Montag, 26. Februar 2024

Die Wörterbücher


"Let the man avail himself!"

Wenn ich mir einen neuen Film anschaue, mache ich das - wann immer möglich - in Originalsprache mit englischen oder deutschen Untertiteln. Auch bei englischsprachigen Filmen: Ich mag vielleicht Englisch auf muttersprachlichem Niveau sprechen, aber ich habe tatsächlich im Hinterkopf immer die Angst, dass ich ein für den Plot wichtiges Wort überhöre oder falsch verstehe. Ist schon vorgekommen, und das kann im Extremfall die komplette Wahrnehmung eines Films verändern.

Manchmal kommt es vor, dass ich zwar verstehe, was ein englisches Wort in dem jeweiligen Kontext bedeutet, aber ich könnte nicht genau erklären, was es bedeutet - und das mag ich nicht: Wenn jemand mich im Unterricht fragt, was ein Wort bedeutet und ich kann das nicht genau erklären, das irritiert mich.

Heute schaue ich mir Martin Scorseses The Irishman an. Tempus Präsens, denn der Film geht über dreieinhalb Stunden und ich habe zwischendurch eine Pause eingelegt. Eigentlich mag ich keine Geschichten über Verbrechen sehen, aber es ist Scorsese und der Film soll toll sein (ist er bisher), als Filmliebhaber sollte ich da über meinen Schatten springen. Und dann taucht da dieser Satz auf:

"Let the man avail himself!"

Mir ist klar, was das in der Szene bedeuten soll, aber ich sehe diesen Satz in den Untertiteln und realisiere, dass ich das Wort "(to) avail oneself of sth." nicht übersetzen kann. In diesen Fällen pausiere ich tatsächlich den Film und gehe zum Regal, in dem noch immer meine Wörterbücher aus dem Studium stehen. Klar, in Englisch nutze ich das Longman DCE, und da lege ich mir alle zehn Jahre eine neue Ausgabe zu, weil sich die Sprache verändert. 

Ich schaue also die englische Definition im DCE nach, verstehe auch alles, aber finde immer noch nicht die richtige deutsche Übersetzung. Also nehme ich das gefühlt fünf Tonnen schwere Großwörterbuch Englisch von Langenscheidt hervor und suche auf den tausenden Seiten nach der Übersetzung. Gefunden, glücklich, wieder beruhigt, zurück zum Film.

Mich stört das wirklich, wenn ich bei einem Wort nicht genau sagen kann, was es bedeutet (oder wie es ausgesprochen wird) - und deswegen bin ich sehr froh, dass ich immer meine Wörterbücher im Regal habe. Gemoll, Stowasser und Konsorten sind treue Begleiter für's Leben.

post scriptum: Kannst Du den Satz "Let the man avail himself!" übersetzen? ;-)

Donnerstag, 22. Februar 2024

Eine unglaubliche Rolltreppe!

Tucker Carlsons "Ich bin dumm"-Gesicht hat eine Masche...

Gezielte Verblödung.

Tucker Carlson war einmal stramm rechtskonservativer Kommentator bei'm amerikanischen Sender Fox News. Sehr konservativ: Damit die Männer nicht ihre Männlichkeit verlieren, wie es ja angeblich seit einigen Jahren der Fall ist, hat Tucker Carlson Werbung für testicle tanning gemacht. Tucker ist sich wirklich für nichts zu schade, er ist ein Opportunist, der sich bei einem rechten, ultrakonservativen, sozial abgehängten Publikum anbiedert. Er mag eine Witzfigur sein, aber er richtet ernsthaften Schaden an.

Denn Tucker Carlson ist nicht dumm. Seine persona vor der Kamera ist es - er gibt sich als extrem dumm aus, um "die einfachen Leute" (normal people) zu erreichen, und es funktioniert leider. Sie fressen ihm aus der Hand. Tucker war der erfolgreichste Moderator bei Fox, bis eine seiner extremen Spitzen ihn endlich den Job gekostet hat - irgendwo musste Fox seine Grenze ziehen, fein. 

Aber was macht Tucker Carlson jetzt? Er hat keinen Sender mehr, aber er hat immer so sein (viel zu großes) Publikum - und das bedient er auch weiterhin mit seiner gespielt blöden, "authentisch" einfachen Art. Warum macht er das? Weil der Kreml sich das Einiges kosten lässt. Tucker bezieht ein ordentliches Gehalt aus Moskau für einen Trip nach Russland, von wo er Dinge sendet, die dümmer nicht sein könnten; es ist erschreckend, dass in den USA so viele Menschen das abkaufen.

In seiner Dokumentation lobt er die Moskauer U-Bahn - das immerhin vollkommen zu Recht. Das Moskauer U-Bahn-Netz ist eines der größten und schönsten der Welt, wenn man sich mal die Zeit nimmt, die Bahnhöfe zu bestaunen. So etwas haben wir in Deutschland nur ansatzweise - zum Beispiel am Westende der U7 in Berlin. Eigentlich könnte ich "U-Bahn-Fahren in Moskau" auf meine bucket list setzen (die ich sowieso einmal überarbeiten muss).

Aber dann staunt Tucker Carlson über einen russischen Supermarkt, in dem es etwas ganz Unglaubliches gibt. Tucker tut so, als hätte er das noch nie gesehen ("I'm figuring this out just now!") - auch hier wieder, um sich anzubiedern, bei seinem Publikum und bei'm Kreml. Eine Rolltreppe. Für Einkaufswagen. Und die Einkaufswagen bleiben stehen und rollen nicht zurück. Was für eine Erfindung! Hätten wir doch auch so etwas Tolles!! Kein Wunder, dass Jon Steward sich darüber lustig gemacht hat (im Video ab 1:50).


 

Vom desaströsen Interview mit Putin habt Ihr vielleicht gehört - Tucker als Stichwortgeber und Echokammer, mehr nicht. Das Problem an der ganzen Sache ist, dass es so viele Menschen gibt, die ihm das abkaufen. Die ihn dafür vergöttern. Die ihm Geld schicken, um ihn zu unterstützen. Und diese vielen Menschen sind mittlerweile im amerikanischen Kongress angekommen, im Repräsentantenhaus, In Form einer Marjorie Taylor Greene oder einer Lauren Boebert. Dummheit macht Politik, na danke. Kein Wunder, dass Trump kommt.

Liebe KollegInnen, wir haben einen Auftrag, die junge Generation so zu bilden, dass sie nicht dieser Dummheit verfallen. Dass sie Dinge hinterfragen, dass sie sie nicht einfach hinnehmen.

Was wohl passiert, wenn Dummheit die Welt regiert?

post scriptum: Zu einem gewissen Grad tut sie das schon jetzt, aber das Niveau sinkt immer weiter ab, und das kann einem Angst machen.

Dienstag, 20. Februar 2024

Religion oder Philosophie?


Ich habe ja momentan viel Zeit zum Nachdenken, und da passt es, dass ich gerade ein zweites Mal The Talos Principle II spiele. Rätsel-Videospiele sind großartig, weil sie einem viel Zeit zum Nachdenken lassen. Man geht durch faszinierende Welten, hört angenehme, entspannende Musik, schaut sich die Sehenswürdigkeiten an und findet hier und da ein herausforderndes Rätsel - wenn das dann gelöst ist, dieser Heureka-Moment, das setzt eine enorme Menge Glückshormone frei und es macht mich offener für's Nachdenken.

Das Spiel stellt wichtige Fragen - nach dem Sinn des Lebens, des Strebens, nach dem freien Willen, nach dem Selbst. Das ist intellektuell anspruchsvoll, aber gleichzeitig anregend und hilft mir, aus festgefahrenen Denkweisen auszubrechen. Den gleichen Effekt hatte ich bei The Witness, ebenfalls ein Grafikadventure mit Rätseln und einer hohen philosophischen Dichte. Sollte man nicht meinen, aber es gibt tatsächlich auch Videospiele für erwachsene Intellektuelle, die ihren Horizont erweitern möchten - oder die ihre Grundsätze hinterfragen wollen.

Auch The Sojourn hat viele philosophische "Belohnungen" für's Lösen der Rätsel bereitgestellt, und ich realisiere, dass ich dieses Nachdenken mag. Und ich frage mich, warum ich damals in meiner Schulzeit so eine Abneigung gegen Philosophie hatte. Lag es am komischen Namen der Lehrerin? Kein Mensch heißt "Sandkühler-Jensen". Irgendwie scheine ich mir daraus ein falsches Bild dessen entworfen zu haben, was Philosophie eigentlich bedeutet, und habe fast ausschließlich Religionsunterricht in meiner Schulzeit gehabt, obwohl ich mit evangelischer Religion nie viel anfangen konnte.

Aber besser späte als gar keine Einsicht. Zeit zum Genießen!



Montag, 19. Februar 2024

Eurovision Song Contest 2024

Teemu Keisteri (Windows95man) und Henri Piispanen für Finnland '24

So lange ist es ja nicht mehr hin - am elften Mai fliegen die musikalischen Fetzen im ESC-Finale, und derzeit finden die Vorausscheide der Länder statt. Ich muss zugeben, dieses Jahr glaube ich nicht, dass Deutschland den letzten Platz bekommt - dazu hat der Song (Isaak - Always on the Run) zuviel Ohrwurm im Refrain. Ich denke mal, Platz sechzehn von vierundzwanzig oder so. Denn wenn ich sehe, was Finnland da wieder auffährt, das bringt etwas mehr Fun in die Bude.

Ich habe letztes Jahr den ESC verpasst - und im Nachhinein tut es mir echt leid. Nicht wegen des Siegerbeitrags von Loreen - klang mir dann doch zu sehr nach einem schwächeren Abklatsch von Euphoria (den ich toll finde). Aber Platz zwei war genial, Finnlands Käärijä mit dem sehr poppigen Cha Cha Cha, nicht ganz ohne Grund absoluter Favorit bei'm Zuschauervoting (und wem das am Anfang zu düster ist, der warte erstmal ab bis zu den Regenbogenfarben ^^):

 

Dieses Jahr gibt es für Finnland Windows95man mit dem Song No Rules! - bei der Performance konnte ich erstmal nicht wegschauen, dazu braucht man Chuzpe und eine Menge Spaß, und ich applaudiere der inklusiven Botschaft der Finnen. Ich freue mich auf das Finale, in dem sie sicherlich dabei sein werden - wenn auch zu befürchten steht, dass sie ihren Namen ändern müssen, denn der ESC erlaubt kein product placement. Einfach mal reinschauen:



Samstag, 17. Februar 2024

Nawalny

Großartiger Dokumentarfilm, der sich anzuschauen lohnt

Normalerweise berührt es mich nicht, wenn in den Nachrichten berichtet wird, dass eine bekannte Person gestorben ist. Ich nehme das als reine Sachinformation hin, abgehakt. Als ich aber gestern in der tagesschau als erste Meldung hörte, dass der russische Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wahrscheinlich tot ist, ist mir kurz die Luft weggeblieben.

Hintergrund: Ich hatte mir vor einigen Monaten den Dokumentarfilm Navalny (2022) angeschaut. Es hieß, das sei ein großartiger Politthriller, und ich war tatsächlich begeistert. Wie Nawalny mit seinem Team den Giftanschlag auf sich als Kreml-angeordnet aufdeckt, hat unglaubliche Durchschlagskraft, und eine Szene ist so brillant, dass Drehbuchschreiber sie als "völlig unrealistisch" wegwerfen würden - wenn es nicht wirklich so passiert wäre. Manchmal ist die Realität abgefahrener als jede Fiktion.

Ich habe vor ein paar Jahren einen Schüler unterrichtet, der aus Russland ausgewandert war, und der sehr deutlich gemacht hat, wie es um "Demokratie" in Russland bestellt ist. Seither interessiere ich mich für den Kampf zwischen einer möglicherweise kleinen, aber hoffentlich starken, "echten" Opposition und der Regierung in Russland.

Dass Nawalny nun tot sein soll, ist ein herber - wenn auch nicht unerwarteter - Rückschlag für die Oppositionsbewegung. Ich hoffe, dass sie nicht aufgeben. Und ich bin froh, dass ich nicht in einer Diktatur lebe. 

Democracy is the worst form of government, except for all others.

- Sir Winston Churchill

Freitag, 16. Februar 2024

Die Ruhe


Einer der Gründe, warum ich unbedingt in einer Stadt wohnen möchte, ist die Anonymität, kombiniert mit all' dem Leben um mich herum. Ich muss mir keine Sorgen machen, dass plötzlich meine Nachbarn mit einem Stück Kuchen vor der Tür stehen, ich kann inmitten von Menschen leben und trotzdem meine Ruhe haben - aber gleichzeitig bin ich auf die Geräusche angewiesen: Das Bellen des Hundes unten, der Bus, der vor meiner Wohnung hält, das Piepen der Fußgängerampel, die Sirenen der Notarztwagen. All' das gibt mir ein Gefühl von Leben.

Seit Mittwoch ist es einige Stufen ruhiger draußen geworden, denn das war der erste Tag des neuen Streiks. Unter anderem in Kiel sind fast keine Busse mehr gefahren. KVG wurde voll bestreikt, Autokraft ab Donnerstag, nur die blauen VKP-Busse sind noch gefahren. Vielleicht wäre das meine Möglichkeit gewesen, zur Schule zu kommen - wenn ich dort noch arbeitete. Wie haben die SchülerInnen das gemacht, wie war das mit der Anwesenheitspflicht? All' diese Fragen möchte ich mir gern wieder stellen.

Ich bin froh, wenn die Busse wieder wie normal fahren. Dann fühlt sich alles wieder etwas lebendiger an. Ich frage mich, wie das Feeling erst wird, wenn die Stadtbahn in einigen Jahren fertig ist, und wenn endlich das Projekt "Kieler S-Bahn" umgesetzt wird. Frühestens nach Zwanzig Dreißig, heißt es, soll die Umsetzung beginnen, aber die ersten Hinweise findet man schon - das Auftauchen von neuen Bahnhaltestellen, beziehungsweise die Reaktivierung alter Halte: Schulen Am Langsee, Kiel Hassee CITTI-Park, Kiel-Oppendorf, Kronshagen - das alles sind kleine Hinweise auf ein S-Bahn-System, das vielleicht irgendwann Kiel autofreier macht und die Umgebung enger zusammenbringt.

Mehr Leben, weniger Ruhe - ich mag' den Gedanken.

Mittwoch, 14. Februar 2024

Widerspruch: Zurückgewiesen (Tag -190)


"Der Widerspruch wird wahrscheinlich zurückgewiesen. Und wissen sie, was sie dann machen? Sie setzen sich sechs Monate Schamfrist, und dann stellen sie einen Änderungsantrag, in dem sie die Einschränkung ihrer Teilhabe an der Gesellschaft darlegen. Darum geht es nämlich bei'm Grad der Behinderung.

Nehmen wir einmal an, ihre Behinderung bewirkt, dass sie die Hand nicht mehr stillhalten können. Sie können argumentieren, dass ihre Dienstfähigkeit eingeschränkt wird, weil sie nicht mehr an der Tafel schreiben können. Das interessiert aber nicht. Der Umstand, dass sie auf einer Party ein Glas mit einem Getränk deswegen nicht mehr halten können, und dass sie deshalb auf keine Parties mehr gehen, weil sie sich schämen, sie könnten unabsichtlich jemandem ihr Getränk über das Outfit schütten, das ist eingeschränkte Teilhabe an der Gesellschaft. Darum geht's bei'm Grad der Behinderung."

Mir geht es richtig gut, denn so oder so ähnlich klingt das Gespräch mit Martin Zacharias im Ministerium nach. Deswegen hat es mich auch überhaupt nicht überrascht oder gar betrübt, als heute die Absage vom Landesamt für soziale Dienste hereingeflattert ist. Im Gegenteil, sie bestätigt Zacharias' Aussage, und damit verstehe ich endlich den GdB und was es bedeutet, einen höheren Grad der Behinderung zu haben. Jetzt weiß ich, wie ich argumentieren muss, jetzt weiß ich, wie die ärztlichen Befundberichte aussehen müssen, damit sie Relevanz für eine Neueinstufung haben.

Das ist großartig! Also setze ich mir jetzt diese sechsmonatige Frist - daher Tag minus hundertneunzig im Titel - und dann werde ich mich mit Hausarzt, Psychiater und Gastroenterologen zusammensetzen und eine Änderung beantragen. Das Thema ist also vorerst abgehakt, und das erleichtert ungemein! Rein rechtlich bin ich eh' auf der sicheren Seite, weil ich gleichgestellt bin, es geht ja nur noch darum, den vollen Nachteilsausgleich zu bekommen. 

Damit habe ich den Kopf jetzt wieder etwas freier für anstehende Arzttermine und das Aufräumen. Ja, Vertretungsstelle wäre jetzt natürlich noch besser, aber bis zum Sommer kann mich das ALG I zur Not tragen, und ich vertraue darauf, dass dann meine berufliche Zukunft gesichert sein wird.

Ist also nur scheinbar wiedersprüchlich, wenn ich mich über diese Absage freue und eine Menge Energie daraus mitnehme.

Montag, 12. Februar 2024

Tag 195 - Aufwachen!


Das Neumünster-Erlebnis hat mich mal wieder in eine Art Schockstarre versetzt. So sehr, dass ich zuhause nichts mehr mache und nur nachdenke. Und wenn dann ein Satz kommt "Bis zum Sommer finden wir eine Planstelle für sie!", dann freut mich das riesig und sorgt für Tränen im Ministerium, aber wirklich angekommen ist die Nachricht noch nicht. Es braucht erst eine Mail eines ehemaligen Schülers, der die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass sein Lehrer doch nochmal irgendwann antwortet. 

Wenn ich tatsächlich bis zum Sommer eine Planstelle gefunden haben werde, dann habe ich keine Ausrede mehr für's Hängenlassen. Dann wird es Zeit für Disziplin und die Euphorie, die abends aufkommt, wenn man sieht, dass man tatsächlich etwas geschafft hat. Im heutigen Fall Müll raus und Wäsche, und eine frühere Weckzeit meines Weckers, damit ich morgens mehr schaffen und abends früher in's Bett gehen kann. Einstellen auf ein Leben, in dem ich eine unbefristete Beschäftigung habe - denn so wie jetzt geht es nicht. Mails beantworten, Akten einordnen, vergammelte Lebensmittel entsorgen, Kühlschrank putzen, ich habe genug Arbeit für die nächsten Tage.

Wie passend, dass ich heute den Film Brittany Runs a Marathon (2019) auf Amazon prime gesehen habe - übrigens noch nicht wirklich mit Werbung, das kommt noch. Es geht um eine Frau, die mit dreißig Jahren in einer Lebenskrise steckt, übergewichtig, Single, kein Plan für das Leben. Mit der Hilfe von Freunden nimmt sie sich vor, am New York-Marathon teilzunehmen. Klingt wie eine Klischeegeschichte, ist aber eine Komödie mit Einblick und Ecken und Kanten. Sie zeigt, welche Probleme man treffen kann, wenn man sich vornimmt, sein Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen. Mal schauen, was für Probleme mich erwarten.

Zeit, aufzuwachen!

Dienstag, 6. Februar 2024

Tag 189 - Tränen im Ministerium


Ich wiederhole meine Feststellung von gestern - mir kommen Tränen in die Augen, wenn jemand ernsthaft Verständnis für meine Situation zeigt. Wenn es jemand aus dem Ministerium ist, der sagt, er sei fassungslos, wie man über die Jahre - und vor allem in der aktuellen Angelegenheit in Neumünster - mit mir umgegangen sei, dann muss ich zur Seite schauen, sonst geht die Plärrerei erst richtig los.

Jedenfalls ist mein Fall jetzt im Ministerium bekannt und ich habe einen Ansprechpartner - vorher hat sich niemand dort weiter um mich gekümmert und tatsächlich gedacht, ich würde mich auf keine Planstellen bewerben - der Eindruck ist entstanden, weil ich mich in den dreieinhalb Jahren an der Toni nicht an anderen Schulen beworben habe. Auch das haben wir heute aufgeklärt, und ich habe jetzt starke Unterstützung, so positiv, und dabei auch so unterhaltsam.

Nächstes Mal, wenn ich im Ministerium bin, werde ich mit dem Paternoster fahren - heute war es faszinierend genug, als man mir erklärt hat, wie die Türen im Ministerialgebäude funktionieren, und dass man sie bloß nicht anfassen darf.

Die Details des Gesprächs (zum Beispiel der Satz "Da ist echt alles falsch gemacht worden!") bleiben im dortigen Sitzungsraum. Ich fühle mich aber jedenfalls unglaublich erleichtert. Und ermutigt, dem Landesamt für soziale Dienste auf's Dach zu steigen. 

Erstmal aber hauptsächlich glücklich, gehört worden zu sein.

Montag, 5. Februar 2024

Tag 188 - Tränen im Arbeitsamt


"Das muss man sich mal vorstellen: Da sucht eine Schule dringend eine Vertretung, und da sucht eine geistig behinderte Lehrkraft händeringend Arbeit und darf nicht."

"Das kann man echt nicht mehr erklären..."

Ich gebe zu, ich hatte ja ein bisschen Angst vor dem Termin heute in der Agentur für Arbeit, zum einen, weil ich befürchtet hatte, dass es wieder nichts Konkretes bringt - wie letztes Mal - zum Anderen, dass ich ernsthaft lernen soll, wie man eine Bewerbung schreibt. Und dann kam es etwas anders.

"Ah, Dr Hilarius, sie sind bestimmt direkt aus der Schule hierher gekommen?"

"Nein. Eigentlich sollte ich jetzt nicht hier sitzen, sondern in der sechsten Stunde vor einer Englischklasse einer Schule in Neumünster stehen [...Erklärung...]"

Und dann bekomme ich nach und nach Rückendeckung von meinem Sachbearbeiter mit einem Hundeblick, weil es ihm wirklich leid tut, wie sich das mit mir entwickelt hat, und das hat mir die Tränen in die Augen getrieben.

Er hat dann auch klargestellt, dass ich bereits alles tue, um in Arbeit zu kommen, dass es also seitens des Arbeitsamtes nichts weiter zu tun gibt. Es bleibt nur, wie so oft, abzuwarten. Wir warten den Termin morgen im Bildungsministerium ab, schauen, wie sich das mit der Vertretung bis Sommer entwickelt und sehen uns dann in einem Monat wieder.

Und dann, draußen vor der Behörde, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, weil es mich jedesmal fertig macht, wenn jemand Verständnis und/oder Bestürzung angesichts dieser Lage zeigt. 

Mal sehen, ob es morgen anders kommt.

Samstag, 3. Februar 2024

Tag 186 - Situationsbeschreibungen


Eigentlich sollte es für jemanden auf'm Spektrum kein Problem sein, eine Situation zu beschreiben. Sachlich ist unsere Stärke. Beispiel gefällig?

Gestern und heute fahren in Kiel fast keine Busse. Ich bin zum Citti-Park gegangen und habe gesehen, dass stattdessen die Straßen für einen Samstag um diese Uhrzeit mehr als überfüllt sind. Es sind unglaublich viele Autos unterwegs - logisch, wenn es eben nicht anders geht. Tolles Argument für die Verkehrswende. Ebenso sieht man auf den Gehwegen deutlich mehr Fußgänger - die strahlende Sonne trägt zur Wanderlust bei. Dass das Einkaufszentrum dann wieder völlig überfüllt war, ist unabhängig von der Bussituation, denn samstags ist dort immer die Hölle los. Schreiende Kinder, Kinder, die sich den Servierrobotern von Giovanni L absichtlich in den Weg stellen oder sie liebevoll streicheln, Menschengruppen, die versuchen, sich gegenseitig zu überholen und natürlich auch wieder jene, die völlig unvermittelt im Weg stehenbleiben.

Ich würde sagen, das war eine sachliche Situationsbeschreibung. Schwieriger wird es für mich, wenn es mich selbst betrifft (und ich habe das auch schon bei meinem Bruder erlebt). Älteres Beispiel: Mein Referendariats-Portfolio, in dem ich beschreiben sollte, wie ich die drei Semester erlebt habe. Aus meiner Sichtweise habe ich einfach nur die Fehler im System beschrieben, die mir das Leben während dieser Zeit zur Hölle gemacht haben. Zum Glück hatte ich die Sannitanic als Korrekturleserin, die mir klargemacht hat, dass das extrem anklagend und vorwurfsvoll klingt, und dass es zwar sachlich alles stimmen mag, aber mir definitiv keine Türen bei den Adressaten öffnen wird. 

In dieser Phase befinde ich mich jetzt auch wieder. Ich beschreibe gerade meine berufliche Situation, um das dann an den ÖPR oder die GEW oder die Frau aus dem Ministerium zu schicken, oder übermorgen meinem Sachbearbeiter im Arbeitsamt davon zu erzählen. 

Und wieder ist es so: Ich schreibe alles erstmal gefühlt sachlich auf, aber einen Tag später klingt der Text wie "Unser Schulsystem ist scheiße, ich fühle mich menschenunwürdig behandelt, und das Ministerium trägt die Schuld". Auch hier: Da mag zwar ein Körnchen Wahrheit dran sein, könnte aber das Todesurteil für Unterstützung seitens des Ministeriums sein. Also lasse ich den Text noch etwas garen. Überlege mir, ob wichtige Punkte fehlen, und wie ich ihn freundlicher, hilfesuchender gestalten kann. Dass am Ende der Eindruck bleibt, dass dieser Lehrkraft irgendwie geholfen werden muss.

post scriptum: Es wird mal wieder spannend - Dienstag früh gehe ich in's Bildungsministerium, ich habe einen Termin bei'm Schwerbehindertenbeauftragten. Darauf freue ich mich tatsächlich - vielleicht bekomme ich ein paar Antworten. Bis dahin sollte meine berufliche Situationsbeschreibung also fertig überarbeitet sein ;-)

Donnerstag, 1. Februar 2024

Tag 184 - ...nun also doch?!


Ich werde wahnsinnig. Heute erhalte ich aus dem Ministerium eine Mail, dass ich, befristet bis zum Ende des Schuljahres, nun doch eine Vertretungsstelle an einer Gemeinschaftsschule ohne Oberstufe annehmen kann (warum diese Einschränkung? whatever...) - verbunden mit dem Hinweis, dass mir keine Planstelle entgeht, wenn ich alle zwei Wochen in's pbOn schaue.

Ich bin wütend (und werde deswegen gleich in die Meditation gehen), und zwar aus zwei Gründen:

1) An der Wilhelm-Tanck-Schule in Neumünster hätte ich jetzt eine Vertretungsstelle gehabt, an einer Schule, die zu mir passt und per ÖPNV gut erreichbar ist, die man mir erst verboten hat und die ich nun doch hätte übernehmen können. Nun habe ich immerhin einen Alternativvorschlag bekommen, aber mit anderthalb Stunden Anfahrt. Ich frage mal an der WTS nach, ob noch Bedarf besteht.

2) Ich komme absolut nicht damit klar, wenn ich behandelt werde, als sei ich dumm. Make no mistake: Ich habe ein großes Talent darin, mich dumm anzustellen und einen großen Hang zur Naivität. Aber wieder dieser mitschwingende Ton in der Mail, dass ich nicht wüsste, wie man richtig mit dem pbOn umgeht, macht mich wütend. Ich arbeite mit diesem System seit zwölf Jahren, ich weiß, wie man sich auf eine Planstelle bewirbt (und vor allem, wie man Absagen bekommt).

Jetzt ist wieder geistige Quarantäne angesagt, um mit der aktuellen Situation zurechtzukommen. Und eine Antwortmail zu formulieren, dass ich mich durchaus schon auf Planstellen beworben habe und warum ich mich nicht auf die nächstbeste Planstelle bewerbe, die im System auftaucht.

Tief durchatmen.