Dienstag, 25. August 2020

Förderstatus Emotionale & Soziale Entwicklung

Es ist nicht immer alles einfach im Kopf...


Ich habe neulich gehört, dass an Schulen in Kiel der Förderstatus Emotionale & Soziale Entwicklung nicht mehr anerkannt wird, im Rest des Landes dagegen schon, und das hat in meinem Kopf eine Menge Gedanken ausgelöst. Let's go! Vielleicht wird das ja sogar ein interessanter Artikel.

Zur Erinnerung: Kinder mit einem anerkannten Förderstatus hat man früher in Sonderschulen unterrichtet, heute gilt das Konzept Inklusion und man spricht nicht mehr von Sonderschülern, sondern von I-Kindern. Ich empfinde das als unglaublich bereichernd, und ich unterrichte sehr gern in I-Klassen - denn ich kann an diesen Kindern lernen, wie Menschen auch anders ticken können. Der Unterricht ist herausfordernder als in "normalen" Klassen (Ihr wisst, wie ich das meine), aber eben jene Bereicherung wiegt das Ganze auf.

Ich denke einfach mal, Ihr habt damit schon einmal zu tun gehabt - an Gymnasien vermutlich seltener, denn I-Schüler werden eher für Gemeinschaftsschulen vorgeschlagen - und das finde ich gut, aber ich bin sowieso kein Freund des dreigliederigen Schulsystems mehr. Darum geht es jetzt nicht. Es geht um diesen Förderstatus, der je nach Schule ESE, EmSoz oder wie damals in St.Peter-Ording E/S abgekürzt wird.

Ich würde ja gern eine Art Schablone vorlegen - so und so verhält sich ein E/S-Kind - aber das ist absolut unmöglich. Ich kann nur schildern, welche Verhaltensauffälligkeiten mir in den letzten Jahren untergekommen sind, hinsichtlich der Probleme in der emotionalen und släsch oder sozialen Entwicklung des Kindes.

Diese Kinder haben zum Beispiel Probleme, ihre Wut zu kontrollieren, oder ihre Trauer, oder sie haben in ihrem Kopf gar kein Konzept von "Freude", "Wut" und dergleichen. Vielleicht haben diese Kinder sich einen emotionalen Panzer zugelegt und versuchen krampfhaft, keine Gefühle zu zeigen - oder sie haben es schon perfektioniert. Vielleicht kennen sie das Konzept des "Rücksicht nehmen auf Andere" nicht, vielleicht haben sie keine Vorstellung, was "Meins" und "Deins" bedeutet. Möglicherweise wissen sie überhaupt nicht, wie man eine Unterhaltung führt, ohne den Anderen immerzu zu unterbrechen, oder vielleicht reden sie auch überhaupt nicht. Vielleicht haben sie innerhalb einer einzigen Schulstunde mehrere radikale Stimmungsumschwünge; eben noch weinten sie, dann plötzlich lachen sie wieder und alles ist okay, bis eine Sache schiefgeht und sie einen gewaltigen Wutausbruch erleiden.

Die Gründe dafür können vielfältig sein. Es kann medizinischer Herkunft sein, zum Beispiel im Falle einer bipolaren Affektstörung, bei der Freude und Trauer innerhalb von Sekunden wechseln können; möglicherweise liegt auch eine schizoide Persönlichkeitsstörung vor, die im Kopf des Kindes ein ganz eigenes Bild von der eigenen Rolle und vom Umgang mit anderen Menschen entwirft.

Oder vielleicht - und leider viel zu oft - ist das Kind körperlich, seelisch oder sexuell misshandelt worden. Oder alles zusammen. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit, etwa einmal im Halbjahr, breche ich zuhause in Tränen aus, wenn mir bewusst wird, dass Schüler X deswegen ein so auffälliges Unterrichtsverhalten zeigt, weil er zunächst von seinen leiblichen, danach dann von seinen Pflegeeltern sexuell missbraucht worden ist. Es reicht aber auch schon der Hang zu Ohrfeigen, psychische Erpressung ("Wenn du nicht still bist, dann habe ich dich nicht mehr lieb!"), Vernachlässigung - es gibt unzählige Auslöser für eine Störung in der emotionalen und sozialen Entwicklung des Kindes.

Und das ist der Punkt, an dem mir wieder klar wird, wie viele Schüler eigentlich einen Förderstatus E/S erhalten müssten - denn sie brauchen Hilfe, und die werden sie oft nicht von zuhause bekommen. Diese Kinder haben mitunter ernsthafte Probleme, die man ihnen nicht spontan ansieht, mit denen ihnen aber geholfen werden muss. Und deswegen ist es für mich völlig unverständlich, warum es in ganz Schleswig-Holstein den Förderstatus Emotionale und Soziale Entwicklung gibt, er in Kiel allerdings nicht (mehr?) anerkannt wird.

Habt Ihr schon einmal E/S-Kinder unterrichtet?

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