Mittwoch, 16. Januar 2019

(Fast) Sprachlos

Sie - Lehrer, Er - Schüler, bekannt? Dieses Gefühl, gegen eine Wand zu reden...

Ich habe es geliebt, an der Regionalschule zu unterrichten. Das war vor der großen Welle, die alles zu Gemeinschaftsschulen umgespült hat. Ich habe dort Schüler unterrichtet, die eine Haupt- oder Realschulempfehlung hatten (und vielleicht auch ein oder zwei, die für das Gymnasium vorgeschlagen waren). Ich habe die Authentizität der Schüler geliebt. Wenn sie keinen Bock hatten, haben sie das sehr deutlich gemacht, und sie haben die Konsequenz, in Noten gesprochen, getragen. Sie wussten, dass sie sich nicht ausreichend beteiligt hatten. Und ich habe es genossen, ihnen klarmachen zu können, dass wir da wieder rauskommen können. Dass sie zum nächsten Zeugnis wieder eine Vier schaffen können, und wie das geht. Einige haben den Weckruf dann tatsächlich genutzt. Sie haben sich den Arsch aufgerissen, um mit Müh' und Not auf eine Vier auf HS-Niveau zu kommen.

Und ich habe mich dann authentisch gefreut und sie authentisch angestrahlt und ihnen zu der Vier gratuliert, und so ist nie jemand allzu deprimiert in die Sommerferien gegangen. Diese Schüler haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, unabhängig davon, wie intelligent sie waren, und einige waren bei einer Drei im Zeugnis total aus dem Häuschen und haben gefeiert. Ich fand das alles so authentisch, so schön, und es gab mir das Gefühl, etwas im Unterricht und etwas bei diesen Schülern bewirkt zu haben.

Dann kam wieder das Gymnasium.

Irgendwie muss die Schulform es mit sich bringen: Viele Schüler denken, nur weil sie in die Oberstufe versetzt wurden, dass sie mindestens eine Zwei überall verdient hätten, hatten sie ja in der Gemeinschaftsschule (ohne OS) auch geschafft. Allerdings liefern sie keine guten Leistungsnachweise ab (und begründen das dann weit aus dem Fenster gelehnt, wie ich einmal beschrieben hatte), meinen, wir hätten die Inhalte im Unterricht nicht behandelt (vermutlich, weil sie mit Mitschülern und/oder Handys abgelenkt waren). Das beschreibe ich nicht noch einmal im Detail. Es geht aber noch besser, und ich wette, auch das haben einige von Euch schon erlebt und ich habe über Telse berichtet.

"Also ich finde, ich hätte... verdient..."

Okay, die Schüler dürfen das gern äußern. Ich nehme diese Anmerkungen immer mit nach Hause und gehe dann in aller Ruhe die Beteiligung des Schülers durch. Was ich allerdings überhaupt nicht akzeptiere, und da bleibt mir dann gern einmal der Mund offen stehen, ist, wenn diese Anmerkung von Schülern kommt, die die halbe Unterrichtszeit abgelenkt sind, keine Hausaufgaben machen, nach eigener Aussage nichts für den Unterricht tun und für die ich Vieles mehrfach ansagen muss, weil sie das nicht mitbekommen.

Diesen Schülern versuche ich klarzumachen, was Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung bedeutet. Dass es sowas überhaupt gibt. Und dass ihre eigene Einschätzung nicht unbedingt den Kriterien der Noten in den Fachanforderungen entspricht - die kennen sie meistens nämlich nicht einmal. Bei'm ersten Mal versuche ich ihnen das noch ganz ruhig zu erklären. Allerdings schwindet meine Geduld, wenn die Schüler trotz mehrfacher Mahnungen nichts an ihrem Unterrichtsverhalten ändern. Und noch besser:

S: "Besprechen wir nochmal die Noten?"
L: "Ja, nächsten Mittwoch sind die Konferenzen, da bekommt ihr im Unterricht eure Zeugnisnoten."
S: "Ja, aber das nützt uns ja nichts."
L: "Das verstehe ich nicht (doch, tue ich leider), wie meinst du das?"
S: "Naja, übermorgen sollen die Noten eingetragen werden, dann bringt es doch nichts, wenn wir danach erst die Besprechung haben!"
L: "Heute ist die vorletzte Stunde vor Notenschluss. Warum willst du das denn unbedingt vorher besprechen?"
S: "Naja, damit wir da nochmal drüber reden können, und damit man sich rechtfertigen kann und vielleicht auch anmerken kann, dass die eigene Einschätzung anders aussieht, und damit sie daran vielleicht noch etwas ändern."

Äußerlich atme ich tief durch und lächle. Innerlich?

Das ist NICHT dein FUCKING Ernst! Alle haben den ersten Notenstand am ersten Tag nach den Herbstferien bekommen. ALLE durften sagen, was sie gern im Zeugnis hätten, und ALLEN habe ich gesagt, ob und wie sie das erreichen können. Und alle hatten den Auftrag, IN DER ERSTEN DEZEMBERWOCHE nochmal zu mir zu kommen, um ihren Stand zu erfragen, damit sie notfalls immer noch etwas ändern können. EINER von fünf hat diese Gelegenheit genutzt. Du nicht, by the way. Und dann darum zu bitten, dass mit einer oder zwei Unterrichtsstunden, oder einfach nur mit einem Gespräch, noch die ganze Zeugnisnote geändert werden könne, egal, was im Unterricht so lief - dazu braucht man wirklich eine gewaltige Chuzpah. 

Und ich lächele weiter und wiederhole, dass die Noten stehen und sie in der kommenden Woche besprochen werden, mit Aussicht auf die nächsten Zeugnisse.

Buddha und Dalai Lama und Pestalozzi und Dr.Oetker hin oder her - das akzeptiere ich nicht und es hinterlässt bei mir einen fahlen Beigeschmack. Lieber eine hart erkämpfte Drei oder Vier als eine "eingeklagte" Zwei. Ja sowas gibt es. Und ich hoffe, Ihr werdet nicht irgendwann in sowas verwickelt. Vermutlich hattet Ihr das sogar schonmal...

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