Dienstag, 31. März 2020
Entspannung für die Augen
Zu Studienzeiten hatte ich Schlafmasken noch als fancy abgetan, irgendsoein Etepetete-Zeug, braucht man nicht, warum auch, ich schlafe, wenn es dunkel ist, da brauche ich nicht auch noch eine Schlafmaske, die meine Augen abdeckt - im Gegenteil, ich kann nicht schlafen, wenn ich etwas am Kopf trage; mittlerweile jedoch liegt in meiner Wohnung seit ein paar Jahren eine Schlafmaske, für die ich sogar etwas mehr Geld ausgegeben habe. Warum? Und warum schreibe ich ausgerechnet jetzt darüber?
Corona, Darling (die große Buba sieht einen rosa Tornado und platzt). Die Krise fordert von uns, dass wir auf soziale Kontakte nicht verzichten, aber dass wir social distancing praktizieren - dass wir uns voneinander fernhalten. Eine gute Möglichkeit, trotzdem in Kontakt zu bleiben, könnte FaceTime oder Skype sein - Videotelefonie mit den Menschen, die einem am Herzen liegen; auch in den Nachrichten sehen wir zur Zeit anstelle richtiger Interviews immer häufiger Videoschalten. Und um uns die Zeit zu vertreiben, spielen wir Videospiele.
Klar, ich spreche nicht für alle, aber es geht mir darum: Es wird insgesamt noch mehr auf die Bildschirme geschaut als sonst. Das belastet die Augen, lange Bildschirmzeit kann zu trockenen Augenlidern führen, zu Juckreiz oder Brennen in den Augen, und es kann bei empfindlichen Menschen zu einem epileptiformen Krampfanfall kommen, wenn man nicht jede Stunde eine Pause einlegt.
Ich bin nicht ganz so empfindlich, aber manchmal merke ich nach zwei bis drei Stunden an einem Videospiel, wie die Augen gereizt werden. Das ist der Moment, in dem ich meine Schlafmaske auspacke, Musik von Entheogenic einschalte, die Maske aufsetze und mich auf die Couch lege, um im Dunklen in die Psybient-Welten abzudriften und dabei die Augen zu beruhigen. Die Maske, die ich nutze, sorgt für richtige Dunkelheit, dabei ist sie nach außen gewölbt, liegt also nicht auf den Augen auf, sie ist flexibel "einstellbar", das Material ist weich, bleibt aber trotzdem auch nach dem Zusammenfalten und In-den-Beutel-stecken in Form.
Ich muss zugeben, das war mal eine Anschaffung, die mir richtig nützt und die ich gern nutze. Nach einer Viertelstunde Musik (meistens nehme ich eher das knapp halbstündige Love Letters to the Soul) nehme ich die Maske ab und fühle mich fit, die Augen sind erholt, es kann weitergehen. So wie heute: Ich schreibe jetzt diesen Beitrag, direkt nachdem ich die "Augenpause" hatte und kann problemlos auf den Bildschirm schauen.
Schwarz und angenehm!
Montag, 30. März 2020
Der nächste Schritt
Wie nun damit umgehen? Ich könnte das Gutachten in der Luft zerreißen und rumtönen, dass die Ärzte doch alle keine Ahnung haben. Das wäre allerdings blöd - als sei ich der Experte in Sachen Asperger. Nein, in dem Bericht sind viele interessante Dinge aufgelistet, damit kann man arbeiten. Für mich lautet der nächste Schritt, mich gründlicher über das Asperger-Syndrom zu informieren. Bücher lesen, etwas Bildung aneignen - auch wenn es vielleicht nicht für mich relevant sein sollte, werde ich daraus sicherlich etwas für die schulische Arbeit lernen.
Und dann? Eine Möglichkeit wäre, zur Psychiaterin hier in Kiel zu gehen, mit ihr das Gutachten zu besprechen und Rat einholen, wie in der Sache weiter verfahren werden sollte. Ich könnte auch schauen, ob ich einen Arzt finde, der sich auf Asperger spezialisiert hat. Unabhängig von dieser Geschichte würde ich mich gern an die Praxis Karin Joder wenden, die auf Hochbegabung spezialisiert ist. Dafür bräuchte ich allerdings eine private Krankenversicherung - und die wiederum muss warten bis zur Verbeamtung (an die ich ganz realistisch nicht mehr glaube).
Da hätten wir also ein paar Möglichkeiten, konstruktiv mit dem Bericht umzugehen. Zuerst würde ich mich allerdings gern auf die schulische Arbeit konzentrieren, das muss jetzt erstmal vorgehen. Ich möchte aber an dieser Stelle unbedingt noch einmal herausstreichen, wie stolz ich auf die Sannitanic und die große Buba bin, denn ohne deren Zuspruch und praktischer Unterstützung wäre ich immer noch kein bisschen schlauer. Genau das ist mein Konzept mit der Freundschaft, ich hab' diese beiden irren Tanten, die sich um den irren alten Mann kümmern, und mehr soziale Kontakte brauche ich eigentlich nicht wirklich. Whatever.
Danke, Ihr Beiden!
post scriptum: Und die große Buba hat mir indisches Curry mit Reis mitgebracht, sooooo lecker und lieb von ihr :-)
Samstag, 28. März 2020
Diagnose
Liebe Frau Dr X!
Hier schreibt Ihnen der (mittlerweile entlassene) Patient mit den schwarz lackierten Fingernägeln. Ihr Befund hat mich erreicht und ich möchte mich noch einmal bei Ihnen dafür bedanken, wie nachvollziehbar Sie mir erklärt haben, was es bedeutet, eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) zu haben, und warum diese bei mir nicht festgestellt werden kann. Sie haben mir anschaulich dargelegt, dass bei Autisten bestimmte Verknüpfungen im Gehirn einfach nicht vorhanden sind, und dass es deshalb zu Schwierigkeiten in der Kommunikation kommen kann, im emotionalen Erleben oder im Erstellen von Zusammenhängen. Das alles funktioniert bei mir offensichtlich und so weiß ich nun, dass ich kein Autist bin. Sie bescheinigen mir, dass ich ein völlig normaler, etwas exzentrisch gekleideter Mensch bin. Vielen Dank für diese Antwort, das gibt mir etwas Ruhe!
Nur... manchmal brauche ich wirklich lange, um zu schalten.
Das nervt mich immer wieder, denn oft fällt mir erst Stunden oder Tage nach einer bestimmten Situation etwas ein, das ich eigentlich sagen wollte. So war es auch bei unserem letzten Gespräch - erst Stunden später, als ich schon längst wieder in Kiel war, ist mir eingefallen, dass ich gar nicht zu Ihnen gekommen bin mit der Frage, ob ich Autist bin. Ich hatte mich im Vorfeld einigermaßen mit dem Thema beschäftigt, und bin bereits selbst zu diesem Schluss gekommen. Meine Frage ging dahin, ob das Asperger-Syndrom - eine milde Variante der ASS - bei mir mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne - so wie es auch auf der Überweisung zu Ihnen steht. Und da sind nun doch einige Fragen offen geblieben.
Da geht mir zunächst etwas durch den Kopf, was Sie mir bei unserem letzten Gespräch gesagt hatten: Dass es nämlich einige Auffälligkeiten in den Selbsteinschätzungsbögen gebe, und dass Sie einige Widersprüche in Ihrem Interview mit mir festgestellt hätten. Leider sind wir darauf nicht näher eingegangen, aber auch das haben Sie mir erklärt: Patienten fehle bei einer Selbsteinschätzung in der Regel die Referenz, und deswegen schätzten sie Werte oft zu hoch oder zu niedrig ein. Und die Widersprüche im Interview?
Sie haben wir eine Differentialdiagnostik aufgezeigt, die das alles wohl erklären könnte, nämlich ein stark ausgeprägtes ADHS in der Kindheit, das nicht bis in's Erwachsenenalter persistiere, das aber die Auffälligkeiten in den Zeugnissen erklären könnte, ebenso auch meine Verhaltensauffälligkeiten in der Gegenwart, wie zum Beispiel "leicht bestehende reduzierte Inhibition" (was als mangelnde Empathie wahrgenommen werde). Das empfand ich in unserem Gespräch als nachvollziehbar.
In Ihrem Bericht sind nun allerdings auch die Testergebnisse genauer aufgelistet, und um sie zu verstehen, musste ich zunächst einen neuen medizinischen Begriff lernen, nämlich den Cut-Off (CO), also den Wert auf einer Skala, ab dem eine medizinische Auffälligkeit besteht, bzw. den Wert, den ein Großteil einer Testgruppe mit der zu untersuchenden Diagnose erreicht. Ein Beispiel wäre vielleicht der Intelligenzquotient - der CO, ab dem man von Hochbegabung sprechen würde, liegt bei 130, der CO, ab dem man von einer geistigen Behinderung spricht, liegt bei <70.
So erreiche ich auf der Attention-Deficit-Scale for Adults (ADSA) 168 Punkte, der CO liegt bei 181, und auf der Brown Attention Deficit Scale (BADS) 65 Punkte bei einem CO von 50-60. Das ist ein interessanter Befund, würde ich meinen. Das deutet in die Richtung der von Ihnen gestellten Differentialdiagnose.
Im Bereich der Screeningbögen für Persönlichkeitsstörungen zeigen sich Hinweise auf eine schizoide Persönlichkeitsstörung; dort liege ich genau auf dem CO von vier von neun möglichen Symptomen. Diese Störung schließen Sie allerdings bei mir aus, als Resultat des klinischen Interviews. Ihre Kollegin hat mir aber empfohlen, mich einfach einmal über die schizoide Persönlichkeitsstörung zu informieren - was ich auch gemacht habe, und dabei habe ich erkannt, dass es wirklich viele Übereinstimmungen mit meinem Verhalten gibt. Eine interessante Feststellung; ich wüsste gern, wieso Sie das bei mir mit Sicherheit ausschließen können.
Sowohl diese Auffälligkeit als auch die Punkte auf den ADHS-Skalen ließen sich auch mit einer Autismus-Spektrum-Störung erklären - wie also lauten die Werte auf den einschlägigen Testbögen zur Autismus-Diagnostik?
Auf der Cambridge Behaviour Scale (EQ) liegt der CO bei <30 - unauffällige männliche Probanden erreichten im Schnitt 41,8 Punkte, das bedeutet, je geringer der Wert ist, umso eher ist hier eine Auffälligkeit zu sehen. Meine Punktzahl beträgt 12. Im Autismus Quotient Test (AQ) liegt der CO bei 32, unauffällige Probanden erreichten im Schnitt 16,4; meine Punktzahl beträgt hier 44. Leider gehen Sie auf diese Auffälligkeiten nicht tiefer ein, sondern schreiben dazu: "Beide Ergebnisse lassen jedoch keine Rückschlüsse auf die Spezifität der Tests zu. Pat. mit Angsterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen zeigten ebenfalls einen hohen score." Das würde dann doch eigentlich zur schizoiden Persönlichkeitsstörung passen können - oder? Auf der Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom (MBAS) lande ich in den Kategorien "stereotypes / inadäquates Verhalten" und "auffälliger Sprachstil / Sonderinteressen" jeweils auf oder über dem CO; insgesamt errreiche ich auf der MBAS 63 Punkte bei einem CO von 103.
Dann wäre da noch der reading-mind-in-the-eyes-test, bei dem ich 36 Fotos von Mienen bekommen habe und einschätzen sollte, welche Stimmung diese Miene gerade darstellt. Unauffällige Kontrollgruppen erreichten im Durchschnitt 26,2 bis 30,9 Punkte, Patienten mit einer ASS dagegen erreichten 21,9 Punkte. Meine Punktzahl in diesem Test beträgt 22. Sie schreiben dazu allerdings, dass es sich hierbei noch um ein Forschungsintrument handele (und damit nicht genügend belastbar sei).
Zusammenfassend kann man feststellen, dass es bei mir Auffälligkeiten auf den ADHS- und Autissmusskalen sowie der schizoiden Persönlichkeitsstörung und bei den Tests zu Mimik und Prosodie gibt. All' diese Auffälligkeiten reduzieren Sie allerdings als Resultat des klinischen Interviews auf ein ADHS in der Kindheit, das nicht bis in's Erwachsenenalter andauere. Stark vereinfacht: Im Gespräch erschien ich Ihnen zu normal, als dass irgendeine Störung erkannt werden könne. Und das glaube ich Ihnen sofort, allerdings gab es Dinge in diesem Gespräch, die ich nicht verstanden habe, und auch Sie selbst haben von Widersprüchen und Auffälligkeiten gesprochen. Leider findet sich davon nichts in Ihrem Bericht wieder, also versuche ich mich einmal zu erinnern, was mir aufgefallen war.
Da wäre zum Beispiel Ihre Eingangsfrage "Wie geht es ihnen?" - wenn Sie sich recht entsinnen, habe ich bei der Antwort gestottert, bzw. gezögert, denn ich wusste nicht, was Sie meinen: Meinen Gesundheitszustand, physisch oder psychisch, die allgemeine Situation oder das Befinden in diesem Moment. Ich wusste nicht, ob Sie sich vielleicht auf das Coronavirus beziehen. Also habe ich Ihnen geantwortet, dass es mir im Moment gesundheitlich gut gehe. In Rückschau auf das Gespräch meinten Sie dann "Sie haben gesagt, dass es ihnen gut geht, und das konnte man ihnen auch ansehen, sie haben durchgehend gelächelt." - und diese Ableitung finde ich leichtsinnig (vor allem, weil Sie mich in Ihrer Patientenbeschreibung als "psychomotorisch unruhig, angespannt" bezeichnet haben).
Ich versuche immer zu lächeln, weil das einer der buddhistischen Grundsätze ist, nach denen ich zu leben versuche. Dass es mir in dem Moment insgesamt scheiße ging, weil ich kein Gehalt hatte, mein Konto gesperrt war, ich meine Miete nicht zahlen konnte, täglich Mahnungen eingetrudelt sind, ich nicht wusste, ob ich meinen Job würde behalten können und mir nicht einmal etwas zu essen kaufen konnte und auch nicht wusste, ob ich mir überhaupt die Zugfahrt zu diesem Untersuchungstermin leisten konnte, davon wussten Sie nichts - denn danach haben Sie ja auch nicht gefragt. Kann man meinem Gesicht ansehen, wie es mir geht? Wenn ich meiner ersten Schulleiterin glauben darf, dann nicht - denn als ich ihr damals erzählt habe, wie mies es mir im Referendariat ging, hat sie mich vor mehreren Zeugen als "reichlich unglaubwürdig" bezeichnet.
Sie haben mich nach Sonderinteressen gefragt - die ich durchaus habe, zum Beispiel SMBHs oder Achterbahnsysteme. Das habe ich Ihnen auch erzählt, daraufhin meinten Sie: "Aber nicht so, dass sie in Gesprächen immer wieder auf ein Thema zurückkommen können, oder?" - woraufhin ich Ihnen erklärte, dass man mir das im Studium mehrfach zurückgemeldet hatte und dass ich seitdem nicht mehr viel von mir aus erzähle, aus Angst, dass ich eben immer wieder auf meine Spezialthemen zurückfalle. Auch hier haben Sie keine Auffälligkeit festgestellt.
Sie haben eine Anekdote von sich erzählt, von einem Familienessen zu Weihnachten "...und ich musste mich um all' das kümmern, und ich hatte den Tag so genau geplant, und dann kam es schließlich zur Katastrophe." Schweigen. Ihr Blick auf meinem Gesicht. Schweigen. Natürlich frage ich dann nach, was das für eine Katastrophe war, aber glauben Sie deswegen, dass ich mich ernsthaft dafür interessiere, was bei Ihrem Weihnachtsessen passiert ist? Ich habe nachgefragt, weil sie mich so stechend angeschaut haben und weil ich nicht wusste, was ich mit diesem Schweigen anfangen soll. Ich habe mich unter Druck gesetzt gefühlt; Sie haben das als persönliches Interesse und Zeichen meiner Empathiefähigkeit ausgelegt. Auch hier also keine Auffälligkeiten.
Sie haben mich mehrfach gefragt, ob ich mich lange und intensiv mit einer Sache beschäftigen kann, ohne abgelenkt zu werden, und ich habe Ihnen mehrfach geantwortet, dass das der Fall ist - dass ich sogar öfters die ganze Welt um mich herum dabei vergesse. Sie haben jedesmal nachgefragt, ob das wirklich so sei und ob ich mich da nicht vielleicht irre, bzw. ob mir das nur so vorkäme. Im Nachhinein frage ich mich, ob das nicht mit Ihrer Einschätzung des ADHS zusammenpasst und Sie das deshalb nicht übernommen haben?
Ich habe Ihnen von den vielfältigen Problemen erzählt, die teilweise sehr speziell sind - so habe ich bisher erst drei weitere Menschen kennengelernt, die das Essen und Trinken bis hin zum Kreislaufkollaps vergessen. Das erwähnen Sie in dem Bericht nirgends, auch nicht den Verdacht auf Hochbegabung. Sie gehen auf keine der Auffälligkeiten in den Testbögen ein ("Patienten schätzen sich da in der Regel als zu gut ein") und schließen die schizoide Persönlichkeitsstörung ohne Angaben von Gründen aus. "Weiter zeigte sich insbesondere kein Hinweis auf eine (...) schizoide Persönlichkeitsstörung, die sich nicht mit den klinischem (sic) Eindruck deckt." - Das verstehe ich nicht. Zeigt sie sich nun oder nicht?
Gerade wenn Sie dem klinischen Interview so viel mehr Gewicht einräumen als den Testbögen, würde ich gedacht haben, dass wir dann noch einmal näher auf die Widersprüche eingehen, die Sie in meinen Aussagen im Vergleich zu den Testantworten entdeckt haben. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde das alles unter den Tisch gekehrt. Ich darf natürlich nicht von mir auf Andere schließen, aber es wirkt, als ob Sie nur die Aspekte und Antworten herausgepickt haben, die zu der ADHS-Diagnose (soweit möglich) gepasst haben, und dass alle anderen Auffälligkeiten "discounted" wurden - aber das ist sicherlich nur mein Eindruck.
Ich würde mich daher freuen, wenn Sie mir in einem weiteren Gespräch Ihren Befund erklären könnten, denn letztlich sind am Ende mehr Fragen bei mir offen als vorher, und ich bedaure, dass Sie den Begriff Asperger-Syndrom weder in unseren Gesprächen, noch im Gutachten auch nur ein einziges Mal erwähnen, so dass ich mich in diesem Feld selbständig informieren werde.
Ich danke Ihnen nochmals für die vielen allgemeinen Informationen, die ich aus meinen beiden Besuchen bei Ihnen mitnehmen konnte. Dass bei mir der Eindruck entstanden ist, dass Sie mich nicht ernst genommen haben, ist mein persönliches Problem, an dem ich derzeit arbeiten könnte. Sie waren sehr freundlich zu mir, auch wenn Sie bei mir darüber hinaus den Eindruck erweckt haben, ich würde mir das alles nur einbilden. Der Satz "Autismus ist momentan auch so eine Modediagnose" hätte nicht sein müssen, da er diesen Eindruck noch zusätzlich befeuert. Aber auch das werde ich bei Gelegenheit mit mir selbst ausdiskutieren.
Vielen Dank für Ihr Hilfsangebot!
Mit freundlichen Grüßen,
Dr Hilarius
(dieser Brief ist fiktiv)
post scriptum: Also, ich fühle mich zwar etwas schlauer in der Hinsicht, wie eine Autismusdiagnostik funktioniert, habe aber auf meine Frage, ob das Asperger-Syndrom bei mir mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, keine Antwort bekommen, im Gegenteil, die Auffälligkeiten in den Befunden lassen mich auch weiterhin über das Thema nachdenken. Ich sehe diesen Entlassbrief also nicht als Schlussstrich einer Untersuchung an, sondern eher als gute Ausgangsgrundlage für weitere Gespräche, und bin ziemlich dankbar dafür, dass ich jetzt endlich etwas in der Hand habe, auch wenn ich das Gefühl nicht abschütteln kann, nicht ernstgenommen worden zu sein. Aber vielleicht kommt mir das wirklich nur so vor, und das meine ich auch so.
Dienstag, 24. März 2020
...und die Arme gehen hoch!
...naja, zumindest bei Dr Hilarius. |
Da töne ich vor ein paar Tagen noch groß rum, dass es mir ja überhaupt nichts ausmacht, dass das soziale Leben durch die Krise eingeschränkt wird - ich bin ja eh' die meiste Zeit allein in meiner Wohnung (und genieße das sehr). Was ich da aber noch nicht bedacht hatte: Die Freizeitparks, die normalerweise mit den Osterferien öffnen, werden erstmal geschlossen bleiben.
Hoffentlich nicht zu lange! Denn der Besuch im Freizeitpark ist für mich quasi lebensnotwendig. Ich brauche airtime, ich brauche das Gefühl, gesichert zu sein und trotzdem herumgeschleudert zu werden, ich brauche die Überwindung, mich in einer Achterbahn nicht mehr krampfhaft festzuhalten, sondern die Arme nach oben zu strecken und aus dem Sitz gehoben zu werden.
Das ist eine Möglichkeit der Transgression, bei der ich niemandem schade, und ich habe in den Jahren gemerkt, dass ich die Extreme ab und an brauche, egal ob es um Emotionen geht, um die Backofentemperaturen in meiner Wohnung während des Sommers, oder eben um einen senkrechten Absturz aus einem Turm hinaus mit hundertzwanzig Sachen.
Dieser Tage überlege ich normalerweise, ob ich einen Freizeitparkurlaub im Sommer mache. Beliebtes Ziel ist der Europa-Park, aber ich würde gern endlich das Phantasialand besuchen. Zwei Tage im Park, je einen Tag An- und Abreise, Übernachtung im Hotelzimmer. Flow-Erleben (Flo-Erleben?) pur. Da ich aber nicht weiß, ab wann die "Ausgangssperren" wieder aufgehoben werden dürfen, fällt die Planung flach. Das fehlt mir sehr - das ist dann quasi meine "große" Einschränkung durch das Coronavirus.
Aber - Gesundheit geht vor, gelle?
Montag, 23. März 2020
Das Gute im Menschen
Jeder Mensch ist an sich gut. Das ist einer der zentralen Grundsätze des Humanismus; sicherlich mag mich das Verhalten mancher Menschen ärgern, verwirren oder betrüben, aber grundsätzlich sind alle Menschen gut - ich glaube das tatsächlich. Und zu Zeiten der Coronakrise merkt man das. Eigentlich wollte ich mich nämlich aufregen über all' die Menschen, die sich nicht an die Regeln und Ansagen des Ordnungsamtes halten (auch wenn aufregen so gar nicht buddhistisch ist...), aber ich würde überrascht: Laut Nachrichten gibt es wesentlich weniger Regelverstöße, als ich mir das erwartet hätte. So langsam kommt der gesunde Menschenverstand bei uns allen durch.
Und es kommt noch besser. Klar, man sieht das mittlerweile überall in den Nachrichten, aber es fühlt sich noch einmal anders an, wenn man sie live sieht: Diese Aushänge, die Hilfe anbieten. So hing an der Aldi-Filiale ein Zettel, dass die Mitarbeiter für jeden, der es benötigt, zwei Pakete Nudeln, Klopapier und andere Dinge kostenlos herausgeben. Großartig! Und an den Bushaltestellen am Hauptbahnhof hängen Zettel "Wir helfen Ihnen!" mit kleinen Schnipselchen, auf denen die Telefonnummer steht. Das heißt, es sind mittlerweile schon viele dieser Schnipselchen abgerissen.
Ist das nicht toll? Dass Menschen außerhalb der Risikogruppe freiwillig Hilfe anbieten für die Menschen, die nicht mehr raus dürfen? Einfach mal die Einkäufe übernehmen? Und das ohne Aufforderung durch die Regierung - hier gibt es also Mitmenschen, die füreinander sorgen. "In einer Krise zeigt sich die Seele eines Menschen", diesen Satz habe ich in letzter Zeit häufiger gelesen und gehört, und da scheint etwas dran zu sein (passend, dass Trump sich in erster Linie um die Wirtschaft und seinen Ruf kümmert).
Ich finde es großartig, wie das Gute im Menschen in so einer Situation durchscheint. Wäre toll, wenn wir das auch ohne Krise leisten könnten.
Samstag, 21. März 2020
Eckstein, Eckstein...
Die Familie lädt ein zur Hochzeit... |
Lange keinen Film mehr besprochen, und dabei gäbe es so viele wichtigere, anspruchsvollere Alternativen, aber hier ist ein Film, der einfach Spaß macht, wunderbar unterhaltsam, ein leichtmütiger Genuss: Ready or Not (2019) - eine Horrorkomödie mit dem gleichen Humor, den ich in meinen Cluedo-Drehbüchern, -Filmen, -Romanen und -Spielen verwendet habe.
Das bedeutet: Wir haben ein großes, adliges Herrenhaus, bewohnt von schrägen Charakteren, in diesem Fall die exzentrische Familie Le Domas, die ein Vermögen mit Brett- und Gesellschaftsspielen gehortet hat. Eine traditionelle Familie, wie sie im Bilderbuch steht, und der Film scheut keine Klischees und Stereotype - aber genau das ist es, was ihn so charmant-spritzig macht. Da hätten wir die sauertöpfische (Groß)Tante Helene mit der Sturmfrisur, den Patriarchen und seine Gattin - letztere mit Schalk im Nacken gespielt von einer passend alternden Andie MacDowell - die aufgedrehte, zugekokste Tochter, die bierernste Tochter, die nur wegen des Geldes in die Familie hineingeheiratet hat, der andauernd betrunkene Sohn, der von den Traditionen genervte Sohn, der nur noch raus will, sehr seltsame Bedienstete und natürlich dürfen auch ein paar Kinder nicht fehlen, die durch's Haus laufen.
Tante Helene erinnert mich ein bisschen an Frau Sauerlich |
Ja, diese Familie hat es in sich, und genauso schräg wie ihre Mitglieder sind auch ihre Traditionen. Man munkelt, dass sie mit Hilfe eines Wohltäters an ihren Reichtum und Erfolg gekommen sind, ein gewisser Mister LeBail, und quasi aus Dankbarkeit haben sie eine Tradition ihm zu Ehren eingerichtet: Wann immer ein neues Mitglied in die Familie hineinheiratet, wird in der Hochzeitsnacht ein Spiel gespielt. Natürlich. Welches Spiel es ist, bestimmt das neue Familienmitglied, indem es eine Karte aus einer Rätselbox zieht, die vor Urzeiten einmal Mister LeBail persönlich gehört haben soll. Die eine Tochter hat "Schach" gezogen, der andere Sohn "Old Maid" (da musste ich sofort an It Follows (2014) denken), einfach nur ein ganz klassisches Spielchen, und das neue Familienmitglied muss noch nicht einmal gewinnen, um die Tradition zu wahren.
Klingt alles urig, aber harmlos, und deswegen spielt die Angetraute Grace das Spiel mit, warum auch nicht. Ihr Gatte hat sie zwar gewarnt, dass die Familie einen kleinen Knall hat, aber hey, wessen Familie ist schon normal? Und so sitzen alle um Mitternacht am Hochzeitstag um einen runden Tisch und die Tradition nimmt ihren Lauf. Ich werde zum Inhalt nichts weiter verraten, nur: Shirley Jackson hätte diesen Film in vollen Zügen genossen.
Mir gefällt die visuelle Umsetzung, mit angenehm warmen Farbfiltern, und auch der Soundtrack ist passend gewählt, ich hatte tagelang einen Ohrwurm von dem Lied, das während des Spiels läuft. Natürlich kann man auch kritisieren - zum Beispiel, dass die Charaktere kaum Charaktere sind, eher Typen, und man könnte auch anmerken, dass die sozialkritische Komponente (Reiche und ihre Ticks) mehr hätte herausgestrichen werden können. Wenn man denn meckern möchte. Die Punchline am Ende des Filmes finde ich sehr witzig, und überhaupt erinnern mich die Schlussszenen stark an das Finale von Heathers (1989).
Fröhlich-unterhaltsam-subversiv, darüber hinaus von Stephen King, Guillermo Del Toro und R.L.Stine empfohlen, und hier gibt es mal ein Lachgrunzen genau im richtigen Moment. Cheers!
Dienstag, 17. März 2020
Thalia und die Technik
Nach und nach wird das öffentliche Leben heruntergefahren. Erst waren es nur Veranstaltungen mit über tausend Teilnehmern, die abgesagt wurden, jetzt sind jegliche öffentlichen Zusammenkünfte untersagt. Ist auch richtig so, und ich finde es gut, dass viele Menschen hier mit an einem Strang ziehen - kaum ein Elternteil schickt sein Kind in die Schule zur Betreuung, ich höre nur Berichte von Schulen, in denen zwanzig Kollegen Bereitschaft haben, aber kein einziges Kind abgegeben wird.
Und trotzdem findet Schule irgendwie statt - zumindest ist das die Idealvorstellung. Referendare machen aus ihren Modulen dann eben Webinare, und Otto Normallehrkraft stellt seinen Schülern Materialien online zur Verfügung. Das muss ich auch machen: Ursprünglich sollten all' meine Lerngruppen in dieser und der nächsten Woche ihre Klassenarbeiten schreiben, aber das hat sich ja nun gegessen. Die Arbeiten sind verschoben auf nach den Osterferien. Fünf Wochen ohne Schule - es sind nur wenige Schüler, die danach noch alle Inhalte auf der Pfanne haben.
Deswegen möchte ich Übungsbögen zur Verfügung stellen; mal schauen, ob ich das schaffe. Immerhin haben wir einen ganz tollen Netzwerkbeauftragten, der Bedienungsanleitungen für die aktuelle Situation schriftlich und als Video zur Verfügung stellt, damit wirklich jeder damit arbeiten kann. Also wird es auch Zeit für diese Theatertranse hier, Kursordner anzulegen, die Arbeitsblätter hochzuladen und alle Schüler über iServ zu benachrichtigen. Schauen wir mal, ob ich das hinbekomme - ob die Schüler diese Übungsgelegenheit nutzen, ist nochmal eine ganz andere Frage. Und die Lösungen stelle ich zwei Tage später zur Verfügung, damit sie sich selbst korrigieren können.
Wie ist es bei Euch? Habt Ihr online classrooms, in denen interaktiver Unterricht stattfindet? Oder ist die Zeit einfach schulfrei, da wird nichts weiter gemacht?
post scriptum: Alle paar Jahre kommt eine wunderbare Horrorkomödie in die Kinos, sei es nun "Shaun of the Dead" oder "Drag Me to Hell" oder "The Cabin in the Woods" - Horror und Lacher vertragen sich einfach unglaublich gut. Auch im letzten Jahr war es wieder soweit, und so konnte ich mir heute "Ready Or Not" (2019) anschauen. Das mag vielleicht keine originelle Story sein, aber es macht Spaß, zuzuschauen, wie die zukünftige Braut, die in eine Familie hineinheiratet, sich deren Traditionen stellen muss. In diesem Fall Spiele. Wandert auf meine Anschaffungsliste, ich weiß, dass das ein Film ist, den ich mir mehrmals werde anschauen wollen.
Passt auch weiterhin auf Euch auf!
Samstag, 14. März 2020
Ghost Town Shuffle
Innenstadt hat ein bisschen was von Dawn of the Dead (1978) |
"Fällt aus."
"Abgesagt."
"Findet nicht statt."
"So wasche ich meine Hände richtig."
"Wie schützen wir uns in Zeiten des Coronavirus?"
Eine interessante Zeit, in der wir leben. Die visuellen Impulse bei meinem Bummel in die Stadt sind eindeutig - das Coronavirus verbreitet sich und wir müssen uns schützen. An der Bushaltestelle Diesterwegstraße läuft auf der Anzeige ein Schriftband: "Bitte nur in die hinteren Bustüren einsteigen, um unser Personal zu schützen. Fahrkarten gibt es an den bekannten Vorverkaufsstellen."
Irgendwie ironisch, ein paar Jahre, nachdem die KVG eine Kampagne gestartet hat, dass nur vorn eingestiegen werden darf (um das Schwarzfahren zu verringern), heißt es nun, dass vorne eben gar nichts mehr geht. Und als ich den Bus durch die hintere Tür betrete, sehe ich das Absperrband, das den Fahrerbereich vom Rest abtrennt.
Ich kann das gut sehen, weil nicht viele Menschen unterwegs sind, der Bus ist spärlich gefüllt. Das stimmt mich ein auf das, was kommt: Am Samstag vormittags in eine gruselig halb-gefüllte Holstenstraße zu gehen. Wo sonst Gedränge ist, viele Menschen lachen und beschwingt unterwegs sind, gehen heute deutlich weniger Menschen über die Straßen.
"Man erkennt es an den Gesichtern", sagt mir die Postbeamtin, und sie meint damit den Ernst der Coronakrise. Ja, sicherlich, wir versuchen es mit Geduld zu nehmen, mit Gleichmut, aber es sinkt ein wenig in die Mienen der Menschen ein. Es sinkt allerdings nicht in die Miene des Dalai Lama, denn der sagt "Nichts ist entspannender als das anzunehmen, was kommt", und er lächelt weiter, denn Buddha erklärt uns "Lächle, und die Welt verändert sich." - und so gehe auch ich ruhig lächelnd durch diese Geistertstadt und erledige meine Besorgungen.
Es ist eine Szenerie wie in einem Science Fiction-Film - was für ein aufregendes Sozialexperiment. Wird nächsten Samstag die Lost Souls stattfinden? Ein Blick auf die Homepage der TraumGmbh gibt eine eindeutige Antwort - öffentliche Veranstaltungen sind bis zum neunzehnten April untersagt. Ich werde nicht so große Probleme damit haben, dass ich meinen sozialen Kontakten nicht nachgehen darf, im Gegenteil, ich lebe ein egozentrisches Leben, da macht diese Krise kaum einen Unterschied. Es sei denn, die fette Schnecke darf mich irgendwann offiziell nicht mehr besuchen.
Passt auf Euch auf, liebe Leute!
post scriptum: Heute gab es für mich Nerd-Heaven, als ich mir eine Dokumentation des "pbs" angeschaut habe. Der Public Broadcasting Service war mir damals im Englischstudium seitens Dr.Beckers empfohlen worden, also habe ich mir heute "Black Hole Apocalypse" auf Netflix angeschaut, und so regenbogenpressig das auch klingt, das war eine echt tolle Doku, ich war total fasziniert. Fast wie vor der Waschmaschine :-P
Freitag, 13. März 2020
Ich brauch' noch Tampons.
Heute, am letzten Schleswig-Holsteiner Schultag für die kommenden fünf Wochen (passt bitte auf Euch auf, ich vergesse schon wieder das Händewaschen), habe ich ein Schulfach unterrichtet, das mir bis dato unbekannt war. Ich sollte eine Stunde in "LP" vertreten. Keine Ahnung, was das für ein Fach ist, also bin ich heute einfach in die Klasse getingelt, siebter Jahrgang, offensichtlich ein Mischkurs im WPU-Bereich.
Leerer Klassenraum. Durch die Seitentür höre ich Geräusche - es ist einer dieser I-Klassenräume, die einen kleineren Nebenraum extra für die Differenzierung haben. Großartige Sache, sowas gab es bei meinen bisherigen GemSen nicht. Also wabere ich in den I-Raum und sehe dort... Menschen. Alter irgendwie undefinierbar, scheinbar von sechzehn bis fünfzig alles dabei? Ich kann den Menschen mit den lila Haaren nicht einordnen, könnte eine Schulbegleitung sein.
Ach nein. Das ist der Schüler. Singular. Und dann sind da noch zwei Schulbegleitungen und eine Förderlehrkraft. Wir sind also für das Fach LP vier Betreuer auf einen Schüler? Ja, erklärt mir die nette Kollegin, das kommt hin, denn eigentlich haben wir in dem Kurs hier vier Schüler. Zwei schlafen vielleicht noch.
WAS ist LP für ein Fach, dass eine so intensive Betreuerdichte benötigt wird? Die Antwort erhalte ich zwei Minuten später - "LP steht für Lebenspraxis" - und eine halbe Stunde später lerne ich, was das bedeutet. Okay, auch schon vorher, als die Kollegin den lila Schüler fragt, was er denn hier lernt, und ich höre "Keine Menschen töten." - klar, irgendwo natürlich ein netter kleiner Witz, aber irgendwas ist dran, oder?
Denn so etwas gehört zur Lebenspraxis, ebenso wie die Fähigkeit, sich die Schuhe zuzubinden. Auch das wird in LP gelernt, oder wie man eine analoge Uhr liest; das wiederum könnten sechzig Prozent meiner Schüler gut gebrauchen. Die "What time is it?"-Aufgaben mit dem Ziffernblatt im Englischbuch sind einfach nicht mehr zeitgemäß.
Und eine halbe Stunde später trudeln zwei weitere Schüler ein, und ich lerne, dass freitags immer "Taschepacken" gelernt wird. Dazu zeigen sie ihre Schulranzen und ihre Fächer im Klassenregal vor, nehmen eine Checkliste, lesen stichpunktartig die Dinge darauf vor ("Buntstifte, angespitzt, Brotdose, Hefte, Schulbücher, Radiergummi, Lineal" usw.), nehmen die Dinge heraus, zeigen sie mir vor und machen einen Haken hinter die Sachen. Sie müssen das lernen, weil es sonst vielleicht niemand für sie tut, leider.
Sie lernen, wie man einkauft, wie man mit Bargeld umgeht, wie man mit Tagesverpflegung umgeht. Dinge, die uns ganz selbstverständlich scheinen, aber allein das Taschepacken dauert gute zwanzig Minuten pro Schüler, das durchzugehen, und plötzlich bin ich froh, dass wir zu viert sind.
Es ist eine dieser ganz kleinen I-Gruppen, die ich sehr zu schätzen gelernt habe. Im Freundeskreis meiner Mutter findet sich eine Förderschulkollegin, und ich habe Geschichten davon gehört, wie toll es (damals noch) war, an Sonderschulen in kleinen Lerngruppen von vier bis acht Schülern, Flexklassen u.ä., intensiv mit wenigen Menschen zu arbeiten und ihnen zu helfen.
Eat that, Gymnasium mit Klassenteiler einunddreißig...
post scriptum: Wie der Beitragstitel zustande kommt, ist ein weiteres Beispiel für einen wirren Kopf. Ich wollte über das für mich neue Fach schreiben, und bei Lebenspraxis und Alltag geht ausgerechnet mir der Satz "Ich brauch' noch Tampons" durch den Kopf, und dann war da auch noch dieser schlechte Witz mit dem Instrument - "Claudia spielt virtuos auf dem Tam Pong" - den ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme ;-)
Mittwoch, 11. März 2020
Corona und Schule
Die reale Möglichkeit einer Pandemie des neuartigen Coronavirus ist natürlich auch in den Köpfen unserer Schüler angekommen. Ich weiß nicht, wie es bei Euch ist, aber ich habe bereits den ersten Schüler mit einer Atemschutzmaske gesehen. Interessant, zu erleben, was die Kinder an Wissen und Verhalten zu diesem Thema von zuhause mit in die Schule bringen; manche sind total panisch, andere bleiben ruhig, wiederum andere interessiert es überhaupt nicht.
Tatsache ist, dass - je nach Klassenstufe - das Thema mir eine Unterrichtsstunde zerlegen kann. Wenn die Kiddies panisch sagen, dass ihnen irgendwelche obskuren News-Seiten im Internet verraten haben, dass wir in Schleswig-Holstein bereits dreißig Tote haben, dann nutze ich die Gelegenheit, einen Schnitt zu machen, in den Sitzkreis zu gehen (liebe ich) und vernünftig und ruhig über das Thema zu reden. Dann muss der Unterrichtsstoff eben ein bisschen warten.
Es fällt mir, zugegeben, extrem schwer, mich als Lehrer so zu verhalten, denn ich war zuletzt an einer Berufsschule tätig, unter anderem in einer Klasse, die innerhalb eines Schuljahres für das Fachabitur fit gemacht werden wollte. Also kein Rumalbern, kein Abschweifen, sondern jede Minute nutzen und Stoff reinprügeln.
Damit bin ich bei meinen jetzigen Schülern völlig falsch, und ich brauche Zeit, um mich wieder vernünftig auf jüngere Schüler einzustellen; ich hätte nicht gedacht, dass mir das so schwer fallen würde.
Wie ist es bei Euch? Habt Ihr das Coronavirus mit Schülern thematisiert? Habt Ihr Schüler mit Atemschutzmasken und Helikoptereltern? Oder geht es völlig an Euch vorbei? Und versuchen bei Euch auch einige Schüler, das Thema zu nutzen, um um den Unterrichtsstoff herumzukommen?
Freitag, 6. März 2020
Ausgebremst
So langsam reicht's... |
Zwischen meiner Schule und dem Einkaufsgebiet mit Supermarkt, Discounter und Drogerie verläuft eine Hauptstraße. Die Läden sind ein beliebter Anlaufpunkt für Schüler, also muss man dort mit häufigem Schüler-Straßenwechsel rechnen - denn die Ampel wäre fünfzig Meter weiter, und den Umweg wollen viele Schüler nicht gehen. Das Straßenverkehrsamt hat darauf reagiert und ein Tempo Dreißig-Schild aufgestellt. Eigentlich eine gute Idee - wer aber in Molfsee wohnt und die Bushaltestelle an der dortigen Schule kennt, der weiß, dass sich oft nur sehr wenige Autofahrer an solch' ein Tempolimit halten.
Anders in Dietrichsdorf: Der Großteil der Autofahrer, die ich an der Stelle erlebe, bremst tatsächlich auf dreißig km/h ab. Und es kommt noch besser: Es gibt dort einen Fußgängerüberweg. Kein Zebrastreifen, keine Ampel, nur ein abgesenkter Bordstein und die weißen Markierungen für Sehbehinderte, kein Autofahrer wird gezwungen, dort Leute über die Straße zu lassen. Und doch - fast immer, wenn ein Mensch links oder rechts an der Straße steht und darauf wartet, hinübergehen zu dürfen, halten die Autos an.
Ich finde das toll. Es relativiert ein bisschen mein Bild von dem rücksichtslosen Autofahrer, und ich fahre jedesmal mit einem Lächeln an dieser Stelle vorbei - wenn ich nicht gerade für Fußgänger anhalte. Diese Verkehrsstelle kann ein tolles Vorbild sein (abgesehen davon, dass dort gern geblitzt wird).
Abgebremst werde ich allerdings nicht nur durch Straßenschilder und Fußgänger, sondern auch durch das Internet, beziehungsweise dessen Abwesenheit. Ich hatte darüber geschrieben, dass es bei der Terminänderung meines Telefontechnikers kleine Komplikationen gab; damals hatte ich befürchtet, dass ich diese Woche von der Außenwelt abgeschnitten würde verbringen müssen. Diese Befürchtung hat sich bewahrheitet, und ich frage mich ernsthaft, wie mich morgen der Techniker vor seinem Besuch telefonisch erreichen will. Mal schauen, ob das dann zu einer weiteren Verzögerung führt und ich nächste Woche immer noch abgeschaltet bin. Ich halte Euch auf dem Laufenden.
Auch die Verbindung vom Ministerium zu meinem Konto scheint abgebrochen zu sein, denn ich warte jetzt seit einer Woche auf mein Gehalt. "Ruf' doch einfach mal bei deinem Sachbearbeiter an und frage, was damit los ist" - ja, gern, aber zu ihren Bürozeiten habe ich Unterricht und an meinem freien Tag hat sie leider auch ihren freien Tag. "Dann schreib' ihr doch einfach eine Mail" - ist vor ein paar Tagen bereits geschehen, aber ich habe noch keine Antwort; letztesmal musste ich eine Woche auf die Antwort warten. Währenddessen trudeln so langsam erste Zahlungserinnerungen ein.
Ganz abgesehen davon: Wie soll ich telefonieren, wie soll ich in's Internet kommen, um Mails zu schreiben? Ich habe zurzeit keinen Anschluss. Ich nutze momentan unseren Dienstrechner für Mail und Konsorten, geht also nur in der Schule. Und telefonieren in der Schule geht nicht, denn ich kann nicht mit jemandem telefonieren, wenn andere Menschen im Raum sind (das war der absolute Horror während meiner Hiwi-Zeit im Sekretariat der KlassAlt an der CAU Kiel). Ich hänge also vollkommen fest.
Vollkommen abgebremst und nicht zu erreichen; das kann ganz schön ungünstig sein in einer Woche voller Projektprüfungen und Sprechprüfungen. Ich muss zugeben, in dieser Woche wäre ein Handy sehr hilfreich gewesen. Ob ich mir nun doch eines zulege? Nein. Erstmal. Denn ich habe außerhalb solcher "Extremsituationen" immer noch keinen Bedarf dafür.
Und wie bringe ich dann diesen Text zu diesem Zeitpunkt online? Zum Glück gibt es sowas wie öffentliche Hotspots, an denen man sich in ein Netz einklinken kann. Praktischerweise ist in meiner Nähe ein Telekom-Hotspot, und gegen eine Nutzungsgebühr kann ich den verwenden. Ist allerdings offen, nicht gesichert, also besser keine Kreditkarteninformationen übermitteln.
Tja. So fühlt es sich also an, wenn das Privatleben völlig zum Stillstand kommt. Kein Benzin im Tank, seit Tagen nur Nudeln, die Rechnungen stapeln sich, erste Mahnung flattern herein, dazu an einer völlig neuen Schule, ohne jeglichen Halt (auch wenn die Kollegen sich echt bemühen), und in zehn Tagen steht der nächste Termin in der Psychiatrie an. Dann ist es schon nicht mehr ganz so leicht, mit einem unbeirrbaren Lächeln ("...deine Scheiß-Fröhlichkeit.." ^^) durch die Schule zu gehen.
Aber ich versuche es trotzdem. Heute waren Projektpräsentationen dran, und ich habe zwei sehr interessante Vorträge hören dürfen, die tatsächlich zwei meiner Interessengebiete berührt haben. Das wertet das alles dann wieder auf.
Trotzdem wäre ich gern endlich wieder im normalen Takt unterwegs.
Liebe Eltern: Bitte sorgt Euch nicht zu sehr. Alles ist angekommen und ich melde mich, sobald ich kann. In solchen Phasen hilft es mir, mich mit intelligenter Unterhaltung abzulenken, und so habe ich mir heute wieder den Film "Primer" (2004) angeschaut; nach wie vor der intelligenteste Science Fiction-Film, den ich kenne. Was soll die Bescheidenheit, es ist generell der intelligenteste Film, den ich kenne. Mit einem "shoestring budget" und unglaublich faszinierend. Thema? Zeitreisen.
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