Freitag, 23. Februar 2018

Quengeltheke reloaded

Das Quengelregal an der Supermarktkasse - überfrachtet mit Schokoriegeln und Konsorten - scheint nicht nur Kinder anzuziehen...

Im Kieler Sophienhof kann man immer wieder interessante, nervenzerfetzende und witzige Abenteuer erleben, wie zum Beispiel Schnellkasse 2 - Die Kontrollwaage schlägt zurück. Oh mein Gott, ich lache mich gerade schon wieder scheckig, wenn ich die Story von damals lese. Hüdora-Atlantis-Mareike, Scheißhunde, Kotzkinder und Scangeilheit - WAS um alles in der Welt geht in diesem kranken Kopf vor??? Drollig ist, dass auch der heutige Vorfall wieder im EDEKA im Sophienhof spielt. Dort muss sich irgendeine geheimnisvolle Macht befinden, die Menschen durchdrehen lässt.

Ich wollte doch nur eben Joghurt einkaufen, der allerdings ganz hinten im Laden steht, gemessen an den Ausmaßen dürfte das nicht mehr Sophienhof sein, sondern schon halb unter dem Südfriedhof. Und wenn ich mir die genervten Mütter anschaue, mit ihren Tränensäcken unter den Augen, mit den Augenringen, müde und kaputt, nicht einmal mehr in der Lage, ihre Kinder beisammen zu halten, dann scheint mir sehr plausibel, dass ein paar Gräber sich kurz vor Ladenöffnung ebenfalls mit aufgetan haben und genervte Hausfrauen in den Supermarkt gespült haben.

Ich hätte ahnen müssen, dass heute irgendwas Seltsames passiert. Es hätte mir schon auffallen sollen, als ich durch die Apotheke gehe und plötzlich von irgendwoher höre: "Oh schau mal, Dr Hilarius!" und ich drehe mich um und dann stehen da zwei Jugendliche, die mich grüßen. Nett, dass sie mich grüßen, peinlich, dass ich nichtmal weiß, ob das meine Schüler sind, ich erkenne sie nicht wieder. Ich grüße nett zurück, joah, irgendwoher müssen die mich ja wohl kennen, und ich fühle mich schlagartig nach Husum zurückversetzt.

Eine kleine Stadt mit zwei Gymnasien. An einem davon hatte ich das Vergnü... jedenfalls hatte ich an einem davon einen Referendariatsplatz bekommen und bin deswegen sogar dorthin umgezogen, und überall, egal, wohin ich zum Einkaufen ging, traf ich meine Schüler. Das war gruselig - ein Gefühl, als ob überall Wachposten mit Videokameras stehen. Das vermisse ich eigentlich nicht - naja, nun muss ich mich drauf einstellen, dass Kieler Schüler mich wiedererkennen. Hin und wieder fahre ich mit ihnen im selben Bus.

Und sie sind ja auch nett. Anders als die Zombiemama mit ihren zwei Rotzbälgern. Zombiemama stellt den Wagen im Gang extra an die Seite, damit andere Kunden passieren können (ich will gar nicht wissen, was einigen passiert ist, so, wie sie aussehen...), doch Morphinchen und Ritalina, beide je halb so groß wie der Wagen, schieben ihn zielgenau in die Mitte des Ganges (ein Hauch von indischem Fernweh...) und hängen sich von links und rechts so dran, dass wirklich niemand mehr vorbeikommt. Da nützt es auch nichts, wenn ich zwei Meter groß und schwarz auf sie zugehen, denn die beiden Prinzesschen bekommen überhaupt nicht mit, was um sie herum vor sich geht. Ob Mutti etwas von ihren Downern abgegeben hat? Ich warte nur drauf, dass Kind A abrutscht und Kind B mitsamt Wagen in die Fertigsuppen rollt und damit eine regalvernichtende Domino-Kettenreation auslöst (erinnert mich an die Bibliotheks-Szene aus The Mummy).

Also gehe ich zurück und nehme den nächsten Gang, Bewegung ist gut für den Körper, nur leider führt der Gang an mehreren Metern Süßwaren vorbei. Das ist pure Folter! Wie soll ich es schaffen, davon völlig unbeeindruckt zu bleiben? Das ist bunt, und glänzt, warum kleben die kleinen Monster nicht stattdessen hier herum? Aber nein, der Menschenmagnetismus zieht sie in die Dosensuppen. Wunder der Erziehung!

Durch den nächsten Gang komme ich nicht durch, weil in der Mitte Menschen stehen. Och Leute, könnt ihr nicht ein bisschen Rücksicht auf Andere nehmen, frage ausgerechnet ich mich, während ich mich ohne Vorwarnung umdrehe und fast in eine alte Dame renne. Was ist hier nur heute los, frage ich mich, woher kommen all' diese Menschen? Und dann erst wird mir bewusst - ach ja. Es ist Freitag. Dreizehn Uhr dreißig. Was erwarte ich? Habe ich aus dem Schnellkassenabenteuer nichts gelernt? Die Menschen, die da den Gang blockieren, stehen für die Kasse an, die noch etwa fünfzig Meter entfernt ist.

Und eine Spur hat die Scannerkasse damals nun doch hinterlassen: Die panische Angst., dass ich wieder ein ERROR auslösen könnte und alles zusammenbricht, also gehe ich nicht zu den Schnellkassen, obwohl da gerade sogar zwei Modelle frei sind, sondern stelle mich an der fünfzig Meter langen Warteschlange an. Das sollte sich als weise Entscheidung herausstellen: Zombiemama geht mit Einkaufswagen und Klammeraffenkindern triumphierend an uns vorbei zu einer der freien Kassen. Sofort wird auch sie von der Scannermacht in Beschlag genommen, scannt alle Einkäufe ein, versucht noch eben schnell, die ganzen blödsinnigen Ideen aus den Köpfern ihrer Kindern wegzuscannen - was leider nicht funktioniert, die beiden krabbeln unter allen Absperrungen durch und treiben andere Kunden in den Wahnsinn. Endlich ist Zombiemama mit dem Bezahlen fertig, schaut noch einmal zu uns wartender Meute rüber - meine Schlange ist jetzt immerhin auf dreißig Meter heruntergeschmolzen, allerdings mache ich mir Sorgen, wie lange wohl die alte Dame vor mir mit ihren Einkäufen brauchen wird.

Allerdings lasse ich mir nichts anmerken, und erst recht nicht, als Zombiemama mit Kindern vor den Schranken steht, die den Ausgang versperren. Ich muss aufpassen, um mich nicht zu offensichtlich zu freuen; normalerweise scannt man hier den Kassenbon ein und darf den Laden verlassen. Zombiemom scannt und scannt, aber die Türen gehen nicht auf. Die Kinder krabbeln unter den Schranken durch und können nicht verstehen, warum ihre Mama nicht hinterherkommt. Zombiemom schickt Stoßgebete gen Himmel, ihr Gesicht wandelt sich von todmüde zu entnervt (die Sannitanic weiß, dass das ab einem gewissen Ereignis im Leben die einzigen beiden Gesichtsausdrücke sind, die noch zur Verfügung stehen). Mittlerweile sind vor mir nur noch fünf Meter Kundschaft, ich hole auf! Ich stehe in der Quengelzone - in der Süßigkeiten extra für wartende und quengelnde Kinder auf Augenhöhe in Regalen angeordnet sind. Die alte Dame vor mir wirft nur flüchtig einen Blick über Kaugummis, Brausepulver und Lollis, dann schaut sie wieder nach vorne. Dann nach rechts, und dann zieht es ihre Augen wieder nach links, auf Schokolade, Sammelbilder und Schokoriegel. Ihr Blick verweilt etwas länger dort, rutscht dann ein Regal höher, sie legt einen Schokoladen-Marienkäfer in ihren Einkaufswagen und ich denke, damit ist das Thema erledigt. Sie könnte jetzt vorangehen, wir sind fast an der Kasse angekommen.

Doch jetzt ist die Neugier der alten Dame geweckt. Sie dreht sich nach links um, kniet sich hin und geht Fach für Fach durch, angefangen ganz unten bei Ketten aus Brausebonbons und Überraschungseiern, sie nimmt eines davon in die Hand, ein zweites, sie schüttelt sie, legt sie zurück. Daneben sind die "Überraschungseier für Mädchen" (Heteronormativität 4EVA!!!), auch hier greift sie zu, schüttelt sie, legt sie zurück. Dann steht sie wieder auf, wendet sich endlich wieder ihrem Einkaufswagen zu und schiebt ihn nach vorne.

Einen Meter. Dann bittet sie uns nur um einen kleinen Moment Geduld, wendet sich wieder nach links zum Quengelregal. Ihren Gehstock und ihre Handtasche legt sie in den Wagen, dann begibt sie sich wieder auf Kinderhöhe, jetzt ist das dritte Regal von unten dran. Sie scheint da etwas Interessantes entdeckt zu haben, schiebt die Kaugummis nach links und Snickers nach rechts, dahinter ist offensichtlich etwas, das ihr Interesse geweckt hat. Sie greift mit ihrer runzligen Hand nach hinten durch, zwischen den Pappkartons hindurch, ihr rechter Arm verschwindet in der Auslage. Sie schließt die Augen und wühlt ganz konzentriert in der dunklen Finsternis herum, die auch als Hinter den Schokoriegeln bekannt ist.

"Kann ich ihnen helfen?" bietet die Kassiererin an, auch ich biete meine Hilfe an, aber die alte Dame weiß scheinbar ganz genau, was sie tut. Sie zieht den rechten Arm wieder aus den Regalen hinaus, schiebt die Pappkartons noch weiter zur Seite - so weit, dass die ersten Kisten mit Kaugummis links aus dem Regal herausfallen - und rechts die ersten Schokoriegel. Nun geht sie auch die Regale darüber und darunter an, sie schiebt alles zu den Seiten hinweg, so dass eine Art Loch zwischen den Süßwaren entsteht. Als das Loch groß genug ist, geht die alte Dame komplett auf die Knie und steckt ihren Kopf zwischen die Regale. "Aha!" höre ich es von unten rufen, sie hat offensichtlich gefunden, was sie sucht. Na dann wird sie ja gleich hoffentlich wieder herausgekrabbelt kommen, denn so langsam halten wir den ganzen Laden auf. Das Gute: Zombiemom steht immer noch vor verschlossenen Schranken und versucht genervt, ihren Kassenzettel einzuscannen, um endlich aus diesem verfluchten Laden herauszukommen!

Nur die alte Dame... sie möchte offensichlich weiter hinein, denn jetzt beginnt sie, zwischen den Süßigkeiten zu verschwinden. Stück für Stück kriecht sie vorwärts, ist mittlerweile bis zur Hüfte in das Regal gekrochen. Das kann doch irgendwie nicht richtig sein - so tief ist doch das dämliche Regal nicht! Aber weder ihr Kopf noch sonst irgendwas taucht auf der Rückseite des Regals wieder auf - stattdessen wird ihre Stimme immer leiser, während ich sie rufen höre: "Da hinten ist es, gleich habe ich es!" Und schließlich verschwinden auch die strampelnden Füße im Regal - und vor mir steht ein herren-, beziehungsweise damenloser Einkaufswagen. Äh, ja. Whatever. Ich lege einfach mal meine Einkäufe auf das Band und bezahle. Ein bisschen verwirrt. Aber immerhin habe ich jetzt Dosensuppe für heute Abend, und das zaubert mir ein breites Grinsen auf's Gesicht. Und das Grinsen wird noch breiter, als ich den Laden verlasse und tatsächlich an der mittlerweile laut zeternden, aber immer noch von der Schranke eingeschlossenen Zombiemama vorbeigehen kann.

Eat this, Beeee-atch!

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