Mitte? Bloß nicht! |
Mein sechstes Lehrerzimmer, meine sechste Suche nach einem Sitzplatz in der neuen Schule. Zum sechsten Mal frage ich "Habt ihr hier eine bestimmte Sitzordnung?", zum sechsten Mal bekomme ich die Antwort "Nein, wir machen das hier ganz locker, setz' dich einfach irgendwo hin." und zum sechsten Mal realisiere ich während der ersten Schulwochen, dass es eben doch eine Sitzordnung gibt, zwar nicht verbindlich, aber jeder Kollege scheint seinen Lieblingsplatz zu haben. Und damit beginnt der Terror für diesen Hochbegabten - denn ich mag mich auf gar keinen Stuhl setzen, aus Angst, dass ich ihn jemandem wegnehme. Deswegen suche ich mir anfangs meistens einen Sitzplatz irgendwo am Rand.
"Vielleicht würde es deiner Eingliederung in's Kollegium weiterhelfen, wenn du dich mit zu uns rübersetzt, einfach in die Mitte. Denn wenn du da hinten sitzt, dann entsteht bei den anderen ja erst recht der Eindruck, dass du dich abkapseln willst. Und da hinten bekommst du ja auch nichts mit - wenn wir zum Beispiel über eine Klasse reden. Ich glaube, es wäre wirklich gut, wenn du dich hierhin setzt."
Das hatte ich vor fünf Jahren in St.Peter-Ording, am damaligen Regionalschulteil (das waren noch weniger Kollegen als jetzt, etwa um die vierzehn, jetzt sind wir etwas über zwanzig, aber es sind selten alle Lehrkräfte im Raum), und jüngst wieder an der Berufsschule. Das war wirklich sehr nett gemeint - aber einer dieser Fälle, in denen ich freundlich lächele und gar nichts mehr sage. Weil ich parallel überlege, ob ich folgende Antwort bringen soll:
"Ich finde es nett, dass du dir Sorgen um mich machst, und ich habe dich ja auch um Hilfestellungen gebeten, es gibt hier so viel, in das ich mich erst einarbeiten muss. Aber in dieser Sache hilft es vielleicht, meine Kameraperspektive derselben Situation - DrH kapselt sich ab - zu schildern. Ich brauche nämlich einen Sitzplatz, von dem aus ich das gesamte Lehrerzimmer im Blick haben kann. Ich werde sehr unruhig, wenn hinter meinem Rücken etwas stattfindet. Ich bekomme dann Angst, dass ich etwas verpassen könnte (aus ebendiesem Grund habe ich eine Ein-Zimmer-Wohnung Släsch Loft); es ist nämlich genau andersherum: Als HSP bekomme ich alles mit, was in meinem Blickfeld ist, und ich höre jedes einzelne Gespräch im Raum. Auch wenn ich nebenbei Rätsel löse - ich bekomme das alles mit. Und wenn ich ein Gespräch höre, das ich nicht zuordnen kann, weil es zum Beispiel hinter mir stattfindet, bekomme ich Angst. Hier, auf diesem Sitzplatz ganz am Rand, fühle ich mich sicher. Ich kann alle beobachten, ich kann allen zuhören, und wenn ich merke, dass irgendwo ein "relevantes" Gespräch stattfindet, kann ich mich von hinten dazuschalten (wenn es gerade keine andere Unterhaltung stören würde). Darüber hinaus fühle ich mich ruhiger und sicherer, wenn ich einen festen Platz haben kann. Da weiß ich, dass ich niemandem den Sitz wegnehme, und die Autisten und Asperger wissen, wie wichtig Sicherheit und Verlässlichkeit sind."
Überlege ich also... und halte dann doch wieder meinen Mund, weil ich niemanden mit meinen Problemen nerven will, und die Erklärung ist eh' viel zu umständlich.
Wie war das noch mit der Offenheit?
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