Donnerstag, 30. Juni 2022

Gelassen


Ich hatte ja sowas von keine Lust auf heute. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich immer noch auf einem riesigen Sportfeld, ich etwa dreizehn Jahre alt, die pralle Sonne brennt runter, es gibt keine Schattenplätze, Mittagshitze, und es dauert ewig. Handballturnier. Eines der schlimmsten (leider wiederkehrenden) Events meiner Kindheit, ich schwitze, ich möchte nicht, ich hab Angst, abgeworfen zu werden, mein Kreislauf kollabiert, ich sehe weiße Sterne.

Genau das habe ich für heute kommen sehen, aber nützt nix, ich bin für "meine" Sieben A dort, Aufsicht und anfeuern bei'm Fußballturnier des siebten Jahrgangs. Wie passend, dass mir gestern der neue Logiktrainer in's Haus geflattert ist (war eine wunderbare Idee, ihn zu abonnieren, ich habe massenhaft Rätsel, um die Zeit totzuschlagen). Und ich kannte den Sportplatz bisher noch nicht, aber er ist eigentlich echt gut, komplett von hohen Bäumen umgeben, es gibt Schattenplätze und einen angenehmen Wind.

Und so habe ich einen entspannten Vormittag verbracht, Kids zugejubelt, toll, zwei der Extrapreise gingen an die A. Rätsel gelöst, mit einem Schüler über The Talos Principle herumgenerdet und als Quittung jetzt doch einen Sonnenbrand eingeheimst. Ich hatte Sonnencreme mitgenommen, aber nicht benutzt, weil ich voll in the zone war und nicht daran gedacht habe. Jetzt gibt es ein kaltes Ölbad, das hilft ungemein, denn: Sonnenbrand plus Neurodermitisschub ist eine Tortur. Pure Folter.

Aber ich kann das alles gelassen hinnehmen, denn ich habe eine Perspektive.

Mittwoch, 29. Juni 2022

Vielleicht ein bisschen schlauer


Und damit geht die diesjährige Projektwoche zu Ende. Ich habe ein paar sehr interessante neue SchülerIn kennengelernt. Wie auch schon an der Berufsschule finde ich es toll, Menschen im Kurs zu haben, die sich wirklich für Filme interessieren. So kann man ein wenig herumnerden und bekommt auch selbst neue Impulse. Und natürlich freut es mich immer wieder, einen neuen Schüler on the spectrum zu treffen.

Wir haben eine bunte Filmauswahl geschaut, diskutiert, und wie das Tafelbild zumindest in Ansätzen zeigt, sind wir zu der Feststellung gekommen, dass die Frühzeit des Films sich eigentlich noch nicht um Vielfalt geschert hat; Tod Brownings Freaks (1934) war da schon eine echte Ausnahme. Auf der anderen Seite werden heutzutage nicht nur noch vielfältige Filme produziert, es gibt immer noch Filme wie It Follows (2014), die minimalistische Züge aufweisen und vielleicht auch gerade wegen ihrer Einfachheit gut wirken. Dieser Film hat übrigens (nicht zuletzt wegen des offenen Endes) eine interessante Diskussion in Gang gesetzt - ich werde ihn definitiv in meinen Schulkanon aufnehmen, als coming of age-Film, der gleichzeitig nochmal als Warnung vor AIDS verstanden werden darf.

Allerdings bin ich nicht zufrieden mit meiner Planung. Das war am Ende nicht rund, und ich hätte definitiv mehr Zeit investieren sollen - wobei vermutlich nicht die Zeit das Problem war, denn ich habe sehr viel über diese Projekttage nachgedacht. Ich hätte mein Konzept doch lieber umfangreich verschriftlichen sollen, dann hätte ich ein paar Stolperfallen bemerkt.

Trotzdem hat es mir Spaß gemacht, und ich hoffe, die SchülerIn sind vielleicht ein bisschen schlauer aus dem Projekt gegangen. Sie sind jetzt definitiv Experten im Bechdel-Test, und ich könnte mir gut vorstellen, dass sie in Zukunft mehrere Filme hinsichtlich ihrer Repräsentation von Frauen abklopfen werden. 

Morgen Sportfest. Not my cup of tea, aber ich werde meine Siebener beaufsichtigen und anfeuern, und vielleicht finde ich ja einen Schattenplatz.

Die Ferien nahen!

Montag, 27. Juni 2022

Stuhlkreis For Breakfast & Meltdown vor der Klasse


vorweg:

Freitag, 24.06.2022, 18:04 Uhr

Wie fange ich nur an? Wo? Kopf. Gegen Außenwelt abschirmen. Shutdown, nur ich, nur Musik, nur denken.

20:46 Uhr:

Sehr schönes period drama (siebzehntes Jahrhundert England, post-Cromwell, Thema Emanzipation der Frau) angeschaut, hat geholfen, den Kopf etwas runterzubringen ("Fanny Lye deliver'd", 2019). Bin aber immer noch prä-Meditation, Bad wartet, kaltes Wasser dürfte gegen den Neurodermitisschub helfen. Wird definitiv The Orb werden, gleich.

23:28 Uhr:

Ich muss zuerst ein paar Menschen von heute kurze Nachrichten schicken, Verhalten erklären, Rückmeldung zum Projekttag schicken blablabla. Der Blogeintrag muss warten (wobei der Insider natürlich weiß, dass der Eintrag parallel im Kopf bereits geschrieben wird).

Samstag, 25.06.2022, 12:57 Uhr:

Geschlafen bis jetzt trotz 30°C in der Wohnung die ganze Nacht über. War wohl nötig. Jetzt erstmal "Frühstück" und Google News. Ich sehe das schon kommen: Ich werde den eigentlichen Blogartikel, den Account vom Freitag inklusive meiner Zukunftsperspektive erst morgen tippen. Passt schon, in meinem Kopf schreibt er sich bereits voran, und die Hausarbeit für das zweite Staatsexamen habe ich auch am letzten Abend vor Abgabe runtergeschrieben. Erstmal richtig wachwerden, mit Otts Skylon als sanftem Begleiter - geht nichts über etwas Dub am Morgen. Mittag. Whatever.

13:45 Uhr:

Und dann fällt "Roe". Und dann gibt es mal wieder ein Attentat auf einen schwulen Club, diesmal in Oslo, zwei Tote. Alles weit weg von hier, aber das erschüttert mich. Einmal raus, in die Stadt gehen, ich brauche Luft, und lese Lois Duncans "Gallows Hill" weiter, um den Geist durchzulüften.

19:00 Uhr: 

Ich zerfließe, aber Therapie ist parat. Interessant, wie mein Gehirn einen Eintrag zur Massenhandtuchwäsche schreibt (ist in einer Dachgeschosswohnung nötig) und gleichzeitig weiter den wirklich wichtigen Beitrag im Hintergrund tippt. Es ist irre, was das menschliche Gehirn alles leisten kann!

23:11 Uhr: 

Und jetzt die Ankündigung, dass "Obergefell" kippen wird - damit wird die Ehe für alle in den USA wieder Geschichte. Grauslig. Einziger Lichtblick gerade die Erkenntnis, dass dieser ganze Tagebuchkram als Metaebene in einem vorweg: kursiv gesetzt wird und ich endlich den eigentlichen Beitrag beginnen kann.


Freitagmorgen. Um halb sechs klingelt der Wecker, ich habe nur vier Stunden geschlafen, aber eine Koffeintablette macht mich arbeitsfähig. Heute lese ich mal keine News direkt nach dem Aufstehen, sondern schaue, ob mein Tagesplan immer noch steht: Acht bis Dreizehn Uhr erster Projekttag Vielfalt im Film, Vierzehn Uhr Abschiedsfeier der MSA-Kids, dann schnell nach Hause: DrS, mein Psychiater in Neumünster hat mir ein Zeitfenster von Dreizehn bis Sechzehn Uhr angeboten für ein Telefonat. Ich habe Panik, und ich bin aufgeregt, und ich fürchte, dass ich nach den ganzen Schulsachen mich doch wieder um das Telefonat drücken werde.

Aber gerade deswegen hat er mir ja vorgestern noch eine zweite Nachricht geschickt, in der er meine Telefonangst anerkennt und mich ermutigt, es trotzdem zu tun, und ich könne gar nichts falsch machen, im Gegenteil, wenn, dann sei er es, der etwas falsch mache, wenn er nicht die richtige Hilfe und Auskunft gebe. Whatever, compartmentalizing, das kommt später. Jetzt den Bluray-Player einpacken, und die Filmtasche, alle sechsunddreißig Filme sind drin. Ach so... sollte ich den Ablauf des Projekttags vielleicht noch einmal aufschreiben? Ich mache es, zur Beruhigung, aber eigentlich habe ich alles im Kopf.

Wo ist nur die Schachtel mit den name tags and clips, ich wollte mir doch so ein schönes Namensschild zurechtbasteln, nachdem ich den Schülern das am Dienstag aufgegeben hatte. Scheiße. Ich kann sie nicht finden, und da hilft es auch nicht, die gleiche Suchroute in der Wohnung dreimal abzugehen. Vielleicht liegen sie im Auto. Zeit läuft weg, Aufbruch.

Projektgruppe ist vom Tag der Vorbesprechung ein wenig geschrumpft, aber sie sehen alle startbereit aus. Sollte eigentlich mit einem Stuhlkreis beginnen, aber sie haben sich schon anders hingesetzt, whatever. Zick zack, Vielfalt, Mind Map, machen wir mal eine Timeline an's Whiteboard, notieren bahnbrechende Filme in Sachen Technik. Beide Freaks-Filme geschaut, SchülerIn brauchten nicht lang, um zu bemerken, dass die "normalen" in den Filmen negativ wirken aufgrund ihrer Abneigung gegenüber den Andersartigen, passt. 

Dazwischen halbe Stunde Frühstückspause. Wie es nun mal ist, gehen die meisten zu Rewe, das ist eine Tradition an dieser Schule. Irgendwie werde ich das vermissen, SchülerInnen zu begegnen, die heimlich in der großen Pause in den Supermarkt wollen, obwohl sie noch in der Sek I sind, und sie zurückzupfeifen. Wir bleiben zu dritt im Raum, mein Autist aus Neun, ein weiterer Schüler und ich, und wir reden ein bisschen über Autismus und so ganz nebenbei finde ich heraus, dass auch der zweite Schüler im Raum Autist ist, und so nerden wir ein bisschen rum über die Vor- und Nachteile einer frühen Diagnose. Ja, es gibt Nachteile. Nicht jetzt, nicht hier. Viel wichtiger bleibt mir im Kopf hängen, dass ich nicht der Einzige im Raum bin, der in seiner Kindheit fasziniert der Waschmaschine zugeschaut hat. Rain Man. Das scheint echt ein Klassiker zu sein.

Ich könnte mit den beiden noch weiter über Autismus reden, das ist so wunderbar entspannt, endlich mal darf ich davon ausgehen, dass meine Gesprächspartner das meinen, was sie sagen, und muss da nicht viel grübeln. Echt erleichternd. Vielleicht sollten wir eine autistische Gesprächsrunde in der Schule einrichten.

Whatever, geht jedenfalls weiter im Programm, und dann muss ich ihnen nur noch die Filmtasche zeigen und dann können sie sich ihre Filme

"DU! JETZT! ZUM CHEF!"

Was macht die kleine Hummel hier? Ich kann nicht jetzt

"LOS! NICHT DENKEN!"

"Das ist scheiße, das ist richtig scheiße gerade", fahre ich sie vor der Gruppe an.

Gedankenzüge entgleisen, was mache ich hier, ich gehe mit der Hummel in den Verwaltungstrakt und sie erklärt mir auf dem Weg, dass er mich an der Schule behalten möchte. Dass ich bleiben kann. 

Ich bin absolut überfordert, weiß gar nicht, wie ich diese Info verarbeiten soll, die Hummel setzt mich auf die Wartebank vor'm Chefbüro. Ich werde reingerufen, und tatsächlich. Ich kann ein Jahr verlängert werden, ich kann das kaum begreifen und werde gefragt, ob ich wohl ein weiteres Jahr an der Schule bleiben möchte, äh, ja? Nur noch warten bis Montag, dann wissen wir, ob alle Ampeln grün sind, aber das wird klappen.

Ich gehe mit einem Gefühl von frei zurück zu meinen Leuten, die letzte Stunde des Projekts erlebe ich wie in Trance, der Kopf längst nicht mehr bei Vielfalt im Film. Ende, raus auf den Schulhof, durchatmen. Es ist unglaublich heiß, und ich freue mich schon auf meinen Backofen äi käi äi Wohnung. Ich muss noch eine Stunde warten für die Abschiedsfeier, aber ich will meine Kids unbedingt mal in schick sehen. 

Und schick erscheinen sie. Wow, ich erkenne meine SchülerInnen kaum wieder! Ein Schüler mit wehenden Haaren und Sakko wie ein polnischer Pianist, eine Schülern mit Make Up, ondulierten Haaren und Kleinem Schwarzen sieht auf einmal total erwachsen aus, ich kann mich gar nicht satt sehen an diesen jungen Menschen, die plötzlich so etwas wie Seriosität zeigen. Ich genieße die Feier, die Vorträge und alle schwitzen, es sind gefühlt vierzig Grad in der Banane und der Blick wandert immer wieder zur Uhr, vierzehn Uhr dreißig, ich würde gern die Zeugnisübergabe sehen, aber ich muss aufbrechen.

Das Zeitfenster für das Telefonat mit DrS ist nämlich nicht unendlich groß. Ab nach Hause, fünfzehn Uhr. Ich habe einen Job. Bilder von der Verabschiedung. Alles kreist im Kopf und ich rufe leicht panisch DrS an, den ich vorher noch nie gehört habe und ich weiß gar nicht, wie dieses Gespräch werden wird und hoffe, er führt mich da gut durch.

Tut er. Wir sprechen knapp fünfzig Minuten, in denen mir bewusst wird, dass ich endlich ernst genommen werde. DrS lässt mich aus meinem EGO-Buch vorlesen, alles Mögliche an Verhaltensauffälligkeiten und er sagt, dass da schon einige sehr eindeutige Dinge dabei sind, und dass er mich gern als Patienten aufnehmen möchte. Ist allerdings nicht so leicht, ambulant ist er ausgebucht wie so viele andere auch, nicht wahr, Brit Wilczek, die mir in diesem Gespräch schon wieder über den Weg läuft. Was nützt mir eine ganz tolle Frau, wenn sie keine Zeit für mich hat. Aber DrS ist dran an der Sache und wird versuchen, einen Stationsplatz für mich zu bekommen. Das könnte alles etwas zeitaufwändig werden, könnte aber auch schon nach einer Woche abgeschlossen sein. Wir verabreden uns für Mitte August, dann kann er mir vielleicht sagen, ob eine freie Stelle aufgetaucht ist. 

Telefonat beendet. Noch mehr Leichtigkeit. Ich fange an zu heulen, vor Freude, weil plötzlich alles weitergeht. Ich kann ein weiteres Jahr an der Toni bleiben, und ich habe einen Psychiater in Neumünster, der nach einem Platz für mich sucht (passt gut, dass er Oberarzt einer Fachklinik dort ist), auch wenn ich Kieler bin und der Einzugsbereich eigentlich Neumünster ist. Die Projektwoche ist gestartet. 

Tausend Gedanken verschmelzen zu einer Art Sturm im Kopf, ich brauche eine gründliche Meditation. Soll ich darüber heute im Blog schreiben? Dafür reicht die Zeit nicht, das dürfte ein etwas längerer Eintrag werden. Aber worauf warten? Okay, ich fange definitiv heute an mit einem Blogeintrag darüber. Erstmal nur stream of consciousness. Wie fange ich nur an?

Freitag, 24.06.2022, 18:04 Uhr:

Wie fange ich nur an?

Donnerstag, 23. Juni 2022

Zuviel


...und dann kommt wieder alles auf einmal. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, aufgeregt, nervös und habe den Kopf voll mit tausenden Gedanken, die ich kaum sortieren kann. Morgen wird ein komplexer Tag - zuerst beginnt unsere Projektwoche, und ich bin so aufgeregt, weil ich nicht weiß, ob das so klappt, wie ich mir das vorstelle, und weil ich heute keine Klemmbretter gefunden habe. Eine Stunde nach Ende des Projekttags findet dann die Abschiedsfeier für die SchülerInnen mit dem Ersten und Mittleren Schulabschluss statt, wo ich unbedingt hin muss, denn das sind Kids, die ich begleitet habe und die mir sehr viel bedeuten (und das Kurstreffen in den Sommerferien bekommen wir schon irgendwie geschaukelt). Gleichzeitig liegt das Zeitfenster, in dem ich den Psychiater in Neumünster anrufen kann, also werde ich nach der Feier nach Hause fahren, per Kurzmeditation meinen Kopf zu sortieren versuchen und dann steht eben jenes Gespräch an. 

Alles viel zu viel für einen Tag; morgen wird sich die abendliche Meditation definitiv lohnen, ich plane zwei Stunden ein und gehe mal wieder auf The Orb's Adventures Beyond the Ultraworld (1991), das begleitet schön bei'm Abarbeiten. Ich melde mich mit Ergebnissen, aber bitte Geduld wahren!

Mittwoch, 22. Juni 2022

This is not goodbye.


Die Tränen rollen wieder. Abschiedsgeschenke der SchülerInnen und ich würde am liebsten aus dem Fenster springen, weil das alles einfach so unfair ist und weil ich sie nächstes Jahr einfach weiter unterrichten möchte. Daraus wird nichts (in der klassischen Form), aber ich werde meinen Fuß in der Schultür behalten. So schnell werden die mich nicht los!

Morgen ist der letzte reguläre Schultag. Immerhin darf ich meinen Kurs in Acht noch einmal wiedersehen, nachdem ich sie zum Halbjahr abgeben musste. Ihnen hatte ich damals auch einen Horrorfilm versprochen - also wird es auch für sie morgen Drag Me to Hell (2009) geben. Mit meinen Siebenern schauen ich dann noch das Finale des Films, das fehlte uns, und es gibt Zeugnisnoten und -gespräche. Danach muss ich dann fix nach Hause, habe eine wichtige Mail bekommen, Details müssen warten...

...denn gleichzeitig ist morgen der letzte Vorbereitungstag für die Projektwoche, die am Freitag beginnt. Meine Gruppe hat sich nochmal etwas verkleinert, da dürften zehn SchülerInnen sitzen, mit denen ich dann zusammen ein bisschen Filmanalyse, Filmhistorie und Horizonterweiterung betreiben kann. Das mildert den Trennungsschmerz etwas ab, aber natürlich verschwindet der nicht einfach.

Aber - ich lass' nicht los. This is not goodbye!

post scriptum: Und in den Sommerferien gibt es noch ein Kurstreffen mit meinen Zehnern, darauf freue ich mich schon sehr.

Donnerstag, 16. Juni 2022

Mit dem falschen Bein aufgestanden


Gibt es da nicht diese Redewendung? Wenn an einem Tag fast nichts klappt? Mir geht da wieder der Passierschein A-38 durch den Kopf, und mein Telefonathorror hat sich mal wieder selbst bestätigt: Ich erreiche den Arzt nicht. Nicht unter der Nummer, die er mir gegeben hat, nicht unter der anderen Nummer, die ich heute erfahren habe. Da ist ernsthaft eine kleine Panikattacke an mir vorbeimarschiert und ich habe es nochmal per Mail versucht, diesmal von meiner Schuladresse aus, vielleicht landet die nicht im Spam. Und morgen früh versuche ich es noch einmal per Telefon, bevor ich mir dann ein paar mündliche Prüfungen anschaue.

Dann der Gedanke, dass ich heute nochmal gern die Pizza mit dem Käserand hätte. Nebenbei ist es interessant zu bemerken, wie sehr die Marken ihre Artikel auf Englisch trimmen - Stuffed Crust, Salted Caramel, Salt & Vinegar, die Liste kann man sehr lang weiterführen. Die deutsche Sprache könnte dabei ein bisschen verloren gehen, wobei "Pizza mit gestopftem Rand" nicht unbedingt marketingtauglich ist.

Also fahre ich in's rewe-Zenntruwah, die haben diese Pizza immer vorrätig. So gehe ich die gefühlten vier Kilometer Weg durch Süßes und Ungesundes und lande in der Tiefkühlecke, und finde... nichts. Alles leer. Stopfpizza leer. Fischstäbchen leer. Pfannengerichte leer. Finderfood leer. TK-Gerichte leer. Ich habe die Tiefkühlecke im Center noch nie so ratzekahl leer geräumt gesehen, und aus Neugier habe ich eine Angestellte gefragt, ob der Tiefkühllaster ausgeblieben ist - wird wohl so sein, erklärt sie mir, und dass es noch sehr viel mehr Lieferschwierigkeiten zu geben scheint. Mein Gehirn denkt frei-assoziativ gleich an den Ukraine-Krieg und macht dicht. 

Ab nach Hause. In Sicherheit. Mit der letzten Schachtel Fischstäbchen, die im Regal zu finden war. Manchmal könnte man sich einbilden, es gäbe so etwas wie schwarze Tage (an denen man mit dem falschen Bein aufgestanden ist).

Aber das ist natürlich Unsinn, versichern mir Buddha und gesunder Menschenverstand. ;-)


Mittwoch, 15. Juni 2022

Stammdatenprüfung: Fehlerfrei


Nach den Oster-Unterstellungen in der Schule habe ich nichts mehr gemacht, was mit Arbeit zu tun hatte, beziehungsweise mit ihrer Bürokratie. Das hat mich damals so fertig gemacht, dass in meinem Kopf nichts Anderes übrig gewesen ist. Auch eine Variation des Hyperfokus, der bei so vielen Autisten auftritt. Natürlich habe ich auch meine Bewerbungsmappe im pbOn nicht aktualisiert und keine neuen Bewerbungen geschrieben. Pure Resignation.

Ich hätte das auch weiterhin vollkommen übersehen, wenn mich nicht jemand darauf hingewiesen hätte (weder SL noch Personalrat). Klar, eigentlich muss man das selbständig auf die Reihe bekommen, aber darum geht es ja bei einer Behinderung: Manche Dinge kann man nicht - auch wenn es für Außenstehende überhaupt nicht nachvollziehbar erscheint.

Heute habe ich das endlich erledigt. Ein bisschen Geklöter auf der Tastatur (die große Buba streicht mir gerade zwei Fehler für falsch geschriebene Worte an, und wenn sie das nicht tut, dann möge bitte ihre rechte Tättah explodieren), und mittlerweile ist es ja nicht mehr viel. Ich habe mein Anschreiben in den letzten zwanzig Anläufen so weit konkretisiert, dass ich eigentlich nichts mehr ändern muss bis auf das Datum des Anschreibens, und ich muss die Beschäftigungszeile im Lebenslauf aktualisieren.

Beides gemacht, in PDF umgewandelt, hochgeladen. Mich für das zentrale Bewerbungsverfahren angemeldet, einmal Vertretungsstellen, einmal Lehrerstellen. Als Kreis diesmal nur noch Kiel angegeben. Resignation, wie gesagt.

Und dann passiert etwas, das mir in den ganzen zehn Jahren Bewerbungen noch nie passiert ist: Die Überprüfung meiner Stammdaten und der Bewerbungen hat ein "fehlerfrei" ergeben. Das gab es wirklich noch nie - kein Wunder, denn im Ministerium werden Menschen dafür bezahlt, nach den kleinsten Unstimmigkeiten in den tausend Reitern der Bewerbungsmappe zu suchen. Und da die Formulierungen an einigen Stellen uneindeutig oder sogar widersprüchlich sind, hat mich das natürlich immer wieder irritiert und mir ein Bein gestellt.

Diesmal nicht. Und so stehe ich wieder den Kieler Schulen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, wohl wissend, dass ich nicht noch einmal an eine andere Schule gehen werde. Und wer diesen Blog in den letzten Jahren verfolgt hat, der wird sich vielleicht nicht mehr fragen, warum ich mich nicht für ganz Schleswig-Holstein oder zumindest die umliegenden Kreise bewerbe und auch nicht an einer anderen, neuen Schule als Vertretung einspringen werde.

Für alle Anderen: Dieser Nerventerror, den ich in den letzten Wochen und Monaten hatte, hatte ich an jeder Schule, weil ich jedes Mal wieder um mein standing kämpfen musste und jedes Mal wieder ausgegrenzt worden bin (Ausnahme St.Peter-Ording, as you know). Noch einmal halte ich diesen Kampf nicht aus. Und an der Toni kennen mich nach zweieinhalb Jahren jetzt viele Kollegen und Schüler und ich bin nicht mehr der ganz neue, unbekannte, arrogante Asoziale, dem man nicht vertrauen kann (und ich wünschte, das wäre eine übertriebene Formulierung, aber auch das hat man mir direkt in's Gesicht gesagt).

So, geht weiter, in der Wohnung fliegt noch viel Papier herum, das einsortiert werden muss!

Sonntag, 12. Juni 2022

"Reclaiming my time."

Ein echtes Schlachtschiff: Katie Porter

Als Teenager hätte ich im Leben nicht gedacht, dass mir Politik einmal soviel Spaß machen würde. Und heute sitze ich da und verfolge MSNBC und C-Span und feiere meine eigene kleine Party. Aber von Anfang an.

Es gibt ein paar amerikanische Politiker, die mir sehr sympathisch sind und denen ich gern zuhöre, zum Beispiel die SenatorInnen Elizabeth Warren, Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez ("AOC"). Ich mag ihren bissigen Stil, und wie sie es schaffen, in den Anhörungen den Finger immer direkt in die Wunde zu legen und keine deutliche Sprache scheuen, wenn sie die Tricks und Betrügereien von Politikern und Geschäftsführern (CEOs) auf's Tapet bringen (maskulinum, weil es - leider - zum allergrößten Teil Männer sind, die Mist machen).

Nun gibt es seit ein paar Jahren eine freshman congresswoman, eine neugewählte Kongressfrau, die ordentlich auf den Putz haut. Ich dachte bei Katie Porter erstmal nichts Besonderes, schien eine unauffällige Dame zu sein, aber wenn sie in den Anhörungen den Mund aufmacht, dann werden die Angehörten schnell ganz klein: Sie ist immer extrem gut vorbereitet, sie befolgt eine goldene Regel ("Stelle niemals eine Frage, auf die du die Antwort nicht weißt") und sie macht sehr schnell klar, wer hier das Sagen hat.

Und das ist im Kongress ganz genau festgelegt: Jeder Abgeordnete hat das Recht auf fünf Minuten Rede und Fragen an den Angehörten. Weil das auf die Sekunde genau abgemessen wird, ist es their time, ihre Zeit; das bedeutet, dass Katie Porter und jeder andere Abgeordnete mit diesen fünf Minuten machen darf, was sie will.

Nun wissen wir, dass einige Politiker und CEOs pikanten Fragen gern ausweichen, sei es mit Platitüden oder ausweichend-aufgeblasenen Antworten a la "Vielen Dank, Kongressfrau, für diese Frage, und zuerst einmal muss ich ihnen mein Kompliment aussprechen, wie sorgfältig sie diese Sitzung vorbereitet haben blablablablablabla..." - das Ziel ist es eindeutig, die fünf Minuten Redezeit möglichst selbst zu füllen, damit so wenig bohrende Fragen wie möglich kommen.

Es gibt allerdings eine Redeformel, die das verhindern soll: Reclaiming my time. Übersetzt in etwa "Ich fordere meine Zeit zurück!" oder "Seien sie still, sie weichen aus, sie reden Unsinn, sie stehlen mir meine Zeit." Als "anständiger" Angehörter stoppt man dann sofort seine Antwort. Manche sind allerdings so dreist, dass sie ununterbrochen weiterreden, und dann sogar der Kongressperson Unverschämtheit vorwerfen dafür, dass sie nicht ausreden dürfen. Sie sind damit im Unrecht.

Ich finde es so herrlich, wie sinnvoll, wie stringent und gnadenlos Katie Porter davon Gebrauch macht und man dann das dümmliche Gesicht des Angehörten sieht. Wer das einmal erleben möchte, für den gibt es zwei kurze Videos - einmal Maxine Waters im Gespräch mit dem damaligen Finanzminister Steven Mnuchin (unter Trump), der sie dann anpampen möchte, aber direkt zurechtgewiesen wird (00:40-04:00 [ein besonderer Genuss ist ihr gebetsmühlenartig wiederholtes "reclaiming my time" inklusive Blick bei 02:30] - she kills me EVERY time!):


Und einmal eben jene Politiker grillende und Geschäftsführer durch die Mangel drehende Katie Porter, die ich mittlerweile auf Youtube abonniert habe, weil sie mich auch weiterhin an gute PolitikerInnen glauben lässt (auch die Kommentare darunter lohnen sich):


Und mir macht es wirklich Spaß, das zu beobachten. Hätte ich niemals gedacht, aber das ist genau meine Art von Humor, wenn diesen Labersäcken endlich mal das Maul gestopft wird. Hätte ich selbst gern so manches Mal in meiner Zeit im Kieler Studierendenparlament gesagt. Und falls Ihr mich nun zutexten wollt:

Reclaiming my time. Hier gibt's jetzt Videospiele.

post scriptum: Ja, ich bin mir bewusst, dass niemand sonst das witzig findet. Aber wisset Ihr, dass ich hier gerade mit Magenkrämpfen bei einem Lachanfall fast gestorben wäre. Die große Buba kennt das, das ist schon kein Lachen mehr, sondern ein Pfeifen aus den letzten Löchern. Äi käi äi es geht mir heute gut.

Freitag, 10. Juni 2022

Was ich gerne sagen würde


Manchmal stelle ich mir vor, wie ich vor dem Kollegium stehe und etwas sage.

Ich bin kein böser Mensch.

Ich wünschte, das könnten alle von euch sehen.

Ihr seht in mir den Kollegen mit den Outfits, die asozial wirken und darauf schließen lassen, dass ihm die Gesellschaft vollkommen egal ist. Dazu passt es, dass er eigentlich nie an schulischen Veranstaltungen zum socializing teilnimmt, und dass er nur zu seinen Unterrichtsstunden in der Schule ist. Dass er in den Konferenzen immer ganz am Rand sitzt, mit seinem Blick in einem Rätselheft, als sei ihm vollkommen egal, was mit der Schule passiert. Und es passt auch, dass er eigentlich nie schulische Projekte mit anderen Kollegen startet. Und sich in den Konferenzen fast nie zu Wort meldet, und kein Interesse an Smalltalk zu haben scheint.

Es sei denn, das Thema interessiert ihn: Dann seht ihr den Kollegen, der sich ungefragt in Unterhaltungen einschaltet. Der seinen Senf dazugibt, auch wenn es vielleicht gerade ein privates Thema ist. Der sowieso ziemlich aufdringliche Nachrichten schreibt und nach persönlichen Details fragt, die ihn eigentlich gar nichts angehen sollten, und der Dinge aus seinem Privatleben preisgibt, die ihr eigentlich nicht wissen wollt, und das mit einer Offenheit und Direktheit, die vollkommen überfordert. 

Und seine unterrichtliche Arbeit? Es ist kein Wunder, dass seine SchülerInnen den Unterricht bei ihm gut finden, denn er schaut mit ihnen ja nur Filme und Serien, und dann spielt er auch noch Videospiele mit ihnen - das hat alles mit Englischunterricht nichts zu tun, und überhaupt scheint er sich überhaupt nicht um den Lehrplan zu scheren. Wahrscheinlich geht es euch ziemlich auf die Nerven, wenn eure SchülerInnen von ihm erzählen.

Ihr seht einen arroganten Kollegen, der redet, als wüsste er alle Antworten und würde auch von euch verlangen, dass ihr diese Antworten wisst. Er ist unnahbar, er strahlt eine emotionale Kälte in kritischen Situationen aus und greift euch rücksichtslos an euren wunden Punkten an. Ihr seht einen Menschen, der hinter seiner freundlichen Fassade fiese Gedanken zu haben scheint.

Aber das ist keine Fassade. Ich bin kein böser Mensch.

Ihr seht nicht den Kollegen, der euch immer freundlich grüßt und jedes mal die Tür aufhält, wenn er kann. Der im Kopierraum, wenn keiner da ist, bei allen Kopierern nachschaut, ob noch genug Papier in den Fächern ist, und nachfüllt, sollte das mal nicht der Fall sein. Er traut sich aber nicht, das zu machen, wenn Andere im Raum sind, weil es dann wirken könnte, als besetze er alle Kopierer. Er möchte es nicht noch schlimmer machen.

Ihr seht nicht, dass er euch gern alle lästigen Zweitkorrekturen abnehmen würde, gerade in der Oberstufe, denn ihr fragt ihn nicht und er traut sich nicht, das aktiv anzubieten, denn das könnte ja auch wieder als aufdringlich aufgefasst werden.

Woher solltet ihr auch wissen, dass ihm jeder einzelne seiner Schüler und Schülerinnen am Herzen liegt? Dass er die Sorgen der Kids im Kopf mit sich nach Hause nimmt und zuhause überlegt, wie er ihnen helfen kann, und das macht er den gesamten Rest des Tages, denn sein Gehirn kennt nicht das Prinzip "Feierabend". Seine Schüler sind ihm wichtiger als seine eigene Gesundheit, und so vergisst er zu essen und trinken, wenn es einen Vorfall gab, oder verschiebt einen Arzttermin, um in Ruhe - stundenlang - darüber nachzudenken, ob eine Schülerin vielleicht eine Autismus-Spektrums-Störung hat.

Ihr seht nicht den Kollegen, der viele Stunden zuhause weint, weil er nicht weiß, was er noch tun kann gegen das passiv-aggressive Verhalten, das ihm in der Schule entgegen gebracht wird. Denn auch wenn es nicht so scheint, und auch wenn es manchmal lange dauert, bis es ihm bewusst wird: Er spürt eure Abneigung, und es tut so verdammt weh und er kann sich einfach nicht erklären, was er noch tun soll. Niemand soll ihn krampfhaft mögen wollen, aber der Hass, der hinterrücks um die Ecke kommt, nimmt ihm jegliches Selbstvertrauen in seine Fähigkeiten als Pädagoge und lässt ihn immer wieder nachdenken, endgültig das Handtuch zu werfen.

Und er kann nicht verstehen, warum ihr ihn trotzdem in der Schule anlächelt und manchmal auch grüßt, denn in seinem Erleben der Welt bedeutet das, dass zwischen euch alles okay ist. Er versteht nicht dieses Gefühl von Widerspruch in seinem Kopf. Widerspruch zwischen dem, was ihr sagt, und wie ihr euch verhaltet. Er spürt nur, dass irgendwas nicht stimmt, und wenn er dann endlich realisiert, dass ihr ihn nicht an eurer Schule haben wollt, bricht für ihn eine Welt zusammen.

Und ich erzähle hier von "ihr" und "er", baue eine künstliche Distanz auf, als seien unsere Denkweisen so unterschiedlich, dass es überhaupt nicht zusammen funktionieren *kann*. Dabei verstehe ich euch! Ich verstehe, warum ihr diese Abneigung hegt. Das ist etwas zutiefst Menschliches: Die Angst vor dem Unbekannten.

Da kommt dieser neue Kollege, der vollkommen unberechenbar ist, dessen äußeres Erscheinungsbild nicht zu dem passen mag, was man hinsichtlich seines Charakters aus Schülerrückmeldungen ableiten kann. Der kein Gefühl hat für "Nähe und Distanz", der alles wirklich so meint, wie er es sagt, ohne jeglichen Subtext, und der völlig unfähig ist, eure subtextuellen Signale zu verstehen - Augenbrauen rümpfen, Körperhaltung, Tonfall, das alles versteht er nicht. Er kann es nicht verstehen, und er kann auch viele Andeutungen nicht verstehen, denn er ist geistig behindert.

Und so oft habe ich mir schon gewünscht, dass man es mir ansehen könnte, so wie bei Menschen mit dem Down-Syndrom, denn dann wäre euch jederzeit bewusst, dass ich ein behinderter Kollege bin, der für seine sonderbaren Verhaltensweisen nichts kann. Dass ich mir mein Verhalten nicht aussuchen kann. Ich bin nicht absichtlich zu direkt, zu persönlich, zu drastisch, zu offen, zu ehrlich. Ich kann es nicht anders.

Und die crux an der ganzen Sache liegt darin, dass ich weiß, dass ihr es nicht böse meint. Dass euer Verhalten aus einer Unsicherheit gegenüber dieser Behinderung resultiert, mit der ihr vielleicht schon bei Schülern, aber noch nie bei Erwachsenen konfrontiert worden seid. Ich nehme euch das nicht übel, wenn ihr denkt, dass man mit knapp vierzig Jahren doch mittlerweile einige "normale" Verhaltensweisen trainiert haben sollte. Es gibt Dinge, die ich nicht trainieren kann.

Ich bin kein böser Mensch, und ich wünschte, das könnten alle von euch sehen. Ich wünschte, ihr könntet über euren Schatten springen und mich in eure Gemeinschaft aufnehmen, so wie ich bin.

Seit Jahren stelle ich mir vor, wie ich das alles sage. Aber ich habe zu viel Angst vor einer erneuten Zurückweisung.

Und deswegen sage ich nichts.

post scriptum: Vielleicht räumt dieser Beitrag den Fehleindruck zur Seite, dass Autisten nicht zu Emotionen fähig wären. Jedes noch so kleine Stück Aufklärung hilft.

Donnerstag, 9. Juni 2022

Der letzte Zaubertrick


Heute war die letzte Stunde in meinem Englischkurs im siebten Jahrgang, in der wir Are You Afraid Of The Dark? geschaut haben. Perfektes Timing: Es war die letzte Episode der zweiten Staffel, diesmal ging es um einen Zauberer, der einen Nachfolger für sich gesucht hat. Genau wie geplant haben wir also zwei Staffeln der Teenie-Gruselserie in einem Schuljahr geschaut, jeden Donnerstag eine Folge mit ein, zwei Ausnahmen.

Und es hat funktioniert; die Schüler haben die Midnight Society kennengelernt, die Gruppe Teenager, die sich jede Woche am Lagerfeuer trifft, um sich unheimliche Geschichten zu erzählen. Das hatte Wiedererkennungswert. Auch das Bewertungssystem war aufschlussreich - nicht wirklich überraschend, aber jetzt habe ich es mal schwarz auf weiß erlebt: Die Episoden, die ich richtig großartig finde - aufgrund ihres Plots, aufgrund ihrer warnenden Botschaften - sind bei den Kiddies eher mittelmäßig gut angekommen. Besser waren die leicht verdaulichen Folgen mit oberflächlicherem Charme; warum haben Teenager es immer mit unheimlichen Clowns? Warum fahren sie so darauf ab? Und Episoden, die total durchgeknallt sind und inhaltliche Anschlussfehler haben: In dem Alter schauen viele Schüler darüber hinweg, das wird nicht wahrgenommen.

Ich bleibe bei dieser "Unterrichtsmethode", und bleibe dabei, dass das für die Jahrgänge Sieben, Acht und Neun wunderbar geeignet ist. Pures Sprachbad, Englisch, keine Untertitel, und Fragen und Antworten zwischendurch natürlich auch einsprachig Englisch. 

Jetzt stehe ich allerdings vor einem Problem: Die SchülerInnen haben mich gefragt, ob wir auch mal einen "richtigen" Horrorfilm schauen könnten. Und ich Idiot habe zugesagt, ich habe ihnen versprochen: "Bevor ich euch als meine Schüler abgebe, schauen wir einen klassischen Horrorfilm zusammen" - ich verspreche Schülern sonst nie etwas, auch generell nie, weil ich weiß, dass ich es aufgrund meiner Verpeiltheit nicht halten kann. Und ich bin davon ausgegangen, dass ich diesen Englischkurs in den nächsten Jahren weiterführen werde - so dass in meinem Kopf dann ein Horrorfilm am Ende der zehnten Klasse stand, wenn sie sechzehn sein würden.

Daraus wird nichts. Also sondiere ich morgen mit ihnen zusammen mal meinen Kopf nach einem familienfreundlichen Horrorfilm. Davon gibt es einige, und ein paar davon sind gar nicht so schlecht. The Babadook? A Quiet Place? Poltergeist? Ich schaue mal, dass ich etwas finde, was sie mit einem Grinsen nach Hause gehen lässt.

Diese Schüler nach zweieinhalb Jahren abgeben zu müssen... das trifft in's Herz.

Dienstag, 7. Juni 2022

Kalt. Heiß. Kalt.

Mehr Bus fahren!

So, Körpertemperatur ist wieder normal; ich habe das Wochenende krank im Bett verbracht. Und wenn ich nicht im Bett war, habe ich tatsächlich gefroren - und das, wo meine Wohnung vor einer Woche noch einem Backofen glich. Und davor wieder Frosttage. 

Die derzeitigen Wetterwechsel sind vielleicht nicht ganz so ungewöhnlich, und zur Kieler Woche erwarte ich natürlich wieder Regen. Was allerdings auffällt, sind Tornados in Deutschland. Bilder von Verwüstungen durch Wirbelstürme aus den USA? Ganz normal, da gibt es die tornado alley, alles nicht ungewöhnlich. Aber mitten in Deutschland? Dazu so heftige Hagelschauer, dass eine zwanzig Zentimeter dicke Hagelschicht liegen bleibt.

Unser Wetter wird extremer. Keine große Erkenntnis. Wobei... wenn man gewisse Parteien betrachtet, besonders in den USA, dann scheint das alles ganz normal zu sein. Gab es immer schon. Und Klimawandel gibt es nicht, und wer das nicht glaubt, dem bringt ein Senator dann mal einen Schneeball mit an's Podium. Von wegen Erderwärmung.

Es ist kaum zu glauben, wie dickschwartig manche Menschen den Klimawandel verleugnen. Oder, wer sich elegant herauslavieren will, der erkennt den Klimawandel an - aber der Mensch hat damit natürlich nichts zu tun. Ich leiste nur einen ganz kleinen Beitrag, um meinen CO²-Fußabdruck zu verringern, aber immerhin: Am Ende der Sommerferien werde ich das Auto meinen Eltern zurückbringen. Kiel lässt sich vollkommen per Bus bewältigen. 

Und ich warte natürlich weiter freudig auf die Straßenbahn für Kiel...

Freitag, 3. Juni 2022

Verwässerte SchülerInnen, oder: Der Genuss, Erklärungen zu suchen

Ich liebe Rätsel, ich liebe es, nachzudenken und Antworten zu finden. Gestern ist mir ein neues Rätsel in mein elektronisches Postfach geflattert, in Form der Teilnehmerliste meines Filmprojektes für die Projektwoche.

Man würde wohl denken, dass sich in erster Linie meine eigenen Schüler für das Projekt anmelden, aber das war diesmal kaum möglich: Ich habe mein Projekt für die Jahrgänge Neun bis Zwölf angeboten, die meisten meiner Schüler sind allerdings in Sieben. Die meisten Schüler meines Neunerkurses haben klasseninterne Projekte - also war ich sehr gespannt, wer sich denn so für mein Filmdings interessieren würde. 

Es war ein Genuss, die Liste zu lesen, voller interessanter Feinheiten, die ich gestern und heute in Meditationen degoutiert habe. Es überrascht mich nicht, dass Autisten sich für mein Projekt angemeldet haben. Ich kann bestätigen: Der Draht ist da, in welcher Form auch immer, und es zahlt sich aus, eine autistische Lehrkraft zu haben, wenn man SchülerInnen mit autistischen Verhaltensweisen hat. 

Einen dieser Teilnehmer unterrichte ich noch nichtmal selbst, bin aber eben über die Autismus/Otherness-Schiene im Kontakt und gespannt drauf, m/w/d real kennenzulernen. Ich finde, wenn ich das richtig sehe, Kollegenkinder in der Liste, die ich bisher nicht unterrichtet habe - das macht mir ein bisschen Angst, weil ich wieder denke, ich könnte etwas falsch machen und noch mehr Gegenwind gegen mich aufheizen - allerdings glaube ich, dass ich mit den betreffenden KollegInnen ganz gut klarkomme. Dann sind da noch ältere Geschwister von Kiddies, die ich unterrichte, das wird interessant.

Und was ich besonders bemerkenswert finde: In einem Projekt über Vielfalt im Film finden sich neben zwölf Jungen nur zwei Mädchen. Ich kann mir das nicht erklären. Erfahrungsgemäß komme ich bei Schülerinnen etwas besser an - oder es ist wieder nur meine Wahrnehmung, die täuscht. Oder es liegt am subject matter - dass sich Jungs eher für Filmanalyse interessieren als Mädchen? Ob sie wissen, worauf sie sich da einlassen? Wir werden nicht um die eine oder andere LGBTQ-Szene herumkommen. Aber vielleicht sind sie ja allesamt ein kleiner (vierzehn) aufgeschlossener Haufen.

Ich bin selbst total platt, wie sehr mich diese Teilnehmerliste fasziniert hat. So sehr, dass ich sie mit in die Badewanne genommen habe, um darüber nachzudenken. Das Ergebnis sieht man oben.

Ich freue mich riesig auf die Projektwoche!

Donnerstag, 2. Juni 2022

Bestanden! ...aber...

Heute seid Ihr Helden

Heute haben unsere Prüflinge die Ergebnisse der ESA/MSA-Abschlussprüfungen bekommen. Ist ein interessantes Gefühl, ihnen danach zum ersten Mal in die Augen zu schauen. Ich kann anhand der Augen ihre Gefühle nicht so gut erkennen. Einfach ist es, wenn jemand freudig strahlt, aber sobald es um feinere Nuancen geht, bin ich raus. Eine andere Schülerin schaut mich an, ich habe den Eindruck, dass sie lächelt, aber dann sagt sie, dass sie den Jahrgang wiederholen wird. Ich kann sowas einfach nicht zuordnen.

Ich mache ihnen aber klar, dass ich stolz auf sie bin. Sie haben ihren Schulabschluss bestanden, und das ist toll, gerade wenn ich bedenke, wie sehr ein paar Schüler zu kämpfen haben. Und dann kommen die ersten Fragen: "Meinen sie, ich sollte eine mündliche Prüfung machen, damit ich meine Note nochmal verbessern kann?" In Deutsch und Mathematik ist das möglich, in Englisch nur, wenn man die Englischprüfung gestrichen hat (weil dort der obligatorische sprachpraktische Teil bereits eine mündliche Prüfung ist).

Und dann muss ich all' meinen Mut zusammennehmen und sagen: "Nein." Ich ringe nach Worten, um das nett rüberzubringen - aber es ist eben so, dass bei allen Menschen die kognitiven Fähigkeiten irgendwann ausgereizt sind und nicht jeder sich auf eine sehr gute Note steigern kann. Und die "Aber das ist doch ein tolles Ergebnis!"-Phrase rutscht mir nicht raus.

Faszinierend war es da, dass ein Schüler heute in der Pause ernsthaft meinte, dass mir die Schüler bestimmt leid tun, wenn ich ihnen sagen muss, dass es keine Möglichkeit zur Verbesserung gibt, zum Beispiel keinen Aufstieg in die Oberstufe. Es bricht mir manchmal das Herz, aber an diesem Punkt zählen kalte Fakten und Zahlen auf dem Papier, diese Note mit zwei Nachkommastellen, und das soll jetzt Aussagekraft haben.

Ich sage ihnen nicht, dass diese Zahl immer etwas von Willkür hat. Ich sage ihnen auch nicht, dass diese Zahl ihre Zukunft mit Sicherheit beeinflussen wird. Mir schwebt vor dem geistigen Auge jedes mal eine Eins Komma Neun, die mir keine Türen geöffnet hat, sondern bestenfalls die Möglichkeit verschafft hat, diese Tür anzuschauen. Und weiterzugehen. Hoffentlich schreiben auch einige der SchülerInnen Briefe, obwohl sie die Schule verlassen und es ihnen egal sein könnte. Wäre schön, wenn jemandem bewusst wäre, dass ich diese Kiddies im Fach Englisch zu ihrem Abschluss geführt habe.

Jetzt kommt für Euch der große Blick nach draußen - nicht mehr täglich auf die Tafel gerichtet, sondern auf Eure eigenen Ziele, Wünsche und Träume. Mutig voran!