Sonntag, 2. August 2020

Die Dummheit kann uns keiner nehmen!


Wenn Ihr heute Abend die Nachrichten verfolgt, dann werdet Ihr von einer Demonstration in Berlin erfahren. Weit über zehntausend Menschen sind gegen die Schutzmaßnahmen zur Corona-Pandemie auf die Straße gegangen (auch wenn die Veranstalter währenddessen von Eins Komma Drei Millionen Menschen sprachen, ist ja nur ganz knapp daneben), ohne Mindestabstand, ohne Masken, dafür mit irren Parolen wie "Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit" oder, noch abstruser, "Wir sind die zweite Welle". Coronaleugner, Impfgegner, Linksradikale, Rechtsradikale, Esoteriker, Sich-Abgehängt-Fühlende, die Menschenmenge schien ein Pasticchio aus Gesinnungen zu sein.

Bin ich überrascht oder gar fassungslos? Nicht im geringsten; diese Krise zeigt nur, dass Menschen immer auch zur Unvernunft neigen, nur tritt es in einer solchen Situation noch viel stärker hervor als in normalen Zeiten. Ich lasse es generell nicht gelten, wenn mir jemand sagt "Ach, das sind doch nur Einzelne, die sich nicht daran halten". Ich kann weiterhin meine Quote von drei bis fünf Fahrgästen pro Busfahrt bestätigen, die die Maske nicht oder nur teilweise tragen, ich sehe Anpöbelungen, wenn sie auf dieses Versäumnis angesprochen werden, ich sehe Ignoranz oder Blindheit gegenüber den Laufrichtungen in Einkaufszentren. Sicher: Die Mehrheit der Menschen hält sich an die Regeln zur Eindämmung der Pandemie, es ist - bisher - immer eine Minderheit, die sie ignoriert, aber leider eine sehr hartnäckige Minderheit.

Bin ich deswegen wütend? Nicht mehr so wirklich; anfangs habe ich mich über jedes neue Phänomen des Widerstands ein wenig aufbringen können, aber ich arbeite wirklich intensiv daran, das buddhistische Denken zu verinnerlichen, in dem Wut keinen Platz, beziehungsweise keinen Anlass hat. Wem könne außerdem damit geholfen sein, dass ich wütend werde und meinen Blutdruck hochtreibe?

Bin ich also deswegen traurig? Vielleicht ein wenig ernüchtert darüber, dass so viele Menschen nicht erkennen wollen, dass ihre Gesundheit und letztlich vielleicht sogar ihr Leben auf dem Spiel steht, wie auch das ihrer Mitmenschen.

Habe ich denn dafür Verständnis? Ich versuche, es aufzubringen. Die Corona-Schutzmaßnahmen sind ein Eingriff in die persönliche Freiheit des Menschen, mir werden Verhaltensweisen verboten, die normalerweise vollkommen in Ordnung sind. Womöglich glaube ich sogar den Verschwörungstheorien, die zahlreich im Internet und in der Bevölkerung kursieren, und kann deswegen erst recht nicht verstehen, warum ich meinen Lebensstil einschränken sollte, wenn es doch keinen Anlass dafür gibt. Sehr viele Menschen denken tatsächlich, dass es sich bei Corona um einen Schwindel handelt; sie klammern sich an jeden Strohhalm, um für ihre Freiheit zu kämpfen. Irgendwie versuche ich tatsächlich, das zu verstehen, und deswegen muss man eigentlich auf diese Demonstrationen gehen und mit dem Menschen reden, so wie es zum Beispiel Dunja Hayali versucht hat; auf ihrem Twitter-Account findet sich ein Video von der Demo, das sehr anschaulich zeigt, wes Geistes Kind die Menschen dort vor Ort sind, und einige dieser Menschen sind ernsthaft verzweifelt. Da hilft nur Aufklärung.

Natürlich ist der Begriff Dummheit für dieses Verhalten reißerisch und abwertend (aber nicht so schlimm wie SPD-Eskens Begriff Covidioten), aber letztlich ist es das doch irgendwo, oder? Und jeder von uns hat das Potential dazu, nur vielleicht nicht immer in einem Corona-Zusammenhang. Ich habe hier im Blog schon einmal darüber geschrieben, doch dieses Großevent in Berlin zeigt mir schon wieder: Diese Dummheit kann uns keiner nehmen. Manche Menschen lernen erst, wenn sie auf der Intensivstation liegen. Oder im Grab. Manche Menschen lernen es gar nicht.

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