Freitag, 13. März 2020

Ich brauch' noch Tampons.


Heute, am letzten Schleswig-Holsteiner Schultag für die kommenden fünf Wochen (passt bitte auf Euch auf, ich vergesse schon wieder das Händewaschen), habe ich ein Schulfach unterrichtet, das mir bis dato unbekannt war. Ich sollte eine Stunde in "LP" vertreten. Keine Ahnung, was das für ein Fach ist, also bin ich heute einfach in die Klasse getingelt, siebter Jahrgang, offensichtlich ein Mischkurs im WPU-Bereich.

Leerer Klassenraum. Durch die Seitentür höre ich Geräusche - es ist einer dieser I-Klassenräume, die einen kleineren Nebenraum extra für die Differenzierung haben. Großartige Sache, sowas gab es bei meinen bisherigen GemSen nicht. Also wabere ich in den I-Raum und sehe dort... Menschen. Alter irgendwie undefinierbar, scheinbar von sechzehn bis fünfzig alles dabei? Ich kann den Menschen mit den lila Haaren nicht einordnen, könnte eine Schulbegleitung sein.

Ach nein. Das ist der Schüler. Singular. Und dann sind da noch zwei Schulbegleitungen und eine Förderlehrkraft. Wir sind also für das Fach LP vier Betreuer auf einen Schüler? Ja, erklärt mir die nette Kollegin, das kommt hin, denn eigentlich haben wir in dem Kurs hier vier Schüler. Zwei schlafen vielleicht noch.

WAS ist LP für ein Fach, dass eine so intensive Betreuerdichte benötigt wird? Die Antwort erhalte ich zwei Minuten später - "LP steht für Lebenspraxis" - und eine halbe Stunde später lerne ich, was das bedeutet. Okay, auch schon vorher, als die Kollegin den lila Schüler fragt, was er denn hier lernt, und ich höre "Keine Menschen töten." - klar, irgendwo natürlich ein netter kleiner Witz, aber irgendwas ist dran, oder?

Denn so etwas gehört zur Lebenspraxis, ebenso wie die Fähigkeit, sich die Schuhe zuzubinden. Auch das wird in LP gelernt, oder wie man eine analoge Uhr liest; das wiederum könnten sechzig Prozent meiner Schüler gut gebrauchen. Die "What time is it?"-Aufgaben mit dem Ziffernblatt im Englischbuch sind einfach nicht mehr zeitgemäß.

Und eine halbe Stunde später trudeln zwei weitere Schüler ein, und ich lerne, dass freitags immer "Taschepacken" gelernt wird. Dazu zeigen sie ihre Schulranzen und ihre Fächer im Klassenregal vor, nehmen eine Checkliste, lesen stichpunktartig die Dinge darauf vor ("Buntstifte, angespitzt, Brotdose, Hefte, Schulbücher, Radiergummi, Lineal" usw.), nehmen die Dinge heraus, zeigen sie mir vor und machen einen Haken hinter die Sachen. Sie müssen das lernen, weil es sonst vielleicht niemand für sie tut, leider.

Sie lernen, wie man einkauft, wie man mit Bargeld umgeht, wie man mit Tagesverpflegung umgeht. Dinge, die uns ganz selbstverständlich scheinen, aber allein das Taschepacken dauert gute zwanzig Minuten pro Schüler, das durchzugehen, und plötzlich bin ich froh, dass wir zu viert sind.

Es ist eine dieser ganz kleinen I-Gruppen, die ich sehr zu schätzen gelernt habe. Im Freundeskreis meiner Mutter findet sich eine Förderschulkollegin, und ich habe Geschichten davon gehört, wie toll es (damals noch) war, an Sonderschulen in kleinen Lerngruppen von vier bis acht Schülern, Flexklassen u.ä., intensiv mit wenigen Menschen zu arbeiten und ihnen zu helfen.

Eat that, Gymnasium mit Klassenteiler einunddreißig...

post scriptum: Wie der Beitragstitel zustande kommt, ist ein weiteres Beispiel für einen wirren Kopf. Ich wollte über das für mich neue Fach schreiben, und bei Lebenspraxis und Alltag geht ausgerechnet mir der Satz "Ich brauch' noch Tampons" durch den Kopf, und dann war da auch noch dieser schlechte Witz mit dem Instrument - "Claudia spielt virtuos auf dem Tam Pong" - den ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme ;-)

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