Sonntag, 13. November 2016
Inner Landscapes - Gedanken an Flo
Ich veröffentliche den Titanic-Krimi jeden zweiten Tag weiter (es wird auf acht Kapitel hinauslaufen) und dazwischen gibt es klassisches Blogfutter. Und da der Blog ja auch eine Art Tagebuch darstellt, möchte ich heute meine derzeitige Gedankenwelt in Sachen Flo kundtun.
Mir ist zu Ohren gekommen, dass Flo in diesem Jahr nicht bei den Saturnalien mitmacht. "Warum sollte er auch", mag mir einer entgegenbringen, "er studiert schließlich kein Latein mehr." Das ist zwar ein Grund, aber kein Hindernis. Ich kannte mal einen Flo, der einfach überall mitgemacht hat, der auf jede Party gegangen ist, Hauptsache, er konnte immer da sein, wo gerade etwas los war, und sich dort in Szene setzen. Ich kannte mal einen Flo, der dabei auch ziemlich rücksichtslos war, Verabredungen vergessen oder spontan wieder abgesagt hat, weil etwas Wichtigeres oder einfach Interessanteres dran war. Der sein Studium als Nebensache betrachtet hat zu seinen Prioritäten Party, Frauen, Sport, Auto.
Das ist nicht der Flo, der derzeit bei den Saturnalien nicht mitmacht: Er macht nicht mit, um sich voll auf sein Studium zu konzentrieren. Und ich bin so stolz auf ihn. Ich habe live miterlebt, wie er sich hat gehen lassen, fast schon versumpft ist, und mir hat es wehgetan, aber was hätte ich schon bewirken können. Der Schalter muss im Kopf umgelegt werden, das kann niemand Anderes machen. Ich habe versucht, ihm kleine Denkimpulse zu geben, aber das alles hat nicht gereicht. Manche Menschen lernen es nur auf die harte Tour. Ich bin auch so einer. Ich habe auf die harte Tour gelernt, wie viel ich in unserer Freundschaft falsch gemacht habe - auf die harte Tour insofern, als dass Flo eines Tages die Notbremse gezogen hat. Damals, als wir uns zum ersten Mal unter vier Augen unterhalten hatten, hatte ich ihn vorgewarnt, dass es ein harter Ritt wird, aber er ist hartnäckig geblieben, und bis heute kann ich mir nur teilweise erklären, warum das so war.
Nun lebt Flo zusammen mit seiner Freundin eine Straße weiter, wir könnten uns gegenseitig "Gute Nacht!" zurufen. Das machen wir aber nicht. Das hätte der Flo von früher gemacht. In den Flo von früher hatte ich mich Hals über Kopf verliebt. In diesen Ausbund an Unzuverlässigkeit, Egozentrik, Rücksichtslosigkeit, Naivität... das alles hat mich fasziniert. Ich wollte ihm ein bisschen helfen. Ich wollte in seinem Leben etwas bewirken, ich wollte Fußspuren hinterlassen. Das habe ich auch, und ich weigere mich, zu glauben, dass ich an seiner Veränderung so überhaupt keinen Anteil habe. Dabei habe ich aber auch so starken Druck ausgeübt, dass er auf Abstand gegangen ist. Es hat Monate gedauert, bis ich meine Reue darüber verarbeitet hatte - vor allem, weil ich es in der Zeit damals nie wirklich realisiert habe. Um diesen Fehler wieder gut zu machen, halte ich mich jetzt zurück und versuche, alles zu vermeiden, was erneut Druck auf ihn ausüben könnte. Das wollte ich nie. Da war ich zu blind und zu sehr von mir selbst überzeugt, das Richtige zu tun.
Seine Freundin hat den alten Flo nicht kennengelernt, bzw. nur in Ansätzen. Der Neue hat es ihr angetan, und so leben die beiden glücklich zusammen, und ich freue mich für Flo. Irgendwie wollte ich immer, dass er glücklich ist. Aber nicht dieses falsche, gespielte Glück, das so aufgesetzt war. Sondern ehrlich glücklich. Er hat mir Vieles vorgespielt, weil er im Gegenzug auch wollte, dass ich glücklich bin. Ich habe ihm nie glaubhaft versichern können, dass ich auf die Authentizität meiner Mitmenschen angewiesen bin. Er hat sich von mir verbiegen lassen, und ich dachte immer, ich hätte ihn überzeugt, dass er zu mir zu einhundert Prozent offen und ehrlich sein kann, und so dachte ich auch immer, dass er all das wollte, was wir gemacht haben. Und dass... dass er mich mag. Wirklich verstanden habe ich es allerdings erst, als es zu spät war. Als ich gemerkt habe, was er alles mir zuliebe gemacht hat. Das hat mich in den ersten Wochen unserer Funkstille sehr verstört und ich war sehr traurig. Und als ich es dann irgendwann verarbeitet hatte, wusste ich nicht, ob ich glücklich sein sollte, dass er mich eben doch mochte, oder traurig sein, weil wir das nicht mehr zusammen "erleben" konnten.
Ich liebe Flo genauso wie an dem Tag, als wir uns zum letzten Mal gesehen haben und sehr verstört auseinander gegangen sind, wütend, traurig, hilflos und ohne Umarmung. Und das ist eine Form der Liebe, die ich interessant finde, weil endlich all die oberflächlichen Aspekte weg sind. Nicht mehr das "Verliebtsein". Sondern das Gefühl, dass wir in irgendeiner Form zusammen gehören. Ein Gefühl, das mit der Zeit nur noch stärker wird, anstatt abzuklingen.
Ich trage seit bald zwei Jahren den Anhänger. Ursprünglich war es ein Yin und Yang-Symbol. Weil ich finde, dass es meine Art der Gefühle ganz gut trifft. Flo ist ein Teil von mir und ich ein Teil von ihm. Wir haben einmal festgestellt, das wir nicht richtig miteinander können, aber ohne einander konnten wir erst recht nicht. Von meiner Seite aus war das ernst gemeint; ich weiß nicht, ob es von seiner Seite aus kam, um mich glücklich zu machen. Das werden wir irgendwann herausfinden - aber ich glaube immer noch dran, dass es so ist. Ganz ohne einander geht es eben nicht, und seitdem Flo einen wichtigen Freund in seinem Leben aus den Augen verloren hat, lernt er, was Freundschaft bedeutet. Ich habe ihm das Konzept des Yin und Yang erklärt. Und dann zum Geburtstag habe ich den Anhänger auseinandergebrochen und ihm den weißen Teil geschenkt. Ich weiß nicht, ob er ihn noch hat. Mir tut es gut, dass ich meinen Teil noch habe und immer trage. Denn so spüre ich, dass Flo "da" ist, auch wenn unsere Situation uns derzeit getrennt hält. Und ich zeige damit den Menschen, denen ich begegne: Das bin ich, und da gibt es jemanden, der ein Teil von mir ist und der ein Teil von mir hat.
Und manch' ein Mensch erkennt das Signal. Das kann auch eine Schülerin in der fünften Klasse sein, die fragt "Du Dr Hilarius, wer hat denn den anderen Teil von deinem Yin und Yang-Anhänger?" und ich antworte ihr "Den hat ein Mensch, den ich sehr lieb habe".
Ich sehne mich nach dem Tag, an dem wir uns endlich wieder in den Armen halten können, wie zwei Freunde das eben tun. Ich habe gelernt, ohne Flo zu leben, und es geht mir gut. Der Anhänger und die Fotos von ihm sind immer präsent. Dass es mir ohne Flo gut geht, ändert nichts an einer Tatsache:
Ich möchte ihn eines Tages wieder als Teil meines Lebens betrachten können.
post scriptum: Das muss purer Zufall sein, aber gestern habe ich zum ersten Mal den Film "Die Verurteilten" (The Shawshank Redemption, 1994) gesehen. Tim Robbins, einer der Hauptdarsteller, hebt die Einzigartigkeit des Films hervor, der eine nichtsexuelle Liebesgeschichte zwischen zwei Männern darstellt. Es gibt keinen Sex, keinen Kuss, sondern das große Gefühl der Liebe/Freundschaft. Und ich muss wieder an Flo denken und werde das positive Ende des Films (der seit Jahren auf Platz 1 der IMDb steht) als gutes Omen auffassen, dass auch wir uns irgendwann wieder in den Arm nehmen.
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