Freitag, 12. Oktober 2018

Lessness

Das waren mal meine DVDs

Less bedeutet "weniger". Lessness zu übersetzen stellt mich vor Schwierigkeiten, und vielleicht fragt sich der eine oder andere Leser ja auch, ob es das Wort überhaupt gibt, oder ob Dr Hilarius mal wieder kläglich scheiterte an dem Versuch, mit Sprache zu spielen.

Ich bin mit dem Begriff lessness im Studium in Berührung gekommen. Ist eine längere Geschichte, die American Psycho und meine Examensarbeit involviert - ein anderes Mal. Lessness beschreibt den Zustand des Wenigerseins oder Wenigerwollens. Weniger Details in einem Gemälde, weniger Instrumente in einem Musikstück, weniger dekorative Ecken in einem Haus. In den verschiedenen Künsten geht das bis hin zum Minimalismus - soweit "muss" es nicht immer kommen. Aber ich denke mal, viele von Euch haben irgendwann im Leben einen dieser Gedanken gehabt: "Nein, ich möchte eine schlichte Jacke tragen, nicht so viele Muster darauf, nicht so viele kleine Taschen überall dran." - "Ich möchte einmal Musik hören, die nicht effekt- und instrumentüberladen klingt, denn ich möchte mich auf die einzelnen Tonspuren konzentrieren." - "Ich möchte keine Fertigprodukte mehr essen, keine Geschmacksverstärker mehr, ich möchte erleben, wie so ein Stück Kohlrabi eigentlich schmeckt."

Man könnte den Beitrag jetzt in Richtung sensorische Deprivation fortführen, um herauszuheben, welche positiven Effekte es hat, wenn man die Sinneseindrücke eine Weile minimiert. Ich habe das damals in aller Kürze getan; heute allerdings geht es mir um eine andere Art der Minimierung.

Im Studium wollte ich unbedingt Regalwände haben, die bis obenhin voller Bücher, Musik-CDs und Filme sind. Das kennst Du, oder die große Buba? Warum? Keine Ahnung, wollte ich damit irgendjemandem imponieren? Oder wollte ich einfach stolz sein auf mich selbst - "Schau mal, Doc, so viele Romane hast du schon gelesen!" ...wollte ich mir selbst gegenüber beweisen, dass ich nicht dumm bin? Jedenfalls hat es geklappt, ich war stolz auf meine Reihen an Büchern und Filmen, und konnte damit insgesamt vier Regale füllen.

Aber die Dinge ändern sich. Die Sichtweisen ändern sich. Heute denke ich pragmatisch: "Doc, du lebst jetzt in einer Ein-Zimmer-Wohnung, das mögen 55m² sein, aber der Platz ist trotzdem eingeschränkt. Wo sollte ich die vier Regale aufstellen?" Vor der Frage stand ich beim Einzug tatsächlich, und ich habe versucht, immerhin so viele volle Regale wie möglich aufzustellen. Aber nach dem Einleben ist mir bewusst geworden, dass dieser Anblick mir keine Befriedigung mehr verschafft ("Eigentlich brauche ich das gar nicht!"), und es kamen immer neue Bücher und Filme hinzu. Also habe ich überlegt, wie ich all' diese Regale entrümpeln kann. Und dabei sind ein paar Sachen herumgekommen, die mir das Leben wirklich praktischer gemacht haben:

Von diesen Taschen habe ich mittlerweile drei - je eine für DVDs, Blurays und Videospiele.
Das waren früher einmal unzählige Musik-CDs.
Ich habe ein paar der DVD-Hüllen, CDs etc. aufgehoben, weil sie sich vielleicht gut als Deko machen würden; meine Hitchcock-Sammlung ist ein echter Hingucker. Und das mag oberflächlich klingen, aber ich verbringe sehr viel Zeit in meiner Wohnung und ich bin sehr empfänglich für Sinnesgenüsse. Mein Ziel war es, die Regale komplett loszuwerden, um stattdessen vielleicht ein weiteres Wandtattoo anzubringen, und ich überlege, ob ich eine Art esoterischen Altar in der Wohnung haben möchte. Dr-Hilarius-Buddhismus-Grad plus zehn Punkte.

Aber das trägt alles dazu bei, dass ich mich an meinem Ort sehr wohl fühle. Ich möchte wirklich nicht hier weg.

Und wenn bei Euch jetzt der Eindruck entstanden sein sollte, das hier schon einmal irgendwo gelesen zu haben - kein Wunder, ich habe schon einmal darüber geschrieben... oder auch nicht, jedenfalls kann ich den Beitrag gerade nicht finden. Aber heute ist es mir wieder bewusst geworden, wie sehr mir das Minimieren gefällt. Und wie sehr ich in dieser Wohnung bleiben möchte.

Wie wohl ich mich fühle.

post scriptum: Die Sannitanic geht ja bald zum zweiten Mal unter, ich habe das heute gemerkt, wenn ich ihr einmal die Tür aufhalten wollte - sie ist so fett, da passt niemand mehr durch die Tür! Und ich freue mich wahnsinnig für sie, denn das zweite Kind ist unterwegs. Und, das muss wohl Zufall gewesen sein, aber der heutige Film war "Children of Men" (2006); Regisseur Alfonso Cuarón hat die Frage beleuchtet, wie die Welt wohl aussähe, wenn in einer nahen Zukunft alle Frauen unfruchtbar wären und niemand mehr schwanger werden kann. Ich muss zugeben, der Film ist echt gut, und als mir dann wieder eingefallen ist, dass Cuarón auch für "Gravity" (2013) verantwortlich war, hat das seine Tendenz, die menschliche Psyche offenzulegen, bestätigt.

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