Ob Brunkert oder Skinner - der Blick war derselbe. |
Es waren immer nur die Anderen, die Brunkert hatten. Meine Brüder, oder die Parallelklasse, oder der Jahrgang über uns. Und so hörte ich von Brunkert. "Der ist richtig scheiße", hieß es. Der soll seine Schüler beleidigen, sich über sie lustig machen, bei Brunkert bekommt niemand mehr als neun Punkte, das war bekannt. Brunkerts selbstgerechtes, fieses Grinsen, wenn er einen Schüler fertiggemacht hat, das war auch bekannt. Alle hassten Brunkert, das war mir klar, und deswegen hatte ich Angst vor Brunkert. Und deswegen war ich froh, dass immer nur die Anderen ihn hatten. Und deswegen fand ich Schlotfeldt auch gar nicht sooooooo schlimm. Schlotties "Wiiieeeee, das wissen sie nicht???" war halt kein "Tja, du kannst eben nix, damit wirst du da draußen auch nix."
Und dann die Hiobsbotschaft: Nächstes Jahr Erdkunde bei Brunkert. Dürfte nachvollziehbar sein, dass ich die ganze Zeit quasi mit gesenktem Haupt dagesessen habe, Angst, drangenommen zu werden und etwas Falsches zu sagen. Aber in der Klausur, da zeig' ich es ihm, das habe ich mir vorgenommen und gelernt. Gebüffelt wie ein Irrer, stundenlang, das Thema interessierte mich nicht die Bohne! Aber ich wollte es dem Kerl zeigen. Dann kam die Klausur, dann das Ergebnis - neun Punkte. SO EIN SCHEISS! Und dann bin ich auf die Barrikaden gegangen und habe Brunkert gefragt, warum er so schlechte Noten gibt, warum er so fies und gemein zu den Schülern ist - jedenfalls zu denen, die mit seinem "von hinten schräg durch die Brust in's Auge"-Humor nichts anfangen konnten.
Und Brunkert antwortete. Nicht der originalgetreue Wortlaut, daher ohne Anführungszeichen. Weil ich euch auf die Welt da draußen vorbereiten möchte, auf etwas, das sich Realität nennt. Auf fremde Betriebe, die nur pure Leistung bewerten, kein Bemühen, keinen Charakter. Denn ihr seid so glücklich in eurer egozentrischen, wohlbehüteten Welt, in der Mama und Papa alles für euch tun, in der es reicht, ein paar Vokabeln zu lernen und nett zu lächeln für eine gute Note. Das ist ja alles schön und gut, aber so funktioniert die Welt da draußen nicht. Und deswegen möchte ich euch darauf vorbereiten, damit ihr nachher nicht genauso wie begossene Pudel dasteht wie bei dieser Klausur jetzt. Ihr sollt lernen, das zu erwarten, und ihr sollt Respekt vor den euch gestellten Aufgaben lernen.
Ich war so wütend, ich habe fast angefangen zu heulen, weil ich das überhaupt nicht verstanden habe, was Brunkert damit meinte. Wohlbehütete Welt? Sorry, aber meine Jugend fühlte sich für mich nicht wohlbehütet an. Die Welt da draußen? Mann Brunkert, ich mach' mein Abi, dann gehe ich an die Uni, ich muss mich sowieso nicht mit diesen Betrieben auseinandersetzen, du Arsch! Ich habe nichts davon verstanden, auch nicht nach meinem Abi, auch nicht in meinem Grundstudium, noch nichtmal zu meinem ersten Staatsexamen.
Aber Brunkert hatte Recht.
In dem Moment, wo wir uns auf dem freien Arbeitsmarkt befinden, behütet uns niemand mehr. Da geht es unfair und fies zu, da wird einem nichts hinterhergeworfen, da kassiert man Absage um Absage, da interessieren sich die Leute einen Scheiß für mich. Und ich verstehe das nun.
Er hatte vollkommen Recht, wenn man es richtig betrachtet. Von hinten schräg durch die Brust in's Auge.
post scriptum: Wenn man keine Freunde mehr in der Nähe hat, weil alle wegziehen, dann bastelt man sich eben einen neuen Freund aus nicht-newtonschem Fluid, geht ganz schnell und einfach, man kann super mit ihm spielen, man kann ihn schlagen ohne schlechtes Gewissen und ohne dreckig zu werden und er fasziniert einen immer wieder auf's Neue. Ist das nicht toll? Und wer genau so verzweifelt ist, der nehme Speisestärke und Wasser im Verhältnis 1,2 zu 1, geduldig vermengen und Spaß haben. Und wer seinen nichtnewtonschen Freund entsorgen will, lässt ihn entweder trocknen und bröselt ihn dann in den Biomüll oder verflüssigt ihn komplett (wirklich großzügig), bevor er dann in den Ausguss wandert.
ps2: Weil ich so mutig war und das Maul aufgemacht habe, hat Brunkert mir im Zeugnis dann zehn Punkte gegeben.
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