Samstag, 28. Oktober 2017

Verantwortung übernehmen

Büro = Verantwortung...?

Ich habe in meiner Kindheit und Jugend nie ernsthaft für irgendwas Verantwortung übernommen, manchmal nicht einmal für mich selbst. Ich wollte das auch nie; wann immer sich die "Gefahr" abzeichnete, dass ich Verantwortung für eine Gruppe oder ein Projekt übernehmen sollte, zum Beispiel in der Schule, habe ich versucht, mich irgendwie davor zu drücken. Und das war nicht immer aus Faulheit, auch wenn das für Außenstehende die angenehmste Erklärung war.

Ich hatte Angst, wie so oft, Angst davor etwas falsch zu machen und den "Sieg" unserer Gruppe zu versauen. Minderwertigkeitskomplexe. Denn, wenn ich ein Spiel nicht gewinne, wenn ich eine Aufgabe nicht schnell genug erledige, dann macht mir das nichts aus, solange nur ich selbst die Konsequenzen ertragen muss. Wenn aber andere Menschen ebenfalls unter meiner eventuellen Niederlage zu leiden hätten, das war für mich der absolute Alptraum.

Ich wollte nie, dass sie enttäuscht von mir sind. Ich habe in meiner Jugend immer wieder zu spüren bekommen, dass ich anders bin, nur leider hat sich das nie positiv angefühlt. Eher wie "Ich bin anders, und deswegen kann ich meine Aufgaben nicht zufriedenstellend erledigen".

Diese Angst, Andere enttäuschen zu können... kennt vermutlich jeder, der diesen Beitrag liest. Und auch, wer den Beitrag nicht liest; aus Erfahrung weiß ich, dass Er auch noch teilweise panische Angst davor hat, seine Mitmenschen zu enttäuschen, in der Konsequenz zu verlieren und allein zu sein. Ich muss zugeben... als wir noch normalen Kontakt miteinander hatten, hat mir oft das Verständnis für seine Angst gefehlt - "Ach, Dr Hilarius, das kennst du ja nicht mehr, du bist ja sooo viel weiter..." - und es braucht tatsächlich Intro- und Retrospektive wie an dieser Stelle, damit ich mich erinnere, dass ich diese Angst auch hatte. Habe? Ich wünschte nur, ich könnte ihm diese Angst irgendwie nehmen. Ich wünschte, Er wäre wieder bei mir.

Aus dem Grund - keine Verantwortung für irgendwas außer meinen eigenen Erfolg übernehmen zu wollen - habe ich mich im Studium sehr wohlgefühlt. Ich habe mir meine Kurse zusammengestellt, musste nur äußerst selten irgendwelche Gruppenarbeiten erledigen. Lernte so gut wie nie mit Kommilitonen für Klausuren. Hielt mich aus allem heraus, was nichts mit mir direkt zu tun hatte.

Das ging für etwa drei Semester gut. Dann meinten ein paar ältere Lateinstudenten, ich solle bei den Saturnalien mitmachen. Und dann fragte plötzlich jemand, ob ich nicht Hiwi werden wollte, ein bisschen Geld verdienen und - jep - Verantwortung übernehmen. Ich habe das Argument mit der Verantwortung ausgeklammert und einfach die monatliche Abrechnung gesehen. So wirklich ernst mit der Verantwortung wurde es, als ein Kommilitone im Examen mich überfiel mit: "Hey Doc, wir haben jetzt seit ein paar Semestern versucht, eine Fachschaft für Latein und Griechisch genehmigt zu bekommen; wir haben erst jetzt die Zusage bekommen, jetzt sind wir fast mit dem Studium durch. Würdest du das mit jemandem zusammen machen?"

Wäre da nur ich allein gewesen, hätte ich sofort abgelehnt. Aber ich hatte ein paar total verrückte Freunde gefunden - richtige Freunde, zum ersten Mal im Leben, und ich fragte sie, ob wir das vielleicht zusammen wuppen könnten. Wir bekommen dafür kein Geld, wahrscheinlich noch nichtmal ein Dankeschön von irgendjemandem. Aber wir konnten jüngeren Studenten helfen. Und das taten wir dann.

Indem ich also zum ersten Mal in meinem Leben anderen Studenten geholfen habe, sie beraten habe, habe ich also Verantwortung übernommen. Und es ist nicht so, dass meine Angst vor dem Enttäuschen plötzlich weg war: Ich hatte immer noch Angst, dass ich ihnen Unsinn erzähle, dass sie meinetwegen in ihrem Studium nicht richtig vorankommen. Die Tatsache, dass wir mehrere Mitglieder in der Fachschaft Klassische Philologie waren, hat aber Mut gemacht. Und ich dachte mir, okay, solange das nicht mehr wird, schaffe ich das.

Und irgendwann wurde es dann mehr - als Ingo Kolar damals mit einem Tablett Donuts im Hiwibüro auftauchte. "Ich wollte nur mal reinschauen und Donuts mitbringen" - immerhin hat er mit seinem Hintergedanken nicht lange hinterm Deich gehalten, das war pure Strategie: Ob ich mich für die "Fachschaftsliste HSG" (FaLi) für die nächste Wahl des Studierendenparlaments (StuPa) aufstellen lassen würde.

Ich hab ihm dann genau die gleiche Inkompetenzarie heruntergebetet, und er hat versucht, mich zu beruhigen: "Keine Angst, die Wahrscheinlichkeit, dass du tatsächlich ins StuPa kommst, ist gering, wir haben so viele Kandidaten auf der Liste... dein Name könnte uns aber ein paar zusätzliche Stimmen einbringen, denn dich kennen ja einige durch die Arbeit im Institut." - "Naja okay meinetwegen, wenn ich sowieso nicht damit rechnen muss,  reinzukommen..." - "Und wenn, dann kannst du deinen Platz ja auch einfach an den nächsten Listenkandidaten abgeben, das ist gar kein Problem!" - "Na gut, wenn ich keine Verantwortung übernehmen muss... dann setz' mich auf die Wahlliste!"

Big mistake. Or was it?

Denn irgendwie kannten mich letztlich doch so viele Studierende, dass es für einen der einundzwanzig Sitze im StuPa gereicht hat. Und plötzlich war von "Abgeben" keine Rede mehr: "Ach komm, das wird bestimmt ganz interessant, und du kannst da gar nicht viel falsch machen." Aha... "Wir wollen versuchen, in jeden der drei Ausschüsse mindestens einen FaLi-Menschen zu schicken. Im Hochschulausschuss, da musst du nie was machen, die treffen sich nur bei Bedarf, vielleicht einmal im Jahr." Aha...

...und dann stand die konstituierende Sitzung an und es ging an die Wahl der drei Ausschüsse. Wir hatten abgesprochen, dass M mich für den Hochschulausschuss vorschlägt, klasse, da kann ich als Muse Incompetentia nicht allzu viel kaputtmachen. Doch zuerst sollte der Haushaltsausschuss gewählt werden (HHA), und fröhlich und ohne Zögern rief M in die Runde: "Ich schlage Dr Hilarius vor!"

Method acting. Einfach weiterlächeln, he he... he... Erdetudichaufundverschlingmich! Spontan fiel mir Ingo wieder ein: "Der einzige Ausschuss, der tatsächlich einiges zu tun hat, ist der Haushaltsausschuss. Der bestimmt über die Verwendung der Gelder der Studierenden, Finanzanträge und so, der muss sich dazu einmal monatlich treffen." ...and the rest is history.

Und so sollte ich nun Verantwortung für einen Teil der Semesterbeiträge übernehmen? Der totale Horror, ich hatte wirklich Angst, alles falsch zu machen. Aber zum Glück waren ja auch noch andere Stupisten im HHA - und irgendwie klappte es. Irgendwie habe ich mich auf einmal ein bisschen wichtiger gefühlt. Und das wurde intensiver, als ich in meinem zweiten und dritten Jahr StuPa plötzlich HHA-Vorsitzender wurde - was übrigens nichts mit Qualifikation zu tun hat: Der Vorsitzende übernimmt die ganze Schreibarbeit, ich glaube, da sind viele froh, wenn sie es nicht machen müssen. Naja, und ich hatte ja auch Unterstützung, wer war denn da noch... Flori Pietsch, Alex Schmuck (fand ich süß - hoffentlich liest er das nicht ^^), warum kann ich mich nicht an die restlichen Mitglieder erinnern? Manu, Manu, irgendwas mit Manu - naja, wer so egozentrisch ist wie der Doc, der bekommt eh' nichts um sich herum mit.

Ich glaube, man wächst mit seinen Aufgaben - aber dann kam das Ref und damit als Dauerkanonade ein "schlecht, falsch, ungeeignet, nicht durchdacht"-Refrain, der letztlich dazu geführt hat, dass ich wieder am Anfang stehe: Ich möchte keine Verantwortung übernehmen für irgendwas, das nicht direkt mit mir zu tun hat. Damit im schlimmsten Fall nur ich darunter zu leiden habe.

Das heißt... eine Ausnahme gibt es mittlerweile doch. Einen Menschen gibt es, für den ich Verantwortung übernehmen würde. Ich habe irgendwann einmal gehört, dass das einer der Kernbestandteile einer "Beziehung" ist - Verantwortung füreinander zu übernehmen. Ihr dürft mich gern davon überzeugen, dass ich das falsch in Erinnerung habe; ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder behauptet, dass ich nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung bin, und das behaupte ich auch heute noch. Aber manchmal frage ich mich, wenn Er dazu bereit wäre, wie ich dann denken würde. Für den Moment ist mir das zu hypothetisch. Aber immerhin: Der Gedanke war mal da.

So, Schluss für heute. Als letzter Zusatz sei noch erwähnt, dass auch einer der Gründe, warum ich zur Zeit kein Kind adoptieren würde, darin besteht, dass ich es mir nicht zutraue, diese Verantwortung zu übernehmen. Ich bewundere alle, die dieser Tage und Jahre Eltern werden.

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