Sonntag, 21. Juli 2019

"Hallo, mein Großer!"

Dein Outfit bestimmt die Kommunikationsgrundlage.

In der Tat, der andere Beitrag braucht noch länger. Ich denke und schreibe und kapsele mich von der Außenwelt ab, die nichts von mir sieht und hört und sich vielleicht Sorgen macht. Deswegen gibt es jetzt zwischendurch eine kleine witzige Ankdote, quasi als Lebenszeichen, dass es mir gut geht.

Ich gehe hin und wieder am Samstag vormittags die Hamburger Chaussee hinunter, dann über die Gablenzbrücke (die neue Busansagestimme hat eine interessante Betonung: "Gablenz? Straße.") und hinein in's Getümmel nach Gaarden; ein Stadtteil Kiels, der mit vielen Vorurteilen belegt ist, die aber nicht ganz ohne Grund entstehen. Sehr hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, die kein Deutsch sprechen können oder wollen, Treffpunkt der Drogenszene, der einzige Kieler Spritzenautomat (oder gibt es inzwischen mehrere?) für Abhängige, Alkoholiker, die an der Bushaltestelle Karlstal sitzen. In Heide war das früher eine ähnliche Situation an der Bushaltestelle vor Wandmaker, falls sich irgendjemand erinnert.

Das sind keine schlechten Menschen, sie haben nur in ungünstigen Momenten falsche Entscheidungen getroffen, und die Stadt Kiel versucht, ihnen zu helfen, zum Beispiel durch besagten Automat, die Drogengruppe Odyssee e.V. und mit einer ganzen Menge method acting. Sich verstellen, bzw. sich so zu verhalten, dass man mit seinem Gegenüber eine gute Kommunikationsbasis findet. Das ist vollkommen normal und richtig, war mir aber gestern in einem drolligen Moment nicht mehr bewusst.

Ich tingele also Richtung Karlstal, der Markt in der Elisabethstraße, viele Menschen sind auf der Straße, nicht so tot wie hier in Hassee, wobei Düsternbrook noch töter sein dürfte. Ich gehe in eine Apotheke, ich brauche Augentropfen (es gibt von Bepanthen Augentropfen, die wunderbar helfen, wenn die Augen trocken sind, deswegen jucken, man deswegen an ihnen herumreibt und sie deswegen gerötet sind - Panthenol und Hyaluron können da wahre Wunder bewirken, sehr angenehm, sehr sanft). Die Apotheke ist vollkommen überfüllt. Das ist kein Wunder. Hier lösen viele Abhängige, die sich in der Substi befinden, ihre Rezepte ein, um zum Beispiel an Buprenorphin zu kommen. Gute Sache, das.

Naja, und dann kommt ein etwas älterer Apotheker auf mich so, lächelt mich an, sagt mit lauter Stimme "Hallo, mein Großer!" und streckt mir seine Hand hin. Ich bin völlig überfordert. Kennt der mich? Naja, viele erkennen mich wieder wegen meines Outfits, aber müsste ich diesen Menschen kennen? What the...? Warum...? Was soll ich machen...rausgehen...Blick überallhin...Scheiß drauf. Ich gebe ihm die Hand, grüße ihn ebenfalls, und er realisiert, dass ich bereits bedient werde und geht zum nächsten Kunden.

Wow. Dieser Apotheker hat es drauf mit dem Method Acting. Er weiß, dass viele seiner Kunden einen Migrationshintergrund haben, der direkt mit "Du" arbeitet. Er weiß, dass man auf Abhängige freundlich und motivierend zugehen soll, persönlich und interessiert, um ihre Chancen einer Heilung zu erhöhen. Er sieht mich in meinem komplett schwarzen Outfit mit Totenköpfen und Metall und so, rechnet mich im Kopf sofort der Gruppe der Abhängigen hinzu und weiß, wie er mit mir umzugehen hat. Dass ich kein Bupre abholen will, weiß er nicht.

Er hat alles richtig gemacht, nur ich muss mich noch daran gewöhnen, dass das Soziale in Gaarden nach anderen Uhren tickt. (...und die große Buba spricht mit ihrer Amanda-Lear-Transenstimme: "Ich habe gute Uhren!")

War ein witziger Moment, wollte ich teilen. Geht bald weiter ;-)

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