Samstag, 6. Oktober 2018

Eingefroren

Freeze!

Für mich war das Studium die große Zeit des Ausprobierens. Auf einmal waren so viele Barrieren weg, so viele neue Wege verfügbar, die Freiheit fühlte sich geradezu unendlich an. Und trotzdem habe ich mir auch schon damals selbst im Weg gestanden: Wenn etwas gerade in war, wenn alle etwas gemacht haben, Trends, Hypes, dann war ich von der Bildfläche verschwunden. Irgendwie hatte ich immer eine Abneigung gegen Trends, und ich wollte nie ein Insider sein.

Umso drolliger ist es irgendwie, dass ich damals von der Flashmob-Welle erfasst worden bin. Das war noch bevor diese große Welle Deutschland überspült hat, bevor jede Schulprojektwoche ein Flahmob-Projekt hatte, bevor solche Events nicht nur multimedial geplant, sondern auch live im Fernsehen übertragen wurden - kurz: Bevor die Flashmobs aufhörten, Flashmobs zu sein.

Denn genau das gehörte ja gerade bei diesen sehr speziellen Aktionen dazu: Es sollte ungeplant wirken. Ohne Absprache. Spontan. Aus heiterem Himmel taten Menschen etwas Unerwartetes, und die Nichteingeweihten schauten sich erstaunt um. Das war eigentlich nichts Neues, es hat sich aus der Szene des Improvisationstheaters heraus entwickelt, ging in Übersee los und ist herübergeschwappt. Und hat sich dann leider selbst zersetzt und weichgespült.

Bei einem Flashmob ist wichtig, dass die Aktion wie aus heiterem Himmel geschieht (Flash eben). Dass alle Mitglieder diszipliniert sind. Dass die Aktion nicht aufgesetzt wirkt, sondern aus dem ganz normalen Alltag heraus. Und dass danach alle weitergehen, als wäre nichts gewesen. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist der Freeze von ImprovEverywhere an der Grand Central Station gewesen:

Man beachte: Die Teilnehmer, hier undercover agents genannt, gehen am Ende einfach davon. Kein Abschlusstreffen, keine Manöverkritik. Der Applaus kommt von den Menschen, die von der Aktion überrascht wurden. Ein ganz klassischer Flashmob, wenig originell, aber sehr effektiv - wenn man ihn richtig macht.

Es geht aber auch anders, und so hat sich damals im StudiVZ eine Aktion entwickelt, um das Einfrieren am Kieler Hauptbahnhof nachzuspielen. Gut, okay, nicht originell, aber warum nicht. Ich war auch neugierig, und dementsprechend bin ich auch zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort gewesen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Flashmobs erlebt und auch organisiert (dazu unten mehr), und war letztlich von der Aktion im Bahnhof etwas ernüchtert. Doch vielleicht solltet Ihr einen Blick auf das Ereignis werfen, das Alexander Main organisiert und in ein Video zusammengeschnitten hat.

Also, eigentlich sieht das doch super aus. Und irgendwie war es auch witzig. Aber meiner Auffassung von Impro nach ist das kein richtiger Flashmob. Es sind viel zu viele Teilnehmer: Der Kieler Hauptbahnhof ist niemals so voll (außer bei Großereignissen); es wirkt sehr aufgesetzt, wenn die Rate der Teilnehmer:Passanten bei 40:1 liegt. Dazu kommt, dass einige Teilnehmer sehr kreativ sein wollten und sich in Posen gesetzt haben, die sicher nett gemeint waren, aber mit der Grundidee des "aus heiterem Himmel einfrieren" nichts mehr zu tun haben - zum Beispiel der Mann mit heruntergelassener Hose, der Mann mit Pistole, die "nichts sehen, nichts hören, nichts sagen"-Damen... alles kreativ, ja, aber lässt den Flashmob noch künstlicher wirken. Und wie passend, dass bereits Menschen mit Fernsehkameras dabei waren, um abends im Schleswig-Holstein-Magazin übertragen zu können. Und dann die Selbstbeweihräucherung danach - nachdem alle wieder "aufgetaut" waren, beklatschten sie sich zunächst selbst, um dann noch für ein Gruppenfoto am Seiteneingang des Bahnhofs zu posieren.

Sorry, das ist dann zwar eine künstlerisch interessante Aktion, aber definitiv kein Flashmob mehr im klassischen Sinne. Ich fand es witzig, aber auch sehr eierschaukelnd, mir fällt gerade kein vernünftiger Begriff ein. Und letztlich hat das dazu geführt, dass mein Interesse an den Flashmobs wieder abgeklungen ist, denn in Deutschland wurden daraus nach und nach abgesprochene, geplante, gründlich inszenierte Aktionen, die meinetwegen Mobs sind - aber da flasht definitiv nix mehr.

Ich habe damals bei meinen "eigenen" Flashmobs versucht, den Grundprinzipien treu zu bleiben. Eine Aktion allerdings hat mir - einige Zeit später - vor Augen geführt, dass ich mich in genau dieselbe Richtung entwickelte. Vor fast genau zehn Jahren habe ich eine Kissenschlacht über soziale Netzwerke angeleiert. Auf ein Zeichen hin sollten Passanten aus heiterem Himmel aufeinander einprügeln. Auf Studenten kann man sich verlassen; so nahmen an dieser Aktion mitten auf der Kieler Holstenstraße ungefähr vierzig Flashmobber teil. Der schönste Moment war für mich, als ein Bankangesteller, elegant angezogen, pomadiertes Haar, versucht hat, sich zwischen den Kissnschlachtern hindurchzuschlängeln; er hat mir fast ein bisschen leid getan, doch dann holte er wie aus dem Nichts ein Kissen hervor und stürzte sich in' s Getümmel.

Ich habe daraus ein Video erstellt, genauso selbstbeweihräuchernd wie das Video von Herrn Main, und das hat dann tatsächlich dazu geführt, dass ich mich von den Flashmobs abgewandt habe. Irgendwie war es schon ein cooles Gefühl, so eine Aktion anzuleiern. Deswegen war ich so gern bei den Saturnalien. Und genau dieses "Anführergefühl", bzw. meine Vorliebe dafür, habe ich hassen gelernt ^^

Und hier also das Video von damals, das wegen der Tonspur vermutlich bald gesperrt werden wird. Whatever.



post scriptum: Ich hatte einmal darüber geschrieben, dass ich gern gestärkte Handtücher als Unterlage nehme. Bisher habe ich diesen Effekt mit Wäschestärke erzielt, jetzt aber - weil sie im Supermarkt unten ausverkauft war - habe ich mich gefragt, ob ich einfach auf Speisestärke umsteigen kann. "frag-mutti.de" hat mir dann weitergeholfen und ich werde nun keine Wäschestärke aus dem Waschmittelregal mehr nehmen. Die Hausfrauenalternative ist günstiger und belastet die Umwelt nicht, und die Handtücher krachen bei'm Drauflegen - so soll es sein.

paulo post scriptum: Der heutige Film war Sam Raimis "Drag Me To Hell" (2009), ein Horrorfilm mit witzigen Untertönen, wie man es wohl von Raimi kennt - war richtig, richtig gut, visuell und akustisch ein Genuss, und ich habe herrlich gelacht, als ein "Geist" an die Windschutzscheibe eines Autos geklatscht ist, BOO-Moment, und was macht die Protagonistin? Wischt ihn mit dem Scheibenwischer weg, großartig. Tobi, kam der Tipp von Dir? Falls ja: Danke!

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