Dienstag, 3. Oktober 2017

Ich und meine SIG Sauer

Eigentlich vollkommen egal, welche Waffe man hier zeigt - die menschliche Besessenheit von Waffen aller Art bleibt ungebrochen. Not sexy.

Gun violence in the United States hat einen eigenen Eintrag in der Wikipedia.

Vorgestern zeigte die ARD den Tatort "Goldbach", in dem das Thema Waffenbesitz thematisiert wurde. Irgendwie zynisch, dass gleichzeitig in Amerika sechzig Menschen (Täter inklusive) bei einer shooting spree in Las Vegas um's Leben gekommen sind.

Aber die Amerikaner sind stolz auf ihr Second Amendment, zumindest viele von ihnen. Das Recht auf Verteidigung des eigenen Lebens und des eigenen Besitzes, notfalls auch mit der Waffe - und so lässt sich in den Staaten problemlos eine Waffe für jedermann organisieren. Teilweise bekommt man sie sogar als Dreingabe, wie Michael Moore im erschreckenden Bowling for Columbine (2002) thematisiert; dort bekommt er ein Gewehr als Geschenk, wenn er bei einer lokalen Bank ein Konto eröffnet. Und das tut er, alles fein säuberlich mit der Kamera dokumentiert: Die Amerikaner sind stolz auf ihr Second Amendment.

Und sie haben ihre Waffenlobby. Wann immer die Demokraten Fortschritte machen im Kampf für strengere Waffengesetze, fließen die richtigen Gelder an die richtigen Menschen und wie von Zauberhand verebben die Proteste nach jeder neuen Schießerei nach relativ kurzer Zeit. Es müssen wohl noch sehr viel mehr Menschen sterben, bevor sich wirklich etwas ändern wird.

Und dann bleibt die Frage, ob strengere Regulation schon ausreicht. Wozu muss ich eine Waffe in meinem Haus haben? Damit ich mich sicherer fühle? Meine eigene Erfahrung ist, dass ich leider auch noch andere Dinge fühle, wenn ich eine Waffe in meiner Hand habe. Und leider sind das gewissermaßen positive Dinge: Ich fühle mich stärker, sicherer, größer, als ich es bin. Ich habe hier in meiner Wohnung nicht geschliffene Hieb- und Stichwaffen, als Schauwaffen bzw. als Brieföffner, das reicht von einem großen Schwert über Dolche bis hin zu Brieföffnern. Je massiver die Waffe, die ich in der Hand halte, umso stärker das Gefühl, das sich dabei in mir breit macht.

Das Gefühl, dass ich ein menschliches Leben mit einer einfachen Aktion auslöschen kann. Dass ich somit totale Kontrolle über mein Gegenüber habe. Dass ich machen kann, was ich will.

Und genau bei diesem Gefühl wird mir schlecht. Ich möchte das nicht mehr fühlen, und leider verstehe ich, warum so viele Amerikaner scharf darauf sind, einen wohl sortierten Waffenschrank im Haus zu haben. Ich finde es entsetzlich. Als vor einiger Zeit jemand aus meinem Freundeskreis ein Foto mit einer Waffe am Schießstand gepostet hat, fand ich das nicht wirklich toll. Ich habe mich mit Kommentaren zurückgehalten, aber ich konnte das wirklich nicht gut finden. Warum macht man sowas?

"Warum überhaupt Waffen?" halte ich für eine viel zu generelle Frage; ebenso kann man den Waffenherstellern (wie im Krimi) nicht generell die Schuld in die Schuhe schieben; leider braucht es in unserer Gesellschaft Waffen, da es Regeln und Gesetze braucht und zu viele Menschen gibt, die diese Regeln und Gesetze brechen. Aber Waffen gehören nur in die Hände von Menschen, die damit verantwortungsvoll umgehen können. Ich finde, sie haben bei Privatpersonen nichts zu suchen.

Oben habe ich den Tatort erwähnt, der relativ ernsthaft an das Thema Waffenbesitz herangeht - doch bereits vor sechsundvierzig Jahren hat Mario Bava in seinem Bay of Blood (1971) mit einem relativ grausamen Zusatzkommentar geschlossen: In diesem Horrorfilm werden am Ende die scheinbaren "Sieger" des Massakers von den eigenen Kindern im Spiel mit ihren eigenen Schusswaffen erschossen. Zynisch und grandios. Makaber und absolut notwendig:



Leider nicht ausreichend, um die Debatte in den USA weiter zu befeuern. Die Zahlen sind niederschmetternd: Allein 2015 starben dort 13.286 Menschen durch Schusswaffen (Suizid ausgenommen). Zwischen 1968 und 2011 kamen ungefähr 1,4 Millionen Menschen um; der amerikanische Steuerzahler bekam allein in 2010 etwa 516 Millionen Dollar auf seine Rechnung für schusswaffenbedingte Krankenhausaufenthalte. Und dennoch gilt: Die Amerikaner sind stolz auf ihr Second Amendment.

Und wir? Sind ja so stolz darauf, dass die Lage bei uns nicht so schlimm ist. Feiern heute in aller Förmlichkeit den Tag der Deutschen Einheit. Einheit? Am Arsch! Ganz ehrlich, wenn die letzten Wochen uns eines haben beweisen sollen, dann, dass wir ein gespaltenes Land sind, und dass Einigkeit offensichtlich nicht in den Herzen aller Deutschen herrscht. "Merkel muss weg!", "Entsorgen!", "Schießbefehl", "widerliches Gewürm", "Gebt uns unser Land zurück!", "Wir werden sie jagen!" - das hat nichts mit Einheit zu tun.

Schenkt Euch diese Farce und arbeitet lieber mal dran, wirkliche Einheit zu zeigen. Wirkliche Freundschaft mit anderen Menschen. Aber nein, das ist ja so anstrengend, dann kann man sich nicht mehr in seinem Mikrokosmos ausruhen. Dann lieber Türen und Fenster zu und ungestört meinen Kolben polieren. Den Kolben meiner SIG Sauer, meine ich.

post scriptum: Um Missverständnissen vorzubeugen - ich habe keine Schusswaffe, und der letzte Absatz ist aus der Perspektive eines Waffennarren geschrieben. Wisst Ihr natürlich.

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