Samstag, 8. Dezember 2018

Damals, im Studium...

Ein bisschen Unkonventionalität aus dem Studium habe ich mir behalten.

Gestern habe ich mir endlich Charlie Kaufmans Synecdoche, New York (2008) angeschaut. "Endlich", weil Roger Ebert in den allerhöchsten Tönen darüber geschrieben hat und weil mir die Wikipedia erklärt, dass der Film polarisiert. Das ist eine interessante Kombination, so wie zum Beispiel auch bei Cloud Atlas (2012). Der Titel deutet schon ein gewisses literarisches Niveau an, und Kaufman scheint ein Händchen für anspruchsvolle Filmskripte zu haben - für Eternal Sunshine Of The Spotless Mind (2004) hat er damals den Academy Award bekommen.

Es geht mir heute gar nicht so sehr um den Film - der sollte zu einem anderen Zeitpunkt die verdiente Aufmerksamkeit bekommen - sondern um einen der Gedankenzüge, die er gestartet hat. Es hat ein kleines bisschen gedauert, bis ich realisiert hatte, dass es sich dabei um einen postmodernen Film handelt. Spätestens, als ein ununterbrochen brennendes Haus einen neuen Mieter gefunden hat, war das aber klar. Postmoderne kann frustrierend sein, unverständlich, skurril, absurd. Ich verstehe, dass es Kritiker gibt, die den Film deprimierend und unverständlich genannt haben. Ich habe mich köstlich amüsiert, und das hat mich erinnert...

...an damals, im Studium, als ich mein Interesse an postmoderner amerikanischer Literatur entdeckte. Das kam erst im Hauptstudium, davor fand ich diese Bücher unverständlich, komisch, konnte mich nicht damit arrangieren, dass ich nicht sofort alles verstanden habe. Dann habe ich gelernt, dass man nicht alles verstehen muss, konnte loslassen, und habe irgendwann Thomas Pynchons Roman The Crying Of Lot 49 zu einem meiner Lieblingsromane gekürt. Muss wohl so gewesen sein, denn daher hat dieser Blog seinen Namen.

Und ich habe mich erinnert an diese tolle Zeit, in der ich abgefahrene Literatur kennenlernen wollte, nicht der ganze normale Kram, es musste schon etwas spezieller sein. Dr Jens-Peter Becker und Prof Dr Konrad Groß haben in ihren Vorlesungen und Seminaren mein Interesse für das Ungewöhnliche angefeuert. Das war die Zeit, in der ich ernsthaft überlegt habe, an der Universität zu bleiben, und mich weiter mit postmoderner Literatur auseinanderzusetzen. Ich hatte mich gefühlt, als sei ich in literarische Höhen aufgestiegen, Paul Auster war kein Fremder mehr, auch Kathy Acker hat es in mein Regal geschafft, zusammen mit Tom Robbins und Philip Roth (dessen Portnoy's Complaint ich immens unterhaltsam fand).

Und mit all' diesem Wissen, mit all' diesem literarischen Anspruch - kam ich dann in eine neunte Klasse eines Gymnasiums. Jeder, der studiert hat und dann an die Schule gegangen ist, weiß, worauf ich damit anspiele. Postmoderne Literatur mit Schülern? Never! Okay, damit hatte ich schon ein bisschen gerechnet (ich wusste damals noch nicht, was die intellektuelle Norm ist), aber es ging noch viel weiter runter. Bis ganz nach unten - in den Abiturjahrgang, in dem man noch immer erklären musste he, she, it, the -s must fit.

Das ist jetzt ungefähr sieben Jahre her. Ich mache an den Schulen so gut wie nichts von dem, was ich damals an der Uni so faszinierend fand. Aber das Schöne: Ich bin darüber nicht unglücklich, die Arbeit macht Spaß, ich liebe es, Pädagoge zu sein. Aber Synecdoche, New York hat mir für zwei Stunden eine Phase in Erinnerung gerufen, die ich sehr genossen habe, und das war ein tolles Erlebnis.

post scriptum: Wenn die noch relativ junge Kollegin in der Schule, Pädagogin?, mich sorgfältig distanziert aufgrund meines Erscheinungsbildes wie einen asozialen Vollidioten behandelt, die ältere Dame bei LIDL mit ihrem Rollator und sechs Teilen mich aber an der Kasse freundlich lächelnd fragt, ob ich vorgehen möchte, dann stimmt mich das...

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