Donnerstag, 5. Oktober 2017

Schwules Kino / Nervenschrotter

Wollen? Können? Dürfen? (Szene aus Freier Fall)

Schwules Kino

Gestern Abend lief in der ARD der deutsche Fernsehfilm So auf Erden, der sich mit dem Konflikt von strenger Religiösität und unterdrückter Sexualität befasste. Ganz nett anzusehen, sehr ruhig, sehr bedacht, für Interessierte noch eine ganze Weile in der Mediathek abrufbar. Abgesehen davon, dass der Film viel Potential zur Analyse seiner Hauptfiguren ungenutzt gelassen hat (besonders der schwule, drogensüchtige, vom Vater verstoßene Obdachlose Simon hätte viel Stoff für einen weiteren Handlungsstrang ergeben, blieb aber relativ marginal), hat Edgar Selge in der Hauptrolle des Pastors, der von Leidenschaft nach dem jungen Simon ergriffen wird, wunderbares Schauspiel gezeigt. Und dennoch ist das eigentlich kein klassisches schwules Kino - dazu steht zu sehr der religiöse Konflikt im Mittelpunkt.

Aber der Film hat mir gestern Abend Lust auf mehr gemacht, und so habe ich nach einem langweiligen Beginn bei maischberger abgeschaltet und erst Beautiful Thing - einen echten Klassiker - und dann Freier Fall geschaut, der intensiv inszeniertes, ruhig und vor allem frei gespieltes deutsches, modernes Kino verkörpert. War sehr schön, Hanno Koffler und Max Riemelt mal wieder zu erleben (ich hab die Bluray nicht gefunden, aber netterweise kann man den Film bei Amazon prime kostenlos schauen); ein zweiter Teil soll in Arbeit sein, wäre interessant, zu erleben, wie die beiden wieder zusammenkommen nach ihrem tiefen Einschnitt am Ende des Films. Ich bin immer noch der Meinung, dass Er diesen Film mal sehen sollte. Zusammen mit mir. Würde ihm vielleicht gut tun. Und nein, Er ist nicht schwul. Aber das ist "Marc" in dem Film ja auch nicht.

Ich finde nicht, dass man Filme als "schwules Kino" bezeichnen kann, in dem gleichgeschlechtliche Liebe oder Sex nur mal am Rand, als einmalige Szene auftaucht. Denn für die betroffenen Charaktere ist es zufällig für eine Weile (oder mehr) der Mittelpunkt ihres Lebens, um den es da geht. Dementsprechend sollten sie in's Rampenlicht gerückt werden, und Umarmungen und Küsse zweier Männer oder zweier Frauen, das sollte ein Publikum dann einmal aushalten; genau aus diesem Grund zeige ich hin und wieder auch mal einer Klasse einen Film aus dem Genre, und bisher konnten wir gut darüber diskutieren.

In was für einer Welt wollen wir leben?


Nervenschrotter

Heute habe ich endlich, nach langen Stunden des Hirnzermarterns, das Spiel The Talos Principle beendet. Richtig beendet, das heißt, ich kenne jetzt die verschiedenen Enden des Spiels. Und was für ein Spiel das war! Wollte man es auf ein Wort runterbrechen: Ein Puzzlespiel. Und schon gehen die Lichter in den Köpfen meiner Leser aus, denn Puzzlespiele sind langweilig, klar, Hochbegabte können solche Sachen stundenlang machen, aber Normalos? Warum sollten sie dieses Spiel erleben?

Die Kritik hat Antworten auf diese Fragen gefunden und das Projekt mit Lob überhäuft (und nicht ohne Grund hat das Spiel international die Runde gemacht und ist in diverse Sprachen übersetzt worden), und jetzt weiß ich auch, wieso. Weil es oberflächlich zwar ein Puzzlespiel ist, aber ziemlich schnell merkt man, dass es hier einen philosophischen Plot gibt. Eine Handlung, die epischer, tiefer gehender als Vieles ist, was ich sonst so erlebt habe. Und ich finde, es ist eine wesentlich bessere Bearbeitung des Themas "Künstliche Intelligenz in einer postapokalyptischen Welt" als z.B. der Film Transcendence - den ich nun aber ein bisschen besser verstehe.

Ich werde mir den Film heute Abend wohl noch einmal anschauen, diesmal mit dem neuen Wissen, mit dem neuen Hintergrund, vielleicht kann ich ihn jetzt ja ganz neu und anders erleben. Toll, wie verschiedene Kunstobjekte (Film, Spiel, Schrift usw.) miteinander interagieren können und ich als Rezipient dadurch eine Wandlung erfahren kann. Ja ja, Dr Hilarius lernt die Welt kennen.

Aber das ist auch mein Verständnis vom Leben: Wahrheit finden, Neues entdecken.

post scriptum: Ach so, "Nervenschrotter" ist der Name eines der Puzzles im Talos-Principle, und sollte darauf anspielen, dass ich mir an diesem Spiel wirklich stundenlang den Kopf zerbrochen habe. Ich war positiv beeindruckt, wie einem Puzzlespiel, das doch eigentlich ruhig und entspannt sein sollte, so ein nervenaufreibendes, spannendes und eben episches Finale verpasst werden konnte - Respekt, da haben geniale Köpfe gearbeitet. Es war ein herrliches Erlebnis; ich lese, dass eine Fortsetzung in Arbeit ist - auf die ich sehr gespannt bin. Und ja, das Add-On "Road to Gehenna" finde ich ebenso fantastisch!

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