Zeit, zu reden! |
Selten war ich an einem Freitag so wochenendreif wie heute. Nun mag die Träsch-Trüller ganz geschickt argumentieren, dass es daran liegt, dass die letzten Jahre über nämlich der Donnerstag mein letzter Schultag war. Der Punkt geht an sie, und das müssten wir eigentlich mit einer Lütticher Waffel begießen, oder, fette Schnecke?
Aber es liegt auch daran, dass in dieser Woche der Großteil meiner Zeugnis-Notengespräche mit meinen Schülern dran war. Das ist für mich immer ein absolutes Highlight, denn nachdem ich meine neuen Schüler nun ein paar Monate im Unterricht erleben durfte, fallen mir natürlich einige auf. Muss nicht immer eine vermutete Hochbegabung sein, sondern kann sich auch mal um Drogen und/oder sozial knifflige Fälle handeln. Oder um Schüler, die etwas hilflos sind - ich liebe es, herauszufinden, was das Problem ist, und wie man das vielleicht anpacken könnte.
Jaja, ich höre natürlich schon die Unkenrufe "Warum bist du dann nicht Sozialpädagoge geworden?" Ich habe keine Ahnung. Ich habe nie über diesen Beruf nachgedacht, ich wusste nicht, dass es sowas gibt, und erst recht wusste ich nicht, dass das etwas für mich sein könnte. Der Großteil der Schüler ist bei diesen Notengesprächen schnell abgefrühstückt, ich frage sie danach, was sie in Englisch im Zeugnis bekommen, frage nach, warum, und versuche dann passend auf ihre Antworten zu reagieren.
Aber dann gibt es da eben diese speziellen Schüler, die mir in's Auge gefallen sind (und auch mit einer Pinzette nicht wieder rauszukriegen sind, lasst Euch die Metapher schmecken!) - endlich habe ich eine legitime Gelegenheit, mit ihnen über sich selbst zu reden. Aus irgendeinem Grund habe ich das Glück, dass Schüler das dann auch machen. Nicht immer ehrlich, es sind auch Blender und Schleimer dabei, die es versuchen, aber die finde ich nicht so interessant. Die Schüler, die Probleme haben, packen aus. Und das ist für mich ein tolles Erlebnis. Weil ich hier vielleicht helfen kann.
Und das führt dazu, dass die meisten Notengespräche in zwei Minuten durch sind (wobei ich merke, dass sie an der Berufsschule länger dauern, weil ich viel zu sehr daran interessiert bin, was die jungen Erwachsenen denn bald nach der Schule machen wollen); die speziellen Fälle allerdings, da kann es vorkommen, dass mit einem Augenzwinkern zwanzig Minuten vergangen sind, weil ich mich so sehr in meine Charakterstudien vertieft habe, da ist mir Zeit nur im Weg. Da schaue ich meinen Schüler ganz aufmerksam an, nehme alles an, was er oder sie mir darbietet, und versuche es irgendwie hinzudrehen, dass S mit einem positiven Gefühl aus dem Gespräch geht. Ich liebe das!
Aber das kostet Zeit, und so eine Doppelstunde ist schnell rum. Ich brauche mehr Zeit, viel mehr Zeit. Vielleicht kann ich ja - sollte ich an der Schule bleiben können - so etwas wie eine wöchentliche Sprechstunde anbieten. Dann litte nämlich nicht mehr mein Untericht darunter und ich könnte all' solche Fälle in die Sprechstunde ausrangieren. Denn es kann unglaublich involvierend sein, mit einem womöglich hochbegabten Menschen oder mit einem Filmliebhaber in's Gespräch zu kommen. Da hätte das alles dann seinen Ort und seine Zeit.
Ich liebe es, pädagogisch zu arbeiten, scheinbar.
post scriptum: Ach ja, der Stromausfall! Da hatten wir doch gerade zwei Stühle nach draußen in das Treppenhaus gestellt, drinnen - passend für eine kaufmännische Abteilung - den Film "Phone Booth" auf Englisch angestellt, da ist mit einem Mal der Beamer aus. Kein Licht. Ist das Gerät kaputt? Nein, der DVD-Player geht nämlich auch nicht mehr. Blick in das Treppenhaus, alles ist zappenduster. Und Blick in den Schulflur, wo sich nach und nach die Türen der Klassenräume öffnen und ratlose Kollegen gerade realisieren, dass ein durch die Bauarbeiten (die Schule verändert sich - aber der Bunker bleibt) verursachter Stromausfall das gesamte Gebäude lahmgelegt hat. Aber who cares. Wir schieben die Stühle einfach in eine Ecke, in der ein wenig Tageslicht ist, und schon können diese spannenden Gespräche weitergehen.
paulo post scriptum: Ich mag die schwarze Szene. Visuell und auch akustisch. Ich mag Alex Proyas' Regiestil, seitdem ich "Dark City" zum ersten Mal gesehen habe. Wie konnte ich so lange an "The Crow" (1994) vorbeilaufen? Jetzt habe ich ihn gesehen, ein Genuss für die Augen. Und es ist spannend, zu erleben, wie Proyas' Regiestil von "The Crow" über "Dark City" bis hin zu "Knowing" sich verändert hat, erwachsener geworden ist. Große Klasse!
"Sie sind ein guter Lehrer", ich glaube, Sie hören diesen Satz nicht allzu oft. Nicht, weil das Gegenteil der Fall ist, sondern weil Ihre Schüler Angst haben als Schleimer abgestempelt zu werden. Deshalb werde ich die Anonymität nutzen und Ihnen sagen, warum Sie ein guter Lehrer sind.
AntwortenLöschenSie verhalten sich "natürlich" und verstellen sich nicht. Es gibt zwar manchmal bestimmte Situationen (Siehe Blog-Eintrag "Asozial"), in denen Sie sich zwar nachvollziehbar verhalten, aber die schon fragwürdig sind. Der Problemschüler lacht kurz über die Situation, aber der gute Schüler kommt ins grübeln. Jedoch ist dies keine schlechte Seite von Ihnen. Sondern zeigt uns Schülern nur, dass unser Verhalten falsch war.
Auf jeden Fall interpretiere ich dies so.
Sie nehmen sich auch Zeit für uns. Wenn jemand den Bedarf hat, sich über die Sache XY zu unterhalten-egal ob schulisch oder familiär, nehmen Sie sich die Zeit für Ihren Schüler. Und Sie überlegen sich sicherlich noch nach der Schule, wie Sie ihrem Schützling helfen können. Das merkt man vor allem an diesem Post. Und an dem Blog-Eintrag "Dresscode", in dem Sie am überlegen waren, wie Sie uns am besten den Schulstoff verklickern können. Ich hoffe, dass die Schulleitung merkt oder bemerkt hat, dass ihre natürliche Art und Weise bestimmten Schülern die Motivation gibt, die sie brauchen.
Machen Sie bitte weiter so und bleiben Sie der Lehrer, der Sie sind:)
-Einer Ihrer Schüler
Lieber Schüler!
LöschenIch muss zugeben, ich bin gerührt. Gerade weil der Kommentar anonym gepostet wurde und damit keine Vorteile für Dich herausspringen werden. Es ist für mich immer wieder hilfreich, mitzubekommen, wie ich wirke, denn ich selbst weiß das nicht. Ich sehe mich nicht, ich höre mich nicht - weswegen ich vor Jahren einmal überlegt hatte, eine Stunde per GoPro auf dem Kopf eines Schülers zu filmen. Den wichtigsten Punkt nennst Du ganz deutlich: Ich verstelle mich nicht. Und damit hängen leider auch sehr viele Unbequemlichkeiten zusammen. Ich bin in der Regel nicht besonders beliebt im Kollegium und kann für eine Schulleitung anstrengend werden. Ich nehme das allerdings in Kauf, weil es auf der Arbeit nicht um mich geht, sondern um Euch, und da muss man als Lehrer auch schonmal einiges wegstecken.
Wirklich vielen Dank für diese Rückmeldung. Die nächsten Monate werden zeigen, ob ich an der Schule bleiben kann - darauf hat die Schulleitung leider nicht viel Einfluss, weil die Lehrerstellen vom Ministerium vergeben werden und man dort entscheiden muss, ob das BBZ diesen neuen Kollegen braucht.