Freitag, 9. August 2019

Am Limit


"Hat irgendjemand noch Methadon da?"

Ich finde es immer wieder spannend, wie Populisten wie die AfD, Matteo Salvini, Boris Johnson oder Donald Trump versuchen, eine Atmosphäre der Angst zu erzeugen, um sich dann als einzige Menschen hinzustellen, die das Problem lösen können. Im Englischen gibt es dafür den Beriff fearmongering. Panikmache.

So wird also versucht, mir einzureden, dass meine Situation ganz schlimm sei, und dass ich die AfD wählen muss, damit es mir besser geht. Das ist interessant, wenn man gleichzeitig erfährt, dass ein großer Teil der AfD-Wähler aus dem gehobenen Bildungsbürgertum stammt. Und diese Menschen denken wirklich, dass es ihnen schlecht geht?

Es ist mal wieder alles eine Frage der Relationen, und das habe ich selbst erst sehr spät im Leben begriffen, als mich die Sannitanic darauf aufmerksam gemacht hat. Wir hatten uns unterhalten über Themen wie "schwierige Kindheit" oder "Probleme in der Jugend", und ich habe ihr von meinen Problemen erzählt - woraufhin sie mir klargemacht hat, dass vieles davon Jammern auf einem ganz hohen Niveau war.

Ich hatte in meinem Leben bis dahin nie Umgang gehabt mit Menschen, denen es wirklich schlecht ging, und wenn, dann habe ich das nicht als solches erkannt. Zum Glück hat St.Peter-Ording da neue Türen für mich geöffnet und nun ist es so, dass ich sogar sehr interessiert daran bin, die Verhältnisse von arm und reich, gut und schlecht situiert, kriminell und rechtschaffend in meinem Kopf neu zu ordnen, und zu erleben, wie das Leben auch aussehen kann. Deswegen habe ich angefangen, mich etwas intensiver für Gemeinschaftsschulen und soziale Brennpunkte zu interessieren.

Mir ist das heute einmal wieder bewusst geworden. Meine Halstabletten sind mir ausgegangen, und das war ein wunderbarer Anlass, wieder einmal nach Gaarden zu tingeln und ein bisschen authentische Luft zu atmen. Sehr drollig übrigens, dass ich heute von genau dem Apotheker bedient worden bin, mit dem ich neulich die "Hallo, mein Großer!"-Episode hatte, und heute hat er mich gesiezt und war sehr "höflich". Ob das wohl daran lag, dass ich heute normal släsch unauffällig gekleidet war?

Wie dem auch sei, für die Rückreise habe ich auf einen Bus am Karlstal gewartet, und plötzlich ruft jemand mitten in die Leute: "Hat irgendjemand noch Methadon da?" Metha ist eine der Substanzen, die verwendet werden für einen Opioid-Entzug, deswegen ist die Apotheke, in der ich war, auch regelmäßig richtig voll - viele Menschen möchten sich ihren Ersatzstoff abholen. Ärzte in Gaarden haben sich auf die Situation spezialisiert, und man kann dort gut behandelt werden. Aber manchmal ist die Verzweiflung dann eben doch so groß, dass man einen Hilferuf an niemanden Bestimmtes äußert, und es geht eben nicht um fünfzig Cent für ein Busticket, sondern um psychoaktive Substanzen, und im heutigen Fall blieb der Hilferuf unbeantwortet. Wie schlimm so ein Craving sein kann, darüber hatte ich damals in der Hänschen-Geschichte geschrieben.

Es gibt Menschen, denen es wesentlich schlechter geht als einem großen Teil der AfD-Wähler, und trotzdem wird gerade bei dieser gehobenen sozialen Schicht Angst gemacht vor Immigranten, vor Flüchtlingen, die teilweise wirklich nichts mehr haben.

Ich könnte kotzen.

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