Donnerstag, 6. Dezember 2018

12/06

HB-Gehirn sagt: Geistergeschichten sind interessanter als Korrekturen, Rechnungen, Briefe, Essen, Aufräumen...

12/06

Ich schreibe das heutige Datum in die obere rechte Ecke des Whiteboards, und mir wird bewusst, dass ich die Zeit der Tafeln und Kreiden hinter mir gelassen habe. Und ich finde das gar nicht schlecht, weniger Staub, magnetische Wisch-Schwämme, trocknet die Hände nicht aus. Natürlich schreibe ich das Datum im amerikanischen Format - erst der Monat, dann der Tag, und ein Schüler erkennt das und ruft: "Hey Dr H, heute ist Nikolaus!" Ach, da war ja was.

Nikolaus ist vollkommen aus meinem Bewusstsein verschwunden. Das liegt zum einen daran, dass ich mit der Kirche wirklich nichts mehr zu tun habe (nie hatte), zum anderen aber auch an der gedanklichen Überforderung seit einigen Tagen. Ich glaube, das ist ein Problem der Hochbegabten: So viel zu tun, womit soll ich nur anfangen? Home Improvement ist angesagt, ich habe eine neue Tischlampe, die Wohnungstür mit einem neuen Cover versehen (Aufkleber), die Klassenarbeiten, die in zwei Wochen anstehen, erstellen, Projektmappen der Schüler durchsehen, ach herrje, und da kommt Post, Nikolausbrief von meinen Eltern, und ich kann mich gerade noch nichtmal freuen, weil es immer mehr wird: Auf dem Tisch wartet endlich der Film Synecdoche, New York auf mich, ist morgen dran, und dann könnte ich auch mal das Bad putzen und überhaupt.

Der Nikolausbrief liegt immer noch ungeöffnet neben mir. Weil ich ja auf den richtigen Moment dazu warten muss. Weil ich Angst habe, dass doch etwas Anderes drin ist. Muss alles stimmen, bevor ich meine Post öffne - das ist behindert. Und dann esse ich etwas, und anstatt das Geschirr wegzuräumen, lasse ich es an Ort und Stelle stehen. Ich bekomme das noch nicht einmal mit, weil mein Gehirn schon im Wochenende ist, auf das neue Videospiel wartet - drei, vier Schritte weiter. Hochbegabte kennen das. Ich merke das mit dem Geschirr erst, als ein Schatten über meine Wand huscht: Eine Fliege krabbelt über die Lampe, angelockt durch Essensreste (erinnert mich an Aronofskys Film Pi).

Es ist immer wieder faszinierend, wie sehr ich mich selbst lähmen kann. Anstatt einfach mit etwas anzufangen, überlege ich, welche Reihenfolge optimal ist. Und ich komme zu keinem Schluss. Geschirr bleibt stehen, Türaufkleber ist erst zu einem Drittel angebracht, Projektmappen liegen unbesehen herum. Briefe bleiben geschlossen, Freunde müssen auf Antworten in den sozialen Netzwerken warten, weil Dr H mal wieder in geistiger Quarantäne verweilt. Ich wusste, dass die neue Schule ein Einschnitt im Leben wird, war bei jeder Schule so, aber das mit der Schulart - es ist, als ob ich eine neue, andere Welt entdecke. Input ohne Ende, Meditationen waren noch nie so hilfreich und angenehm.

Ich glaube, ich möchte mir endlich einen Alltag einrichten - weil endlich die Chance besteht. Aber in diesen sieben Jahren Schulwechsel bin ich so weit von der Bahn abgekommen, dass es eine anstrengende Arbeit wird. Und Norman Bates zu beobachten, gibt mir etwas Sicherheit und Ruhe, ausgerechnet.

Alles so aufregend...

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