass sie mindestens eine Zwei überall verdient hätten, hatten sie ja in der Gemeinschaftsschule (ohne OS) auch geschafft. Allerdings liefern sie keine guten Leistungsnachweise ab (und begründen das dann weit aus dem Fenster gelehnt, wie ich einmal beschrieben hatte), meinen, wir hätten die Inhalte im Unterricht nicht behandelt (vermutlich, weil sie mit Mitschülern und/oder Handys abgelenkt waren). Das beschreibe ich nicht noch einmal im Detail. Es geht aber noch besser, und ich wette, auch das haben einige von Euch schon erlebt und ich habe über Telse berichtet.

"Also ich finde, ich hätte... verdient..."

Okay, die Schüler dürfen das gern äußern. Ich nehme diese Anmerkungen immer mit nach Hause und gehe dann in aller Ruhe die Beteiligung des Schülers durch. Was ich allerdings überhaupt nicht akzeptiere, und da bleibt mir dann gern einmal der Mund offen stehen, ist, wenn diese Anmerkung von Schülern kommt, die die halbe Unterrichtszeit abgelenkt sind, keine Hausaufgaben machen, nach eigener Aussage nichts für den Unterricht tun und für die ich Vieles mehrfach ansagen muss, weil sie das nicht mitbekommen.

Diesen Schülern versuche ich klarzumachen, was Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung bedeutet. Dass es sowas überhaupt gibt. Und dass ihre eigene Einschätzung nicht unbedingt den Kriterien der Noten in den Fachanforderungen entspricht - die kennen sie meistens nämlich nicht einmal. Bei'm ersten Mal versuche ich ihnen das noch ganz ruhig zu erklären. Allerdings schwindet meine Geduld, wenn die Schüler trotz mehrfacher Mahnungen nichts an ihrem Unterrichtsverhalten ändern. Und noch besser:

S: "Besprechen wir nochmal die Noten?"
L: "Ja, nächsten Mittwoch sind die Konferenzen, da bekommt ihr im Unterricht eure Zeugnisnoten."
S: "Ja, aber das nützt uns ja nichts."
L: "Das verstehe ich nicht (doch, tue ich leider), wie meinst du das?"
S: "Naja, übermorgen sollen die Noten eingetragen werden, dann bringt es doch nichts, wenn wir danach erst die Besprechung haben!"
L: "Heute ist die vorletzte Stunde vor Notenschluss. Warum willst du das denn unbedingt vorher besprechen?"
S: "Naja, damit wir da nochmal drüber reden können, und damit man sich rechtfertigen kann und vielleicht auch anmerken kann, dass die eigene Einschätzung anders aussieht, und damit sie daran vielleicht noch etwas ändern."

Äußerlich atme ich tief durch und lächle. Innerlich?

Das ist NICHT dein FUCKING Ernst! Alle haben den ersten Notenstand am ersten Tag nach den Herbstferien bekommen. ALLE durften sagen, was sie gern im Zeugnis hätten, und ALLEN habe ich gesagt, ob und wie sie das erreichen können. Und alle hatten den Auftrag, IN DER ERSTEN DEZEMBERWOCHE nochmal zu mir zu kommen, um ihren Stand zu erfragen, damit sie notfalls immer noch etwas ändern können. EINER von fünf hat diese Gelegenheit genutzt. Du nicht, by the way. Und dann darum zu bitten, dass mit einer oder zwei Unterrichtsstunden, oder einfach nur mit einem Gespräch, noch die ganze Zeugnisnote geändert werden könne, egal, was im Unterricht so lief - dazu braucht man wirklich eine gewaltige Chuzpah. 

Und ich lächele weiter und wiederhole, dass die Noten stehen und sie in der kommenden Woche besprochen werden, mit Aussicht auf die nächsten Zeugnisse.

Buddha und Dalai Lama und Pestalozzi und Dr.Oetker hin oder her - das akzeptiere ich nicht und es hinterlässt bei mir einen fahlen Beigeschmack. Lieber eine hart erkämpfte Drei oder Vier als eine "eingeklagte" Zwei. Ja sowas gibt es. Und ich hoffe, Ihr werdet nicht irgendwann in sowas verwickelt. Vermutlich hattet Ihr das sogar schonmal...

Montag, 14. Januar 2019

Dalai Lama (DHL-Remix)

Oder doch lieber Selbstabholung...?

Als ich vor knapp fünf Jahren nach Kiel umgezogen war, hatte ich zwei verschiedene Paketzusteller. Ein lustiger älterer Deutscher und eine junge sportliche Russin, beide sehr freundlich und unglaublich zuverlässig. Das hat sich mittlerweile geändert, und damit erzähle ich wohl niemandem mehr etwas Neues. Und woran das liegt? Natürlich wie immer an den Anderen!

"Die Zusteller kommen hier in die Filiale und verstehen unsere Sprache nicht, sagenhaft!" - "Die haben bei mir nichtmal geklingelt!" - "Ich sollte das Paket in Filiale A abholen, aber das ist in Z gelandet!" - "Ich habe über eine Woche gewartet!"

Ich bin mir sicher, dass auch einige von Euch in letzter Zeit ein paar Probleme hatten, nicht nur mit DHL, sondern auch mit anderen Lieferdiensten. Ich hatte sie definitiv, momentan gibt es im Schnitt bei einer von fünf Zustellungen Probleme. Und ich befinde mich in einer Zwickmühle.

Ich könnte mich wunderbar darüber aufregen, ich könnte herumgrummeln, wozu ich überhaupt Postgebühren zahle, wenn dann nichts geliefert wird, ich könnte mich aufregen über alle oben in Anführungszeichen genannten Dinge. Oder ich halte es wie der Dalai Lama, nichts ist entspannender, als das anzunehmen, was kommt. Das fällt nicht immer leicht.

Dennoch gibt es zur Zeit Punkte, die es etwas leichter machen. Denn warum verstehen zum Beispiel viele Zusteller unsere Sprache nicht? Weil sie Geflüchtete sind, oder freiwillig frisch ausgewandert. Und irgendwie finde ich es ja schön, dass DHL diesen Menschen hier eine Arbeitsperspektive verschafft. Eigentlich ist das doch toll.

Aber für DHL ist das auch bitter nötig, denn wir haben alle mitbekommen, wie die Arbeitsbedingungen in den Keller gerauscht sind, so weit, dass kein Deutscher sich das antun möchte. Geringe Bezahlungen und vor allem ein extrem enges Zeitkorsett, kürzere Filialöffnungszeiten, immer öfter müssen Zustelltouren abgebrochen werden, weil einfach Unmögliches von den Zustellern verlangt wird. Und es geht mir überhaupt nicht darum, dass der Postvorstand im Schnitt zweihundertzweiunddreißigmal so viel Gehalt bekommt wie der normale Angestellte, das sind Milchmädchenrechnungen.

Ich finde es nur einfach scheiße, wenn Angestellte ausgebeutet werden. Und ich finde es richtig scheiße, wenn ich das live miterleben muss, wie die Zusteller ausgebeutet werden, manchmal unterhalte ich mich mit ihnen, und kann darin wieder nur Sparmaßnahmen sehen, genauso wie die durschnittliche Klassengröße an Schulen in Deutschland bald auf vierzig ansteigen wird, denn Lehrer sind ja zu teuer. Und eine Sonderschullehrkraft pro zweihundert Schüler.

Ich muss mich einfach darauf einstellen, wenn ich etwas per Post bekommen möchte, dass ich es am besten zwei Wochen vorher bestelle. Und das sollte nicht unmöglich sein. Ich würde all' den Zustellern wirklich wünschen, dass sie bessere Arbeitsbedingungen bekämen.

Und, nur so ganz nebenbei: Wir müssen nicht jedes Kleidungsstück im Internet in fünf verschiedenen Größen zum Anprobieren bestellen, nur weil wir das alles dann ja wieder kostenfrei zurücksenden können. Wir tragen selbst die Verantwortung dafür, dass der Paketverkehr in Deutschland um ein Vielfaches zugenommen hat; kein Wunder, dass es da zu Problemen kommt. Ergo sollten wir auch vor unserer Haustür kehren.

Wie seht Ihr das?

Sonntag, 13. Januar 2019

Dr Hilarius und das Licht

Hhhhrrrhrhrhrhrhhääähähähähähääää...

"...weint sie vor Kummer, denn sie trauert um..." - "Um was?" - "Ihr Haar!" - "WAS?!"- "Jaaaaa!!!"

Neben vereinzelten Lesern wird vermutlich auch bei der Gräfin Esterhazy-Liechtenstein (sie hat es gehasst, so genannt zu werden) eine Milch-Nostalgieleuchte im Kopf angehen. Völlig zusammenhanglos, aber das musste gerade mal hierhin. Stichwort Leuchte...

"Wenn du dir später mal eine Lampe kaufst, achte darauf, dass das ganze Zimmer gut ausgeleuchtet wird, das ist sonst nicht gut für die Augen."

Ich habe eine sehr lange Zeit gedacht, alles muss immer so hell wie möglich sein, jeglicher Schummerschatten könnte schädlich für meine Augen sein. Dann allerdings hatte ich irgendwann mein erstes eigenes Zimmer in den Kronshagener Bergen, meine Studenten-WG mit Conny und Paul, und dort habe ich Vieles ausprobiert - unter anderem auch, was man mit Licht so alles anstellen kann, und habe dadurch gelernt, dass die hellste Beleuchtung nicht unbedingt die atmosphärischste sein muss. Nach und nach habe ich gelernt, mein Zimmer für unterschiedliche Anlässe mit unterschiedlichen Beleuchtungskonzepten zu versehen.

Dazu kam dann noch irgendwann die Einsicht, dass der graue Himmel im Winterhalbjahr depressiv macht - das ist mir im Dauergrau/-weiß Husums besonders bewusst geworden. An diesen Tagen dunkle ich die ganze Wohnung ab, damit ich das nicht mit ansehen muss. Zum Ausgleich schalte ich dann die Lampen in der Wohnung an, aber längst nicht mehr so, wie ich das damals gelernt habe - alles möglichst hell ausgeleuchtet - sondern mit atmosphärischem, warmen Licht und Lampen im Ethno- oder Fernoststil, besonders gern mit indirekter Beleuchtung und unsichtbaren Lichtquellen. Dabei sind in den letzten Jahren und Wohnungen unterschiedlichste Eindrücke und Ideen entstanden:

Beleuchtung aus dem Hintergrund mochte ich schon in Kronshagen

Hamburger Bahnhof in Berlin

Cluedo-Nacht im Institut

Cluedo II

Auch im Hansapark mag ich Lichtspielereien

Kerzen in den Kronshagener Bergen

Meine erste Goa-Jacke im Schwarzlicht

Früher waren mehr Kerzen...

Selbst bei der Abschlussrede in einem Seminar an der Uni musste das Licht stimmen (und die sexy Tänzerin)

Kronshagener Nacht

Schrankbeleuchtung

Logisch, dass es mich auch zur düsteren Lost Souls zieht

Kronshagener Gewölbe

Meine erste balinesische Lampe

Spielereien im Studium

Sinistres Licht auch bei dem Phantom der Leibnizstraße

Das erste Mal eigenes Schwarzlicht

Space Chamber in Husum

Nachts

Husum II

Samstag, 12. Januar 2019

Die Abschaffung der Nacht

Nacht? Überbewertet...

Es gab da also einmal diese Phase, in der ich einen Beitrag für unsere Schülerzeitung Hermes schreiben wollte, aber ich war gerade in der Oberstufe angekommen, hatte weder Rückgrat noch Selbstvertrauen und war mir sehr sicher, dass ich nicht gut schreiben kann. Ganz bestimmt könnte ich keinen ernsthaften Beitrag veröffentlichen, der zum Nachdenken anregt, ganz bestimmt fehlten mir dazu Intelligenz und Hintergrundwissen. Also entschied ich mich für den einfacheren Weg und nahm mir vor, etwas Witziges zu schreiben. Das war der viel einfachere Ausweg, denn auf diese Weise sollte man meinen Text gar nicht ernst nehmen und ich wäre aus dem Schneider, gewissermaßen.

Aber ich war mir sicher, dass ich genau genommen auch nichts Witziges schreiben konnte. Das musste irgendwie anders erzeugt werden. Ich musste etwas schreiben, dass sich selbst nicht ernst nimmt, dessen gewünschte Leserreaktion allerdings anders erzeugt wird. Wie soll das gehen? Zeichnen konnte ich erst recht nicht, und ich war bei Weitem nicht so schlau wie unser Jahrgangsprimus MC S, niveauvoll war also auch nicht drin. Es musste etwas völlig Unsinniges sein, und am besten auch ohne meinen Namen in der Zeitung veröffentlicht werden, damit niemand irgendwelche Rückschlüsse auf meine Person ziehen könnte.

Also nahm ich mir etwas Albernes vor. Und schrieb einen Brief an die damalige Bürgermeisterin der Dithmarscher Kreisstadt Heide, Maike Jahns. Ich wollte das einfach mal probieren: Einen Brief an eine wichtige Person schreiben, und dann mal schauen, ob und wie diese Person (oder meinethalben irgendein Angestellter) darauf reagiert. Und sollte diese Reaktion witzig sein, gäbe ich sie zusammen mit meinem Brief an die Redaktion der Schülerzeitung weiter.

Dann versuchte ich, einen Mittelweg zu finden: Etwas völlig Albernes zu schreiben, aber mit ganz sachlicher Logik zu argumentieren, pseudo-ernsthaft, so dass diese "berühmte Person" selbst entscheiden kann, ob ernsthaft oder witzig geantwortet würde. Also schrieb ich an die Bürgermeisterin einen Brief mit der Bitte um die Abschaffung der Nacht, da eine Reihe von Argumenten dafür sprächen.

Und ja, es kam eine Antwort. Das war dann so ein Fall, wo es in meinem Kopf hieß: "Was, sie hat tatsächlich geantwortet? Oder irgendjemand? Oh mann, den Brief mache ich nicht auf, mein Brief war so albern, ich bekomme bestimmt Ärger oder so." Keine Ahnung, ob das typisch HB ist oder einfach konditioniert, diese Versagensangst bzw. Angst vor Zurückweisungen. Dennoch habe ich den Brief geöffnet - und kurze Zeit später konnte der Briefwechsel dann in der Schülerzeitung unter der Rubrik Funkuchen gelesen werden (draufklicken zum Vergrößern):



post scriptum: Ich habe mir heute endlich einmal "The Social Network" (2010) angeschaut, ein Biopic über Mark Zuckerberg und seine Facebook-Gründung. Ein brillanter Film, für mich anstrengend zu folgen, weil derweil so viele Gedanken in meinem Kopf gekreist sind. Und eine sehr authentische Darstellung eines sozial inkompetenten, gefühlskalten, genialen Hochbegabten, und deswegen füge ich diesen Film der Seite "Hochbegabung im Film" hinzu.

Donnerstag, 10. Januar 2019

Junge mit Kamera

...uuuuuuuund ACTION!

Da war mal ein Teenager, der einen Film drehen wollte. Als Beschäftigung neben der Schule; Handball interessierte ihn nicht, Sport war nie so sein Ding, er wollte lieber seine Kreativität ausleben. Also schrieb er ein Drehbuch und fragte in seinem Jahrgang herum, ob ein paar Leute mitmachen würden - und die gab es. Der Teenager war ich, und ich habe darüber bereits geschrieben. Aber dieses Setting brauchen wir für den heutigen Beitrag; das war in den späten Neunzigern, lange vor dem Vormarsch der digitalen Videos, und so hatte dieser Teenager eine recht große Videokamera in der Hand. Hätte er dieses Projekt eine Dekade früher umsetzen wollen, hätte er vielleicht auf Super 8 zurückgegriffen (welle:erdball-Fans werden das verstehen).

Ich kann mich noch gut erinnern, dass mein Papa auf dem Dachboden ein paar selbstgedrehte Super 8-Filme hatte, und ich fand es immer großartig, sie anzuschauen. Die Filmrollen richtig einzusetzen, und dann das knatternde Geräusch, wenn der Film lief... großartige Erinnerungen. Vielleicht liegt es genau daran - dass ich dieses System gern benutzt habe, und dass ich später selbst einen eigenen Film gedreht habe - dass der Film, den ich mir heute angeschaut habe, wie eine Liebeserklärung an die Jugend wirkte.

Super 8 (2011) handelt von einer Gruppe Schüler, die einen Zombiefilm drehen wollen, mit viel Liebe zum Genre, ich habe Vieles wiedererkannt. Und dann passiert etwas, ein zweiter Plot kommt hinzu (ähnlich wie bei Blowup (1966)) - durch Zufall filmen die Schüler etwas, das nicht hätte gefilmt werden dürfen. Ich will gar nicht mehr zum Plot sagen, es hat mit Science Fiction zu tun, und der Regisseur J.J. Abrams versucht, genau wie in seiner Serie Lost, das Mysterium möglichst lang aufrecht zu erhalten.

Ich fand den Film klasse, eine richtige Nostalgiewelle an meine eigene Jugend, und das auch noch kombiniert mit einem meiner Lieblingsgenres. Sicherlich gibt es Kritikpunkte. Sicherlich lässt sich über das Ende streiten, über die Spezialeffekte, und sicherlich könnte man über die Spielberg-Anleihen diskutieren. Aber wozu? Hier ist ein spannender Jugendfilm, der recht authentisch eine Hommage an die Achtziger darstellt. Im Radio läuft Blondie, Disco war absolut "in".

Ich habe die Achtziger nicht wirklich bewusst miterlebt, aber als Schüler/Amateurfilmer habe ich mich direkt angesprochen gefühlt. Und dann erscheint es nur passend, dass bei den Schlusscredits der Super 8-Film der Schüler gezeigt wird. Und er sieht aus, wie so ein Schülerfilm eben aussieht, und es ist herrlich. Meine Berufsschüler mögen sich für diesen Film zu alt fühlen (obwohl auch Horror-Anleihen enthalten sind), aber mit einer oberen Mittelstufe hätte ich den vielleicht gern zusammen gesehen.

Es kommt nicht so oft vor, dass ich den eigentlich geplanten Beitrag aufschiebe und stattdessen einen gerade gesehenen Film erwähne. Muss einen Grund haben.

Dienstag, 8. Januar 2019

Konsequenzen


Liebe KollegInnen, ich hoffe, Ihr hattet einen guten Schulstart. Es steht eine ganz interessante Zeit vor uns; die letzten Arbeiten müssen korrigiert werden - falls Ihr, so wie ich, das nicht schon vor bzw. in den Ferien gemacht habt - und dann werden die Zeugnisnoten entsprechend ausgewürfelt. Es stehen Zeugniskonferenzen bevor, die je nach Schule in unterschiedlichster Variation stattfinden; auch das eine faszinierende Beobachtung der letzten Jahre.

So gibt es Schulen, die die Konferenz pro Klasse mit nur zwanzig Minuten ansetzen, bei Klassengrößen um die vierundzwanzig. Es sind Kollegien, die ihren Gesprächsbedarf bereits im Lehrerzimmer abgefrühstückt haben; hier müssen nur noch ein paar organisatorische Fragen geklärt werden, und so kann man viele Klassen an einem einzigen Nachmittag abarbeiten. Andere Schulen nehmen sich für jede Klasse eine Dreiviertelstunde, auch bei Klassenstärken um die achtzehn. Es sind die Kollegien, die alles gern zwei oder dreimal sagen; Lehrkräfte, die alles gern auch noch einmal aus ihrem eigenen Mund gesagt hören wollen. Da gibt es viel pädagogischen Handlungsbedarf, und Ihr wisst: Was die Konferenzen in die Länge treibt, sind in der Regel pädagogische Überlegungen. Die Noten sind fair ausgewürfelt, da ist man sich einig.

Hoffentlich wurden die Noten im Verlauf des Halbjahres auch transparent vermittelt. Ich erlebe immer wieder Lehrkräfte, die es als Zumutung empfinden, dass Schüler ein Anrecht darauf haben, zweimal pro Halbjahr ihre Noten zu erfahren. Es gibt noch immer Lehrkräfte, die erst nach den Zeugissen mit ihren Schülern über die Noten reden. So etwas befeuert Selbstherrlichkeit und Notenwillkür und schadet intensiv dem Image von Schule.

Ich verfahre in der Regel nach dem Handbuch und teile den Schülern direkt nach den Herbstferien ihren Notenstand mit; genauer gesagt, ich frage sie, welche Note sie gern hätten und sage ihnen, was sie dazu machen müssen. Das ist fair, so wissen die Schüler um ihren Stand und wissen auch, was zu tun ist, damit im Zeugnis keine unerwünschte Note auftaucht (diese Einsen können ganz schön lästig sein).

Leider kommt es vereinzelt auch vor, dass Schüler keine Konsequenzen aus der ersten Notenrunde ziehen. Nehmen wir Schülerin Telse. Sie hat nach den Herbstferien erfahren, dass sie in Englisch auf Fünf steht, da so gut wie keine Beteiligung ihrerseits vorliegt und die erste Klausur ebenfalls mit Fünf benotet wurde. Telse wurde ein bisschen bleich im Gesicht, dann kamen die Beteuerungen, dass sie sich auf eine Vier retten möchte, und dann?

Nichts. Wochen-, monatelang nichts, bis heute. Und nun wird es Zeit, die Sechs herauszuholen, denn ich habe keinerlei Bewertungsgrundlage. Telse hatte lange genug eine Chance, ihre Englischnote zu verbessern, und hat sie nicht genutzt. Es wird Zeit, die Konsequenzen zu spüren bekommen und sie, eben als Konsequenz des eigenen Handelns, zu tragen. Wir bringen junge Erwachsene heran, und da ist es nicht geholfen, aus Mitleid doch noch eine ausreichende Note zu geben. Damit signalisiere ich Telse, dass es ja doch noch okay ist und dass es zum Abschluss bereits ausreicht, physisch anwesend zu sein. Damit ist niemandem geholfen.

Genauso wenig hilfreich ist es, wenn ich Elke sage, dass "Englisch ein Selbstläufer ist" - auch wenn es vielleicht so ist: Elke ist begeisterte Videospielerin, chattet mit Teilnehmern über die ganze Welt verteilt, und hat nicht die geringsten Probleme, Englisch zu verstehen oder sich in der Zielsprache auszudrücken. Ohne dass sie auch nur einen Handschlag tut, reicht es in Englisch immer für eine Zwei oder Drei aus. Also tut sie keinen Handschlag.

Ich habe dann allerdings als Lehrkraft die Konsequenzen zu verantworten: Im Abschlussjahrgang, in dem im Fach Englisch ein bisschen mehr erwartet wird, als einen Text lesen zu können, kann Elke so gut wie nichts. Sie hat keine Ahnung, was ein Einleitungssatz ist, sie weiß nicht, wie man einen eigenen Text vorstrukturiert, sie hat keine Idee, was Leserlenkung bedeutet. Sie hat von all' diesen Sachen nichts gelernt, weil "Englisch ein Selbstläufer" war und sie nie etwas tun musste.

Auch wenn ich das also nett gemeint hatte, habe ich Elke damit Signale gesetzt, die Konsequenzen zeitigten, und auch diese Konsequenzen müssen sich dann in den Zeugnisnoten widerspiegeln.

Ich frage mich, was so schwer daran ist, Noten transparent zu vermitteln und jedem Schüler die Chance zu geben, es besser zu machen? Mehr als nur ein paar tun es dann ja doch nicht... und umso wichtiger ist es, dass unsere jungen Erwachsenen verstehen, dass sie die Konsequenzen für ihr Handeln tragen müssen.

post scriptum: Mittlerweile verstehe ich dann auch, was ein Kollege mir vor einigen Jahren zu erklären versucht hat - wenn ich im Halbjahreszeugnis zwischen zwei Noten stehe, sollte ich lieber die schlechtere Note geben. Heute tue ich das dann auch meistens, weil viele Schüler sich auf der besseren Note ausgeruht haben.

Mittwoch, 2. Januar 2019

Ich könnte platzen!

Da geht in mir eine Bombe hoch!

MediaMarkt - Ich bin doch nicht blöd!

So lautet der Werbeslogan einer Ketten von Elektronikläden. Ich zögere ein bisschen, von Fachmärkten zu sprechen, denn wenn man eine fachliche und kompetente Beratung sucht, geht man besser woanders hin. Das ist zumindest meine Erfahrung.

Eine Anekdote: Ich bin auf der Suche nach einer bestimmten Glühbirne, vier Watt, warmes Licht, A-Vierzehn-Gewinde. Ich finde auf Anhieb das richtige Produkt, Kostenpunkt Vier Neunundneunzig, super, her dam... warte mal... und ich entdecke zwei Reihen tiefer dasselbe Produkt, gleicher Hersteller, gleiches Gewinde, gleiche technischen Daten, gleiche Artikelnummer, für Drei Neunundneunzig. Habe ich mich verguckt?

Ich suche einen Mitarbeiter und frage ihn nach dem Preis der Glühbirne. Die erste Antwort: "Der Preis steht am Regal, wo sie die Birne gefunden haben." Na danke. Ich bin doch nicht blöd, werde aber für blöd verkauft. Also erläutere ich ihm meine Entdeckung, und die zweite Antwort ist noch sinniger: "Das kann eigentlich nicht sein, haben sie auch richtig geschaut?" Und ich laufe innerlich auf Hochtouren, hätte Lust, ihm die Glühbirne per Schwenkeinlauf einzuführen und bitte ihn, kurz mit zum Regal zu kommen, es ist ja nur fünf Meter entfernt. "Nein, ich kann hier gerade nicht weg, geben sie mir doch mal die Artikelnummer." Dann sucht er mir den korrekten Preis raus, Drei Neunundneunzig. Ich bedanke mich und frage, ob sie nicht das Preisschild ändern wollen. Letzte Antwort, die ich mir geben lasse: "Das macht nachher irgendjemand, und an der Kasse hätten sie ja eh' den niedrigeren Preis bezahlt."

Ich könnte immer mal wieder platzen (die kranke Buba sagt "peh-WATzedäh"), wenn ich für dumm verkauft werde und ich das auch noch merke. Das hat auch meine erste Schulleiterin auf sehr kreative Weise versucht, mittels eines unwahren Gutachtens, und das treibt meinen Blutdruck in die Höhe. Da könnte ich explodieren wie die herrliche Polizistin in diesem Video (gestellt, aber witzig).

Und das tut hin und wieder auch gut. Manchmal muss ich einfach den ganzen Druck und Frust und Ärger, der sich in mir angesammelt hat, rauslassen. Weil ich eben so gut wie nie den Mund aufmache, um mich über sowas zu beschweren. Dann einmal zuhause richtig platzen, rumschreien, und dann ist es auch wieder ruhig und reicht für eine Weile...

...

...dachte ich mal. Ist jetzt ein paar Jahre her. Und ich weiß, dass auch einige von meinen Lesern so denken oder dachten, und das ist ja auch in Ordnung. Ich habe es mir aber zur Aufgabe gemacht, es nicht dazu kommen zu lassen, aus zwei schönen Weisheiten heraus. Die eine lautet Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt. Das ist die Methode für den akuten Bedarf, anstatt laut zu werden, einfach mal einen Scherz draus machen und gut is'. Und dann? Gerade weil ich sowas mit mir herumtrage, platze ich doch irgendwann, oder?

Der Dalai Lama sagt Nichts ist entspannender, als das anzunehmen was kommt. Der Satz sagt sich so leicht, und mag auch schnell einleuchten - manchen zumindest - aber er bedeutet eben auch, dass keine Wut mehr aufkommen soll. Kein Rummeckern, kein Rummotzen, sondern dass ich mich mit meinem Frust in die Meditation begebe und den Ärger durchdenke. Von verschiedenen Blickpunkten betrachtet, und dann immer das Gute in der Situation zu sehen, eine Aufgabe, an der ich wachsen kann.

Natürlich werde ich auch heute noch wütend. Und dann lege ich mich hin, schließe die Augen, nehme mir eine Stunde am Tag, um nachzudenken. Bisher bin ich noch nie aus einer Meditation "erwacht", ohne dass ich ausgeglichener gewesen wäre. Der einzige Kampf, den man führen sollte, ist der gegen die eigene Wut - so habe ich es zumindest bisher verstanden, und es lebt sich seither deutlich besser - auch wenn ich immer noch eine Menge Entwicklungspotential habe.