Sonntag, 23. Dezember 2018
Nächster Halt: Kongresshalle
Gestern beim Einkaufen war es mir zwischendurch dann doch wieder zu voll und eine leichte Panik hat sich eingestellt. Kennt Ihr vielleicht, und dann brauche ich irgendeine Hilfe, um mein Gehirn wieder runterzufahren (...in den Keller...). Wenn es ganz schlimm ist, suche ich mir irgendwo eine Regalecke und tue so, als ob ich etwas aus dem untersten Regal holen muss. Das ist eine Möglichkeit, mich auf den Boden zu setzen und in das Regal zu starren. Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert, aber es beruhigt. Am besten dabei noch Inhaltsstoffe von Produkten durchlesen und Anteile ausrechnen. Zum Glück kommt das in diesem Ausmaß nicht so oft vor; leichtere Anflüge von Panik kann ich wegwischen, indem ich die Fibonaccireihe im Kopf durchgehe (0,1,1,2,3,5,8,13,21,34 und so weiter).
Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, habe ich noch einen ganz anderen Kniff, um wieder ausgeglichen zu werden, und die Wurzeln dieser Methode reichen zurück in die Kindheit. Ich hatte hier im Blog schon einmal berichtet, dass ich total in die Berliner S- und U-Bahnen vernarrt bin. Immer durch die Stadt fahren, und drumrum, oberirdisch, unterirdisch, und natürlich den Netzplan auswendig gelernt. Allerdings wohnte ich nicht in Berlin, sondern in Weddingstedt, und da gab es keine S-Bahn. Nur für jeweils ein paar Tage konnte ich in den Ferien nach Berlin fahren, Die Tante besuchen und den lieben langen Tag herumfahren.
Ich wollte aber nicht auf den Spaß verzichten, und deswegen habe ich mir mein eigenes Liniennetz für Weddingstedt und Umgebung entworfen. Dann habe ich mich auf's Fahrrad geschwungen und bin quer durch den Ort gefahren, von "Haltestelle" zu Haltestelle, Fantasie pur - oder einfach nur ganz normaler Wahnsinn. Natürlich habe ich mein Liniennetz stetig erweitert, bis ich am Ende auch die benachbarten Ortschaften "erobert" hatte.
Einzelne "Bahnhöfe" hatten besondere Aufmerksamkeit verdient, spezielle Namen, und in meiner Fantasie waren das ausschweifende architektonische Meisterwerke, ganz klar ein Nachklang der U-Bahnhöfe Rainer G. Rümmlers in Berlin. Und sogar die Namen der Haltestellen habe ich aus Berlin übernommen, nur in wenigen Ausnahmefällen habe ich mir eigene Namen ausgedacht oder welche aus Filmen, Videospielen etc. übernommen.
Ausgangspunkt für alle Linien war natürlich mein Elternhaus. Nur, welchen Namen gibt man dem wichtigsten Bahnhof im ganzen Netz? Hauptbahnhof? Wie unkreativ. Nein, das musste was Originelles sein, was, das interessant klingt. Geheimnisvoll, wichtig. Politisch, nach Großstadt - und so hieß es dann am Ende fast jeder Fahrradfahrt: Nächster Halt: Kongresshalle. Übergang zu allen S- und U-Bahn-Linien, sowie zum Regional- und Fernverkehr. Diese Zugfahrt endet dort, bitte alle aussteigen!
Irgendwie war das eine echt schöne Zeit. Ich bin an die frische Luft gekommen, hatte ausreichend Bewegung und konnte "anders" sein, ohne, dass ich jemandem damit auf die Nerven falle. Eine Alternative zur Waschmaschine, sozusagen. Und nun ist es zwanzig Jahre später, und noch immer mache ich mir den Spaß, zum Beispiel, wenn ich mit dem Auto zu meinem Arbeitsplatz fahre. Da habe ich natürlich die Fahrstrecke in Teilstücke aufgeteilt, und da gibt es dann unterschiedlichste Haltestellen, "Waldwiese", "Ostring", "Elmschenhagen", "Klinkenberg" und so weiter, bis ich das Auto am Ende bei meiner Schule parken kann.
Und dieses Durchgehen der Haltestellen (Ausstieg rechts? Ausstieg links?), das beruhigt mich, wenn mal wieder leichte Panik aufkommen sollte. Das ist quasi mein Auto-Fibonacci, und einer der Handgriffe, die ich wohl mein Leben lang nicht mehr vergessen werde.
post scriptum: Liebe Sonnenanbeter, es darf gefeiert werden, seit gestern werden die Tage wieder länger!
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