Freitag, 28. August 2020

Zug entgleist



Donnerstag. Auf in die Englischstunde!

Ach nee, erst muss ich noch runter in die Lehrmittelbibliothek, denn einige meiner Schüler haben noch nicht ihr Englischbuch erhalten, mal nachfragen, ob ich die von dort direkt bekommen kann. Hoffentlich zerkloppen die Kiddies in der Zwischenzeit nicht ihren Klassenraum, oder ihre Mitschüler. 

Oh, da stehen schon drei Schüler an, dann muss ich wohl einen kleinen Moment warten. Hoffentlich schreit Bernd nicht wieder den ganzen Klassenraum zusammen, hoffentlich wirft Telse nicht wieder die Schulsachen ihrer Mitschüler aus dem Fenster. Hoffentlich bleiben sie alle irgendwie friedlich. 

Natürlich habe ich diese Eventualitäten in meinen Gedankenzug mit eingeplant. Kollateralschäden gehören dazu, Hauptsache, der Ablauf wird nicht irgendwie unterbrochen. Einfach nur unauffällig nachfragen, ob da noch einige Englischbücher übrig sind, dann wieder ab nach oben und der Rasselbande das simple past von (to) be beibringen. Einfach nur.

Und gleich bin ich dran, die Schüler vor mir nehmen Bücherstapel in Empfang, okay, warte mal, heute ist nicht U für die Bibliothek zuständig, sondern A, den habe ich noch nie gesehen, ist das der Mann, der da vorn am Terminal sitzt? Ich kenne ihn nicht... am besten begrüße ich ihn einfach nur mit "Hallo", dann mache ich nichts falsch.

"Und wie kann ich dir helfen?" fragt er zuerst. "Ääähhh... ich bräuchte für meine Englischklasse noch ein paar Orange Line 2-Bücher, da fehlen..." - "Wie ist denn dein Name, und um welche Klasse geht es?" - "Hilarius, Dr. Und es geht um die..." - "Ach, du bist der berühmte Dr Hilarius! Okay, dann wollen..."

Nicht schon wieder! What the...?! Warum "berühmt", was habe ich jetzt schon wieder falsch gemacht? Wo habe ich mich im Ton vergriffen, wo habe ich gegen Regeln verstoßen, was habe ich jetzt schon wieder im Blog gepostet, was da nicht hin sollte? Soll ich mich gedanklich schon mal wieder von der Schule verabschieden? Ich habe noch keinen Schüler zum Weinen gebracht, okay, bei der Schulleitung war ich schon, was habe ich diesmal verpasst? Bisher war es an jeder einzelnen Schule so - sobald mein Status "neu/unauffällig" weg war und es in Richtung bekannt/berühmt/berüchtigt ging, hat es nicht mehr lange gedauert, bis ich die Schule verlassen durfte. Na großartig, und das, wo ich gerade angefangen habe, hinter mich zu blicken und das gesamte Chaos zu betrachten, das sich in den letzten fünf Jahren in meinem Leben angesammelt hat - endlich bereit, das mal in kleinen Schritten wieder zur Normalität zu bringen. Scheiße. Jetzt lass' dir bloß nichts anmerken!

"Alles okay?" - "Ja, sorry, war grad ganz woanders..."

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Immerhin habe ich es dann noch geschafft, die Buchbestellung aufzugeben, aber mein Gedankenzug war damit komplett entgleist, wegen eines einzigen Wortes, und der Rest der Englischstunde war vollkommen... ich kann das noch nicht einmal mehr beurteilen, weil ich geistig nicht mehr ganz anwesend war. Ja, wir hatten "I was" und "you were", und es war auch wieder Schreien und Chaos im Klassenraum da, aber dann war plötzlich Freitagmittag. 

Für Autisten müssen unvorhergesehene Events dieser Art die absolute Hölle sein, und ich fühle mit jedem einzelnen von ihnen. Und ich hoffe mal, dass ich nicht so schnell wieder von dieser Schule gehen muss.

post scriptum: Liebe Eltern, ich weiß, dass Ihr das lest, und ich bin momentan nicht telefonierfähig, also bekommt Ihr auf diesem Wege folgende Info - ich hatte ein wenig Angst, nach dem Problem im Februar, dass auch diesmal wieder die Gehaltszahlung nicht rechtzeitig angewiesen würde, das hat für stressige Momente gesorgt, aber es gibt grünes Licht: Gehalt ist angekommen, alles okay, morgen muss ich das Bad putzen.

Dienstag, 25. August 2020

Förderstatus Emotionale & Soziale Entwicklung

Es ist nicht immer alles einfach im Kopf...


Ich habe neulich gehört, dass an Schulen in Kiel der Förderstatus Emotionale & Soziale Entwicklung nicht mehr anerkannt wird, im Rest des Landes dagegen schon, und das hat in meinem Kopf eine Menge Gedanken ausgelöst. Let's go! Vielleicht wird das ja sogar ein interessanter Artikel.

Zur Erinnerung: Kinder mit einem anerkannten Förderstatus hat man früher in Sonderschulen unterrichtet, heute gilt das Konzept Inklusion und man spricht nicht mehr von Sonderschülern, sondern von I-Kindern. Ich empfinde das als unglaublich bereichernd, und ich unterrichte sehr gern in I-Klassen - denn ich kann an diesen Kindern lernen, wie Menschen auch anders ticken können. Der Unterricht ist herausfordernder als in "normalen" Klassen (Ihr wisst, wie ich das meine), aber eben jene Bereicherung wiegt das Ganze auf.

Ich denke einfach mal, Ihr habt damit schon einmal zu tun gehabt - an Gymnasien vermutlich seltener, denn I-Schüler werden eher für Gemeinschaftsschulen vorgeschlagen - und das finde ich gut, aber ich bin sowieso kein Freund des dreigliederigen Schulsystems mehr. Darum geht es jetzt nicht. Es geht um diesen Förderstatus, der je nach Schule ESE, EmSoz oder wie damals in St.Peter-Ording E/S abgekürzt wird.

Ich würde ja gern eine Art Schablone vorlegen - so und so verhält sich ein E/S-Kind - aber das ist absolut unmöglich. Ich kann nur schildern, welche Verhaltensauffälligkeiten mir in den letzten Jahren untergekommen sind, hinsichtlich der Probleme in der emotionalen und släsch oder sozialen Entwicklung des Kindes.

Diese Kinder haben zum Beispiel Probleme, ihre Wut zu kontrollieren, oder ihre Trauer, oder sie haben in ihrem Kopf gar kein Konzept von "Freude", "Wut" und dergleichen. Vielleicht haben diese Kinder sich einen emotionalen Panzer zugelegt und versuchen krampfhaft, keine Gefühle zu zeigen - oder sie haben es schon perfektioniert. Vielleicht kennen sie das Konzept des "Rücksicht nehmen auf Andere" nicht, vielleicht haben sie keine Vorstellung, was "Meins" und "Deins" bedeutet. Möglicherweise wissen sie überhaupt nicht, wie man eine Unterhaltung führt, ohne den Anderen immerzu zu unterbrechen, oder vielleicht reden sie auch überhaupt nicht. Vielleicht haben sie innerhalb einer einzigen Schulstunde mehrere radikale Stimmungsumschwünge; eben noch weinten sie, dann plötzlich lachen sie wieder und alles ist okay, bis eine Sache schiefgeht und sie einen gewaltigen Wutausbruch erleiden.

Die Gründe dafür können vielfältig sein. Es kann medizinischer Herkunft sein, zum Beispiel im Falle einer bipolaren Affektstörung, bei der Freude und Trauer innerhalb von Sekunden wechseln können; möglicherweise liegt auch eine schizoide Persönlichkeitsstörung vor, die im Kopf des Kindes ein ganz eigenes Bild von der eigenen Rolle und vom Umgang mit anderen Menschen entwirft.

Oder vielleicht - und leider viel zu oft - ist das Kind körperlich, seelisch oder sexuell misshandelt worden. Oder alles zusammen. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit, etwa einmal im Halbjahr, breche ich zuhause in Tränen aus, wenn mir bewusst wird, dass Schüler X deswegen ein so auffälliges Unterrichtsverhalten zeigt, weil er zunächst von seinen leiblichen, danach dann von seinen Pflegeeltern sexuell missbraucht worden ist. Es reicht aber auch schon der Hang zu Ohrfeigen, psychische Erpressung ("Wenn du nicht still bist, dann habe ich dich nicht mehr lieb!"), Vernachlässigung - es gibt unzählige Auslöser für eine Störung in der emotionalen und sozialen Entwicklung des Kindes.

Und das ist der Punkt, an dem mir wieder klar wird, wie viele Schüler eigentlich einen Förderstatus E/S erhalten müssten - denn sie brauchen Hilfe, und die werden sie oft nicht von zuhause bekommen. Diese Kinder haben mitunter ernsthafte Probleme, die man ihnen nicht spontan ansieht, mit denen ihnen aber geholfen werden muss. Und deswegen ist es für mich völlig unverständlich, warum es in ganz Schleswig-Holstein den Förderstatus Emotionale und Soziale Entwicklung gibt, er in Kiel allerdings nicht (mehr?) anerkannt wird.

Habt Ihr schon einmal E/S-Kinder unterrichtet?

Donnerstag, 20. August 2020

Die Ruhe


Aspis brauchen in regelmäßigen Abständen Ruheinseln. Sie nehmen audiovisuelle Impulse sehr intensiv wahr und schaffen es manchmal nicht, sie schnell genug im Kopf "abzuarbeiten" - zu überlegen, woher dieses Geräusch nun kam, oder wie die Antwort auf jene Frage ist, oder warum Klaus heute Hosenträger hat. Es kann ganz schnell zu einer Überforderung kommen, verbunden mit einer Art Erstarrung: Der Kopf denkt überhaupt nicht mehr weiter, weil einfach zu viele Dinge auf ihn einprasseln, auf einmal sind rundherum nur noch Geräusche und Stimmen, die keinen Sinn mehr ergeben. In solchen Phasen ist es für einen Aspi wichtig, eine Möglichkeit zur Ruhe zu finden. Eine Atmosphäre, in der keine neuen Geräusche, Menschen, Wörter et cetera auftreten.

Mir geht das auch so, und das ist ein Aspi-Symptom, was sich nicht mit Hochbegabung übertünchen lässt. Wenn, dann wird es dadurch sogar noch verstärkt, und vielleicht kennen ein paar HBs unter Euch diesen "Zuviel-Input". Oder vielleicht liegt es eben doch nur am Autismus. Jedenfalls bin ich sehr froh, dass meine Schule einen Ruheraum für Lehrkräfte hat. Es ist meine siebte Schule, aber erst die zweite mit einer solchen Einrichtung; das kannte ich zuvor nur aus Neumünster.

Ich finde diesen Ruheraum wunderbar. Er liegt im Keller, wo sich keine Hitze staut, seine Fenster zeigen nach Norden, so dass er nicht durch die Sonne aufgeheizt wird, er hat eine gut isolierte Tür, durch die nicht viele Geräusche dringen. Innen befinden sich verschiedene Sessel und Liegen, sowie ein Berg an Kissen und Decken, und zwei dekorative Paravents für die richtige Atmosphäre. Heute habe ich gemerkt, wie gut es mir tut, an einem Neun-Stunden-Tag in den Freistunden einfach dort hinunter zu gehen, mich hinzulegen, einen Wecker zu stellen und wegzudösen, oder einfach nur zum Lesen dorthin zu gehen. 

Ich dachte immer, ich müsste Freistunden im Stundenplan ganz grausig finden, denn da sei mein Kopf unterfordert, es sei für mich quasi verschwendete Zeit. Jetzt, da ich zwei sechste Klassen unterrichte, bin ich heilfroh, die Ruhe zwischendurch genießen zu können, denn leider geht in diesen Jahrgangsstufen mein Kopf sehr schnell auf overload und Blockade. In St.Peter-Ording hatten wir keinen Ruheraum - zumindest nicht, dass ich wüsste - aber dort waren die Freistunden auch sehr sinnvoll; meistens bin ich in's Sekretariat getingelt und habe ein bisschen durch die Schülerakten gestöbert. Ich könnte mir gut vorstellen, dass das an meiner jetzigen Schule auch bald wieder losgeht.

Denn egal, wie chaotisch dieser Start in das Schuljahr sein mag - ich fühle mich an der Schule sehr wohl und habe endlich wieder das Gefühl, dass es sich lohnt, Zeit in die Schule zu investieren.

Mittwoch, 19. August 2020

Arschkirmes


So, bei dieser Überschrift erwarte ich, dass sich bald besorgte Eltern bei der Schulleitung melden, DrH könnte ja seine Schüler schlagen. Zumindest sollte mich das nicht wundern; als ich vor einiger Zeit einen Artikel über Leni Riefenstahl geschrieben habe, kamen besorgte Anrufe bei der Schulleitung, ob ich vielleicht ein rechtsextremer Lehrer sei. Ich sage gar nichts weiter dazu.

Naja, fast nichts. Ich schlage meine Schüler nicht. So viel Zeit muss sein. Auch wenn ich manchmal vor der Klasse stehe und denke, so, Klaus hätte jetzt echt eine Ladung Arschkirmes verdient. Oder andere unsagbare Dinge; das kann in jeder Klasse passieren. Nur in Klasse sieben bis neun irgendwie nie. Und auch darüber nicht. Whatever.

Das soll auch eigentlich nur in die Richtung gehen, dass ich heilfroh bin, dass sich die zweite Schulwoche langsam dem Ende zuneigt. Anstrengend ist es ja so oder so, aber mit Maskenpflicht und Hitze und genervten Schülern, die sich nicht an die Regeln halten, und gewaltigen Fachrückständen und dem Coronavirus, und dann hat heute auch noch Er Geburtstag.

Ja ja, heute ist Er dran und eigentlich sollte Er heute einen Geburtstagsgruß im Briefkasten haben (in dem ich ihm wieder einmal schreibe, dass Er sich jederzeit bei mir melden kann und dass ich mich auf irgendwann freue). Hat Er aber nicht, weil ich den heute erst aufnehmen werde. Auch für die Sannitanic liegen hier seit drei Wochen Sachen rum, die ein so komisches Format haben, dass ich noch herausfinden muss, wie ich die am besten verschicke. Ich fange nur sehr langsam wieder an zu funktionieren - aber immerhin. 

Kommt gut in Richtung Wochenende!

Donnerstag, 13. August 2020

KAH-ma-la

Eben aus der Meditation zurückgekehrt, ist mein erster Gedanke, dass ich morgen, an meinem freien Tag, unbedingt in die Schule möchte. Ich könnte jetzt über die ersten Tage des neuen Schuljahres schreiben. Darüber, wie ich zwei Tage ohne Telefon und Internet auskommen musste. Ich könnte über's Schwitzen unter Masken schreiben, und ich könnte auch stolz davon berichten, dass sich bei uns fast alle Schüler an die Regeln halten, jedenfalls besser als im Kieler Busverkehr. Ich könnte berichten, dass mir heute ein Schüler erklärt hat, dass Männer eigentlich einen normalen Gang haben, dass Frauen aber alle mit einem Hohlkreuz gehen und den Arsch rausstrecken. Auch könnte ich hüpfenden Herzens von dem tollen Gefühl berichten, die bekannten Kollegen und Schüler wiederzusehen, was für mich tatsächlich besonders wäre, denn einen Schuljahreswechsel an ein- und derselben Schule hatte ich nur sehr, sehr selten. Natürlich könnte ich dann auch berichten davon, wie ich das Trinken vergesse, weil mein Kopf komplett "in den Schülern" drin ist. Ich könnte von der chaotischen ersten Woche erzählen, die wahrscheinlich nicht mehr oder weniger chaotisch ist als an anderen Schulen auch. Könnte ich - mache ich aber nicht.

Stattdessen möchte ich einen kurzen Kommentar zu einer Entwicklung in den USA abgeben. Joe Biden, designierter Bewerber um das Amt des Präsidenten, hat sich als running mate Kamala Harris in's Boot geholt. Aussprache beachten: KAH-ma-la. Sollte Biden im November also tatsächlich zum Präsidenten gewählt werden, würde Harris Vizepräsidentin, und das ist aus mehreren Gründen relevant, wichtig und eine richtige Entscheidung.

Eine schwarze Frau in der hohen Politik der USA, das ist wirklich dringend nötig, damit die Staaten sich endlich vom allzu konservativen, ewiggestrigen Beigeschmack der old white men verabschieden können. Sicher, Biden ist ein old white man, aber denken wir vier Jahre weiter: Biden wäre bei seiner Wiederwahl über achtzig Jahre alt, und es steht zu erwarten, dass er eine zweite Amtszeit nicht übernehmen wird, sondern stattdessen Kamala Harris sich um die Präsidentschaft bewerben würde - was sie auch in diesem Jahr versucht hatte, allerdings aussichtslos gegen die anderen Kandidaten.

Harris wäre das, was unsere Merkel gewesen ist - endlich eine Frau an der Spitze des Staates - aber noch mit Upgrade, denn diese Frau ist schwarz, ihre Eltern stammen aus Jamaica und Indien. Es wäre endlich mal ein Zeichen für progressive Vereinigte Staaten. Außerdem könnte Harris auch schon als Bidens Vize Wählergruppen ansprechen, die sich von einem Pommesbaby namens Donald Trump abgehängt fühlen, und das sind nicht wenige.

Ich habe Harris vor vielen Monaten in der Anhörung Brett Kavanaughs um den Posten im supreme court als kampflustig, bissig und no-nonsense erlebt. Ein bisschen erinnert sie mich in der Hinsicht an Julia Wuttke. Vielleicht möchte ich deswegen, dass es klappt. 

In ein paar Monaten sind wir schlauer.

Montag, 10. August 2020

MasssskHÄH!!!


Vielleicht hat es ja bei Euch besser funktioniert. Ich hatte nur vier Stunden heute, eine davon Freistunde, und trotzdem hat es gereicht und am Ende waren drei Masken komplett durch. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie ich den Donnerstag mit neun Stunden herumbringen soll. Und auch die anderen kleinen Beobachtungen waren faszinierend: Wie die Schüler zu Stundenbeginn am Waschbecken Schlange stehen, um sich die Hände zu waschen, während einer nach dem anderen seine zwei Happy Birthdays singt. Wie man die Schüler auf den Schulhof schicken muss, damit sie etwas essen oder trinken können. Wie die Laufrichtungen in der Schule faszinierenderweise wesentlich konsequenter - fast schon korrekt - eingehalten wurden als zum Beispiel im Sophienhof. Wie um die Mittagszeit alle ziemlich geschafft aussehen, nicht nur die sechste Klasse in der sechsten Stunde mit sechsunddreißig Grad im Klassenraum.

Sicherlich, das sind Extremsituationen, die werden nicht ewig andauern - aber eben doch noch eine ganze Weile, und für die Kiddies kann das echt hart sein, so dass ich versuche, ihnen so viel wie möglich, aber eben auch nur so wenig wie nötig pro Schultag einzuhämmern.

Wie waren Eure Erfahrungen am ersten Schultag? Ist alles reibungslos gelaufen? Sind Schüler aus den Latschen gekippt? Und wie ist es mit eventuellen inhaltlichen Rückständen, können die gut aufgeholt werden? Ich sehe etwas erleichtert, dass die ersten Units der Englischbücher so viel Wiederholungen enthalten, dass dort quasi alles im letzten Halbjahr gelernt sein Sollende eingeübt werden kann und wir mit einem normalen Tempo arbeiten können. Wie sind Eure (eventuell) neuen Lerngruppen? Ich habe in diesem Schuljahr mit zwei neuen Lernausgangslagen zu tun, Schüler, die fast blind oder fast taub sind, ich bin so gespannt, wie ich an der Aufgabe wachsen kann, und ich freue mich über die dazugehörigen (für mich) neuen Schulbegleitungen. Meine Gruppengrößen sind sechzehn, siebzehn, zwanzig und sechsundzwanzig, das könnte richtig schön werden.

Wenn wir denn diese Phase ohne Verdursten überstehen ;-)

Sonntag, 9. August 2020

...und zweitens, als man denkt.


Ich bin sehr dankbar für eine Stundenplanänderung, die gestern an das Kollegium verschickt wurde. Eigentlich gäbe es Grund zur Verwirrung, Grund zu Blockade. Meine Stunden sind noch genau dieselben, allerdings ist eine meiner Lerngruppen ausgetauscht worden. Das ist schade, denn das war eine, die ich schon kannte und auf die ich mich sehr gefreut hatte. Nun kommt also eine neue Gruppe in den Plan. Das sind dann also neue Gesichter, die ich mich ihren Eigenheiten erstmal neu kennenlernen muss. Das wird eine ganze Zeit dauern - aber in dieser Corona-gebeutelten Phase werden die Uhren sowieso anders ticken.

Das ist also eine grundlegende, spontane Änderung, müsste ich mich darüber nicht eigentlich aufregen? Oder betrübt sein? Oder so verwirrt, dass ich nichts mehr mache? Für einen kleinen Moment war ich das tatsächlich, aber ich lerne ja immer weiter, und so zum Beispiel auch, dass ich allen höchst dankbar sein soll, darunter auch für solche unpraktischen Situationen, weil sie mir ein Potential zur persönlichen Weiterentwicklung bieten, eine Chance, mein Lojong zu praktizieren.

Es mag sehr einfach sein, diesen Satz auswendig zu lernen, und noch einfacher, ihn bei jeder Gelegenheit aufzusagen - Nichts ist entspannender, als das anzunehmen, was kommt. - aber ihn wirklich zu verinnerlichen, den eigenen Geist, das eigene Denken und Handeln danach auszurichten, das ist überhaupt nicht einfach, und auch ich habe damit immer noch zu kämpfen. Aber ich versuche voranzukommen, Tag für Tag. 

Und so freue ich mich auf die neuen Gesichter, die mich morgen in der Schule begrüßen werden, verborgen hinter ihren Schutzmasken. Kommt gut rein!

Samstag, 8. August 2020

"Erst werden Sie gebacken..."

 

"...und dann gibt es Kuchen!"

Das ist kein Tippfehler mit dem großen S in der Überschrift, diese Stimme sagt tatsächlich zu mir, dass ich gebacken werde, und dann gibt es Kuchen. Diese Stimme stammt aus einem Videospiel, anhand dessen man sehr gut das Konzept Absurde Literatur erklären kann (Portal). Ich habe mich im Englischstudium sehr für das Absurde interessiert, und wer ein exemplarisches Theaterstück erleben oder lesen möchte, dem empfehle ich Arthur Kopits Oh Dad, Poor Dad, Momma's Hung You In The Closet And I'm Feelin' So Sad (1959). In diesem Beitrag geht es aber weder um Videospiele noch Literatur, dafür tatsächlich um Kuchen. Genauer gesagt, um das Backen, denn ich fühle mich gerade, als würde ich gebacken.

Die Thematik ist altbekannt, Hochsommer in einer Dachgeschosswohnung, aber sie bietet einen neuen Blickwinkel - den Aspi-Faktor. Als ich hier eingezogen bin, hatte ich überhaupt keine Probleme mit der Sommerhitze in der Wohnung. Attwood sagt mir, dass Aspis erstaunlich unempfindlich gegenüber Hitze und Kälte sein können. Und wo sollte das Problem sein? Ich lege einfach alle Sitzflächen mit Handtüchern aus, um den Schweiß aufzunehmen, fertig. 

Zwei Jahre hat es gebraucht, bis ich Sonnenschutzfolien für die Fenster entdeckt habe. Einmal auf die Fenster geklebt, reflektieren sie einen Großteil der Wärme und der Effekt ist spürbar. Drei weitere Jahre hat es gedauert, bis ich auf die Idee gekommen bin, dass ich mir einen Ventilator in die Wohnung stellen könnte - und das, obwohl die große Buba mir so oft davon erzählt hat, wie gut ihr der Ventilator in ihrer Wohnung tut. Das nehme ich zur Kenntnis, aber komme nicht auf die Idee, dass das auch mir helfen könnte. Typisch für diese Behinderung: Es gibt ein Problem, die Lösung liegt auf der Hand, aber der Aspi kommt nicht drauf, diese Lösung anzunehmen. 

Oder überhaupt nach einer Lösung zu suchen; Sommer Dachgeschoss Wohnung Erfrischung bei Google einzugeben, würde sicherlich sofort praktische Tipps gebracht haben. Auch typisch Aspi: Er erkennt oft gar nicht, dass es überhaupt ein Problem gibt. Die ersten zwei Jahre bin ich hier in der Wohnung geschmolzen, aber dachte mir, dass ich doch wunderbar damit klarkomme, warum also sollte ich etwas ändern?

Ich schreibe diesen Artikel, weil ich dieser Tage die Wasser-Sprühflasche wiederentdeckt habe. Es tut unglaublich gut, auf die heiße Haut etwas Sprühnebel zu geben, dessen Verdunstung dann angenehm kühlt, gerade im Ventilatorwind. So einfach, hätte ich schon längst haben können, aber nein, ich sehe ja überhaupt kein Problem in der Situation. 

Hoffentlich kommt Ihr einigermaßen frisch durch die Hitzewelle!

Freitag, 7. August 2020

Kleiner Stundenplan - Große Wirkung

Erste Dienstversammlung im neuen Schuljahr überstanden - erst jetzt fühle ich mich sicher, dass ich tatsächlich ein weiteres Jahr bleiben darf. Erst jetzt, wo ich meinen neuen Stundenplan vor mir sehe, kann ich das - wortwörtlich - begreifen, und das macht einen riesigen Unterschied zum Anfang der Woche.

Wenn auch die Unsicherheit da ist: Der Großteil der Kollegen trägt Maske, aber eben nicht alle, obwohl gestern Abend unser Hygienekonzept rumgegangen ist, in dem Maskenpflicht bei uns zumindest bis zum Vierundzwanzigsten vorgesehen ist. Und dann noch so viele neue Gesichter - die ich mir sicherlich nicht alle merken kann [und so viele mit Englisch - war schon immer Massenfach an der Uni, und trotzdem gibt es immer einen großen Mangel].

Welche große Wirkung hat dieser Stundenplan nun also? Zunächst einmal macht er mich sehr glücklich; der freie Tag hängt am Wochenende, und so kann ich mir die Woche wieder aufteilen in einen Schul- und einen freien Block. Mir hilft das, weil mein Kopf das Konzept Feierabend nicht kennt. Der gesamte Tag ist entweder Arbeit oder frei.

Bemerkenswerter ist aber, dass ich jetzt endlich mein Unterrichtskonzept planen kann. Klar, das hätte ich schon längst machen können, aber da steht mir mein Kopf im Weg: Wenn ich keine Sicherheit habe, welche Lerngruppen ich unterrichten kann, plane ich nichts. Typisch Aspi. Ohne Sicherheiten ist es, als ob eine gedankliche Handbremse angezogen ist, ich komme dann nicht voran, verbleibe in meiner Starre und verbringe meine Zeit mit Videospielen, Filmen und dem Lernen des Buddhismus - Dinge, die mir Sicherheit geben. Insofern mag das nur ein kleiner Stundenplan sein, aber die Wirkung insofern ist groß, als dass für mich nun das neue Schuljahr startet.

Seid Ihr mit Euren Stundenplänen zufrieden? Und wenn ja, warum nicht? Und wie sieht Euer Hygienekonzept aus? Kommentare sind herzlich willkommen!

Dienstag, 4. August 2020

Der Melissenwald


Mein Badreich ist um eine Zone reicher geworden: Nachdem ich Melisse Etheridge in den Pflanzkasten umgesetzt hatte, hat sie dort tatsächlich Fuß gefasst, ihre Wurzeln noch weiter ausgebreitet und ist in die Höhe und Breite geschossen - so sehr, dass deutlich weniger Tageslicht in's Bad kommt. Das passt mir aber ganz gut, denn ich habe ja das blaue Stimmungslicht, das per Bewegungsmelder eingeschaltet wird, die olle Areté hätte mal wieder ihren Spaß.

Irgendwie ist es ein sehr angenehmes Gefühl, mit der Hand über die vielen großen Melissenblätter zu streichen. Auf ihnen ist eine Vielzahl kleiner Härchen, fast schon flauschig, und wenn man mit ein wenig Druck an ihnen reibt, riechen die Finger frisch nach Zitrone, das ist toll. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Pflanze mein Bad derart bereichern würde, und das gibt mir die Motivation, auch noch eine dritte Pflanze dort wachsen zu lassen. Ich habe ein Bild davon im Kopf, jetzt muss ich nur noch die passende Pflanze dafür finden. 

Ich kann nicht erklären, warum, aber dieses Konzept von Natur im Bad finde ich gut passend, die Pflanzen produzieren Sauerstoff, es duftet frisch, jetzt muss ich es nur noch schaffen, regelmäßig zu gießen, denn Melisse säuft wie ein Loch; ich hätte nicht gedacht, dass sie zu einer Wasserholikerin wird. Immerhin hat sie sich mit Chuck die Pflanze gut angefreundet, so darf das gern weitergehen!

Sonntag, 2. August 2020

Die Dummheit kann uns keiner nehmen!


Wenn Ihr heute Abend die Nachrichten verfolgt, dann werdet Ihr von einer Demonstration in Berlin erfahren. Weit über zehntausend Menschen sind gegen die Schutzmaßnahmen zur Corona-Pandemie auf die Straße gegangen (auch wenn die Veranstalter währenddessen von Eins Komma Drei Millionen Menschen sprachen, ist ja nur ganz knapp daneben), ohne Mindestabstand, ohne Masken, dafür mit irren Parolen wie "Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit" oder, noch abstruser, "Wir sind die zweite Welle". Coronaleugner, Impfgegner, Linksradikale, Rechtsradikale, Esoteriker, Sich-Abgehängt-Fühlende, die Menschenmenge schien ein Pasticchio aus Gesinnungen zu sein.

Bin ich überrascht oder gar fassungslos? Nicht im geringsten; diese Krise zeigt nur, dass Menschen immer auch zur Unvernunft neigen, nur tritt es in einer solchen Situation noch viel stärker hervor als in normalen Zeiten. Ich lasse es generell nicht gelten, wenn mir jemand sagt "Ach, das sind doch nur Einzelne, die sich nicht daran halten". Ich kann weiterhin meine Quote von drei bis fünf Fahrgästen pro Busfahrt bestätigen, die die Maske nicht oder nur teilweise tragen, ich sehe Anpöbelungen, wenn sie auf dieses Versäumnis angesprochen werden, ich sehe Ignoranz oder Blindheit gegenüber den Laufrichtungen in Einkaufszentren. Sicher: Die Mehrheit der Menschen hält sich an die Regeln zur Eindämmung der Pandemie, es ist - bisher - immer eine Minderheit, die sie ignoriert, aber leider eine sehr hartnäckige Minderheit.

Bin ich deswegen wütend? Nicht mehr so wirklich; anfangs habe ich mich über jedes neue Phänomen des Widerstands ein wenig aufbringen können, aber ich arbeite wirklich intensiv daran, das buddhistische Denken zu verinnerlichen, in dem Wut keinen Platz, beziehungsweise keinen Anlass hat. Wem könne außerdem damit geholfen sein, dass ich wütend werde und meinen Blutdruck hochtreibe?

Bin ich also deswegen traurig? Vielleicht ein wenig ernüchtert darüber, dass so viele Menschen nicht erkennen wollen, dass ihre Gesundheit und letztlich vielleicht sogar ihr Leben auf dem Spiel steht, wie auch das ihrer Mitmenschen.

Habe ich denn dafür Verständnis? Ich versuche, es aufzubringen. Die Corona-Schutzmaßnahmen sind ein Eingriff in die persönliche Freiheit des Menschen, mir werden Verhaltensweisen verboten, die normalerweise vollkommen in Ordnung sind. Womöglich glaube ich sogar den Verschwörungstheorien, die zahlreich im Internet und in der Bevölkerung kursieren, und kann deswegen erst recht nicht verstehen, warum ich meinen Lebensstil einschränken sollte, wenn es doch keinen Anlass dafür gibt. Sehr viele Menschen denken tatsächlich, dass es sich bei Corona um einen Schwindel handelt; sie klammern sich an jeden Strohhalm, um für ihre Freiheit zu kämpfen. Irgendwie versuche ich tatsächlich, das zu verstehen, und deswegen muss man eigentlich auf diese Demonstrationen gehen und mit dem Menschen reden, so wie es zum Beispiel Dunja Hayali versucht hat; auf ihrem Twitter-Account findet sich ein Video von der Demo, das sehr anschaulich zeigt, wes Geistes Kind die Menschen dort vor Ort sind, und einige dieser Menschen sind ernsthaft verzweifelt. Da hilft nur Aufklärung.

Natürlich ist der Begriff Dummheit für dieses Verhalten reißerisch und abwertend (aber nicht so schlimm wie SPD-Eskens Begriff Covidioten), aber letztlich ist es das doch irgendwo, oder? Und jeder von uns hat das Potential dazu, nur vielleicht nicht immer in einem Corona-Zusammenhang. Ich habe hier im Blog schon einmal darüber geschrieben, doch dieses Großevent in Berlin zeigt mir schon wieder: Diese Dummheit kann uns keiner nehmen. Manche Menschen lernen erst, wenn sie auf der Intensivstation liegen. Oder im Grab. Manche Menschen lernen es gar nicht.