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Was ist aus uns geworden? |
Again: Fiktion.
Der dritte und letzte Teil der
Notengespräch-Trilogie widmet sich einer Ansage der ganzen Klasse gegenüber - so könnte ich mir das vorstellen, und zwar,
bevor ich in die Gespräche mit einzelnen Schülern gehe. Um nochmal ein bisschen Bewusstsein für die Bedeutung der Note Drei zu verschaffen. Und ein wenig mehr Toleranz und Aufgeschlossenheit. Und um nicht mehr so viel um Noten handeln zu müssen.
Klasse Acht
L: "Also, ich kann ein sehr entspannter und netter Lehrer sein und lasse euch mehr durchgehen als ich eigentlich sollte. Eine Sache kann ich allerdings überhaupt nicht ab, und zwar, wenn Schüler anfangen, um Noten zu handeln. Das war in den letzten Tagen an dieser Schule schon echt reichlich. 'Können sie da nicht noch einen Fehler wegstreichen?' 'Warum hab ich keine Eins?' 'Also ich finde, das hier ist drei Bonuspunkte wert.' 'Ich find', ich war in den letzten Stunden richtig gut.'
Und das nervt mich besonders, weil ich das in den letzten vier Jahren an der Gemeinschaftsschule so gut wie gar nicht hatte. Vielleicht liegt es daran, dass die Schüler dort eine andere Arbeitshaltung haben als am Gymnasium? Habt ihr eine Ahnung, was ich damit meinen könnte?"
fünf Finger gehen hoch
S1: "Ja, also, ich mag das ja nicht so gern sagen, ich meine das auch nicht fies, aber am Gymnasium wollen die Schüler arbeiten, und oft haben die in der GemS nicht so viel Lust dazu, die sind dann eher von der Schule genervt."
S2: "Das ist auch so, an der GemS rauchen die viel früher und auch mehr, und kiffen, und mit Alkohol und so, und bei uns ist das noch gar nicht."
S3: "Glaubst du das ernsthaft???"
S2: "Naja, und da wird auch auf dem Schulweg mehr geraucht."
L: "Ich glaube nicht, dass das mehr ist, aber an der GemS wird mehr und offener darüber gesprochen, hier traut sich doch keiner, das zu sagen."
S2: "Genau, weil wir vielleicht auch besser erzogen sind, und dort an der Schule haben ja viele Kinder Eltern, die sich überhaupt nicht um sie kümmern, oder kaputte Elternhäuser."
S3: "An der GemS sind die meistens auch schon älter, da kommt das vor, dass man mit achtzehn noch in der achten Klasse sitzt, und wir sind hier maximal fünfzehn."
S1: "Weil die auch öfters sitzenbleiben, weil die halt auch oft nicht so viel für die Schule tun."
L: "Ich möchte hier bitte unterbrechen, weil das in eine Richtung geht, die mir gar nicht gefällt. Ich wollte eigentlich auf etwas Anderes kommen, nämlich dass am Gymnasium manche Schüler denken, nur weil sie eine Gymnasialempfehlung bekommen haben, dass sie mindestens auf eine Zwei Anrecht haben. Für viele ist eine Drei schon die totale Katastrophe. Und manche denken, sie müssten noch nicht einmal etwas dafür tun. Dagegen habe ich viele Schüler an der Gemeinschaftsschule unterrichtet, die sich - entschuldigung - den Arsch aufgerissen haben und es trotzdem nie oder nur ganz selten auf eine Drei geschafft haben. Und wenn es geklappt hat, dann haben sie sich darüber gefreut."
Stille
L: "Ich möchte euch einfach noch einmal klarmachen, was die Noten bedeuten. Ich möchte, dass ihr etwas mehr Respekt davor bekommt. Denkt bitte daran: Wenn ihr das könnt, was ihr können sollt, dann ist das
ausreichend. Dann ist das eine Note Vier."
hält vier Finger hoch
L: "Für eine Drei muss da schon etwas mehr kommen, und für eine Zwei erwarte ich 'gute' Leistungen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Und ihr könnt euch denken, dass für eine Eins dann deutlich mehr kommen muss. Ich möchte, dass niemand von euch auf Noten unterhalb der Zwei herabschaut. Sowas nennt man dann arrogant."
S4: "Ich habe eine Freundin an der Gemeinschaftsschule, die mir auch schon öfters gesagt hat, dass sie sich einfach schlechter fühlt, nur weil sie auf der GemS ist und wir auf einem Gymnasium."
L: "Danke, dass du das ansprichst. Denn genau dadurch entsteht eine Spaltung zwischen euch und den GemSlern, die dazu führt, dass sie quasi von unten wütend zu euch heraufschauen. Und traurig."
S5: "Aber wieso, wir tun doch gar nichts Schlimmes."
Raunen in der Klasse
L: "Nur noch einmal zur Erinnerung: Ich habe euch eben nach den Unterschieden zwischen GemS und Gym gefragt, und ihr habt mir zuerst nur Negatives aufgezählt: Die rauchen mehr, die kiffen mehr, die trinken mehr, die sind älter, bleiben öfters sitzen, die haben kein Bock auf Schule, die sind schlecht erzogen, die haben kaputte Familien."
Schweigen
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Es tut mir als Lehrer weh, wenn ich diese Haltung gegenüber den "anderen" Schülern bekomme. Das habe ich an der GemS in St.Peter-Ording ganz intensiv erlebt, dort wurde der Ortsteil, in dem sich der GemS-Teil befindet, wie ein Asozialenghetto von vielen Gymnasiasten behandelt, und das Viertel mit Gymnasium und Internat wie eine Bonzengegend von den GemSlern. Die ablehnende Haltung gegenüber den jeweils anderen Schülern gab es auf
beiden Seiten, und ich habe hart darum gekämpft, etwas mehr Verständnis zu erzeugen. Sauschwer. Aber einfach mal zu zeigen, wie es wirklich auf der anderen Seite aussieht, anstatt einfach nur Abstand zu halten und sich hinter einer Mauer aus Ignoranz zu verbergen, das hat schon viel geholfen.
Deswegen war ich in SPO auch sehr dankbar, dass ich an beiden Schulteilen unterrichten durfte, und deswegen habe ich allen Gymnasialkollegen bei meiner Verabschiedung dieses Privileg, diese Erfahrung sehr an's Herz gelegt. Sonst werden wir einer Spaltung innerhalb unserer Gesellschaft nie effektiv entgegentreten können.
post scriptum: Coole Anekdote - ich erkläre den Schülern den Begriff "Phubbing" (wenn Gäste beim netten Zusammensein die ganze Zeit auf ihr Handy schauen - ich hasse das, und die große Buba und auch Er nehmen seitdem Rücksicht darauf, finde ich total toll). Schülerin: "Sowas find ich auch total nervig und rücksichtslos. Beim Golfen hab ich ja eh' mein Handy nicht mit dabei, und wenn wir abends essen gehen, sammeln wir alle unsere Handys auf einem kleinen Turm, so dass beim Essen keiner rangeht, und wer zuerst nach seinem Handy greift, muss die Rechnung bezahlen."
Die Aktion finde ich geil. Könnte ich mir niemals leisten, aber ich finde es gut, dass die Kiddies das machen. Wird ihnen wahrscheinlich nicht so sehr weh tun, eine Rechnung zu bezahlen, aber allein die Idee ist schon plietsch.