vorweg: Der heutige Fall ist ein Sammelsurium aus Förderstatus-Erlebnissen der vergangenen acht Jahre. Ich unterrichte eine solche Schülerin derzeit nicht.
Hilda-Pomfrieda. Mal wieda.
Aber diesmal eine andere Hilda-Pomfrieda als sonst, und weil es um sie geht, kürze ich sie mit HP ab. Wer diesen Blog aufmerksam verfolgt, fühlt sich bei der heutigen Geschichte vielleicht ein wenig an Kläuschen erinnert - ein liebenswerter Schüler mit einer deutlich begrenzten intellektuellen Leistungsfähigkeit. Die Sache bei HP ist, dass sie noch etwas weniger kann als Kläuschen.
Zunächst etwas Hintergrundwissen: Ich habe schon öfters über den Förderstatus Lernen (L) geschrieben, den Schüler erhalten, die wirklich große Probleme damit haben, sich Unterrichtsinhalte einzuprägen. Sie können nichts dafür, und deswegen haben sie Anspruch auf diesen Förderstatus und einen Nachteilsausgleich in Form eines individuellen Bezugsrahmens (iB) bei der Benotung.
Es gibt allerdings auch noch den Förderstatus geistige Entwicklung (G). Das, was umgangssprachlich als "geistig behindert" bezeichnet wird. Der Unterschied zwischen den Förderstatussis L und G liegt einzig in der ärztlichen Feststellung eines Intelligenzquotienten unter Siebzig, damit G gewährt wird. Mit einem höheren IQ erhält man L.
HP hat überhaupt keinen Förderstatus, und das wundert einige Lehrer, die sie unterrichten, denn sie arbeitet nicht nur extrem langsam mit, sondern selbst im Vergleich zu anderen I-Schülern hat sie Probleme. Sie kann mit ihnen nicht mithalten und ist mit einfachsten Arbeitsaufträgen überfordert. Sie bräuchte eine intensive, individuelle Betreuung. Sie bräuchte einen Förderstatus G.
Das vermuten zumindest die Lehrer, die mit ihr arbeiten - und deswegen ist es so wichtig, dass wir im Kollegium bei verhaltensauffälligen Schülern den Mund aufmachen, und dass wir "Woran liegt das?" fragen. Wenn die Schülerakte nichts hergibt, ist das meiner Meinung nach zunächst einmal wichtiger als das "Wie gehen wir damit um?" - und wir dürfen nicht den Mund halten und wegsehen mit dem Gedanken "Naja, HP ist halt etwas langsam, und nicht so intelligent, aber sie ist doch eine herzensgute Schülerin, ich sag' mal lieber nichts, denn ich möchte nicht, dass ihr daraus Nachteile entstehen."
Letzterer Gedanke dürfte meinen eigenen Lehrern vertraut gewesen sein. Da ging es zwar um das andere Ende des Intelligenzspektrums, aber die crux ist die gleiche: Niemand hat angeregt, mich auf irgendwas testen zu lassen, und ja, es hätte mir einige Erlebnisse erspart, wenn ich den jetzigen Kenntnisstand früher gehabt hätte. Aus dieser eigenen Erfahrung dränge ich immer darauf, bei Schülern genau hinzuschauen und Themen auf den Tisch zu bringen.
Kehren wir zurück zu Hilda-Pomfrieda, denn die wartet immer noch auf ihre faire Behandlung. Ohne Förderstatus erhält sie in ihren Zeugnissen nur die Aussage "Lernziel nicht erreicht", das hat mit Fairness nichts zu tun. Nun haben HPs Lehrer also angeregt, sie auf einen Förderstatus G testen zu lassen - aber es tut sich nichts. Sie erhält keinen Förderstatus, mit der Begründung, dass HP ja schon im vorletzten Schulbesuchsjahr sei, das lohne sich nicht mehr.
Das ist einfach nur grausam! HP wird also keinen regulären Schulabschluss machen können, und was bleibt ihr dann noch? Zur Info: Schüler wie HP mit einem ordentlich festgestellten Förderstatus G haben ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz in den Behinderten-Werkstätten (wie zum Beispiel hier in Kiel die Stiftung Drachensee). Dort können sie sich einen Freundeskreis aufbauen, der sie akzeptiert, sie können arbeiten und ihr Leben mit Unterstützung bewältigen - und genießen.
Und was wird mit HP passieren, die keinen Förderstatus mehr bekommt, weil sie ja eh' bald nicht mehr zur Schule gehen muss? Sie könnte durch das soziale Raster durchfallen und auf die schiefe Bahn geraten, weil sie keinen regulären Job findet - und sie weiß nicht, was sie falsch macht.
Es gibt also noch Nachbesserungsbedarf, und zwar nicht nur bei'm Förderstatus Emotionale und Soziale Entwicklung.
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