Samstag, 15. Dezember 2018

Schauspieler

Wieder einmal Psychologie...

Heute geht es mir um die Art und Weise, wie wir oft mit unseren Mitmenschen umgehen.

Wir machen uns eine Vorstellung davon, wie unser Leben aussehen soll. Wir überlegen uns, ob wir eine Familie gründen wollen, welchen Job wir haben wollen, wie unsere Wohnung wohl aussehen sollte. Die Transaktionsanalyse nennt diese Vorstellung Lebensskript, aber zu diesem Skript gehört noch viel mehr dazu als nur Kulissen für unser Leben. In dem Skript stehen auch Verhaltensweisen - wie wir unsere Mitmenschen behandeln wollen, welche Gesetze wir einhalten wollen, welche wir brechen wollen. Das tun wir nun einmal, nicht wahr, liebe Raser?

Wir machen uns ein Bild von uns selbst: Wie stelle ich mir mich selbst vor? Welche Ansichten habe ich, welche moralischen Werte, welchen Glauben? Das Lebensskript ist fast wie ein Drehbuch für einen Film, es stehen Charaktereigenschaften drin, nicht nur mich betreffend, sondern auch für die Menschen, mit denen ich zu tun haben werde.

Denn meistens haben wir ja Mitmenschen als Teil unseres Lebens. Und so fülle ich mein Lebensskript / Drehbuch mit Rollen: Ich habe eine Freundin, mit der ich extrem albern sein kann, und ich habe eine Freundin, die mich auf den Erdboden zurückholt - ach warte mal, die Rollen sind schon besetzt. Gibt es freie Rollen? Tatsächlich: Es gibt da einen Mann, mit dem ich befreundet sein kann, einen, der das mit der sexuellen Orientierung nicht so genau nimmt. Und er sollte irgendwie auch alles mitmachen, was ich vorschlage. Am besten widerspricht er mir auch nicht so viel, denn dafür habe ich ja schon die Freundinnen.

Wer diesen Blog länger verfolgt hat, wird natürlich wissen, dass das eine Rolle ist, die Er eingenommen hat. Er hat da perfekt hineingepasst, klasse, nun ist auch diese Rolle besetzt. Und so entwickelt sich mein Drehbuch ganz nach meiner Regie. Planbar, übersichtlich.

Sagt mal, Dr Hilarius, hackt es?! Glaubst Du ernsthaft, dass Du Menschen in Dein Leben lassen kannst, und dass diese sich dann auch bitteschön immer nach Deinen Vorstellungen richten - und wenn sie das vielleicht mal nicht tun, dann schaust Du dich halt um, ob Du eine neue Besetzung für die Rolle findest? So funktioniert es nicht. Du kannst nicht von Menschen erwarten, Schauspieler in Deinem Drehbuch des Lebens zu sein, über das Du durchgehend Kontrolle ausübst! Denn Menschen haben ihren eigenen Kopf, und es wird nie so sein, dass jemand vollkommen authentisch ist und gleichzeitig hundertprozentig Deine geplante Rolle erfüllt. Das wird nie klappen!

Und trotzdem ist das etwas, was wir immer wieder machen. Nicht nur ich. Wir legen in unserem Leben für unsere Mitmenschen Rollen an, quasi festgelegt ohne Improvisationsspielraum, und sind enttäuscht, wenn diese Schauspieler sich dann nicht an die Vorgaben halten. Damit machen wir uns und unseren Mitmenschen das Leben schwer, denn dann ist es kein echt gelebtes Leben mehr.

Warum schreibe ich hier darüber? Charlie Kaufmans Synecdoche, New York (2008) beschäftigt mich seit dem Ansehen vor einigen Tagen noch immer, denn der Film stellt genau diesen Sachverhalt verständlich dar. Philip Seymor Hoffman spielt einen Theaterregisseur, der einen hoch dotierten Preis erhält und mit dem Geld ein Mammutprojekt startet: Ein Theaterstück über das Leben an sich. Dazu baut er in einer gewaltigen Halle eine Stadt nach und bevölkert sie mit Charakteren - natürlich auch mit jemandem, der ihn selbst spielt und so weiter.

Im Lauf des Films verschwimmt die Grenze zwischen Theaterstück und realem Leben immer weiter (siebzehn Jahre lang proben sie ohne Publikum), und es wird uns deutlich, dass es genau das ist, was wir immer wieder tun. Das Festlegen von Rollen, in die wir dann unsere Freunde, Familie und Mitmenschen hineindrängen.

Der Film ist wirklich toll, literarisch wertvoll, und hat mich in's Nachdenken gebracht. Und dann realisiere ich, dass Er von mir in eine Rolle gedrängt wurde, die aber nicht seinem realen Ich entspricht. Und ich schäme mich fast ein bisschen dafür, dass mir das alles immer so einleuchtend erschien damals. Es muss andersherum gehen: Er sollte von sich aus in mein Leben kommen, und ich habe ihn dann nicht als Rolle im Stück, sondern als die reale Person, die Er nun mal ist. So ist es damals nicht gelaufen und die Zeit wird zeigen müssen, ob dieses zwischenmenschliche Verhältnis aus den Schuhen der Theaterrollen hinaus springen kann und das Leben so lebt, wie es wirklich ist.

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