Sonntag, 13. Februar 2022

Das Springseil (Kommentar)


Die Kurzgeschichte dreht sich um den Umgang mit Behinderten. Das wird am Ende der Geschichte vielleicht deutlich. Es geht nicht darum, dass die Schülerin Silja nur einen Arm hat; es geht darum, dass der Sportlehrer trotzdem von ihr erwartet, die Springseilprüfung abzulegen - eigentlich ein Irrsinn, natürlich würde niemand von einem einarmigen Menschen erwarten, mit dem Springseil zu springen - aber das ist oftmals genau das, was wir machen, wenn wir mit behinderten Mitmenschen umgehen. Wir erwarten, dass sie sich ein wenig Mühe geben und das Unmögliche möglich machen. Wir denken, sie könnten das schaffen.

Wir schreiben uns Inklusion auf die Fahne, aber Inklusion bedeutet mehr, als nur mit einem behinderten Menschen Umgang zu haben. Und es bedeutet explizit nicht, den Behinderten genau wie alle anderen zu behandeln (weil es ja fair sein soll). Es bedeutet, dass wir selbst uns anpassen müssen, damit der behinderte Mensch das Recht auf Teilhabe und gleichwertige Chancen erleben kann. Das ist bei auffälligen Behinderungen (wie der Einarmigkeit) definitiv leichter als bei Behinderungen, die man nicht sofort bemerkt.

Das ist eine sehr persönliche Geschichte, klar. Sie beruht auf einem Gespräch mit einer Schulleitung vor ein paar Jahren, eine Anekdote, die ich im Blog sicherlich schon irgendwo niedergeschrieben habe: Bei dem Auswahlgespräch hatte ich betont, dass meine autistischen Verhaltensweisen für Probleme sorgen könnten und habe dazu auch konkrete Beispiele genannt. Daraufhin bekam ich diesen Satz zu hören: "Wenn wir schon Inklusion leben wollen, dann gilt das selbstverständlich auch für das Kollegium."

Das ist genau wie in der Kurzgeschichte: Das klingt wunderbar, aber es ist eine Sache, das zu sagen, eine andere dagegen, es umzusetzen. Und so war ich damals bei der Schulleitung mehrfach zum Gespräch gebeten worden, als es dann Zwischenfälle gab - die absehbar waren, fast schon wie angekündigt. Ich habe das dann auch als Argument gebracht und gesagt, dass ich vorgewarnt hatte - autistische Verhaltensweisen können zu diesen Problemen führen. 

Die Antwort habe ich bis heute nicht vergessen: "Ja, aber das geht so nicht, da musst du dich schon ein bisschen anpassen und dir Mühe geben, dass sowas nicht wieder passiert." Das hat mich tief getroffen, mein erster Gedanke war "Aber genau das kann ich eben nicht!" - und ich hatte das Bild eines einarmigen Menschen im Kopf, der eine Aufgabe ausführen soll, für die man beide Arme braucht. So ist diese Geschichte entstanden.

Ich mag damit vielleicht allein dastehen, aber ich denke, wir sollten nicht von dem behinderten Menschen erwarten, dass er sich an uns anpasst - sondern genau umgekehrt. 

Das verstehe ich unter Inklusion.

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