Mittwoch, 17. Oktober 2018

The Evil Within Me. And You.

Mancher muss sehr gründlich in die eigene Seele schauen, um das Böse zu finden...

Mir ist bei der Auswahl der tags eben aufgefallen, dass dieser Beitrag eigentlich so viele Themen anschneidet. Und Schuld daran trägt der Zufall, der ein paar Ereignisse zeitlich nah beieinander hat geschehen lassen: Gestern der Film My Dinner With André, heute hat Er mir dann auf eine Videobotschaft von mir geantwortet und ich überlege, was in das nächste Video soll, und dann habe ich heute auch noch einen Film von Michael Haneke gesehen. Ausgerechnet.

Haneke ist ein verdammt unbequemer Regisseur, weil seine Filme sich überhaupt nicht den Bedürfnissen von Hollywood hingeben, sondern extrem authentisch die Unmenschlichkeit des Menschen portraitieren. Vor einer Weile hatte ich seinen Film Caché (2005) gesehen; einer von Euch hatte ihn mir empfohlen, und so habe ich angefangen, mich mit Haneke auseinanderzusetzen. Heute gab es Das Weiße Band (2009; bei Amazon prime frei verfügbar), eine "deutsche Kindergeschichte", wie es im Vorspann heißt. Wir sehen dann zweieinhalb Stunden lang das Leben in einem deutschen Dorf vor dem Ersten Weltkrieg. Bei Haneke darf man sich sicher sein, dass alles, was da läuft, authentisch und bis in's Detail durchdacht ist; er ist ein recht kompromissloser Regisseur, und seine Filme mögen gerade für jüngere Zuschauer langweilig wirken, aber irgendwann kommt der Moment im Leben, dass man realisiert, dass die Bösen nicht immer die Anderen sind.

Das Potential, Böses zu tun, schlummert in jedem von uns. Und es muss nicht immer gleich ein Mord oder ein Weltkrieg sein; dass Haneke den Film zur Zeit des Attentats enden lässt, ist eine konsequente Weiterentwicklung aus dem, was er uns vorher gezeigt hat: Ein Pferd und Reiter stürzen über einen gespannten Draht, ein Gebäude wird angezündet, einem Jungen werden die Augen ausgestochen. Grausige Ereignisse, die in der Dorfgemeinde bewirken, dass jeder jeden mit anderen Augen anschaut. Hanekes Geniestreich - wie auch schon bei Caché: Er liefert uns keinen Täter. Das Whodunit bleibt offen, und damit wird uns bewusst, dass es Haneke gar nicht um die Frage des Täters ging, sondern um die Erkenntnis, dass es jeder hätte gewesen sein können.

Unschuld gibt es nicht. Können wir uns davon frei machen? Wann bist Du zum letzten Mal schneller gefahren als erlaubt? Wann hast Du jemandem ein Kompliment zum Outfit gemacht, das in Wirklichkeit grauenvoll aussieht? Wann hast Du zum letzten Mal Deine Freundin belogen und ihr verheimlicht, dass Du mit jemand Anderem Kontakt hast? Wann hast Du verheimlicht, dass Dir der Sex mit ihm eigentlich überhaupt keinen Spaß gemacht hat? Diese Liste ließe sich ad infinitum fortführen. Es geht um die Erkenntnis, dass jeder von uns das Potential hat, "Böses" zu tun.

By the way, natürlich hat Haneke damit keine großen, neuartigen Erkenntnisse auf Zelluloid gebannt - David Lynch hat das zum Beispiel auf seine ganze eigene Weise in der jüngsten Staffel Twin Peaks gemacht. Aber Haneke schafft das ganz ohne Effekte, ohne komplexes Sounddesign. Er gibt uns das Gefühl, dass das, was wir da auf dem Bildschirm sehen, wirklich so geschehen ist. Dadurch baut der Regisseur die Vierte Wand ab - was er zum Beispiel bei Funny Games etwas plakativer gemacht hat.

Ich finde es scheiße, wie oft in unserer Welt Menschen die Schuld immer woanders suchen und sich selbst für den Ursprung aller Unschuld halten. Und weil der Film mich inspiriert hat, möchte ich ein kleines bisschen dieser Ehrlichkeit in die nächste Videobotschaft einbauen, mal schauen, ob Er etwas merkt.

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