Donnerstag, 27. Dezember 2018
Von hinten schräg durch die Brust in's Auge
Es ist immer wieder herzerwärmend, zu erleben, wie es gemobbte, ausgegrenzte Schüler sind, die sich an ihrer Schule weit über das übliche Maß hinaus engagieren, und zwar an weit mehr als nur einer Theater-AG. Sie bringen sich in der Schülervertretung ein, sie wagen es, der Schulleitung zu widersprechen, sie regen einen Diskurs an, sie werfen Sand in das Getriebe des schulischen Apparats. Sie versuchen, die Lage für ihre Hunderte von Mitschülern zu verbessern, indem sie aktiv Vorschläge für die Gestaltung des Schullebens einbringen oder einfach ganz "harmlos" schulische Konzepte wie Bildungsministerium oder Lehrplan für ihre Mitschüler anschaulich und nachvollziehbar erläutern. Um ihnen zu zeigen, wie seitens des Ministeriums oder jeglicher höheren Instanz mit ihnen umgegangen wird.
Ich war nie einer dieser Schüler; bei mir kam das erst im Studium, Studierendenparlament und dieser Kladderapatsch. Aber es gab sie, und an unserem Werner-Heisenberg-Gymnasium haben sie sich ein Bein ausgerissen, um eine Schülerzeitung zu gestalten und am Leben zu halten, was sehr schwierig war, denn - wie sie zu erzählen nicht müde wurden - während mehrere hundert Exemplare immer innerhalb der großen Pause ausverkauft waren, so fand sich phasenweise kaum jemand, um für die Zeitung zu schreiben. Man möge an dieser Stelle ahnen, in welche Richtung das geht: Ja, ich habe auch mal für die Zeitung geschrieben. Ja, irgendwann werde ich das auch mal hier im Blog posten, so als siebzehn Jahre alten Nostalgieschub, aber heute geht es um etwas ganz Anderes.
Man merkt, ich lese gerade meine alten SZ-Ausgaben quer und schaue, ob ich etwas davon in diesem Blog veröffentlichen möchte, und das scheint insgesamt wohl mehr als nur ein Artikel zu werden, und deswegen habe ich den Tag Schülerzeitung neu hinzugefügt. Dabei geht es seltsamerweise gar nicht mit Schülergedanken los. Zumindest nicht direkt.
Es hat nämlich auch einmal ein Lehrer geschrieben, unter der Rubrik PS: Paukers Standpunkt. Da meldete sich dann ein oller Seebär zu Wort, der nie verlegen um fiese Kommentare in Klausuren und im Unterricht war, den es immer biestig zu freuen schien, wenn er Hoffnungen auf gute Noten zunichte machen konnte, und der leider erst in der Oberstufe ansatzweise verstanden wurde in seinem Denken. Und er hat einen kleinen Aufschrei in der Hermes veröffentlicht, der vom heutigen Standpunkt aus "visionär" genannt werden muss.
Deutsche Sprache - Schwere Sprache
Sprache als Kulturtechnik betrachtet
von Klaus Brunkert
Wären Lehrer Stilblütensammler, könnten Korrekturen mehr Lust als Frust bereiten. Da erkältet sich warme Luft, wenn sie aufsteigt; es vermehren sich die Binnenschiffe auf der Wolga oder Sonne falle in Rom steiler auf die Erde als in Kiel. Solche verbalen Glanzpunkte verleiten natürlich zu launigen Randbemerkungen, die betroffene Schüler meistens gar nicht gut finden, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen.
Nehmen wir es also ernst. Faktum ist, dass immer mehr Schüler nicht in der Lage sind, komplexe Sachverhalte und zunehmend auch einfache sprachlich exakt wiederzugeben. Dies mag ein beispielhafter Dialog verdeutlichen:
- Lehrer erläutert nach der Rückgabe der Klausur, welche Inhalte er erwartet habe.
- Schüler beschwert sich, weil er für eine Passage keine Punkte erhalten habe, obwohl er genau das geschrieben hätte, was der Lehrer als Erwartungshorizont formuliert habe.
- Lehrer verweist auf seine Randbemerkungen.
- Schüler bezweifelt Korrekturkompetenz des Lehrers.
- Lehrer weist nach, dass der Absatz nicht das beinhaltet, was der Schüler behauptet, während sich der Rest des Kurses langweilt.
- Schüler: "Aber Sie wissen doch genau, dass ich damit das gemeint habe, was Sie hören wollten."
1. Die Ursachen für die stark eingeschränkte Sprachkompetenz sind vielschichtig, lassen sich aber mit Einschränkungen auf zwei Grundphänomene zurückführen: Während früher die meisten Schüler relativ viel gelesen haben und so mit der Schriftsprache vertraut wurden, dominieren heute (2001) audiovisuelle Medien, wobei besonders die kommerziellen eine comichafte Stichwortsprache präsentieren, die differenzierte Darstellungen nicht erlaubt. Sachverhalte werden auf das Niveau und Zeitlimit von einprägsamen Werbeslogans verkürzt, vereinfacht und zwangsläufig oft auch verfälscht.
2. Lehrer lassen sich immer weniger Zeit und/oder haben nicht die Geduld, Schüler zu zwingen, zumindest im Unterricht Sprache als präzises Instrument der Verständigung zu erlernen, sondern reduzieren Schüler zu Stichwortgebern, weil a) sonst der im Lehrplan vorgegebene Stoff nicht mehr bewältigt werden kann und b) Schüler sich nicht mehr über einen längeren Zeitraum auf einen Gegenstand konzentrieren können. Dies ist ein Verhalten, das den Hör- und Sehgewohnheiten heutiger Medienkonsumenten entspricht, die optische und akustische Highlights fast im Sekundentakt fordern als Preis für ihre Aufmerksamkeit. Als Beleg mag man die Länge von Filmsequenzen in alten und neuen Filmen vergleichen. Schüler werden also unkonzentriert und folglich abgelenkt, unruhig bis störend, wenn sie entgegen ihren Gewohnheiten gefordert werden. Pädagogisch richtig, im Ergebnis aber falsch wird ein häufiger Methodenwechsel angewendet.
Es scheint bedenklich, dass gerade in einer Zeit, in der Sachverhalte zunehmend komplizierter werden, die Fähigkeit, diese rein sprachlich zu verstehen oder gar darzulegen, bei einer wachsenden Zahl von Menschen abnimmt. Denn Nichtverstehen erzeugt irrationale Ängste und Reaktionen mit den entsprechenden gesellschaftspolitischen Implikationen, die vom Drogenmissbrauch bis zum politischen Radikalismus reichen.
Was also tun unter der Prämisse, dass Schule nur sehr begrenzt gegen allgemeine Entwicklungstendenzen steuern kann. Im Sinne von exemplarischem Lernen bleibt wahrscheinlich nur der Ausweg, den Lehrplanstoff erheblich zu reduzieren und an wenigen Inhalten das einzuüben, was man gemeinhin als Kulturfertigkeiten bezeichnet. Bei der heutigen Halbwertzeit von fachspezifischem Wissen scheint es zukunftsträchtiger, wenn die Schule sich von einem Institut der Wissensvermittlung zu einem Lernort von Arbeits- und Lernmethoden wandelt, wobei die Beherrschung der Sprache unentbehrlich ist. Dass dabei das Wissen um die geisteswissenschaftliche Vergangenheit unserer Kultur weitgehend verloren geht, scheint ein hoher, aber notwendiger Preis zu sein. Aber warum sollen heutige Schüler mehr über Goethe und Lessing wissen als über Aristoteles und Seneca?
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