Freitag, 29. April 2022

Die Angelegenheiten anderer Leute


Lojong-Losung Nr.26: Denke nicht über die Angelegenheiten Anderer nach.

Eine schöne Geschichte von gestern früh: Ich sitze um kurz nach sieben im Auto, auf dem Weg zur Schule. Ich muss an der Ampel vor dem Abbiegen auf die Hamburger Chaussee warten. Ich bin nicht der Einzige, und wie der Zufall es will, erkenne ich das Auto vor mir wieder, und auch seinen Fahrer. Ich fange an zu grinsen und frage mich, ob er wohl merkt, wer da hinter ihm fährt - er merkt es nicht, und so biegen wir beide nach links ab, er schneller, ich muss noch ein anderes Auto vorbeilassen - doch an der nächsten Ampel am Waldwiesenkreuz stehen wir wieder hintereinander, mit dem Ziel, auf die B76 abzubiegen.

Jetzt hat er es gemerkt; er schaut in seinen Rückspiegel und winkt mir. Ich strahle und winke zurück, und dann wird die Ampel grün. Wir fahren beide vor, können aber nicht einfach nach rechts abbiegen, weil viele Schüler mit dem Fahrrad auf dem Schulweg sind und Vorfahrt haben. Wir müssen so lange warten, dass die Ampel wieder rot wird; ich komme nicht über die Ampel. Er hat Glück und ist drüber, könnte jetzt also nach rechts fahren.

Macht er aber nicht. Er steht da noch immer. Er scheint auf vier Mädchen zu warten, die angehalten haben und von ihren Fahrrädern abgestiegen sind, weil ihre Ampel natürlich mittlerweile rot zeigt, also könnte er jetzt einfach losfahren. Er scheint aber darauf zu warten, dass diese Mädchen endlich (bei roter Ampel) über die Straße fahren. Sie fahren nicht, und da sein Gestikulieren nichts bringt, drückt er auf die Hupe, während die Ampel der quer fahrenden Autos auf grün schaltet.

Das Hupen verwirrt die Mädchen so sehr, dass eines nun doch losfährt - während von links die Autos auf sie zufahren. Er steht da noch immer. Eigentlich kann ich nicht zuschauen. Zum Glück ist das Mädchen die einzige, die losfährt, die anderen bleiben stehen, und so wird niemand angefahren, und jetzt hat er auch endlich gemerkt, was los ist, und fährt weiter (erstmal auf die falsche Spur). Aufatmen für alle Beteiligten.

In der nächsten Grünphase fahre ich los, geht alles problemlos, und ich muss schmunzeln, sogar ein bisschen kichern. Habe ich den Fahrer so sehr aus der Fassung gebracht, dass er sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren konnte? Ich habe versucht, in seinen Kopf zu schauen - ich fand den Gedanken so amüsant, dass ich weiter gekichert habe - bis ich plötzlich abbremsen musste, mitten auf dem Theodor-Heuss-Ring - Stau. Auf der mittleren Spur, während links alle Autos zügig durchkommen, und ich kann nicht rausziehen, weil sie alle so dicht hintereinander fahren. Also muss ich weiter warten, bis ich nach einigen Minuten aus der Staustelle raus bin. Mist, ich habe gar nicht daran gedacht, dass das Barkauer Kreuz ja voller Baustellen ist und deswegen die Verkehrsführung geändert wurde. 

Ich hätte mich anders einordnen müssen, und das hätte ich auch getan, so wie jeden Morgen, wenn ich nicht in Gedanken bei dem Fahrer vor mir gewesen wäre und über sein Zaudern an der Ampel gekichert hätte. Und plötzlich macht diese Lojong-Losung für mich Sinn:

Denke nicht über die Angelegenheiten anderer Leute nach.

Eine der Losungen, für die ich einige Zeit brauchte, um mich mit ihr anzufreunden. Nicht über andere Menschen und ihre Gedankenwelt nachdenken? Heißt das, dass ich mir gar keine Sorgen um sie machen soll, wenn sie zum Beispiel gerade nicht bei mir sind? Sollen sie mir völlig egal sein? Was ist mit Hilfsbereitschaft, Fürsorge, hat das alles in der buddhistischen Gedankenwelt nichts mehr zu suchen? Nur egoistisch bei mir selbst sein?

Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Zwei der Grundsätze im Buddhismus lauten Mitgefühl und liebende Güte. Natürlich helfe ich meinen Mitmenschen, wenn ich kann, und natürlich versuche ich zu verstehen, was sie durchmachen. Aber es ist schadhaft für mich selbst, wenn ich mir Sorgen über einen Menschen mache, an dessen Situation ich nichts ändern kann. Am Beispiel meiner Mutter:

Sie fiebert derzeit mit mir mit und macht sich Sorgen, ob ich mit der Diagnose vorankomme und ob es mir gut geht - so wie das vermutlich fast jede "gute" Mutter machen würde. Diese Sorgen helfen niemandem weiter, und am wenigsten ihr selbst. Ein großer Teil ihrer Denkzeit ist bei mir, Zeit, in der sie fröhliche Gedanken haben könnte, oder allgemeiner, weniger "schädliche" (für sie selbst) Gedanken. Es bremst sie selbst bei'm Streben nach dem Glücklichsein, wenn sie sich Sorgen um mich macht.

Ich versuche immer wieder, ihr das nachvollziehbar zu machen, aber ich habe natürlich keine Vorstellung davon, was es bedeutet, eine Mutter zu sein. Aber mittlerweile habe ich die Lojong-Losung verstanden und weiß, wie ich dahingehend trainieren muss. Ich denke nicht mehr darüber nach, ob die große Buba stressfrei durch die Schulwoche kommt. Ich denke nicht mehr darüber nach, ob die kleine Familie der Sannitanic gesund ist. Ich versuche, nicht mehr in die Gedankenwelten anderer Menschen zu gehen, und es ist wirklich ungemein befreiend.

Dienstag, 26. April 2022

Zweitprüfersuche


"Lehrer sind alle faule Säcke."

So oder so ähnlich hat damals Gerhard Schröder gesprochen und sich bei'm gesamten Lehrberuf unbeliebt gemacht. Manchmal denke ich, dass etwas Wahres darin stecken könnte. Das "alle" müsste weg: Die Sannitanic ist eine hochengagierte Lehrerin, und die große Buba hat an der Waldorfschule jeden Donnerstag Konferenztag, da ist Einiges zu tun.

Ich brauche noch einen Zweitkorrektor und Zweitprüfer für den MSA Englisch. Gar nicht so einfach. Es reißen sich nicht viele Menschen darum, mehr zu tun zu haben. Ich darf mich da nicht als Vergleichswert nehmen - aber ich kann mich an keine Anfrage in den letzten zehn Jahren erinnern, die ich abgelehnt hätte. Mehrere Abitur-Zweitkorrekturen, Sprechprüfungen, ich mach' das immer alles mit, wenn ich kann. Buddhist eben.

Schauen wir mal, ob sich nicht irgendwo ein Seelenverwandter findet ;-)

Freitag, 22. April 2022

Too Much (Good Hair Day)


Dr Hilarius: Gutartig! :D Ich kann ab morgen wieder in die Schule! Darauf muss ich jetzt nochmal in's Bett, ich habe nur vier Stunden geschlafen (...)

Die große Buba: Huch! Damit hab ich nicht gerechnet, das ist ja .... Huch

Dr Hilarius *sinngemäß*:  Ich verstehe Deine Antwort überhaupt nicht.

Da hätten wir mal wieder einen dieser Fälle, in denen ich nicht verstehe, was die große Buba mir mitteilen will. Netterweise hat sie es mir erklärt: Sie war überrascht, dass ich so freudig släsch gelassen mit der Nachricht des Arztes umgehe, dass alles in Ordnung ist - ich hatte nämlich aufgrund der Ähnlichkeit der Symptome damit gerechnet, dass ich wieder für einige Wochen ausfalle, und hatte auch fast schon im Geiste meinen Fernunterricht vorbereitet. Und eigentlich ist es für einen Aspi doch völlig überfordernd, wenn dann plötzlich alles anders kommt, und eigentlich braucht er dann doch erstmal Zeit für sich, um das zu verarbeiten.

Recht hat sie natürlich! Aber ich war gestern total glücklich, dass alles okay ist und ich heute wieder in die Schule gehen konnte und, wie das freitags bei mir ist, all' meine Schüler wieder sehen konnte. Die Überforderung kam heute. Und das noch vor dem Anruf bei'm Psychologen.

Ich habe meinen Schülern gesagt, dass ich mich riesig freue, sie wiederzusehen - weil das wirklich so ist. Ich habe mich einfach wunderbar dabei gefühlt, wieder vor ihnen stehen zu können. Ich will wirklich an diese Schule kommen. Und zumindest ein großer Teil der Schüler will das auch, egal, wie nervig ich bin. Und diese Erkenntnis hat mich heute nach der vierten Stunde überrollt, wie eine Flutwelle aus Emotion. In meinem Kopf der Gedanke "Ich muss an diese Schule kommen". 

So funktioniert das Aspi-Gehirn: Mir ist die Sachlage klar - wenn keine Stelle zur Verfügung steht, und keine freien Stunden, dann muss ich die Schule verlassen. Und trotzdem kann mein Gehirn nur auf dieser Einbahnstraße "Ich muss an diese Schule" denken. Dann tun solche Sätze weh wie "Du solltest dich seelisch drauf vorbereiten, dass du gehen musst" oder "Denk dran, dass es vielleicht nicht klappt" oder "Häng' dich doch jetzt nicht zu sehr rein". Denn all' das kann ein Aspi nicht. Umdenken. Neu planen. Whatever, ich schreibe mich hier gerade down the rabbit hole, aber es illuminiert, wie der Tag für mich gelaufen ist.

Und dann versteht man vielleicht auch (nicht), warum ich den Psychologen um einen Gesprächstermin in der nächsten Woche bitte.

Es ist einfach zu viel. Ich bin ein visueller Typ - allein das Aussehen einiger Schülerinnen und Schüler hat mich heute umgehauen. Ein Schüler, der sich die Haare länger wachsen lässt - und das sieht sogar cool aus! Schülerinnen, die zum ersten Mal mit Make-Up arbeiten. Ich möchte all' diese Jugendlichen unbedingt weiter auf ihrem Weg begleiten!

Nur ein Schultag. Nur drei Stunden. Aber alles zuviel. 


Meditation

Donnerstag, 21. April 2022

Gutartig


Und so ist es heute dann doch bei'm Urologen geblieben, Psychologie ist morgen dran, denn ich bin mit der guten Nachricht nach Hause gekommen, dass es sich bei den Symptomen um eine Wassereinlagerung handelt, die im Nachgang einer Entzündung auftreten kann, die aber gutartig ist und keiner Behandlung oder Vorsichtsmaßnahmen bedarf. 

Das ist ungemein erleichternd, und so weiß ich jetzt, dass ich ab morgen wieder ganz normal in die Schule gehen kann. Ich kann meinen Unterricht machen, ich kann meine Schüler durch die Abschlussprüfungen begleiten, ich kann mit meinen Neunern Lois Duncans Down a Dark Hall lesen, ich kann problemlos mein Projekt für die Projektwoche planen. Das alles konnte ich vorher nicht, und wenn ich die ganze Literatur richtig verstanden habe, ist diese Blockade auf die Behinderung im Bereich Theory of Mind zurückzuführen. Der Bereich, in dem laut Gutachten aus Lübeck bei mir alles in Ordnung ist. Morgen wird Neumünster angerufen, um zu schauen, ob es eine Möglichkeit der zweiten Meinung gibt.

Das alles nimmt den Kopf heute in Anspruch, aber auf eine sehr positive, erleichterte Weise. Es kann weitergehen!

Mittwoch, 20. April 2022

Hier, da und dort


Wenn ich die Wahl habe zwischen Telefonat und Mailanfrage, entscheide ich mich gerade bei unbekannten Menschen immer für Zweiteres, und rufe erst an, wenn es nicht anders geht.

Interessant, dass alle (Nicht-ZiP-)Wege für Autismus nach Neumünster führen. Dort wäre zum Beispiel Brit Wilczek angesiedelt, die aber keine neuen Patienten aufnimmt, und dort finde ich meinen Psychiater, sowohl im Friedrich-Ebert-Krankenhaus als auch in der DRK-Klinik Hahnknüll. Das ist der Arzt, der mir vom Organisator der Selbsthilfegruppe empfohlen wurde - zumindest derzeit, da sich das wohl auch kurzfristig ändern kann.

Gleichzeitig habe ich bei'm Kieler Fenster angefragt - es ist interessant, dass ich diesen Namen seit über zehn Jahren kenne, und auch das Logo dazu, aber dass ich erst heute gesehen habe, dass diese Leute zuständig für psychologische Beratung in Kiel sind. Ich dachte immer, das hat was mit Zeitung zu tun. Talk about die Welt um sich herum nicht wahrnehmen. 

Anyway, einen Schritt weiter, jetzt mit Kühlpack auf die Couch. Morgen Urologe, Freitag dann wieder Psychologie. Und zwischendurch Schule erledigen - mein Schreibtisch und der mittlere Dachbalken sind wieder voller Notizzettel. Hier, da und dort.

post scriptum: Oh, ich habe Antwort von ihm bekommen. Neugier besiegt Ein-Arzt-pro-Tag, ich denke, ich werde morgen nach dem Urologen mal in Neumünster anrufen, denn dort könnte ich einen Schritt weiter kommen. Ach ja, da war ja noch Schule. Hyperfokus. Ich lerne ganz langsam wieder Jonglieren.

Dienstag, 19. April 2022

Wech mitte Feiertage!


Ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto mehr nerven mich Feiertage. Whoop, falscher Ausdruck, falsche Denkweise. Buddhisten nervt nichts. Aber die Feiertage bringen mich durcheinander. Und sie sind unlogisch. Weil also einige Menschen glauben, dass Jesus auferstanden ist, haben wir heute drei Feiertage. Und warum überhaupt Ostermontag - reicht der Sonntag nicht aus? 

Dass die Woche am Dienstag erst richtig beginnt, verwirrt meinen Wochenrhythmus. Immerhin, Thema Urologe ist heute angeschoben worden, es sieht aus nach Herumsitzen und Stillhalten und Kühlen und Antibiotikum und Ursachenforschung. Donnerstag früh wieder hin. Psychologie ist dann morgen dran; genau wie mein Kopf einen Tag nur als "Arbeit" oder "Frei" einordnen kann (das Konzept Feierabend gibt es nicht), kann ich nur ein Arztthema pro Tag angehen, weil das sehr aufregend ist und ich die ganze Zeit nur darüber nachdenke.

Ich bin dabei, mir ein Konzept für meine Schüler zurechtzulegen: Lernvideos, die dank der Screens in allen Klassenräumen gezeigt werden können. Aufgaben per Iserv, die dann in den Vertretungsstunden bearbeitet werden können. Diesmal lasse ich meine Kiddies nicht allein. 

Feiertage. Fände ich nachvollziehbar, wenn denn wirklich alle Menschen ernsthaft den Anlass feiern würden. Meistens ist es aber einfach nur ein Vorwand, die Familie zu sehen und zu essen und trinken. Und ein willkommenes Event für die Geschenk-Industrie.

Samstag, 16. April 2022

Kudderbludder


Ich finde es immer wieder spannend zu beobachten, wie sich die Sprache zwischen der großen Buba und mir entwickelt. Wir erfinden gerne neue Wörter, wobei - man müsste eher sagen, dass diese neuen Wörter passieren. Rechtschreibfehler, Versprecher, Verhörer, all' das führt zu neuen Spracherlebnissen. Und manche davon bleiben hängen und gehen in den Sprachgebrauch ein.

Wenn meine Wahrnehmung mich nicht täuscht, dann ist es meistens so, dass ich ein neues Wort entdecke und DGB das übernimmt - wenn es geeignet ist. Ich kann mich an nicht viele Wörter erinnern, die DGB erfunden hat und die ich aufgenommen habe. Deswegen hat es mich fasziniert, dass ich das Wort "Kudderbludder" einfach nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Danke Buba La Tättah!

Übrigens... es hat ewig gedauert, bis mir bewusst geworden ist, wie oft ich meinen Mitmenschen Spitznamen gebe, die sie überhaupt nicht haben wollen. Die ich einfach nur benutze, weil sie in meinem Ohr lustig klingen. Ich weiß noch, wie Astrid sich zu recht gegen "Schtriddl" gesträubt hat, und auch "YazzTazz" hat mir wesentlich besser gefallen als ihr - und "HoddelToddel" doziert noch heute Latein an der Kieler Uni. "Corinna Beilhardt" erwähne ich gar nicht erst, das war nur einer der vielen Namen, die die große Buba ("Boobz") von mir erhalten hat.

Sorry, Ihr Lieben, ich meinte es nie böse! ;-)

Donnerstag, 14. April 2022

Dörte Dancing


Es fühlt sich an, als würde die Wohnung aufatmen: Die Fenster können wieder den halben Tag offen stehen, ein leichter Wind zieht hindurch, es ist warm und die Sonne scheint (auch wenn ich sie meistens aus meiner Wohnung aussperre). Der Fußboden kommt nach und nach wieder zum Vorschein, ich kann ungehindert durch meine Wohnung gehen, die Dachbalken endlich wieder als monkey bars benutzen, barfuß alles im Blick haben. Weiter voran: Den Wecker auf vormittags zu stellen, macht enorm viel aus. 

Nach dem ersten Block Arbeit in der Wohnung kommt immer ein kleiner Block des Nachdenkens, und aus irgendeinem Grund musste ich heute wieder daran denken, wie fasziniert ich doch von Sprache bin, und wie sehr ich mich über manche Wortkonstrukte scheckig lachen kann. Damals in St.Peter-Ording hieß unsere Regionalschulsekretärin Dörte, und weil ich die Assonanz von Dörte und dirty so faszinierend fand (und immer noch finde), habe ich in meiner Abschiedsrede den Ausdruck "Dörte Dancing" als Anspielung auf den Film Dirty Dancing (1987) untergebracht. Ich fand das unglaublich witzig. Keiner hat auch nur gelächelt. Genau wie mit einem Paläographiesketch damals bei den Saturnalien; ich fand die Wortspielereien lustig - niemand sonst. Seltsamer Kopf.

Aber das ist gut so. All' diese Indizien können hilfreich sein auf der Suche nach einer Diagnose; morgen ist Feiertag, das ist nervig, aber es stehen ein paar Telefonate an, nützt nichts. Ich merke, dass mir die aufgeräumte Wohnung dabei hilft: Weniger Stress = Weniger Autismus-Symptomatik; so einfach das klingt, so wahr ist es für Aspis.

Mittwoch, 13. April 2022

Die Techno-Tuba

Damals waren wir noch Project Zero-jungfräulich...

"Ich glaube, das können wir auf meine Titte schreiben, oder?"

"What...?"

Es kommt nicht oft vor, dass die große Buba und ich uns nicht verstehen. Wir sind nach den Jahren mittlerweile aufeinander eingestimmt, haben unsere eigene Sprache, aber hin und wieder gibt es dann doch die Momente, in denen ich nicht weiß, was sie meint, und nachfragen muss. Es ging um Reizüberflutung (das war es doch, oder?); dieser Punkt sollte in ihren Kreis unseres Venn-Diagramms. Als HSP hat sie manchmal Probleme mit zu vielen unterschiedlichen Reizen, erst recht gleichzeitig auf unterschiedlichen Sinnen. Sie braucht zum Beispiel etwas Zeit, um etwas Gesehenes zu verarbeiten, und währenddessen geht etwas Gehörtes an ihr vorbei. Reizüberflutung.

Bei mir gehen auch Dinge vorbei, aber aus einem anderen Grund, nämlich der intensiven Fokussierung auf das, was mich gerade interessiert (Hyperfokus) - ich blende dann alles andere aus. Ich kann bei einem alten Videospiel in einer Szene Tränen vergießen, obwohl da nur Pixelmännchen hin und her gehen und der Sound noch sehr Neunziger ist. Das ist dann alles irrelevant für mich. Und so kann ich auch in einer Filmszene mich vollkommen auf das Wesentliche konzentrieren und nehme kleine Details am Rande oft nicht wahr, während die Buba das alles mit den Augen aufschlotzt.

Was für ein unnötig langes Ausholen zum heutigen Thema: Die fette Schnecke rüstet auf und schafft sich ihre eigene Videospielkonsole an. Dass ich das noch erleben darf! Bisher waren "richtige" Videospiele - also keine Handy-Apps und Ähnliches - für sie immer ein Erlebnis im dritten Stock und nirgendwo sonst. Und sie kann sich ja eigentlich richtig für diese Spiele begeistern, schwärmt ab und an von der Musik und lässt sich auf aufregende Reisen mitnehmen, und ich habe sie immer wieder genervt, warum sie denn nicht eine eigene Konsole nutze, denn dann könne sie auch zuhause in einer freien Minute mal spielen, ohne dass es immer in Kiel mit dem alten Frettchen sein muss.

Was für ein unsortierter Beitrag. Was hat die Reizüberflutung mit dem Buba-Upgrade zu tun? Sie lernt gerade kennen, welche Videospiele für sie geeignet sind und welche (noch?) nicht, weil sie zu intensiv sind. Zu überfordernd; und die neuen Spiele werden immer detaillierter, immer bombastischer, da sehnt man sich hin und wieder nach der Einfachheit (und ich freue mich schon drauf, wenn wir irgendwann mal Golden Sun spielen, oder Final Fantasy VI).

Jedenfalls bin ich stolz auf die große Buba, dass sie diesen Weg der technologischen Aufrüstung nach laaaaaaaaaaaa




aaaaaaaaaaaa






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aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh



hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh




hhhhhhhhhhhhhh



hhhngem Zögern gegangen ist. Feidhe!

post scriptum: Und ja, die Dinge kommen hier langsam wirklich in Bewegung, die Wohnung wird tatsächlich schrittweise wieder bewohnbar, und in einem weiteren Seelenstriptease-Beitrag werde ich dann einmal zeigen, in welche Extreme Aspis gehen können. Stichwort: Wegen Corona finden die offenen Selbsthilfegruppetreffen momentan nur online statt - ich habe aber endlich eine Kontaktperson. Auch das geht voran. 

Freitag, 8. April 2022

Ungewöhnliche Prioritäten


Ist das ein Glas Asperger pur? Ich könnte mir das vorstellen; vielleicht kommentiert Ihr diesen Beitrag ja und wir finden es heraus.

Szene: Die Krankheitssymptome der Epididymitis sind wieder aufgetreten. Ich sollte umgehend einen Termin beim Urologen machen, damit ich die nötigen Medikamente zur Behandlung bekommen kann und wir uns auf die Ursachenforschung machen können. Im Rahmen des compartmentalizing steht Donnerstag Vormittag ein Anruf in der Praxis an, kein Problem, das kommt irgendwo zwischen "Komm', die große Buba, wir fahren einkaufen!" und Wohnungsentmüllung. Passt.

Problem: Donnerstag Vormittag ist der siebte April Zwanzig Zweiundzwanzig. Auf diesen Tag habe ich seit über sechzehn Jahren gewartet - und plötzlich ist alles Andere sekundär. Für die Erklärung hole ich etwas aus.

Eines meiner liebsten Videospiele ist Chrono Trigger (1995), damals für das SNES erschienen. Es sah toll aus, hatte gut ausgearbeitete Charaktere, schöne Musik, Humor und einen anspruchsvollen Plot mit vielen optionalen, aber relevanten und durchdachten Sidequests. Viele Fachzeitschriften sehen das Spiel mittlerweile als eines der greatest video games of all time an, und ich kann das gut nachvollziehen. Ähnliches Lob erhielt der Nachfolger Chrono Cross (1999) für die Playstation, wurde aber leider nie in Europa veröffentlicht, und so konnte ich nur sehnsüchtig davon träumen, dieses Spiel einmal zu spielen. 

Ich hatte im Studium eine intensive Phase, in der ich Musik von Menschen gehört habe, die bekannte Videospiel-Soundtracks neu vertont haben, teilweise mit künstlerisch hochwertigen Erfolgen; die Community OverClocked Remix gibt es auch heute noch. Die große Buba kennt tolle Videospiel-Soundtracks und kann sich denken, was das für ein Erlebnis für mich war, meine Lieblingsstücke neu aufgelegt zu hören.

Natürlich habe ich dort auch neu interpretierte Musik von Chrono Trigger gefunden und konnte in Erinnerungen an dieses tolle Spiel schwelgen. Und wenn ich den Nachfolger Chrono Cross schon nicht spielen konnte, dann wollte ich zumindest die Musik hören, und so ist ein ganz bestimmtes Lied zu einem Ohrwurm für mich geworden (hier kann man es anhören).

Das war vor etwa sechzehn Jahren. Ich hatte viel Zeit, mir auszumalen, wie das Spiel wohl gewesen sein muss, die Musik zu hören und immer wieder im Internet zu lesen, was das doch für ein tolles Spiel war. 

Und dann kam der siebte April Zwanzig Zweiundzwanzig.

Endlich ist Chrono Cross problemlos in Europa verfügbar, für diverse Konsolen, darunter auch für meine Nintendo Switch. Ich habe es mir natürlich sofort runtergeladen und gestartet. Ich war (und bin) voll in the zone - alles Andere ist sekundär. Essen und Trinken. Mails beantworten. Meine Gesundheit. Und so habe ich weder gestern noch heute daran gedacht, den Arzt anzurufen. 

Ich realisiere, dass ich mir für die zweite Ferienwoche einen ganz genauen Tagesablaufplan machen muss, den ich dann genauestens befolge. Ohne eine externe Aufsicht habe ich andere Prioritäten als viele Menschen (und ich bin damals wochenlang mit einem gebrochenen Finger herumgelaufen, ohne zum Arzt zu gehen [sehr drollig: Im damaligen Blogeintrag habe ich das auf die Hochbegabung geschoben. Die vor-autistische Zeit :-P]). 

Talk about "geistig behindert".

post scriptum: Die OCRemix-Seite könnte Dich vielleicht interessieren, die große Buba: Dort kannst Du ganz genau nach Spiele-Soundtracks suchen und herausfinden, ob sie neu interpretiert wurden. Ich denke da zum Beispiel an die Windmühlenmusik aus "Ocarina of Time" ;-)

Mittwoch, 6. April 2022

Eines nach dem Anderen

Das Badreich - endlich wieder zum Wohlfühlen

Compartmentalizing
. Ein Problem, das riesengroß erscheint - und damit unüberwindbar wirkt und lähmt - in viele kleinere Probleme teilen, jeden dieser Teile in eine eigene Schublade sortieren und eine Schublade nach der anderen abarbeiten. Das ist eine coping strategy, die ich vollkommen nachvollziehbar finde. 

"In den Ferien werde ich mein Leben wieder in den Griff bekommen" - das klingt gewaltig, und wenn ich mich umsehe, absolut unmöglich. Die Wohnung gründlich reinigen, Akten sortieren (Papierberge aus Monaten), zur Autismus-Selbsthilfegruppe gehen und einen Diagnosearzt finden, zum Urologen, die Steuer machen, tausend alte Mails beantworten, die ich links habe liegen lassen. Und ich sitze mittendrin, blicke um mich, fühle mich ohnmächtig und mache nichts.

...und darauf habe ich keine Lust mehr. Also teile ich diese Aufgabe Leben in den Griff bekommen in kleine Aufgaben auf, und jeden Tag wird etwas erledigt. Die Selbsthilfegruppe steht in der nächsten Woche an, bis dahin bleibt sie gedanklich weggeschlossen, damit ich mich auf Anderes konzentrieren kann. Ich brauche eine Wohnung, in der ich mich wohlfühle, damit ich Wichtiges erledigen kann. Also steht der Großputz an, und der wird nicht an einem Tag erledigt werden können.

Heute ist ein Schritt geschafft, das Bad kann wieder betreten werden. Kein Schimmel, Staub, keine Silberfischchen, kein Müll, kein komischer Geruch. Morgen geht es weiter, der Urologe ist dran und der viele Müll in der Wohnung muss beseitigt werden.

Es sind nur kleine Schritte - aber immerhin: Es sind Schritte. Stück für Stück, und als Belohnung für die geschaffte Arbeit kann ich dann abends mit der großen Buba Spaß haben. Und den Begriff compartmentalizing werde ich so schnell nicht wieder vergessen.

Montag, 4. April 2022

Wenn das Wörtchen Venn nicht wär...


Ferien. Die fette Schnecke und das alte Frettchen haben etwas vor: Wir zeichnen ein Venn-Diagramm (das sind die mit den Kreisen, die sich teilweise überschneiden) unserer drolligen Verhaltensweisen und schauen, ob sie nur bei mir, nur bei der großen Buba oder bei uns gemeinsam auftreten. 

Wenn wir da einige gemeinsamen Verhaltensweisen gesammelt haben, dann öffnen wir ein neues Venn-Diagramm mit drei Kreisen Autismus, Hochbegabung und Hochsensibilität, um dem auf die Spur zu gehen - wo haben wir Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede, wo haben wir Gemeinsamkeiten, aber aus unterschiedlichen Gründen - und dergleichen mehr.

Ich habe lange nicht mehr die große Packpapierrolle aus dem Regal hervorgeholt; ich habe sie immer benutzt, wenn es um's Psychologisieren jeglicher Form ging. Zeit, mal wieder etwas Papier auszurollen, damit wir genug Platz haben, denn die Bubatuba hat mindestens genauso viele Ticks wie ich, glaube ich.

Was das bringen soll? Keine Ahnung. Aber es ist interessant, die eigenen Verhaltensmuster mal visualisiert zu sehen.

Freitag, 1. April 2022

Dankbarkeit


Lojong-Losung 13: "Übe dich darin, allen Menschen höchst dankbar zu sein."

Wenn wir am Tisch sitzen und zu Abend essen, und ich bitte jemanden, mir das Salz zu reichen, dann danke ich ihm danach. Ich fühle aber keine Dankbarkeit. In meinem Kopf ist das wie im Drehbuch eine Abfolge von Phrasen:

1 - Gibst du mir bitte das Salz?

2 - nimmt den Salzstreuer und reicht ihn rüber

3 - Vielen Dank.

Hunderttausendmal trainiert. So sehr auswendig gelernt, dass ich gar nicht mehr weiß, wie sich Dankbarkeit eigentlich anfühlt. Es ist zur Routine geworden, eine höfliche Formulierung, und das war es dann auch. Genau darauf weist die Lojong-Losung hin - Dankbarkeit soll nicht nur als Worthülse ausgesprochen, sondern ernsthaft empfunden werden.

Mich hat heute jemand an die Hand genommen. Er ist psychologischer Coach und kennt Menschen, die in meiner Situation stecken. Er lächelt mich nicht an und sagt "Wenn du Hilfe brauchst, egal was, sag' einfach Bescheid!" - und darum geht es. Diesen nett gemeinten Satz habe ich in den letzten Wochen und Monaten häufiger zu hören bekommen. Aber woher weiß ich, wann ich Hilfe brauche? Die fleißigen Leser werden sich erinnern: Aspis merken es oft nicht, wenn sie Hilfe benötigen. Sie kommen nicht von selbst darauf, jemanden um Hilfe zu bitten. Sie sind eben geistig behindert, diese Formulierung sollte man nicht ganz aus dem Blick lassen. Und so sitzt der Aspi regungslos vor dem großen Berg und weiß nicht, was er machen soll.

Anders ist es heute gewesen - oder in den letzten Tagen - als sich endlich mal jemand entschlossen hat, auf mich zuzugehen und mich an die Hand zu nehmen, damit wir endlich die ganze Sache in's Rollen bringen können. Ich will hier gar nicht auf die Details eingehen - dass ich jetzt weiß, was meine ganz konkreten nächsten Arbeitsschritte sind, inklusive Namen und Adressen und Formularen. Das gibt es bei Interesse irgendwann. Ich überlege schon wieder, komplett dichtzumachen, weil sich Menschen an meiner Mitteilungsfreudigkeit stören. Die große Buba, das ist wie mit meinem Rumnerden bei Freizeitparks, Astrophysik, Medikamenten, Horrorfilmen und Videospielen - entweder, ich gehe voll darin auf oder ich rede überhaupt nicht mehr, um dich nicht zu belästigen (nota bene: Wir haben genau dieses Thema besprochen, und bei der großen Buba darf ich dann tatsächlich auch mal in den Nerdwahn verfallen *kiss kiss, hug hug*).

Ich habe mich lange nicht mehr so dankbar gefühlt wie heute - und das ist erst im Laufe des Nachmittags langsam hervorgebrochen, inklusive Tränen in den Augen. In der Schule, bei dem Termin war es nur ein hörbares Ausatmen. Aber - wie der Meditationstag nun mal so ist - es beginnt das Nachdenken, während ich an der Nintendo Switch sitze oder mir die letzte Staffel The Expanse anschaue. Ich merke, wie ich mit dem Kopf nicht mehr bei dem Geschehen auf dem Bildschirm bin, sondern nach und nach realisiere, dass ich endlich. Endlich. Endlich! einen konkreten Handlungsplan habe, den jemand für mich gemacht hat und mit mir in Ruhe durchgesprochen hat, inklusive aller Fragen, die in meinem Kopf herumgeschwirrt sind - weil ich es in dieser Sache nämlich allein nicht schaffe. Ich bin so erleichtert, und so dankbar, dass es an dieser Schule auch Menschen gibt, die mir aktiv helfen auf diesem Weg. 

Es klingt vielleicht nicht so, aber es ist ein meilenweiter Unterschied zwischen "Wenn du Hilfe brauchst, sag' Bescheid!" und "So, ich helfe Dir jetzt!" - im ersten Fall sage ich "Danke".

Im zweiten bin ich dankbar.