Bei allen Problemen, Barrieren und Stolpersteinen, denen man als autistischer Mensch begegnet, gibt es allerdings auch etwas, das besonders schön für uns ist: Wir haben eine besondere Fähigkeit, Dinge intensiv zu genießen.
Beispiel heutige Generation: Menschen erleben etwas Tolles, machen Urlaub in Frankreich, essen in einem Café original französische Macarons. Bevor sie die aber genießen, muss erstmal ein Foto davon gemacht werden, vielleicht ein Macaron-Selfie, und direkt bei Instagram hochgeladen werden. Das Erlebnis muss geteilt werden, das müssen doch alle sehen, wie gut es einem gehen kann.
Dieses Verhalten ist natürlich längst bekannt und unzählige Male persifliert worden (zum Beispiel in der Black Mirror-Episode Nosedive): Vor dem Genuss erstmal ein Foto. Und eines währenddessen. Und auch noch eines danach: Die zerzausten Haare nach einer wilden Achterbahnfahrt, das klatschnasse Shirt nach der Wildwasserbahn, das Zeugnis nach bestandener Prüfung. Muss alles geteilt werden.
Ich weiß nicht, ob das nur für mich oder für alle Autisten gilt. Wenn ich der Fachliteratur glauben darf, gilt es für alle: Wir können uns zwar auch so verhalten, aber wir können uns auch voll dem Genuss hingeben. Alles Andere ausblenden, die vorbeifahrenden Autos, die Hitze in der Wohnung - voll konzentriert auf diese Sache, die mich da gerade begeistert, nichts Anderes existiert. Das nennt man Hyperfokus, und auch neurotypische Menschen kennen das.
Im Ansatz. Bei Autisten ist es eben extremer, und kann zu einem Zustand höchsten Glücks, Ausgeglichenheit, Entspannung, Wohlbefinden führen, der lang anhalten kann (bitte einen Autisten im Hyperfokus nicht stören, das ist ernst gemeint). Ich hätte zum Beispiel so gern eine Szene aus dem Schluss des Videospiels geteilt, weil sie so großartig umgesetzt war, aber ich war so tief drin, dass ich nicht im Ansatz auf die Idee gekommen bin, die Share-Taste auf dem Controller zu drücken. Erst im Nachhinein, viele Minuten später, wenn ich mich von dem Erlebnis wieder lösen konnte, habe ich das realisiert.
Das entschädigt quasi ein bisschen für die oben genannten Blockaden. Wir haben Probleme, aber dafür können wir besonders gut unser Leben genießen - wenn wir wissen, wie ;-)
post scriptum: Dieser Eintrag ist entstanden aus zwei Impulsen. Zum einen habe ich vorhin das Spiel "The Medium" beendet und bin vollkommen in der Story und dem denouement aufgegangen, zum anderen bin ich heute zum Citti-Park gegangen und habe mir mal wieder die meiner Meinung nach besten Macarons gegönnt, die man in Kiel bekommen kann. Die werden in Frankreich frisch hergestellt, sofort eingefroren, dann nach Deutschland importiert und nach zwei Stunden Auftauzeit sind sie ein Paradies auf Erden. "Chef De Paris", zwölf Stück für sechs Euro. Ich lasse mir trotz Arbeitslosigkeit nicht jeglichen Genuss nehmen.
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