Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis' American Psycho |
Hausarbeit: Die Yuppie-Subkultur
vorgelegt von Dr Hilarius
Inhaltsübersicht
1 Einleitung
2 Einleuchtend: Eine Begriffsdefinition
3 Umwerfend: Das Erscheinungsbild
4 Egozentrisch: Das Umfeld
5 Schockierend: Gefühle
6 Psycho-Logisch: Versuch einer Erklärung
7 Beängstigend: Ein Ausblick
Auswahlbibliographie
1 Einleitung
„Die, Yuppie, Die“ – In der Verfilmung von Bret Easton Ellis’
Roman American Psycho zieren diese Worte mit Blut geschrieben
eine Zimmerwand. Die Hauptfigur Patrick Bateman hat sie selbst,
nachdem er eine Frau ermordet hatte, dorthin geschrieben. Was für
ein Mensch ist Bateman, der tagsüber reich, gut aussehend und
beliebt ist, aber nachts seine Bedürfnisse auf kaum eine andere
Weise befriedigen kann als Frauen zu misshandeln, zu foltern und
bestialisch zu ermorden?
Es gab und gibt noch immer zahlreiche Subkulturen in der
Gesellschaft, die sich alle durch eigene Mode, Musik und auch durch
ihre Berufe vom allgemeinen Trend abgrenzen. In den 80er Jahren des
20. Jahrhunderts kam ein neuer Typ Mensch auf, der 1983 zum ersten
Mal als „Yuppie“ bezeichnet wurde. Auch wenn bereits 1986 vom Tod
der Yuppie-Generation gesprochen wurde, war sie nach ein paar Jahren
noch längst nicht ausgestorben.1
Es gilt zu untersuchen, ob auch heute noch Yuppies in der
Gesellschaft zu finden sind. Zunächst muss die Begriffsbedeutung
geklärt werden, danach die Eigenschaften und Charakterzüge des
Yuppies und nicht zuletzt die gesellschaftlichen Umstände, die
damals das Entstehen dieser Subkultur ermöglicht haben – sind sie
heute auch noch derartig ausgeprägt, dass der Yuppie nicht
aussterben wird?
Neben ein paar anderen Aufsätzen liegen dieser Arbeit vor allem der
Roman von Ellis sowie The Bonfire of the Vanities von Tom
Wolfe zugrunde: Nirgendwo findet man detailliertere Beschreibungen
der Yuppies, ihrer Lebensart und ihres Umfeldes – wenngleich man
auch bei Ellis’ Roman die Zynik und die Übertreibungen kritisch
betrachten muss.
2 Einleuchtend: Eine Begriffsdefinition
Der Begriff „Yuppie“ ist aus dem Akronym zu „young urban
professional“ oder „young, upwardly-mobile person“ entstanden.
Es muss sich also per definitionem um einen jungen Menschen handeln,
der in der Stadt wohnt und auf der Karriereleiter entweder bereits
sehr weit oben steht oder sich auf dem Weg dorthin befindet. Es gibt
allerdings so viele verschiedene Typen von Yuppies, dass kaum einer
alle Kriterien erfüllt.
Der Begriff „Yuppie“ ist 1983 entstanden. Er ist als Wandlung vom
Yippie, einem Akronym für die Mitglieder der Youth International
Party, entstanden. Dass nicht nur ein namentlicher, sondern auch ein
gedanklicher Wandel stattgefunden hat, wird in dem Kapitel über das
Jahrzehnt der Egozentrik, „Me-Decade“, und die vorhergehende Zeit
erläutert werden.
Der Yuppie entstammt der Mittelklasse, ist Anführer auf der
Stilebene und setzt neue Trends. Sein Ziel ist es, durch harte Arbeit
und Ehrgeiz den Aufstieg in die Oberklasse, die Klasse der Reichen,
zu erlangen.2
Es ist eine Variante des „American Dream“, die dem Yuppie als
Leitfaden für seine Karriere und Lebensplanung dient. Der Yuppie ist
zwischen 1945 und 1959 geboren. Diese Tatsache wird später eine
Rolle spielen, wenn man betrachtet, welche sozialen Umstände seine
Jugend beeinflusst haben. Das Jahreseinkommen sollte bei mindestens
40,000 Dollar liegen; wenn man Wolfe Glauben schenken darf, gehörte
dazu nichts weiter als eine gute Ausdauer und ein starkes
Durchsetzungsvermögen:
If you weren’t making $250,000 a
year within five years, then you were either grossly stupid or
grossly lazy. That was the word. By age thirty, $500,000 – and that
sum had a taint of the mediocre. By age forty you were either making
a million a year or you were timid and incompetent. Make
it now!3
Es ist allerdings nicht jedes Mitglied der Mittelklasse automatisch
ein Yuppie. Es gab auch die Neue Klasse, politisch links orientiert
und in universitären Berufen sowie Stiftungen, Medien und
öffentlichem Dienst engagiert. Die Yuppies verdienen ihr Geld in der
freien Wirtschaft als Anwälte, Manager, Makler und Berater. Diese
Figuren lassen sich gesammelt in Bonfire wieder finden; Ellis
dagegen beschränkt sich auf die Finanzwelt.
Patrick Bateman ist als solch „perfekter“ Yuppie sicherlich
überzeichnet. Er ist 27 Jahre alt und
arbeitet an der Wall Street bei der Firma Pierce&Pierce. Seine
Stellung ist so hoch, dass er mehr für sich arbeiten lässt, als
dass er selbst arbeitet. Er hat viel Geld von seinem Vater geerbt,
wodurch er nicht unbedingt auf die Arbeit angewiesen ist. Dadurch
kann er seinen Tagesablauf auch auf die Bedürfnisse eines Yuppies
einstellen – in der Hauptsache werden hierbei die eigenen Ideale
und die gesellschaftlichen Beziehungen berücksichtigt. Etwas anders
ist es bei Sherman McCoy, einer Hauptfigur aus Tom Wolfes Roman.
Jener ist 38 Jahre alt, aber trotz des Alters nicht minder gut
aussehend und auf das Äußere bedacht als Bateman. Auch er legt
gesteigerten Wert auf die gesellschaftlichen Beziehungen, allerdings
verbringt er den Großteil seines Tages mit richtiger Arbeit –
zufällig4
ebenfalls bei Pierce&Pierce. Dies erscheint deutlich
realistischer als das Leben des hochstilisierten Bateman, wie Ellis
es beschreibt.
3 Umwerfend: Das Erscheinungsbild
Ein Yuppie legt sehr großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Da
das Geld bei den jungen, erfolgreichen Geschäftsleuten meist
reichlich vorhanden ist und keine Notwendigkeit, zu sparen, besteht,
kann der Yuppie sich feinste Anzüge, Hemden und Accessoires der
angesagtesten Designer leisten – Ralph Lauren, Manolo Blahnik,
Ermenegildo Zegna und Giorgio Armani sind ein paar der meistgenannten
Namen in American Psycho.5
Patrick Bateman beschreibt, sobald er einen Menschen trifft,
zunächst dessen momentane Kleidung und selten auch seine persönliche
Meinung zum gewählten Stil, wobei er sich als Maßstab des guten
Stils sieht. Er nimmt nicht ohne Grund jede Gelegenheit wahr, sich
selbst in großen Spiegeln zu betrachten und zu bewundern. Er gibt
auch anderen Menschen Gelegenheit dazu – einigen drängt er sein
gutes Aussehen fast schon auf, wenn er mit den Marken, die er trägt,
angibt. Sein Äußeres ist ihm fast schon wichtiger als sein eigener
Gesundheitszustand:
Before leaving my office for the
meeting I take two Valium, wash them down with a Perrier and then use
a scruffing cleanser on my face with premoistened cotton balls,
afterwards applying a moisturizer. I’m wearing a wool tweed suit
and a striped cotton shirt, both by Yves Saint Laurent, and a silk
tie by Armani and new black cap-toed shoes by Ferragamo. I Plax then
brush my teeth and when I blow my nose, thick, ropy strings of blood
and snot stain a forty-five-dollar handkerchief from Hermès that,
unfortunately, wasn’t a gift. But I’ve been drinking close to
twenty liters of Evian water a day and going to the tanning salon
regularly and one night of binging hasn’t affected my skin’s
smoothness or color tone. My complexion is still excellent. Three
drops of Visine clear the eyes. An ice pack tightens the skin. All it
comes down to is: I feel like shit but look great.6
Wie Bateman es schon beschreibt, muss sich auch die Haut in einem
perfekten Zustand befinden. Er legt großen Wert auf die Reinheit
seiner Haut und noch größeren auf die Bräunung, für die er von
seinen Kollegen viele Komplimente erhält. So, wie er für seine
Kleidung wahre Unsummen ausgibt, leistet er sich auch teuerste
Körperpflegeprodukte und die Pflege der Haut nimmt mehr Zeit in
Anspruch, als er sich eigentlich erlauben könnte. Einen Großteil
seines Morgens verbringt er im Badezimmer.
Auch Sherman McCoy ist auf sein Äußeres sehr stolz, wenn er auch,
bedingt durch seine Arbeit, nicht so viel Zeit im Bad verbringen kann
wie Bateman. Um jedoch in einem Anzug gut auszusehen, muss auch die
Figur passend sein. Daher verbringen sowohl Bateman als auch McCoy
viele Stunden ihrer Freizeit in Fitnessstudios. Auch hier findet
unter den Kollegen ein kleiner Wettstreit statt und keiner wird müde,
seine Muskeln zu präsentieren und zu bewundern. Selbst, als ihm ein
Spionagemikrophon am Körper befestigt werden soll, gilt McCoys erste
Sorge seiner Selbstdarstellung vor den anwesenden Detektiven.
The bodily vanity of the male knows
no bounds. Sherman’s immediate concern was that the definition of
his pectoral, abdominal, and triceps muscles stand out sufficiently
for these two men to be impressed by his physique. For a moment this
cut through everything else. He knew that if he extended his arms
straight down as if he were simply holding them at his sides, the
triceps muscles would flex.7
Das Erscheinungsbild des Yuppies muss in jeder Sekunde, in jeder
Situation absolut perfekt sein. Wenn Bateman beim Zerstückeln seiner
Leichen einen Anzug trägt, gibt er sich größte Mühe, keine
Blutflecken auf das Sakko zu bekommen. Wenn er zur Massage geht,
setzt er seinen muskulösen Körper ins beste Licht, um Eindruck zu
schinden. Geht es hier mehr um Schein als um Sein? Die in den Romanen
beschriebenen Yuppies haben eine fabelhafte Ausbildung genossen, es
geht also nicht darum, durch gutes Aussehen Defizite im
Allgemeinwissen zu übertünchen. Lediglich die Schwerpunktsetzung
ist anders. Es ist nicht wichtig, viel zu wissen. In einer
Konversation lässt sich viel besser über neue Modemarken und
berühmte Persönlichkeiten sprechen. Sollte es einmal, z.B. bei
einem Rendezvous, keinen passenden Gesprächsstoff geben, kann man
dann immer noch, so wie Bateman, den Bizeps sprechen lassen. Während
man den Teilnehmern der Studentendemonstrationen in der 60er Jahren
vorgeworfen hat, sie seien antiintellektuell, ist hier einfach von
unintellektuell zu sprechen. Die Qualität eines Tages ergibt sich
aus dem, was unter dem Strich nach Zusammenrechnung von Konsum
jeglicher Art bleibt. Ehrenreich belegt diese Einstellung schlicht
mit einem Yuppie-Wort: Ultra-dämlich.8
Wir betrachten eine Generation, die andere Wertmaßstäbe und andere
Zielsetzungen hat – und eine völlig andere Motivation für ihr
Handeln. Es muss noch erwähnt werden, dass die Yuppies selbst sich
dieser Tatsache durchaus bewusst sind:
Andriutti liked the fact that when he
reached around behind one of his mighty arms with the other hand, it
made the widest muscles of his back, the lats, the latissima dorsae,
fan out until they practically split his shirt, and his pectorals
hardened into a couple of mountains of pure muscle. Kramer and
Andriutti were of the new generation, in which the terms triceps,
deltoids, dorsae, and
pectoralis major
were better known
than the names of the major planets.9
Zum Erscheinungsbild zählt selbstverständlich auch das
Alltagsverhalten und das Auftreten in Gegenwart anderer Personen,
ohne schon in Kommunikation mit ihnen zu treten. Nachdem das Aussehen
perfekt ist und auf Klasse und Wohlstand schließen lässt, darf sich
der Yuppie auch beim Einkaufen nicht zurückhalten. Einkauf ist dabei
fast schon eine Untertreibung. Ehrenreich verwendet den Ausdruck des
„Hyperkonsums“ für die Art und Weise der Yuppies, das Geld
auszugeben10:
Ausländische Autos gelten ebenso als Statussymbol wie überteuerte
Mittagessen ab 50 Dollar, zu denen man auch gerne gute Kollegen
einlädt, ohne auf die Rechnung zu schauen. Der Yuppie kapituliert
vor dem Konsumdruck; er beugt sich den aufgezwungenen Trends, die
seine Mitstreiter immer wieder neu setzen. Auch hier gibt es
Markennamen, die zum guten Ton gehören: Evian, Perrier, Porsche.
Es muss erwähnt werden, dass nicht nur die Yuppies dem Kaufrausch
verfallen waren. Ganz Amerika hat das Geld ausgegeben, trotz der
Rezession 1982/83 – oder vielleicht auch gerade deswegen. Selbst
nach dem Börsenkrach 1987 standen Luxusgüter in hohem Ansehen. Im
Vergleich zur Arbeiterschicht konnten die Yuppies sich die wirklich
teuren Statussymbole leisten – und sie taten dies. Thorstein Veblen
nannte dieses Phänomen „conspicuous consumption“, demonstrativen
Konsum; Konsum hauptsächlich, um zu zeigen, welcher Schicht man
angehört.
In jeder hoch industrialisierten Gesellschaft beruht das
Prestige letzten Endes auf der finanziellen Stärke, und die Mittel,
um diese in Erscheinung treten zu lassen, sind Muße und
demonstrativer Konsum. (…) Keine Klasse, nicht einmal die
allerärmste, versagt sich jeglichen demonstrativen Verbrauch.11
Es gibt viele Redewendungen der Art „Zeig mir, wer Deine Freunde
sind und ich sage Dir, wer Du bist.“ – und sie lassen sich auf
die Yuppies anwenden. Das Ansehen des Yuppies scheint sich direkt von
seinen Besitztümern abzuleiten.
Besitzen Sie zur Zeit einen BMW, einen Mercedes, eine Kaffeemaschine
von Krups, eine Küchenwaage von Teraillon, ein Designerstück von
Issey Miyake oder Calvin Klein sowie Leberpastete in Dosen für alle
Notfälle? Dann zeigen Sie einige typische Merkmale des Yuppies. Doch
tragen Sie auch bestimmte Verhaltensweisen Ihren Mitmenschen
gegenüber zur Schau?
4 Egozentrisch: Das Umfeld
Hier muss unterschieden werden zwischen drei Gruppen von Mitmenschen
des Yuppies: Berufskollegen, Familie und Geliebte.
Diese Unterscheidung klingt ein wenig seltsam: Man würde
normalerweise anstelle der Geliebten eher Freunde erwarten. Aber hat
ein Yuppie richtige Freunde? Betrachten wir noch einmal, was im Leben
eines Yuppies zunächst zählt: Karriere, Ansehen und gutes Aussehen.
Für ein gutes Aussehen sind Freunde unerheblich. Ansehen wird
oftmals durch die Karriere bedingt und eine Karriere gründet sich
auf gute Beziehungen. Hierbei geht es aber eher selten um
freundschaftliche als vielmehr um geschäftliche Beziehungen und
deren rein profitablen Nutzen.
Die Kollegen im Job entsprechen bei dem Yuppie am ehesten dem, was
gemeinhin als Freund gilt. Man verhält sich jovial, bespricht die
neuesten Ereignisse und zieht über den schlechten Geschmack anderer
her. Diese Berufsfreundschaft hält nur für die Dauer des
gemeinsamen Büroaufenthaltes an. Bei Patrick Bateman verschiebt sich
diese Freundschaft vom Büro in einige der angesagtesten Bars und
Restaurants von New York, da er selbst kaum im Büro anzutreffen ist
und seine Tagesplanung grundsätzlich das Mittagessen mit ein paar
Kollegen einschließt. Sherman McCoy verbringt so viel Zeit im Büro,
dass Kontakt mit Freunden außerhalb und abgesehen vom gemeinsamen
Mittagessen gar nicht möglich ist.
Stört es nun die Freunde, wenn sie scheinbar so im Stich gelassen
werden? Wer sind die Freunde, mit denen der Yuppie sich umgibt? Es
handelt sich um Geschäftsmänner, Börsenmakler und Anwälte; solche
Menschen eben, die dem Yuppie den Aufstieg ermöglichen können.
Meist sind sie selbst Yuppies: Es ist ein Geben und Nehmen von
Gefälligkeiten, ein ständiger Wechsel von Einladen und
Eingeladenwerden. Jeder ist hierbei ganz auf sich selbst und seinen
Aufstieg fixiert – es ist ein Kampf um die höchsten Ränge in der
Mittelschicht, jene, die der Oberschicht am nächsten stehen. Wer
hier zu langsam ist und seine Arbeit mit den dazugehörigen
„Nebenjobs“ (wie jenes beschriebene gemeinsame Mittagessen und
das Knüpfen und Ausnutzen von Beziehungen) nicht mit aller Energie
verfolgt, gerät schnell ins Hintertreffen. So handelt es sich also
bei den Freunden des Yuppies selbst um Yuppies, die keine Zeit für
freundschaftliche Beziehungen außerhalb der Arbeit haben. Sie machen
sich nichts daraus, wenn der andere nur ein paar Minuten Zeit am Tag
für sie hat. Solange die kurzen kommunikativen Tätigkeiten
irgendwie reguliert sind, ist alles in Ordnung. Es kann sich dabei
auch einfach um ein fünfminütiges Telefonat handeln, das im
Terminkalender seinen festen Platz gefunden hat und bei der
Morgenzeitung erledigt wird, während der Schuhputzer treu ergeben
seine Arbeit macht – für Sherman McCoy eine weitere Gelegenheit,
sich seiner Selbstverliebtheit hinzugeben:
Felix, the shoeshine man, was humped
over, stropping Sherman’s right shoe, a New & Lingwood
half-brogue, with his high-shine rag. Sherman liked the way the
elevation of his foot flexed his leg and sprung it out and put
pressure on the inside of his thigh. It made him feel athletic. (…)
Sherman enjoyed the pressure of the rag on his metatarsal bones. It
was a tiny message of the ego, when you got right down to it – this
great strapping brown man with the bald spot in his crown down there
at his feet, stropping, oblivious of the levers with which Sherman
could move another nation, another continent, merely by bouncing a
few words off a satellite.12
Die Arbeit des shoeshine man bringt übrigens nicht nur die
Gelegenheit, sich selbst wieder einmal überlegen darzustellen,
sondern auch ein paar kostbare Minuten der Erholung in der hektischen
Arbeitswelt des Yuppies. Es ist eine von den Kollegen anerkannte
Ausrede, um sich für wenige Momente dem Müßiggang hinzugeben.
My shoeshine companions, two
businessmen, were having their tasselled loafers buffed before
cutting the next deal. A man with the longest and narrowest brogues
I’d ever seen was supping a coffee-to-go, humming along to his
gleaming white I-Pod, while the guy on my right was engrossed in his
dog-eared paperback. The atmosphere was relaxed and I could see why
New Yorkers seek refuge from the outside world, if only for a few
moments.13
Wenn man diese Überlegungen in Betracht zieht, kann man sich nicht
vorstellen, dass ein Yuppie ein ausgedehntes Privatleben genießt und
enge Freunde um sich schart.
Die berufliche Karriere bringt einige persönliche Einschränkungen
mit sich; diese sind für den Yuppie am ehesten im Umgang mit den
Mitmenschen zu treffen. So schafft McCoy es kaum, jeden Tag auch nur
45 Minuten mit seiner Tochter zu verbringen. Wie also ist es unter
diesen Umständen um das Familienleben bestellt?
Der „ideale“ Yuppie hat noch keine eigene Familie. McCoy ist, wie
bereits erwähnt, mit 38 Jahren aus dem eigentlichen Yuppie-Alter
heraus und kann nicht als gutes Beispiel herangezogen werden. Ein
Kind bringt vielmehr noch als eine Frau Einschränkungen mit sich. Es
ist nicht mehr möglich, die Nächte auf wilden Partys zu verbringen;
dadurch wird der allgemeine gesellschaftliche Umgang sehr
eingeschränkt, denn der Yuppie knüpft viele Beziehungen aller Art
auf diesen Partys. Da Ansehen dem Yuppie sehr viel bedeutet, kann es
so zu großen „Verlusten“ kommen. Ein Kind ist also nicht
unbedingt erstrebenswert für den jungen, aufsteigenden
Geschäftsmann.
Mit der Frau verhält es sich ähnlich. Eine Frau schließt
Liebschaften eigentlich aus. Zumindest darf nicht mehr in der
Öffentlichkeit auf die Jagd gegangen werden. Die mühsam im
Fitnessstudio antrainierten Muskeln werden vergeblich zur Schau
gestellt – theoretisch. Sherman McCoy ist verheiratet, Patrick
Bateman hat eine Freundin. Dennoch geben sich beide gefährlichen
Liebschaften hin. Im Hinblick auf Bateman gefährlich, weil er diese
nach und nach immer grausamer misshandelt; für McCoy gefährlich,
weil er zusammen mit seiner Affäre einen Unfall verursacht, der ihn
in die Presse bringt und sowohl seine Karriere als auch seine Familie
vollständig ruiniert. Für diese Liebschaften kann es zwei Gründe
geben: Es kann sein, dass mit der Wahl eines festen Partners eben
doch nicht alle Bedürfnisse des Mannes gestillt werden und sich
Ersatzbefriedigungen beschafft werden müssen. Ein anderer Grund, der
wiederum zum Yuppie-Bild beiträgt, ist das Sammeln von Trophäen:
Natürlich geht niemand, der eine feste Beziehung führt, damit
hausieren, dass er eine oder mehrere Geliebte hat. Dem Yuppie geht es
aber in erster Linie um das Ansehen bei sich selbst. Er möchte immer
als Gewinner gelten, als ein Mann, der alles erreichen kann – und
damit den American Dream lebt. Eine Ausübung des American Dream ist
allerdings kaum mehr möglich, wenn man schon alles erreicht hat. Was
aber ist „alles“? Wo ist die Grenze, an der man sich sagen kann,
dass man nun genug geschafft hat? Der Yuppie setzt sich immer höhere
Ziele und findet gerade bei sich selbst nie Perfektion. Ein
Textbeispiel zu der genannten Jagd auf die Frauen:
Der Anwalt Larry Kramer, eine andere Hauptfigur aus Wolfe’s Roman,
ist besonders stolz auf seine Halsmuskulatur. Bei jeder Gelegenheit,
Frauen zu beeindrucken, spannt er sie an.
Kramer’s mind wandered… The girl
with brown lipstick… Soon she would be coming out… The very
thought made him straighten himself up in his chair… He wished he
had taken a look at himself before he came into the courtroom… at
his hair, his tie… He tensed his neck and threw his head back… He
was convinced that women were impressed by men with huge
strenocleidomastoid muscles… He closed
his eyes…14
Dieser Tick führt in der abschließenden Gerichtsverhandlung zu
einer Bloßstellung, als ihm dieses Anspannen als Idiotie oder
Spastik ausgelegt wird; Kramer fühlt sich als Mann sofort
erniedrigt. Hier zeigt sich, wie sehr der Yuppie durch eine
Herabsetzung der ihm wichtigen Werte in seinem Ego verletzt werden
kann.
„He kept throwing his head back and
doing something weird with his neck, like this, and looking at me
through those slits for eyes. What a creep.”
[Kramer’s] face was now scarlet,
aflame, boiling with anger and, worse than anger, dismay. Someone in
the room made a sound that might be a cough and might be a laugh. He
didn’t have enough heart to investigate. Bitch!
said his mind,
consciously. But his nervous system said, Wanton
destroyer of my fondest hopes! In
this little room full of people he was suffering the pangs of men
whose egos lose their virginity – as happens when they overhear for
the first time a beautiful woman’s undiluted, full-strength opinion
of their masculine selves.15
Kramer zeigt eine Gefühlsregung. Sie wirkt erstaunlich, da er
ansonsten ein überlegenes, fast schon gefühlskaltes Ich an den Tag
legt. Sind Yuppies abgestumpft und unfähig, Gefühle zu zeigen?
5 Schockierend: Gefühle
Ellis’ documentary intentions are
clear, but his laconic descriptions of numb fornications,
pharmacological excesses and teenage nihilism come dangerously close
to violating Mark Twain’s third rule of writing: “That the
personages in a tale shall be alive, except in the case of corpses,
and that always the reader shall be able to tell the corpses from the
others.”16
Dieser Kommentar bezieht sich zwar auf einen anderen Roman von Ellis,
nämlich Less Than Zero, trifft aber auf den American
Psycho ebenso zu.
Patrick Bateman hat eine Freundin, die er vermutlich liebt – aber
nebenbei hat er unzählige Affären mit anderen Frauen. Es ist
fraglich, ob sich hierbei von Affären sprechen lässt; meist sind es
nur One-Night-Stands. Im späteren Verlauf des Romans bekommt der
Begriff „One-Night-Stand“ schon fast einen zynischen
Beigeschmack, da Bateman die Frauen vor, während oder nach dem
Sexualakt ermordet – somit wird jegliche Gelegenheit zu einem
zweiten Wiedersehen radikal ausgelöscht. Warum sollte es aber auch
zu einem erneuten Treffen kommen? Die Frauen verlieren für Bateman
nach der ersten Nacht ihren Reiz – etwas Neues muss her! Wolfe, der
seine Figuren nicht ganz so überzeichnet darstellt, lässt McCoy
immerhin „nur“ eine Geliebte haben, mit der er sich immer wieder
trifft. Eines aber scheinen beide Romanfiguren gemeinsam zu haben:
Die Gefühle, die sie ihrer Affäre gegenüber hegen, basieren auf
rein sexueller Anziehung. Wenn es um Liebe geht, hat die feste
Freundin bzw. die Ehefrau den höheren Stand.
Diese Arbeit sollte ursprünglich darauf hinweisen, dass es in der
Welt der Yuppies kaum noch Gefühle gibt – mittlerweile hat sich
der Blickwinkel aber geändert: Es gibt durchaus Gefühle und es ist
nun nicht mehr wichtig zu zeigen, wie gering sie sind, sondern wie
gefährlich sie für den Yuppie und für seine Mitmenschen sind.
Sherman McCoy hat sein Leben im Griff. Er bezeichnet sich selbst als
„Master of the Universe“ und „King of the Jungle“. Er
herrscht über die Gesellschaft, über die Wirtschaft und selbst über
das wilde Leben in der New Yorker Bronx. Er hat sich selbst stets
unter Kontrolle und wickelt seine Geschäfte routiniert ab, doch
genau wie Kramer, der, wie zuvor beschrieben, nach einer Herabsetzung
seiner ihm wichtigen Werte sozusagen „den Faden verliert“, wird
auch McCoy nach einem Unfall aus der Bahn geworfen.
Gefühle, das sind nicht nur Liebe und Leidenschaft, sondern zum
Beispiel auch Angst. Für McCoy ist bei der Arbeit höchste
Konzentration wichtig, um maximale Gewinne aus seinen Geschäften zu
schlagen. Am Telefon möchte er einen seiner wichtigsten Deals mit
einem Partner besprechen, als er in der Zeitung einen Bericht jenes
Unfalls entdeckt, bei dem er einen Jungen aus der Bronx angefahren
hat – während er mit seiner Affäre unterwegs war. Es steigt
schlagartig Angst in ihm auf, Angst, im Gefängnis zu landen und
nicht zuletzt Angst davor, dass seine Frau von der Affäre erfährt.
Die kühle Fassade des Geschäftsmannes ist gebrochen und er schafft
es nicht mehr, sich auf das Telefonat zu konzentrieren. In der Folge
geht ihm später das geplante große Geschäft verloren. Gefühle
sind für den Yuppie gefährlich, weil sie die Macht besitzen, seinen
hart erarbeiteten festgelegten Weg durcheinander zu bringen. Sie
können genau das zerstören, was ihm das Wichtigste ist: Die
Gewissheit, Macht über andere zu haben, zwar keine Macht über das
Schicksal zu besitzen, aber das Schicksal weitgehend und bedeutsam
beeinflussen zu können.
Patrick Bateman ist eine gefühlskalte Figur. Er kann keine wahre
Liebe gegenüber seiner Freundin äußern; die Beziehung bricht am
Ende des Romans auseinander. Nicht einmal das weckt in Bateman eine
starke Gefühlsregung. Die einzigen Gefühle, die Bateman wirklich
bewegen können, finden sich auf sexueller Ebene. Er sucht sexuelle
Befriedigung bei Pornos, Prostituierten und auch bei einfachen
Bekanntschaften. Um wen es sich dabei handelt, bedeutet ihm nichts.
Die Frau wird zum Objekt reduziert, auf das seine eigenen Wünsche
projiziert werden. Seine Lüste zieht er aus den brutalen
Darstellungen der Pornos, die er sich anschaut: Frauen werden
missbraucht und umgebracht. Für Bateman entwickelt sich diese
Gewaltdarstellung bald zu einem Maßstab für guten Sex. Poschardt
schreibt, dass die Pornographie eine Art der Technologie ist, den
Anderen zu virtualisieren: „Die Befriedigung ist zur
Selbstbefriedigung mit Hilfe abstrakter Medien geworden, deren Kälte
daraus resultiert, dass der Andere aufgelöst wird in Zeichen der
Repräsentation.“17
Auch bei den Liebesszenarien, die Patrick Bateman entwirft und
durchspielt, ist die yuppietypische Ich-Bezogenheit und
Selbstverliebtheit zu erkennen. Er zwingt die Frauen, seine
Phantasien auszuleben, hat die Sexualakte völlig unter Kontrolle und
analysiert sein eigenes Verhalten auch dabei sehr distanziert. Zwar
geht es ihm auch darum, die Frauen zum Orgasmus zu bringen, aber
nicht, damit sie ihren Spaß haben: Er muss sich selbst beweisen,
dass er in der Lage ist, eine Frau zufrieden zu stellen. Wichtiger
jedoch ist ihm der eigene Orgasmus, den er später mit immer
abstruseren und brutaleren Mitteln herbeiführt.
Was anfangs nur auf den Videos dargestellt ist, wird später für ihn
zur Realität. Frauen werden zunächst misshandelt und vergewaltigt,
danach gefoltert und umgebracht – zerstückelt, von Ratten
zerfressen, mit Säure zersetzt und von diversen Werkzeugen
verstümmelt. Die Frau ist das Objekt, die Leinwand, auf die Batemans
Phantasien geworfen werden. Sie ist ein Ding, mehr nicht. Er
entwickelt niemals Gefühle für die Frau an sich – in einer Szene
praktiziert er Oralverkehr mit dem abgetrennten Kopf einer Frau,
während eine zweite gefesselt daneben sitzt – und empfindet das
als äußerst befriedigend. Wenn man die Gefühlskälte betrachtet,
scheint es irgendwann wirklich nicht mehr möglich, Bateman von den
ihn umringenden Leichen zu unterscheiden, um es mit Twains Worten zu
sagen.
Man kann zu dem Schluss kommen, dass Ellis seinen „Protagonisten“
als gefühlloses Wesen dargestellt hat, das seinen einzigen Genuss
aus maßloser Gewalt zieht.
Zum einen muss angemerkt werden, dass Bateman sich zwar auch an
Kindern und Obdachlosen vergreift, dass er aber gewisse Personen wie
zum Beispiel den bisexuellen Luis Carruthers, der sich in ihn
verliebt hat, verschont. Ja, er warnt ihn sogar mehrfach, dass er ihn
umbringen würde, wenn er ihn weiterhin belästigte. Es scheint also
zumindest eine gewisse Differenzierung der ihn umgebenden Menschen
durch Bateman zu geben, welche aus dem Grad der Beziehung zueinander
resultiert.
Zum anderen ist Ellis’ Roman auch hier aufgrund seiner
Übertreibungen wieder mit Vorsicht zu genießen; Tom Wolfe hat
sicherlich das realistischere Bild der Gefühlswelt eines Yuppies
entworfen.
Man muss bei Ellis jedoch die Quintessenz betrachten: Bateman
vergewaltigt und mordet ohne Rücksicht auf irgend jemanden; er
erzählt sogar offen von seinen Eskapaden, doch es scheint niemanden
zu interessieren. Desinteresse und Egozentrik auch hier wieder im
großen Stil – dadurch gewinnen die Schlussworte in Ellis’ Roman
– auf einem Schild über der Tür in einer Bar – eine
umfassendere Bedeutung: „This is not an exit.“18
6 Psycho-Logisch: Versuch einer Erklärung
Bisher wurden das Aussehen und das Verhalten des Yuppies beschrieben
und eine Motivation für sein Handeln dargestellt. Es bleiben zwei
Fragen offen: Wie kam es überhaupt zur „Entwicklung“ der
Yuppies? Warum ist der Yuppie derart egozentrisch?19
Der Yuppie hat sich nicht durch ein urknallähnliches Ereignis selbst
aus dem Nichts erschaffen. Es gab ihn schon länger, schon vor seiner
offiziellen Benennung. Wie bereits beschrieben, ist der Begriff im
Jahr 1983 entstanden. 1984 fanden Präsidentschaftswahlen in Amerika
statt, der Wahlkampf lief bereits im vorhergehenden Jahr. Ronald
Reagan hat die Wahl gewonnen, sein größter Gegner war Walter
Mondale. Es konnte jedoch noch ein dritter Kandidat überraschend
viele Stimmen für sich gewinnen, nämlich Gary Hart. In New
Hampshire hat er Mondale sogar um 10% der Stimmen überholen können.
Es hatte sich eine Gruppe der aufstrebenden Mittelschicht auf seine
Seite geschlagen; man war sich einig, diese Gruppe wie auch Hart
selbst den Yuppies zuzuordnen. Auf diese Weise gelangte der Begriff
an die Öffentlichkeit. Auch durch das 1983 von Marissa Piesman und
Marilee Hartley veröffentlichte The Yuppie Handbook war das
Phänomen in aller Munde.
Damit ist zwar erklärt, wie die Yuppies ans Tageslicht gekommen
sind, wie sie entdeckt wurden, aber nicht, wie sie in erster Linie
zunächst als unauffällige Subkultur entstanden sind. Das Augenmerk
muss dabei weiter zurück in die Geschichte gerichtet werden zu den
Verhaltensweisen der Hippie-Generation.
Der Begriff „Yuppie“ ist aus dem vorhergehenden „Yippie“
entstanden, einem Akronym für die Mitglieder der Youth International
Party. Hierbei handelte es sich um eine Gruppe
anarchistisch-radikaler Hippies der sechziger Jahre – und scheinbar
ist etwas von dieser Radikalität bei den Jugendlichen der Generation
zwanzig Jahre später wiederzufinden: Sie bringen ihre rücksichtslos
fordernde Haltung in den Konkurrenzkampf der Achtziger ein. Diese
Charakterzüge haben sich bereits in ihrer Jugend gefestigt, als sie
versuchten, sich demonstrativ gegen ihre Eltern zu stellen und eine
egoistische, politisch konservative Linie zu gehen. Man kann einen
Übergang von den friedlichen Hippies über die Radikalen bis zu den
Yuppies erkennen und diese Wandlung im Lebenslauf des Yuppies
manifestieren: Als Kind erlebt er die Hippies ohne Möglichkeit zur
„Gegenwehr“ mit; als Jugendlicher stehen ihm in anarchischen
Gruppierungen erstmals Möglichkeiten zur Äußerung seines Unmuts
offen und schließlich, im Alter von etwa 30 Jahren, kann der Yuppie
gänzlich dem oben beschriebenen Lebensstil frönen und somit der
Lebensart seiner Eltern den Rücken zuwenden.
Zwei grundlegende Voraussetzungen haben sich in den zwanzig Jahren
von 1960 bis 1980 für den angehenden Yuppie nicht geändert: Er ist
stets Mitglied der Mittelklasse (mit dem Wunsch zum Aufstieg) und er
kann ein Leben im Überfluss genießen. Einzig die Art und Weise, mit
dem Überfluss umzugehen, hat sich geändert.20
Mittelklasse und hohes Einkommen scheinen zunächst im Widerspruch zu
stehen. Tatsächlich ist die Einkommensverteilung der amerikanischen
Bevölkerung etwa als Gaußsche Kurve zu betrachten mit einem
geringen Prozentsatz der Bevölkerung in den hohen bzw. niedrigen
Einkommensbereichen. Unter der Regierung Reagan wurde allerdings
direkt auf eine Umformung dieser Kurve hingearbeitet;
Sozialleistungen und Subventionen für Sozialprogramme wurden
gekürzt, während der Oberschicht großzügige Steuererleichterungen
eingeräumt wurden.21
Die Folge war ein Ansteigen der Einwohner mit besonders hohem bzw.
besonders niedrigem Einkommen. Der sogenannten Mittelschicht drohte
der Boden unter den Füßen zu schwinden.
Die Yuppies hatten die Wahl: Entweder, sie gaben sich den politischen
Maßnahmen hin, taten nichts und rutschten wie ein großer
Prozentsatz der Bevölkerung in Richtung Armut ab oder sie traten den
Kampf an zum Aufstieg in die Oberschicht. Die Yuppies entschieden
sich für letztere Alternative. Ihre radikale, egoistische und
zielstrebige Haltung sollte ihnen dabei helfen.
Das erklärt, wie es für den Yuppie zum Konsumrausch, zum Egoismus
und zum Kampf um den Einstieg in die Oberschicht gekommen ist. Was
hat es jedoch mit der Selbstfixiertheit und der Selbstverliebtheit,
die sowohl in The Bonfire of the Vanities als auch in American
Psycho so erschöpfend dargestellt werden, auf sich? Um meinen
Versuch einer Erklärung darzustellen, ist zunächst ein kurzer
Exkurs in die Subjektstheorie nach Jacques Lacan notwendig.
Im Folgenden wird der Mensch als Subjekt betrachtet, als handelndes
Wesen, im Gegensatz zum Objekt, welches durch jeden anderen Menschen,
also jedes „Nicht-Subjekt“ repräsentiert werden kann. Der
Mensch, also das Subjekt, wird gern als hoch entwickeltes Wesen
gelobt, man spricht von ihm als rational denkendes und selbstbestimmt
handelndes Individuum. Das Subjekt selbst ist jedoch gespalten in ein
„Ich“ und ein „Mich“, sozusagen in eine aktive Einheit und
ein passives „Selbstobjekt“. Damit ist die obige Aussage nicht
mehr haltbar: Der Mensch befindet sich ständig auf der Suche nach
seiner Identität, nach einer Definition dieses Selbstobjektes und
ist in seinem Handeln somit dieser Motivation unterworfen.22
Brigitte Nölleke schreibt: „Das Prekäre am Subjekt ist sein
Widerspruch: unterworfen zu sein (…) und sich gleichzeitig als
autonom, als Verursacher zu verstehen.“23
Das Subjekt ist einem System unterworfen. Dieses System ist eine
Ideologie, die materielle Praxen und materielle Rituale vorschreibt.
Die erste Wirkung dieser Ideologie zeigt sich bereits bei der Geburt,
wenn die Kinder in Jungen und Mädchen unterschieden werden: Sie
werden als unterschiedliche Subjekte konstituiert. Hier hat
allerdings eine Fremdklassifizierung stattgefunden; wann erkennt der
Mensch sich zum ersten Mal selbst?
Der Beginn jeder Subjektskonstituierung liegt im sogenannten
Spiegelstadium. Lacan nennt den Menschen im 6.-18. Monat homelette,
ein kleines Wesen, das sich selbst noch nicht erkannt hat. Erst der
erste Blick in einen Spiegel erlaubt das Erfassen des eigenen Körpers
als Einheit; dabei muss es sich noch nicht einmal um einen Spiegel
handeln. Es kann jegliche Projektions- und Reflektionsfläche dienen,
auch ein Gegenüber wie z.B. die eigene Mutter. Am Spiegel lässt
sich die daraus resultierende Problematik allerdings noch besser
erklären: Das Kind betrachtet und versteht nun diese Reflektion im
Spiegel als sein „Mich“, als das Selbstobjekt, welches es ständig
zu definieren versucht. Es ist für das Kind nun Standard, das
Ideal-Ich nicht in der eigenen Person, sondern in der Reflektion der
eigenen Person in einer anderen Gestalt zu sehen. Sein ganzes Leben
lang wird es versuchen, diesen Prozess fortzuführen und sich in den
anderen Menschen, den Objekten (=“Nicht-Subjekten“) zum Zweck der
Selbstdefinition zu spiegeln. „Man kann das Spiegelstadium als eine
Identifikation verstehen im vollen Sinne, den die Psychoanalyse
diesem Terminus gibt: als eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines
Bildes ausgelöste Verwandlung.“24
In der zweiten Phase des Spiegelstadiums wird die Sprache erlernt.
Das Kind wird Teil eines sprachlich-kulturellen Systems, kann mit
anderen Menschen kommunizieren und sie als Objekte seiner Spiegelung
betrachten. Es kann jetzt mit Worten zwischen „Ich“ und „Du“
unterscheiden und sich von seinen Mitmenschen abgrenzen. Diese
Abgrenzung ist notwendig, um die eigene Identität überhaupt
definieren zu können und sie nicht mehr als Kopie einer anderen
Identität zu betrachten. Das Kind/Subjekt wäre damit überfordert,
stets bei der Spiegelung die gesamte Persönlichkeit im Anderen zu
sehen, zu erkennen und zu analysieren. Somit können bei jeder
Spiegelung nur einzelne Charakterfacetten eingefordert und bestätigt
werden. Ohne Mitmenschen ist es nicht möglich, das wahre Selbst zu
bestimmen, weil das Unterbewusstsein des Subjekts nur im ständigen
Diskurs – und dabei nur unzureichend – repräsentiert wird. Es
bedarf der Anwesenheit eines „Nicht-Subjekts“, an dem sich das
Subjekt realisieren und definieren kann.25
Eigentlich kann also von Autonomie und selbstbestimmtem Handeln des
Menschen keine Rede mehr sein (bzw. Autonomie kann nur unter diesen
kompromittierenden Voraussetzungen existieren), da der gesamte
Vorgang unbewusst abläuft.
Übertragen wir diese Theorie nun auf die Yuppies: Der Drang zur
Selbstabgrenzung entsteht aus der Rebellion gegen die elterlichen
Lebensweisen. Die Yuppies wissen sehr genau, was sie darstellen
wollen (und was nicht!), doch sie müssen ständig prüfen, ob sie
ihrem eigenen Ideal genügen. Dies kann ganz einfach ein
oberflächlicher Blick in den Spiegel oder auf den Kontostand sein.
Es kann sich dabei auch um Nachfragen im Umfeld und Bestätigung
durch die Mitmenschen handeln. Aber nicht zu unterschätzen ist jenes
Verhalten der Spiegelung, bei dem der Yuppie durch sein Verhalten
beim Anderen Reaktionen hervorzurufen versucht, die seine
Selbstdefinition bestätigen und untermauern.
Sherman McCoy bezeichnet sich selbst als „Master of the Universe“
und „King of the Jungle“. Er meint, alle Fäden in der Hand zu
haben und immer Herr der Lage zu sein. Durch die Reaktionen seiner
Geliebten, seiner Frau und seiner Geschäftspartner auf sein
Auftreten, die er teils bewusst (wie am Anfang dieser Arbeit
beschrieben), teils unbewusst provoziert, fühlt er sich in dieser
Position gesichert. Das Leben des Yuppies ist ein Hochseilakt, eine
Wanderung auf schmalem Grad. Wenn das eigens aufgebaute Ideal nicht
mehr erfüllt werden kann, wenn die Spiegelung fehlschlägt, dann
kann dies nicht nur zum finanziellen und gesellschaftlichen Ruin,
sondern auch zur völligen Zerstörung der eigenen Identität und
jeglicher Grundlage zum Wiederaufbau selbiger führen. Sherman McCoy
durchlebt eben diesen Prozess in mehreren, schmerzhaft kleinen
Schritten bis zur Auflösung seiner Identität.
Sherman stared at Lopwitz’s smiling
face and grew frightened. Lopwitz wasn’t perturbed. He wasn’t
even particularly put out. Not, the
fate of Sherman McCoy didn’t make all that much difference.26
7 Beängstigend: Ein Ausblick
Im Lauf dieser Arbeit ist ein durchweg negatives Bild der Yuppies
entstanden. Sie sind egoistisch, auf materielle Werte fixiert,
überheblich und stellen nur eine kurzlebige Subkultur dar. Zu
Lebzeiten wurden sie von der Presse verspottet und bereits kurz nach
der Geburt wieder zum Tode verurteilt. Wir haben jedoch gesehen, dass
es sie bereits vor ihrem großen Auftritt 1983-1986 gab und viele
Kritiker sprechen auch von ihrem Nachlass, der sich noch in die
Neunziger erstreckte. Statistisch gesehen gibt es den 1953 geborenen
Yuppie noch etwa bis ins Jahr 2030. Es mag sich so ergeben, dass die
Kinder der Yuppie-Generation sich wiederum ihren Eltern
entgegenstellen und andere Wege einschlagen wollen – und deren
Kinder dann zurück auf den Weg der Yuppies gelangen.
Mir scheint die Gesellschaft jedoch einheitlicher geworden und der
Trend nach Abgrenzung etwas zurückgegangen zu sein. In Zeiten von
androgynen Popstars, Sozialhilfeempfängern mit Villen im Ausland und
viel zu breit gefächerter Alltagsmode ist es nicht mehr leicht,
aufzufallen. Man hat sich einfach satt gesehen und an zu viele Dinge
gewöhnt, als dass die Yuppies heute noch beeindrucken könnten –
auch nicht als „Gossips“ (Gadget Obsessed, Status Symbol
Infatuated Professionals).
Die Voraussetzungen für das Yuppietum sind geblieben – man kann
durchaus sozialen und finanziellen Aufstieg erkämpfen, aber es ist
bei Weitem nicht mehr so (scheinbar) leicht wie vor zwanzig Jahren.
Ich gehe davon aus, dass es sie nach wie vor gibt, die
geschäftstüchtigen, selbstsüchtigen jungen Aufsteiger, doch es
kümmert niemanden, ob sie gerade einen Millionendeal abgeschlossen
haben, wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis sitzen oder sich wegen
einer Geliebten im Ehekrach befinden. Sie müssten schon Politiker
oder Popstars sein – da hilft auch kein Manolo Blahnik.
Auswahlbibliographie
Birnbach, L. (Hg.). The Official Preppy
Handbook. New York: Workman Publishing,
1980.
Chenoune, Farid. A
History of Men’s Fashion. Paris:
Flammarion, 1993.
Cooper, Jilly. Class.
A view from middle England. London:
Corgi Books, 1999.
Ehrenreich, Barbara. Angst
vor dem Absturz. Das Dilemma der Mittelklasse. Hamburg:
Rowohlt, 1994.
Ellis, Bret Easton.. American
Psycho. New York: Vintage, 1991.
Gianoulis, T. “Yuppies”, St.James Encyclopedia of Pop Culture.
Gale Group, 2002.
Gorer, Geoffrey. Die Amerikaner. Eine völkerpsychologische
Studie. Hamburg: Rowohlt, 1956.
Guckel, Volker. Im Spiegel des Anderen: Studien zur Konstituierung
des Subjekts im dramatischen Werk David Mamets. Würzburg:
Königshausen & Neumann, 1993.
Hackett, Jeremy. Mr Classic. London:
Thames and Hudson, 2006.
Lacan, Jacques. Schriften I. Olten: Walter, 1973.
Nölleke, Brigitte. In alle Richtungen zugleich: Denkstrukturen
von Frauen. München: Frauenoffensive, 1985.
Polhemus, Ted. Street Style. London: Thames and Hudson, 1994.
Poschardt, Ulf. Cool.
Hamburg: Rowohlt, 2002.
Shapiro, Walter. “The Birth and – Maybe –
Death of Yuppiedom”, TIME magazine, April 8th,
1991.
Sheppard, R.Z. “Yuppie Lit: Publicize or
Perish”, TIME magazine, June 24th,
2001.
Veblen, Thorstein. Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische
Untersuchung der Institutionen. Frankfurt/M.: Fischer, 1986.
Wolfe, Tom. The
Bonfire of the Vanities. London:
Picador, 1990.
1
Shapiro 1991.
2
Ehrenreich 1994, 193.
3
Wolfe 1990, 70.
4
Oder absichtlich; Ellis’ Roman ist direkt nach Wolfes Roman
erschienen und sicher auch eine Satire darauf.
5
In seinem Buch weist Farid Chenoune darauf hin, dass der cool
town suit allerdings in dem Moment an Ansehen verloren hat, als
er von den Yuppies entdeckt wurde: „This suit lost its cool image,
since the double-breasted version became an unmistakable symbol of
competitive subservience and social climbing.“ (Chenoune 1993,
312).
6
Ellis 1991, 106.
7
Wolfe 1990, 633.
8
Ehrenreich 1994, 246.
9
Wolfe 1990, 118.
10
Ehrenreich 1994, 225.
11
Veblen 1986, 93; siehe auch: Gorer 1956, 125.
12
Wolfe 1990, 269, 271.
13
Hackett 2006, Kap.9.
14
Wolfe 1990, 142.
15
Wolfe 1990, 709f.
16
Sheppard 2001.
17
Poschardt 2002, 152.
18
Ellis 1991, 399.
19
Bisher habe ich nur versucht, die Motivation für das
karriereorientierte Handeln zu erklären; es geht jetzt um die
Ursachen der Selbstverliebtheit („Me-Decade“) und ihre
Auswirkungen auf das Verhalten den Mitmenschen gegenüber.
20
Der Begriff „Überfluss“ ist sicherlich etwas großzügig; nach
Ende des zweiten Weltkrieges ging der Trend zunächst zur Gleichheit
der Amerikaner; Ende der sechziger Jahre begann dann aber die
Aufspaltung in Arme und Reiche (Ehrenreich 1994, 196).
21
Ehrenreich 1994, 197.
22
Es handelt sich dabei nicht um die bewusste Selbstfindung bzw.
Selbsterfahrung wie z.B. in den sechziger Jahren; die Suche nach dem
Selbstobjekt findet unbewusst statt!
23
Nölleke 1985, 106.
24
Lacan 1973, 64.
25
Guckel 1993, 29.
26
Wolfe 1990, 474.
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