Freitag, 29. September 2023

Gastbeitrag: Satirische Notizen

Ich würde ihn mir ja gern gönnen...

vorweg: Dieser Beitrag stammt von einer Kollegin, die anonym bleiben möchte. Ich fand ihn witzig und wollte ihn hier gern teilen; vielleicht erkennt ja jemand seine Schule hier wieder. Leider steckt in dem Ganzen eben auch ein (großes) Körnchen Wahrheit...

Lehrer*in werden? Wie eine Stellenbeschreibung eigentlich aussehen müsste...

Was ein*e Lehrer*in beruflich so macht, weiß doch eigentlich jeder, oder? Oder?! Nun ja, die Bundesländer halten sich bei den Stellenausschreibungen allerdings bedeckt, konzentrieren sich auf Qualifikationen und Ausbildung und greifen schließlich zu mehr oder weniger verzweifelten Werbeaktionen: ob „Traumberuf Lehrer" im hohen Norden, "Job mit Pultstatus" im Westen oder der Kampf der Giganten im Süden der Republik mit "superflex" versus "kein Bock auf Arbeit"- so richtig überzeugen kann keiner! Versuchen wir es doch zur Abwechslung mal mit Ehrlichkeit und eine Prise Realität in der Stellenausschreibung...

Das Gymnasium xyz stellt zum nächstmöglichen Zeitpunkt (am besten gestern) ein:
Eine/n Verrückte/n (m/w/nicht divers, die * sind zu anstrengend) mit
Helferkomplex, masochistischen Zügen und naiven Idealvorstellungen;
Qualifikation: fast egal; Wochenarbeitszeit: schauen wir mal

Unser Profil:

Wir sind ein Traditionsunternehmen mit über 1000 Mitarbeiter/innen, von denen sich etwa
90% in der mehr oder weniger freiwilligen Ausbildung befinden. Spüren Sie unsere über
60jährige Erfahrung in jedem herabrieselnden Putzbrocken, platzeffizienten Klassenräumen mit übergreifender Akustik und dunkelgrauen Waschbetonwänden sowie originalgetreuen Lehrmaterialien. Verbringen Sie Ihre Mittagspause in unserem offenen Mehrzweckbereich inmitten tobender Schülerscharen und lauschen Sie dem Wasserplätschern durch das
Flachdach. Unsere Sanitäranlagen für Männer und Frauen punkten durch ihre Existenz.

Das bringen Sie mit:

• sämtliches Arbeitsmaterial, von der Büroklammer über Lehrbücher bis hin zu Kabeln, Adaptern, Boxen; ebenfalls gern gesehen ist persönliches Datenvolumen um Dinge wie die digitale Klassenbuchführung erledigen zu können
• Flexibilität und Improvisationfähigkeit- da Sie mit Menschen arbeiten, läuft hier eh nichts nach Plan, den Sie sich natürlich gewissenhaft gemacht haben und dann ganz flexibel über den Haufen werfen
• Organisationstalent - ob Berge von Formularen, Geld für den Ausflug oder die Suche nach einem Klausurtermin für einen Kurs aus 5 verschiedenen Klassen und zwei Jahrgängen: Sie behalten den Überblick
• robuste Gesundheit (oder zumindest eine große Portion Leidensfähigkeit) - es kann ja schließlich nicht dauernd Unterricht ausfallen, weil Sie sich an unserem großen Viren- und Bakterienangebot hemmungslos bedienen

Das bieten wir Ihnen:

• Teilzeit? -kein Problem!* (*Gilt nur bei Vorlage triftiger Gründe, wie kleinen Kindern oder
pflegebedürftigen Eltern; persönliches Belastungsempfinden zählt nicht dazu!) Solange Sie bereit sind, regelmäßig an Ihrem freien Tag zu Konferenzen in der Schule zu erscheinen, das gleiche Maß an Vertretung wie in Vollzeit zu übernehmen und jedes Schuljahr lastminute
aufzustocken, steht dem Antrag nur noch die bürokratische Hürde entgegen
• absolut flexible Arbeitszeiten an Wochenenden, in den Abendstunden und in den Ferien - machen Sie Ihre Korrekturen, Vor- und Nachbereitung, wann Sie wollen und solange Sie wollen, hauptsache, Sie werden rechtzeitig zum Unterricht fertig
• spannende Dienstreisen mit diversen Herausforderungen, die Sie komplett selbst nach Ihren Vorstellungen organisieren, solange diese in das schmale Budget und den festgelegten Zeitraum passen. Wir bieten dafür eine Verpflegungspauschale, die etwa 1/3 der tatsächlichen Kosten abdeckt (Angebot gilt nur, solange der Vorrat reicht).
• Damit Sie möglichst viele Erfahrungen in den verschiedenen Abteilungen sammeln können, ist bei uns jede Woche eine Vertretungsstunde inklusive
• Ihre Freizeit liegt uns am Herzen! Wir bieten Ihnen die Möglichkeit, Nachmittage und Abende mit spannenden Elterngesprächen,Schülerkonzerten oder der Repräsentation der Schule zu verbringen - wie bei allen unseren Programmangeboten gilt: die Teilnahme ist obligatorisch und erfolgt ohne jede Entlastung

Falls wir Sie bisher noch nicht überzeugen konnten, bedenken Sie bitte
Folgendes:

• Beachten Sie bei der Familienplanung bitte, dass keine Stückelung der Elternzeit möglich ist und ein zeitlicher Mindestabstand zu den Ferien gegeben sein muss. Es ist notwendig, dass Sie Ihre beruflichen Verpflichtungen mit Ihrer Familie in Einklang bringen.
• Ein Sabattjahr ist in der Theorie weiterhin möglich, in der Praxis sind die neuen Bedingungen quasi aber unerfüllbar.
• jede Lehrkraft verfügt bei uns über einen eigenen Sitzplatz und einen Arbeitstischanteil von ca. 50x 50cm. In gemütlicher Atmosphäre nutzen Sie den Fühlungsvorteil bei der Unterrichtsvorbereitung mit den anderen Kollegen.
• Ihnen wird ein digitales Endgerät zur Verfügung gestellt (Schul-Wlan exklusive, support je nach Laune und Beanspruchung der Informatik-Lehrkräfte).

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung inklusive aller Zeugnisse ab Klasse 1!

Sie wollen mehr? - Bewerben Sie sich auch gern auf eine unserer zu besetzenden Funktionsstellen! Das erste Jahr arbeiten Sie für lau (Probezeit), danach zur Zeit auch weiterhin auf unbestimmte Zeit aufgrund eines Planungsfehlers im Haushalt.

post scriptum: Vielen Dank für den Beitrag und viel Nervenstärke für die Zukunft! ;-)

paulo post scriptum: Sorry für das Format, ich habe versucht, das aus einer PDF-Datei zu ziehen. 

Donnerstag, 28. September 2023

Tag 59 - Fett, aber bauchfrei


Der Titel hat mal wieder über drei Ecken mit dem Inhalt des Beitrags zu tun. Er war ein Gedanke, den ich heute im Bus hatte, auf dem Heimweg vom Hauptbahnhof nach Hause, in aller Eile, um in der Frist zu bleiben. Warum ich den Gedanken hatte, kann man sich vielleicht denken, und manchmal fehlt mir das Taktgefühl, solche Gedanken für mich zu behalten (heute nicht). Mit dem Taktgefühl habe ich es nicht so. Haben Autisten generell nicht so, schaut Euch einfach an, was Elon Musk so hier und da raushaut.

Ich hätte an das Landesamt für soziale Dienste als Widerspruchsbegründung wahrscheinlich so etwas geschrieben:

"Das stand doch alles schon in dem ärztlichen Befundbericht, wie oft und genau wollen sie es denn noch formuliert haben, wie behindert ich bin? Sie wissen, welche Probleme ich momentan mit der Alltagsbewältigung habe, und wenn sie es nicht wissen, zum Beispiel, weil sie den ärztlichen Befundbericht bei'm Erstantrag gar nicht gelesen haben, dann wissen Sie aber, dass mein Psychiater Ihnen jederzeit für Nachfragen zur Verfügung steht, also machen sie das gefälligst!"

Das Tolle: Genau das hat mein Arzt geschrieben. Er hat es nur noch einmal neu formuliert, mit zwei, drei Sätzen mehr, und vor allem: Mit Taktgefühl. Und schließt mit

"Sollten noch fortgesetzt nähere Rückfragen (...) bestehen, stehe ich Ihnen auch weiter gern zur Verfügung."

Das Kursive fand ich grandios. Ich finde es immer faszinierend, wie andere Menschen dieses Feingefühl hinbekommen und trotzdem sagen, dass der Andere quasi ein Vollidiot ist. Dieses Schreiben ist nett und höflich und sachlich formuliert, und direkt per Fax dem Amt zugegangen. Ich vertraue Behörden aber nicht mehr und bin deswegen von NMS nach KI gesprinted, hatte mein Anschreiben und den vorbereiteten Briefumschlag schon in der Tasche, im überfüllten Zug dann eingetütet. Zum Glück musste in Neumünster eine unter Einfluss stehende Frau aus dem Zug befördert werden, das hat dafür gesorgt, dass der Zug einen Moment warten musste, und so bin ich vom Bus in den Zug in den Bus gerannt, um das Einschreiben fristgerecht loszuwerden. Und im Zug habe ich ein Puschel gesehen! Aber der Zug war voll und ich war in Hektik, weil das heute alles auf Kante genäht war - Gespräch wäre Overload gewesen, und sowas versuche ich momentan zu vermeiden, auch wenn ich dafür Tabletten im Portemonnaie habe.

So, dann wollen wir mal schauen, was das Amt als Nächstes macht. Und für Euch gibt es morgen einen Gastbeitrag, witzig, aber leider mit einem wahren Kern. Lohnt sich zu lesen, vielleicht erkennt sich jemand darin wieder.

Montag, 25. September 2023

Tag 56 - Kiel zerlegt sich



Unglaublich, es ploppen immer mehr Baustellen in Kiel auf. Mal merke ich es direkt, weil es vor meiner Haustür ist, mal merke ich es indirekt daran, dass manche Busse Umleitungen fahren oder einige Straßen, die sonst relativ ruhig sind, plötzlich im Berufsverkehr "verstaut" sind. Was bin ich froh, nicht mehr das Auto zu nehmen!

Aber es ist ja schön, dass sich hier endlich was tut. Manche Straßen waren so marode; wenn ich mit der Buslinie Vierzehn zur Schule fahren musste, ging es die Werftstraße runter, und wenn man dann nicht in einem dieser supergefederten Elektrobusse saß, hat das Frühstück (wenn man es denn gegessen hat) eine ordentliche Schleuderpartie bis nach Wellingdorf bekommen.

Zum Glück wird die Werftstraße neu gemacht, und wie spannend das ist: Man sieht bereits Bauvorleistungen für die zukünftige Tramführung in Form von erhöhten Bordsteigen in der Straßenmitte, wo später einmal die Straßenbahnhaltestellen sein werden. Aber bevor ich mich jetzt zu sehr aufrege und freue, erinnere ich mich wieder dran, dass bis Ende Zwanzig Vierundzwanzig in erster Linie Planungen stattfinden, erst ein gutes Stück danach wird es mit den tatsächlichen Bauarbeiten losgehen.

So, nun Termine zurechtlegen, diese Woche muss gut abgepasst sein - Details folgen.

Samstag, 23. September 2023

Tag 54 - Panikattacke


So, diesen Artikel hätte ich schon am Donnerstag schreiben wollen, aber es sind immer wieder andere Ideen im Kopf. Heute darf er aber festgehalten werden, und es handelt sich aus einen Beitrag aus dem Bereich Asperger pur - wobei diesmal, glaube ich, auch neurotypische Menschen ein bisschen an die Decke gegangen wären.

Ich habe endlich meinen neuen Termin bekommen, für das nächste Orientierungsgespräch in der Agentur für Arbeit. Ich hatte schon geschrieben, dass ich mich darauf freue, weil ich einen neuen Betreuer habe, der wohl auf berufliche Integration von Menschen mit Behinderung - oder so ähnlich - spezialisiert ist. 

So wird also vorgestern, am Donnerstag, kurz vor Mittag ein Brief durch meine Tür geworfen, und ich mache mich an's Lesen. "Sehr geehrter bla, ich möchte mit Ihnen Ihre berufliche Situation besprechen bla und so weiter". Termin, dazu noch die Hotline der AA, falls man zehn Minuten Zeit zum Warten hat, um irgendwelche Fragen beantwortet zu kommen. Und dann kommt da wieder so ein Absatz, den ich grausam finde.

Fast so grausam wie das "Sie haben keinen Wichtigen Grund für Ihr Versäumnis mitgeteilt" neulich, das ich extra nochmal brieflich bekommen habe. Diesmal stand in diesem Absatz der freundliche, aber sehr deutliche Verweis darauf, was alles mit mir passieren kann, wenn ich dieser Vorladung zum Gespräch nicht nachkomme, ohne vorher per Formular abzusagen. Und das klingt alles sehr rechtlich korrekt, und ist es leider auch, aber ich fühle mich ein bisschen, als ob man davon ausgeht, ich würde den Termin nicht wahrnehmen wollen und einfach nur das Geld abkassieren.

Ist ja alles richtig und gut so. Fühlt sich nur doof an. Aber gut, ich schaue drauf, wann mein Termin ist, und die Züge entgleisen mal wieder. Der Termin ist an genau dem Donnerstag, wo ich diesen Brief erhalten habe, und zwar zwei Stunden, bevor er mir zugestellt wurde.

Mittlerweile wird das ein bisschen routinierter - merken, wie die Atmung schneller wird, wie die Panik anflutet, zum Portemonnaie greifen und eine Tablette nehmen, Viertelstunde warten, bis alles wieder runtergefahren ist.

Und natürlich sind meine ersten Gedanken wieder bei mir: Scheiße, ich habe den Brief bestimmt übersehen, der lag doch sicherlich schon einige Tage hier, denn die müssen ja eine Vorlaufzeit haben, und ich habe es mal wieder versaut. In Gedanken sehe ich schon einen weiteren Brief mit der nächsten Sperrfrist eintrudeln, oder am besten gleich mit der kompletten Streichung sämtlicher Bezüge - was mache ich nur, was tue ich jetzt? Den Betreuer anrufen! Also suche ich oben rechts nach der Telefonnummer, aber die gibt es natürlich nicht, sondern nur die der allgemeinen AA-Hotline mit der Viertelstunde Wartezeit. Aber ich sehe etwas Anderes dort gedruckt und werde stutzig.

Der Brief ist tatsächlich mit der korrekten Vorlaufzeit von zwei Wochen geschrieben worden. Datum des Briefes ist der siebte September. Dann schaue ich auf den Briefumschlag und suche nach dem Poststempel und ich gehe fast direkt hoch - abgestempelt am achtzehnten September. Elf Tage lang ist dieser Brief also nicht eingeliefert worden. Und dass es dann drei Tage gedauert hat, den Brief bei mir einzuwerfen, ist derzeit leider normal, weil sowohl die Deutsche Post als auch DHL extrem lange Zustellzeiten haben und Briefe in den letzten Monaten verschwunden sind.

Nun könnte ich mich eigentlich beruhigen, denn ich habe nichts falsch gemacht, also sollten mir auch keine negativen Konsequenzen entstehen. Dann fällt mir ein, dass ich bei meinem Antrag auf das Arbeitslosengeld auch nichts falsch gemacht habe und es sieben Wochen gedauert hat, bis das erste Geld gekommen ist, und ich setze mich in die Zimmerecke und mache nichts mehr. 

Heute, am Samstag, bin ich wieder einigermaßen bei mir, die Dickschwartigkeit ist zurück, und ich lege mir den Brief zurecht, um am Montag früh um acht Uhr bei der AA anzurufen und freundlich, aber bestimmt um einen neuen Termin zu bitten, und werde direkt aufnehmen lassen, wie das mit dem Terminversäumnis gelaufen ist. Ich werde eine Möglichkeit zur Stellungnahme verlangen, ich werde darin eine Kopie der Einladung und eine Kopie des Briefumschlags mit dem Poststempel anhängen. 

Toll, wo Autisten sowieso so gut damit zurecht kommen, wenn Dinge spontan ablaufen. Wie soll ich einen Termin wahrnehmen, der gut neunzig Minuten vor Erhalt der Vorladung liegt???

Blutdruck runter. Videospiel. Folgen der Panikattacke ausstehen und meinen Psychiater nächstesmal fragen, ob meine Reaktion in so einer Situation normal ist, oder ob ich mir tatsächlich mal wieder den Schuh anziehen muss, ich hätte es versaut.

"Sie haben keinen Wichtigen Grund für Ihr Versäumnis mitgeteilt."

Freitag, 22. September 2023

Tag 53 - Die Fragen

Gnôthi seautón, oder wie man so sagt...

"Und, haben sie sonst noch irgendwelche Fragen, zu unserer Schule, zur Stellenausschreibung?"

Für gewöhnlich endet auf diese Weise ein Auswahlgespräch für Planstellen. Im Referendariat wurde mir beigebracht, dass ich an dieser Stelle Interesse signalisieren soll, indem ich vorher gründlich die Schul-Homepage gelesen habe und mir zwei, drei Fragen zurechtgelegt habe. Habe ich immer gemacht. Hat nichts gebracht.

Damit ist jetzt Schluss.

Ich lege mir einen Fragenpool zurecht - welche Fragen ich daraus letztlich nehme, muss ich nochmal schauen. Was ich mit diesen Fragen erreichen will? Ich möchte mir einen Eindruck darüber verschaffen, ob diese Schule ein "passendes" Arbeitsumfeld für mich zu bieten hat. Gerade weil das in den letzten Jahren nicht immer der Fall war, nehme ich Fragen aus jenen Erfahrungen. Here goes:

1. "Haben sie (alle) mein Anschreiben gelesen?"

    Wer schon bei mehreren Auswahlgesprächen war, weiß vielleicht, dass das nicht immer der Fall ist - gerade wenn die Schule bereits einen Wunschkandidaten für die Stelle hat. Dann sind diese Auswahlgespräche nur eine Zeit verschwendende Farce. Ich hatte einmal diese Frage in die Runde gestellt und eine vielsagende Antwort bekommen: "Die Unterlagen sind allen Mitgliedern der Runde zugegangen." Ich hätte am liebsten direkt gesagt "Das war nicht meine Frage. Mir geht es darum, ob sie es gelesen haben". Ich hätte mir damals Zeit und Frust ersparen können.

2. "Haben sie derzeit oder früher schon einmal autistische Lehrkräfte gehabt?"

    Kann gut sein, dass hier nicht ehrlich geantwortet wird, beziehungsweise auf die Schweigepflicht verwiesen wird. Manche Aspis oder hochfunktionale AutistInnen möchten ihre Behinderung nicht nach draußen tragen, und dann hat der Dienstherr selbstverständlich die Pflicht, diese Information für sich zu behalten. Falls aber ein "ja" kommen sollte, könnte auf die nächste Frage bereits eine sehr aufgeschlossene Antwort folgen.

3. "Haben sie eine ungefähre Vorstellung, was es bedeuten kann, einen Autisten im Kollegium zu haben?"

    Hier erwarte ich einfach mal die Antwort "nein", und das wäre gut so, denn dann hätte ich einen Grund, um direkt in ein paar Schulalltagsszenarien überzuleiten. Naja, nicht direkt. Vorher würde ich ihnen einmal anschaulich erläutern, wie es ist, als Lehrer auf'm Spektrum zu sein.

4. "Angenommen, ich bitte sie, mich möglichst nicht in den Klassenstufen 5 und 6 einzusetzen (inklusive Erklärung). Ihre Reaktion?"

    Ich bin bereits mehrfach trotz der Erklärungen in die Orientierungsstufe gesetzt worden. Manchmal kam die Erklärung "Das geht so nicht, ich muss dich in allen Klassenstufen einsetzen können", und da mag etwas dran sein. Ich habe aber zumindest bezüglich der Konsequenzen vorgewarnt, und natürlich sind diese dann auch eingetreten, das ist immer nur eine Frage der Zeit.

5. "Angenommen, sie teilten mich trotzdem ausschließlich in den Stufen 5-7 ein. Ein paar Wochen später erhalten sie einen besorgten Anruf einer aufgebrachten Mutter, dass der neue Lehrer die Klasse völlig ohne Vorwarnung und ohne Grund so laut angeschrien hat, dass manche SchülerInnen davon Albträume bekommen haben. Wie gehen sie mit der Situation um?"

    Ganz realistisches Szenario, die meltdowns gerade bei männlichen Autisten sind bekannt und ein Grund für ihre oft mangelhafte soziale Integration in ihr Umfeld. Ist mir auch an früheren Schulen genau so passiert. Dass der Wutausbruch nicht grundlos war, kann man sich denken; ich schreie nicht herum, weil es mir Spaß macht, im Gegenteil, ich bekomme eine Panikattacke, zerbreche dabei Stifte, fange an zu zittern und bin einmal mit Tränen in den Augen Richtung Toiletten gestürmt, um mich wieder zu fangen.

In einem Fall wurde ich nicht gefragt, wie meine Sichtweise zu diesem Vorfall ist (so eine Anhörung oder Stellungnahme ist eigentlich im Konfliktmanagement selbstverständlich). Auf die Frage, warum ich nicht meinen Blickwinkel schildern durfte, hieß es dann wörtlich "Weil ich davon ausgehe, dass du mich eh' anlügen wirst." Danke für das entgegen gebrachte Vertrauen, einer Person gegenüber, die in Stressituationen gar nicht anders kann, als die Wahrheit zu sagen.

In einem anderen Fall habe ich genau auf diese "Vorwarnungen" verwiesen, über die ich bei Auswahl- und Einstellungsgespräch gesprochen habe, und auf meine autistischen Verhaltensweisen. Das war bei jener Schulleitung, die damals zur Begrüßung meinte "Wenn wir schon Inklusion leben sollen, dann gilt das selbstverständlich auch für das Kollegium". Da bekam ich als Reaktion nur "Ja, aber so geht das nicht, da musst du dich schon etwas anpassen".

6. "In jeder Konferenz - LeKo, ZK, alles, was so anstehen kann - sitze ich im Konferenzraum auf dem gleichen Platz, irgendwo am Rand oder in der Ecke, und arbeite in einem Rätselheft. Ihre Reaktion?"

    Die Schulleitungen hatten damit bisher kein Problem, denn ich hatte ihnen vorher erklärt, dass ich das zur Beruhigung mache (stimming) und trotzdem alles mitbekomme. An einer ehemaligen Schule ist es allerdings zu Beschwerden anderer KollegInnen darüber gekommen, und darüber, dass ich mich ja durch meinen Sitzplatz in der Ecke vom Rest des Kollegiums abgrenze und das etwas unsozial wirkt, und dass es dann ja auch kein Wunder sei, dass ich Probleme habe, die richtige Schule für mich zu finden.

Wie ich es mache, mache ich es verkehrt: Wenn ich das Kollegium nicht über meine autistischen Verhaltensweisen aufkläre, kommt es zu Beschwerden, und wenn ich es doch tue, kommt es zu Beschwerden, dass ich mich unnötig wichtig machen will. Alles gehabt, deswegen bin ich mit dieser Frage tatsächlich auf die Reaktion gespannt. 

7. "Angenommen, nach zwei Jahren an ihrer Schule bekommen sie einen Anruf einer verstörten Mutter, die fragt, wie es sein kann, dass einer der beliebtesten Lehrer der Schule sich so einen Aussetzer leisten kann - denn in der sechsten Klasse habe er zwischendurch gesagt, Schüler XY stelle sich bestimmt gerade vor, wie es ist, in den Arsch gefickt zu werden. Wie gehen sie mit der Situation um?"

    Ja, vorgekommen. Begründung eine Mischung aus meltdown und Schlagfertigkeit, das war ein Konter auf etwas, was XY davor gesagt hat, und ich habe mich seines Wortlauts bedient. Interessant, ich realisiere gerade, dass ich hier im Blog bisher noch nicht darüber geschrieben zu haben scheine. Zur Info: Das Ganze hat ein Dienstgespräch nach sich gezogen, Anwesende waren die Schulleitung, Elternbeiratsvorsitzende, Heimleitung, Klassenlehrer, Schulsozialpädagogin, eine(r) fehlt noch, wir waren zu siebt.

Natürlich darf ich nicht darüber sprechen, wie das Gespräch abgelaufen ist. Ich darf nur sagen, dass wir am Ende allesamt sehr erleichtert rausgegangen sind und die SozPäd mich einmal in den Arm genommen hat; dass mich die Heimleiterin dann einen Tag in ihr Heim eingeladen hatte und, wie sie danach zu einem ihrer Jugendlichen sagte, ein "ganz tolles Gespräch mit einem ungewöhnlichen Lehrer" hatte.

Ich warte nur darauf, dass irgendwann jemand sagt, dass diese Szenarien doch insgesamt recht unrealistisch seien. Steilvorlage, und vielleicht könnte das eben auch ein bisschen die Antwort zur dritten Frage liefern.

8. "Angenommen, jemand berichtet ihnen, ich würde mich privat mit meinen SchülerInnen treffen. Ihre Reaktion?"

    Vorgekommen, und die direkte Reaktion damals war eine dienstliche Abmahnung, in der es hieß, private Treffen mit Schülern (sic) seien in Zukunft zu unterlassen. Und ich Idiot hab' das auch noch so unterschrieben, weil ich deutlich jünger und dünnfelliger war - dabei habe ich mich noch nie privat mit meinen SchülerInnen getroffen. Es gibt eben auch negative Publicity, wenn man bei seiner SchülerInnenschaft gut ankommt, und auch hier würde - meiner Meinung nach - eine gute Schulleitung zuerst um eine Stellungnahme meinerseits bitten (wie das zum Beispiel bei dem vorherigen Fall geschehen ist).

9. "Ihnen kommt zu Ohren, dass der neue Lehrer mit seiner siebten Klasse jede Woche nur Filme schaut. Wie gehen sie damit um?"

    Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich gern mit Filmen oder Serien im Unterricht arbeite, und ich habe hier auch schon mehrfach darüber geschrieben. Ich glaube auch weiterhin, dass das mit der richtigen Lerngruppe ein fruchtbarer Versuch ist. Ich lasse mir aber nicht unterstellen, ich würde in jeder einzelnen Englischstunde meine SchülerInnen vor eine DVD setzen und mir einen faulen Lenz machen. Leider kommt dieser Eindruck dabei rüber, nicht selten, und sorgt auch nicht selten für deutliche Beschwerden bei der Schulleitung und auf Elternsprechtagen. Auf letzteren allerdings habe ich in der Regel mehr Elternteile, die mir mitteilen, dass sie das gut finden, und dass ihr Kind richtig begeistert ist und von sich aus im Internet auf Englisch weiterschaut. Und das erkläre ich auch gern jeder Schulleitung, die das denn hören möchte, und auf das obige Gerücht (9.) zumindest erstmal eine Stellungnahme hören möchte, bevor sie mir eine Abmahnung schreibt (auch passiert).

10. "Ich führe einen Blog. Wie stehen sie dazu?"

    Scheint wie eine kleine, harmlose Frage, ist aber extrem wichtig. Der einfachste Weg für die Lehrkraft wäre, einhergehend mit der Entfristung den Blog einzustellen, damit man keine Risiken eingeht. Das wird aber so nicht funktionieren.

Dieser Blog ist wie eine lifeline für mich. Er ist meine Verbindung zu Euch - Familie, Freunde, Bekannte - denn ich mag mich nun mal nicht so für eine kleine Plauderei verabreden. So würde man sich zwar häufiger sehen, aber so funktioniert der Kopf des Autisten nicht. Die Welt da draußen ist chaotisch und unberechenbar, und in meinen eigenen vier Wänden weiß ich genau, wie alles läuft. Dass alles läuft. Jeder Gang nach draußen birgt Konfliktpotential (Missverständnisse und so weiter, habe ich ja schon öfters drüber geschrieben).

Mit dem Blog kann ich Euch mitteilen, was mir gerade durch den Kopf geht, wie es mir geht, was ich mache, und ich kann es mit dem geduldigen "Papier" machen und muss mich nicht spontaner interpersoneller Kommunikation aussetzen. Klingt, als wollte ich Euch nicht sehen. Hart, aber wahr: Will ich auch nicht immer. Das war anders, als es mir noch gut ging - im Studium. Da war ich spontan mal mit YazzTazz los zu Burger King, oder da stand eines abends einfach mal ein Ole mit einer Weinflasche vor den Kronshagener Bergen. Damals hatte ich eine grundlegende Sicherheit, und die bedeutet für Menschen auf dem Spektrum wirklich alles.

Es ist für mich absolut unmöglich, mir vorzustellen, dass ich diesen Blog für eine Schule schließen müsste. Dann trete ich diese Stelle lieber nicht an. Es bleibt dabei, dass auf meiner Prioritätenliste im Leben der Beruf auf dem zweiten Platz steht. Mein eigenes Privatleben, oder öffentliches Leben, wie auch immer - das ist mir wichtiger. Ich habe - vorerst - nur dieses eine Leben, und das möchte ich genießen, und das lasse ich mir von niemandem mehr nehmen.

Auch wenn es Arbeitslosigkeit bedeutet. 

Aber der nächste Termin im Arbeitsamt steht bestimmt bald an, und dann sondieren wir mal.

post scriptum: Nochmal: Ich weiß nicht, welche von diesen Fragen ich tatsächlich benutze. Die Fragen 1-3 werden aber auf jeden Fall kommen, damit ich jeder Schulleitung die Möglichkeit geben kann, mir mitzuteilen, dass sie weiß, was es bedeutet, Autist zu sein, und falls nicht, dann werde ich sie unter 3. darüber erstmal gründlich aufklären, bevor es an die Fallstudien geht. Ich möchte niemanden überfordern oder vor den Kopf stoßen, aber ich möchte sichergehen, dass meine zukünftige Schule weiß, wen sie sich da in's Boot holt, und ich möchte zumindest eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wer mein zukünftiger Dienstherr ist, und wer meine Ansprechpartner in Sachen Gleichstellung sind.

Dienstag, 19. September 2023

Tag 50 - Das Anschreiben


vorweg: Ich gebe zu, ich wollte mein neues - und hoffentlich letztes - Anschreiben für meine Bewerbung an Schulen etwas drastischer formulieren. Ich wollte ein paar sehr ehrliche Sätze einbauen, die sich aus den letzten elf Jahren Beschäftigung ergeben haben.

Ich kann wirklich nicht sagen, warum ich das nicht gemacht habe. Es wäre ein sehr langer Text geworden, an dessen Ende etwas in Richtung "Wenn Sie diesen Text komplett gelesen haben, möchte ich mich bei Ihnen dafür bedanken, zu einer absoluten Minderheit zu gehören, die mir sehr viel Aufmerksamkeit entgegengebracht hat. Ich würde Sie sehr gern in einem persönlichen Gespräch kennenlernen."

Natürlich wäre das beruflicher Selbstmord gewesen, aber andererseits wäre es ein Text gewesen, der mich repräsentiert. Was ich stattdessen gemacht habe: Ich habe alles auf ein Minimum zusammengestrichen, was eh' kein Schwein interessiert (Theaterarbeit, Arbeit in der Suchtprävention, der Umstand, dass ich Latein unterrichte, dass ich Autist bin), und auf das konzentriert, was für Schulen hilfreich sein könnte: Dass ich besonders gut mit SchülerInnen in schwierigen Situationen der Klassenstufen sieben bis zehn zusammenarbeiten kann.

Deprimierend, aber aufgrund meiner Note und Gleichstellung müssen sie mich eh' anschreiben (und einladen), und die interessanten Sachen können wir dann auch im Gespräch klären.

Danke, Schulsystem.

 

Sehr geehrte Schulleitung (sic),

hiermit bewerbe ich mich zum nächstmöglichen Zeitpunkt auf eine Planstelle (oder auch
Vertretungsstelle mit Aussicht auf eine unbefristete Beschäftigung) für die Fächer Englisch und Latein. Ich hätte kein Problem damit, das Fach Latein nicht zu unterrichten; in den vergangenen elf Jahren habe ich aufgrund mangelnden Bedarfs nur insgesamt zweieinhalb Jahre Latein unterrichtet.

Im Juli 2011 habe ich das Studium dieser Fächer für das Lehramt am Gymnasium an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel mit dem 1.Staatsexamen abgeschlossen. Mein 2.Staatsexamen habe ich am 27.11.13 abgelegt (Note 1,9). Derzeit bin ich arbeitslos.

Ich bin Autist. Welche Auswirkungen das auf meine Arbeit als Lehrer haben kann, würde ich gern in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen erörtern, auf das ich mich sehr freue.

Vielleicht kann ich mit meiner Erfahrung als Hochbegabter Ihre Schule auch in diesem Bereich unterstützen; an meinen bisherigen Schulen konnte ich bereits ein paar SchülerInnen als hochbegabte Underachiever erkennen und fördern. Ebenso würde ich Ihrer Schule gern als Experte für SchülerInnen mit autistischem Verhalten zur Seite stehen, wie ich es auch in den letzten Jahren tun durfte.

Eine meiner Stärken ist es, die SchülerInnen für meine Fächer zu begeistern, ihnen zu zeigen, dass Schule weit mehr ist als bloße Lerninhalte und in der Konsequenz den Lernwillen und –erfolg anzufeuern. Durch meine Arbeit an Regional- und Gemeinschaftsschulen habe ich mich mit verschiedenen Lernausgangslagen auseinandergesetzt, so dass ich differenziert auch mit SchülerInnen in schwierigen Situationen arbeiten kann; meine Schwerpunkte liegen in den Klassenstufen 7-10 (aber ich besitze die volle Facultas für die Sekundarstufe II).

Über weitere Befähigungen (Theaterarbeit, Suchtpräventionsarbeit, Freizeitbereich) würde ich mit Ihnen gern in einem persönlichen Gespräch reden.

Mit freundlichen Grüßen,

Tobias Homann

post scriptum: Wie cool es sein kann, einen ehemaligen Schüler am Hauptbahnhof wiederzutreffen. Eine kurze Runde unterhalten, bis der Bus kommt, ich habe mich richtig gefreut! 

paulo post scriptum: Ihr seid herzlich eingeladen, mir zu erklären, warum das ein ziemlich ungeschicktes Anschreiben ist ;-) Immerhin ist es authentisch.

Sonntag, 17. September 2023

Tag 48 - Heizkostenabrechnung


Manchmal kommt ein Lächeln von unerwarteter Seite. Unter den Briefen, die ich in den letzten Tagen erstmal zur Seite gelegt habe, war ein dicker Brief von meinem Vermieter. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass dicke Briefe von Vonovia oft nichts Gutes bedeuten. Wobei... die Mieterhöhung kam in einem sehr dünnen Brief mit zwei Zetteln. Diesmal kam die Heizkostenabrechnung, und die lohnt sich tatsächlich.

Sie hat sich auch schon letztes Jahr gelohnt, und damals hat V geschrieben, dass sie die Vorauszahlung nicht runtersetzen, weil die Energiepreise im Moment steigen. Das führt dazu, dass ich dieses Jahr noch mehr Geld zurück bekomme und effektiv anderthalb Monate keine Miete zahlen muss (was bei Arbeitslosigkeit sehr hilfreich sein kann). Und trotzdem heißt es auch dieses Jahr wieder, dass die Vorauszahlungen nicht heruntergesetzt werden. Ich bin mal gespannt, ob es dann nächstes Jahr wieder genauso läuft.

Nur dass ich dann hoffentlich nicht mehr auf sowas angewiesen sein serde, weil ich dann endlich einen festen Job habe ^^

Montag, 11. September 2023

Tag 42 - Dreiunddreißig Grad

Darf es ein bisschen heißer sein?

Langsam reicht es wirklich. Ich sollte nicht klagen, der Rest des Sommers war sehr mild, aber die Backofenwohnung läuft auf Hochtouren, und wenn um Mitternacht immer noch knapp über dreißig Grad übrig sind, das strengt einfach nur an. Und irgendwie bekommt das meinem Magen nicht, oder wie auch immer, jedenfalls bin ich froh, aus der Apotheke vorhin etwas Diphenhydramin gegen Übelkeit bekommen zu haben. 

Bis Mittwoch soll es sich ein wenig abkühlen, das wäre mir sehr recht. Die Sannitanic ist auf Klassenfahrt, wenn ich das richtig verstanden habe - hoffentlich muss sie sich mit ihrer Baggage nicht ganz so durchbacken lassen. Gilt natürlich für alle, die diesen Text lesen und die direkte Hitze vielleicht nicht so sehr mögen.

Daumen drücken für ein wenig Wind, dann kann die frische Luft heute Nacht hier quer durch die Wohnung ziehen und der Ventilator zur Abwechslung mal aus bleiben. Tipp: Nasse Handtücher in der Wohnung aufhängen, damit die Luft nicht zu trocken wird.

Sonntag, 10. September 2023

Tag 41 - Flurwoche

Interessant, so sah das Bad früher aus, als mein Leben noch Sicherheit hatte ^^

Gestern habe ich einen Beitrag verfasst, aus dem man ableiten könnte, dass es mir gut geht. Dafür gibt es tatsächlich auch mehrere Anzeichen, eines davon, dass ich im letzten halben Jahr abgenommen habe. Während man denken könnte, dass das eher ein Symptom dafür sei, dass es jemandem schlecht geht, habe ich meine eigene Theorie, die ich an meiner Familie zu überprüfen versuche, nämlich dass der Aspi in guter Stimmung weniger Gedanken an das Essen verschwendet, sondern an Themen, die ihn interessieren. Und noch so ein paar andere Überlegungen. Natürlich ist das alles Humbug, aber vielleicht kann der eine oder andere Leser auf'm Spektrum das aus eigener Erfahrung bestätigen. Die Phasen im Leben, in denen ich zugenommen habe, waren immer einige der schwersten.

Ein anderes Symptom könnte die Flurwoche sein. Alle drei Wochen bin ich dran, das Treppenhaus bis zur Etage unter uns zu fegen und wischen. Ich habe mir gerade das Equipment bereitgestellt und erledige das heute als Erstes. In den letzten Monaten und Jahren habe ich das meistens komplett vergessen oder eine Woche zu spät gemacht, weil einfach weniger Achtsamkeit im Spiel war.

Hoffen wir mal, dass es so weitergeht - dass mir tatsächlich der Flurputz in Zukunft wieder Spaß macht ;-)

post scriptum: Und vielleicht kennt Ihr das - ich bin gerade im Putzmomentum, da kann ich auch noch schnell die Badewanne erledigen, die war fällig nach einem kalten Ölbad (Neurodermitisschub lässt grüßen). Im Englischen würde man sagen "I was on a cleaning spree!" :D

Samstag, 9. September 2023

Tag 40 - Glücklich, Autist zu sein


Bei allen Problemen, Barrieren und Stolpersteinen, denen man als autistischer Mensch begegnet, gibt es allerdings auch etwas, das besonders schön für uns ist: Wir haben eine besondere Fähigkeit, Dinge intensiv zu genießen. 

Beispiel heutige Generation: Menschen erleben etwas Tolles, machen Urlaub in Frankreich, essen in einem Café original französische Macarons. Bevor sie die aber genießen, muss erstmal ein Foto davon gemacht werden, vielleicht ein Macaron-Selfie, und direkt bei Instagram hochgeladen werden. Das Erlebnis muss geteilt werden, das müssen doch alle sehen, wie gut es einem gehen kann. 

Dieses Verhalten ist natürlich längst bekannt und unzählige Male persifliert worden (zum Beispiel in der Black Mirror-Episode Nosedive): Vor dem Genuss erstmal ein Foto. Und eines währenddessen. Und auch noch eines danach: Die zerzausten Haare nach einer wilden Achterbahnfahrt, das klatschnasse Shirt nach der Wildwasserbahn, das Zeugnis nach bestandener Prüfung. Muss alles geteilt werden.

Ich weiß nicht, ob das nur für mich oder für alle Autisten gilt. Wenn ich der Fachliteratur glauben darf, gilt es für alle: Wir können uns zwar auch so verhalten, aber wir können uns auch voll dem Genuss hingeben. Alles Andere ausblenden, die vorbeifahrenden Autos, die Hitze in der Wohnung - voll konzentriert auf diese Sache, die mich da gerade begeistert, nichts Anderes existiert. Das nennt man Hyperfokus, und auch neurotypische Menschen kennen das. 

Im Ansatz. Bei Autisten ist es eben extremer, und kann zu einem Zustand höchsten Glücks, Ausgeglichenheit, Entspannung, Wohlbefinden führen, der lang anhalten kann (bitte einen Autisten im Hyperfokus nicht stören, das ist ernst gemeint). Ich hätte zum Beispiel so gern eine Szene aus dem Schluss des Videospiels geteilt, weil sie so großartig umgesetzt war, aber ich war so tief drin, dass ich nicht im Ansatz auf die Idee gekommen bin, die Share-Taste auf dem Controller zu drücken. Erst im Nachhinein, viele Minuten später, wenn ich mich von dem Erlebnis wieder lösen konnte, habe ich das realisiert.

Das entschädigt quasi ein bisschen für die oben genannten Blockaden. Wir haben Probleme, aber dafür können wir besonders gut unser Leben genießen - wenn wir wissen, wie ;-)

post scriptum: Dieser Eintrag ist entstanden aus zwei Impulsen. Zum einen habe ich vorhin das Spiel "The Medium" beendet und bin vollkommen in der Story und dem denouement aufgegangen, zum anderen bin ich heute zum Citti-Park gegangen und habe mir mal wieder die meiner Meinung nach besten Macarons gegönnt, die man in Kiel bekommen kann. Die werden in Frankreich frisch hergestellt, sofort eingefroren, dann nach Deutschland importiert und nach zwei Stunden Auftauzeit sind sie ein Paradies auf Erden. "Chef De Paris", zwölf Stück für sechs Euro. Ich lasse mir trotz Arbeitslosigkeit nicht jeglichen Genuss nehmen.

Freitag, 8. September 2023

Tag 39 - Horror-Hitze


Mein Thermometer zeigt dreißig Komma vier Grad in der Wohnung an, das ist herausfordernd. Am besten bleibt man einfach irgendwo sitzen und liest was. Oder schaut sich etwas an, Hauptsache wenig Bewegung. Da kommt es mir gelegen, dass hier noch ein Spiel herumliegt, das ich bisher noch nicht gespielt hatte (wegen Stress mit Arbeitsamt und so weiter).

Es ist ein Spiel genau nach meinem Geschmack: Ein Adventure, ich erforsche in aller Ruhe einen Ort, finde Briefe, Notizen, Postkarten, Mementos, anhand derer ich mir die Hintergrundgeschichte im Kopf zusammensetzen kann. Ich mag es, wenn mein Kopf etwas zu tun hat; mindless action, damit kann ich nichts anfangen.

Wenn dazu dann noch hochauflösende Grafiken kommen, ein surrealer, künstlerischer Stil, und perfekt abgemischter Sound auf den Kopfhörern, das Ganze gepaart mit dem Genre des psychological horror, bin ich in meinem Element. Dann nehme ich die Hitze in der Wohnung kaum noch wahr - natürlich tut auch der Ventilator zuverlässig seinen Dienst.

Ist es bei Euch auch so heiß?

post scriptum: Ich liebe es, wenn ich kreativen Köpfen vertrauen kann. Ich kann davon ausgehen, dass "ultimae records" großartige Musik für mich herausbringen und dass "bloober team" wunderbare Spiele für mich kreieren. 

"Da weiß man, was man hat", jetzt verstehe ich diesen Satz endlich ;-)

Donnerstag, 7. September 2023

Tag 38 - Follow-Up


Sieh' mal einer an, es gibt bei'm Arbeitsamt spezialisierte Vermittler für berufliche Rehabilitation und Teilhabe (lieben wir nicht alle diese Verklausulierungen?). Ich habe eine Nachricht bekommen - eine Antwort auf meine Unmutsäußerung zur Sperrfrist - und da heißt es jetzt, dass mir ein neuer Sachbearbeiter zugewiesen wird.

Ich habe das eben erst gelesen, und ich muss sagen, es klingt interessant. Vielleicht kann ich dann bei meinem nächsten Gesprächstermin mit jemandem reden, der sich mit Fällen wie meinem auskennt, dann würde ich mich endlich wieder ernst genommen fühlen.

Könnte spannend werden...

Mittwoch, 6. September 2023

Tag 37 - Sperrfrist


Der Buddhist lernt, seine Wut oder Aufregung umzuwandeln in etwas, von dem er Positives mitnehmen kann. Er lernt, ruhig zu bleiben, und das trainiere ich seit mittlerweile mehr als zehn Jahren. Es ist aber nicht immer ganz einfach.

Mein Bewilligungsbescheid für das Arbeitslosengeld ist gekommen.

Das war die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass ich trotz Stellungnahme und ärztlichem Gutachten eine Sperrfrist bekomme - das bedeutet, dass ich für die ersten sieben Tage meiner Arbeitslosigkeit kein ALG bekomme. Das kann passieren, wenn man sich nicht mindestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend gemeldet hat. Ich habe das in den letzten zwölf Jahren noch nie geschafft, hier die aktuelle Begründung (diese Stellungnahme muss dem ALG-Antrag angehängt werden):

"Ich habe eine geistige Behinderung (Autismus-Spektrums-Störung), die mich vor große Probleme stellt, wenn mehrere "wichtige" Aufgaben gleichzeitig zu erledigen sind. Im letzten Halbjahr hatte ich mich voll darauf konzentrieren müssen, die ASS endlich als Schwerbehinderung anerkennen zu lassen (bisher nur GdB 30, aber ich werde zusammen mit meinem Psychiater Widerspruch einlegen).
Hinzu kommt, dass ich erst vor vier Wochen erfahren habe, dass eine Lehrkraft zum neuen Schuljahr querversetzt wird und ich damit keine Chance mehr habe, an dieser Schule zu arbeiten. Daraufhin hatte ich einen Nervenzusammenbruch.
In der Hauptsache liegt die Verspätung also in meinem Autismus, der fachärztliche Befundbericht ist angehängt."

Den Befundbericht habe ich beigelegt. Letztes Mal war das in Ordnung, wurde akzeptiert und ich hatte keine Sperrfrist bekommen. Diesmal, wo diese unsägliche Agentur für Arbeit und das unsägliche DLZP es nicht einmal geschafft haben, meine Arbeitsbescheinigung innerhalb von fünf Wochen zu übermitteln, darf ich auch noch die Konsequenzen aus der Überforderung durch meinen Jobverlust schultern und bekomme für den August ein Viertel weniger Arbeitslosengeld.

Das sind Momente, in denen mein Lojong-Training auf die Probe gestellt wird. Momente, in denen ich irgendwie ruhig bleiben muss. Momente, in denen ich einfach froh sein sollte, dass jetzt überhaupt Geld kommt und für (fast) zwölf Monate bewilligt worden ist.

Runterschlucken.

Und weitermachen.

post scriptum: Liebe Eltern, ich rufe Euch morgen Abend einmal an!

Montag, 4. September 2023

Tag 35 - Unfinished Business


Ich muss doch nochmal zurück in die Schule.

Das Abschiedsvideo hat seinen Zweck erfüllt, und zwar genau wie geplant. Ich habe einige Nachrichten bekommen, die mir sehr gut getan haben, und ein paar von ihnen gaben mir ein Gefühl von "I knew it!". Es haben sich nämlich auch Schülerinnen bei mir gemeldet, und zwar zwei, die ich "auf dem Radar" hatte. Das heißt einfach nur, dass ich mit ihnen noch etwas besprechen wollte släsch musste, aber das noch etwas in Richtung Abitur habe warten lassen wollen. Ich habe da noch etwas Gesprächsbedarf.

Also muss ich zurück in die Schule. Ich muss mich mit ein paar SchülerInnen treffen, denen ich noch etwas Wichtiges mit auf den Weg in's Leben geben wollte, und wenn es nur ein Denkimpuls ist. Ich gehe einfach mal dreist davon aus, dass ich kein Hausverbot an der Schule bekommen habe - bei anderen Schulen sollte es mich nicht gewundert haben, so wie die Schulleitungen damals mit mir umgegangen sind. Also kann ich diesen SchülerInnen jetzt schreiben und wer weiß, vielleicht werden das ganz interessante Gespräche.

Sonntag, 3. September 2023

Tag 34 - Barrieren


Barrierefrei
- früher dachte ich immer, dass das Wort eine sehr eingeschränkte Bedeutung hat. Barrierefrei, das bedeutete für mich, dass es an einem Ort einen Fahrstuhl gibt. Ich dachte immer, es geht ausschließlich um gehbehinderte Menschen. Erst jetzt, wo ich erkenne, dass ich selbst behindert bin, bemerke ich die weiteren Dimensionen des Konzeptes der Barrierefreiheit. Erst jetzt, wo ich selbst unter Stress stehe, dadurch die Autismussymptomatik deutlich stärker zu Tage tritt und ich immer wieder selbst auf Barrieren stoße, oftmals unsichtbar, oftmals selbstgemacht.

Zum Beispiel mit den Medikamenten. Irgendwo im Studium habe ich mal gelernt, dass es (fast) egal ist, von welchem Hersteller ein Medikament ist, solange es um einen bestimmten Wirkstoff geht. Ich habe ratiopharm und alle anderen Hersteller von Generika sehr schätzen gelernt. Ausgerechnet bei meinen Tabletten gegen Panikattacken oder Angstzustände bin ich nun aber wieder auf ein ganz bestimmtes Präparat eingeschossen. Ich weiß genau, wenn ich das von einem anderen Hersteller bekomme, dann werde ich es nicht benutzen.

Es muss das Bromazanil von Hexal sein. Diese grünen, länglichen Tabletten, die man bis zu dreimal durchbrechen kann. Die ich bei Bedarf sublingual anwenden kann. Um sicherzugehen, dass ich genau dieses Präparat bekomme, wird für gewöhnlich das Kästchen aut idem auf dem Rezept durchgestrichen. Das bedeutet sonst in etwa "oder dasselbe", gemeint ist von einem anderen Hersteller. Leider vergesse ich manchmal, meinen Psychiater daran zu erinnern, das durchzukreuzen, und dann stehe ich hier in Kiel mit dem Rezept und habe leider keinen Anspruch auf dieses Präparat, weil der Vertragspartner meiner Krankenkasse nun mal ratiopharm ist. Und eine private Krankenversicherung, bei der ich mir das aussuchen könnte, kann ich mir abschminken, ich denke, das dürfte mittlerweile klar sein.

Man darf das Kästchen auch nicht im Nachhinein einfach durchstreichen; es muss im Originalausdruck angekreuzt sein oder danach noch einmal einen extra Arztstempel bekommen. Ich muss nächstesmal unbedingt dran denken, auf das Kreuz zu achten. Zum Glück hat diesmal ein sehr netter Apotheker ein Einsehen gehabt und ein bisschen unkonventionelle Wege betreten, so dass ich jetzt wieder die grünen Tabletten in der Wohnung habe.

Es kann extrem umständlich sein, auf dem Spektrum zu sein. Unsichtbare Barrieren überall, und kaum ein Mensch glaubt einem das.