Donnerstag, 29. August 2019
All Hell Breaking Loose (HC II)
Hier geht es zu Teil I
"Sind sie denn wahnsinnig geworden!"
Ich schrecke auf und fange direkt an zu husten. Als meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt haben, erkenne ich, dass ich mich in einer riesigen Staubwolke befinde, gelblich-ocker, und kann um mich herum nichts mehr erkennen außer dem Paar Beinen, das vor mir steht. Ich fische in meiner Hosentasche nach dem Taschentuch, halte es mir zum Schutz gegen den Staub vor den Mund und versuche, die Person vor mir zu erkennen. Ein Mann, braungebrannt mit nacktem Oberkörper - abgesehen von der orangenen Warnweste. Er beugt sich zu mir herunter; ich schaue in sein Gesicht, und irgendwas kommt mir merkürdig vor. Ist es nur der aufgeregte Tonfall, in dem er mit mir spricht, oder warum kommt mir dieser Mensch so sinister vor?
"Haben sie nicht mitbekommen, dass hier ab heute die Welt untergeht? Und sie sitzen da, schlafen gemütlich an der Absperrung, ich glaube es nicht! Machen sie, dass sie hier wegkommen, bevor sie in den schwarzen Schlund gezogen werden!" Der Mann schüttelt den Kopf und verschwindet zügig in der Staubwolke. Jetzt erst realisiere ich, wo ich bin - ich bin letzte Nacht mitten auf der Straße eingeschlafen. Wie dumm, und das, wo ich mich über die Dummheit der anderen Menschen lustig machen wollte. Und jetzt erst realisiere ich, was mich an dem Mann so irritiert hatte. Rote Augen. Und nicht nur einfach gerötet vom Staub, der die Bindehaut reizt - rote Pupillen! Was geht hier vor sich?
Ich muss hier weg. Es ist staubig, es ist heiß, der Boden fühlt sich an, als würde er glühen - und erst jetzt wird mir der ungeheure Lärm bewusst, der hinter mir aus der Staubwolke zu kommen scheint. Wie konnte ich bei dem Lärm nur schlafen? Wenn man an der Hamburger Chaussee wohnt, scheint man dagegen wohl abgehärtet zu sein.
Ruckartig stehe ich auf und merke zwei Sekunden später, dass das ein Fehler war; das Blut sackt in meine Beine und ich verliere schwindelig das Gleichgewicht. Ich versuche mich auf der Absperrung abzustützen, die zum Glück im Boden verankert ist. Mein Oberkörper stürzt nach vorn und beugt sich hinüber, so weit nach unten, dass ich inmitten des Staubes den Erdboden erkennen kann - oder zumindest das, was einmal der Erdboden war. Das, was einst eine Straße war, ist jetzt aufgerissenes Brachland, hier kann kein Fahrzeug mehr fahren, es sind Risse im Boden, hier und dort ist die Straße aufgeplatzt, und wo sie noch in Ordnung ist, stehen mehr orangene Männer mit Presslufthammern und zerstören die letzten Reste. Warum tun sie das, was ist mit ihnen los? Und überall diese roten Augen...
Ich wusste ja, dass hier die Katastrophe losbrechen würde, ich wurde vorher gewarnt, aber ich dachte, dass es sich um ein natürliches Unglück handeln würde. Ich hatte keine Ahnung, dass diese halbnackten, schwitzenden Männer dafür sorgen würden, dass hier alles in Schutt und Asche zerfällt. In Filmen ändert sich die Augenfarbe der Figuren immer, wenn sie von jemandem besessen sind. Sind diese Männer besessen? Ich versuche, sie zu erkennen, während ich mich wieder aufrichte, aber in dem dichten Staub kann ich nur wenig sehen. Was ist hier los???
Und wo der Boden aufgeplatzt ist, ist es schwarz. Tiefschwarz, glänzend, und es ist heiß. Was ist das? Einer der orangenen Männer tritt auf die schwarze Fläche, um die Erde von einem anderen Winkel her aufzubrechen, doch in dem Moment, als sein Fuß das Schwarz berührt, züngeln Flammen hervor, die seine Schuhe zum Schmelzen bringen und sich langsam an seinem Blaumann empor fressen. Ich kann es nicht glauben - er scheint davon nichts mitzubekommen, er sagt nichts, scheint keinen Schmerz zu spüren, sondern arbeitet weiter, während er lichterloh in Flammen aufgeht und langsam in der schwarzen Masse versinkt.
Scheiße, ich muss hier weg, was passiert hier?? Was ist das, was sich dort so schwarz ausbreitet? Ich muss hier weg, wenn das so weitergeht, wird das Schwarz bald mein Haus an der Ecke der Kreuzung erreichen - wo ist mein Haus? Ich kann kaum etwas erkennen, dieser Staub treibt mir die Tränen in die Augen, trotz Taschentuchs muss ich husten. Ich versuche, mein Gesicht mit dem freien Arm zu schützen.
Okay, ich muss einen klaren Kopf bewahren, was soll ich tun... das Auto. Ich muss mein Auto finden, in das Auto springen und weg von hier, einfach nur weg. Über die Hamburger Chaussee wird es nicht mehr gehen, aber am anderen Ende ist ja noch die Rendsburger Landstraße, meine Lebensader in die Freiheit, wenn ich nur endlich meine verdammte Karre finden kann! Und dieser ohrenbetäubende Lärm, das Rattern der Presslufthammer knallt, als ob das Werkzeug sich direkt in meinen Kopf hineinklopfen wollte - Ruhe bewahren... calm down... ausatmen, Augen schließen.
Wo bin ich? Ich blicke nach oben, versuche irgendwo ein Straßenschild zu entdecken, aber der Staub ist gnadenlos. Ich stolpere ein paar Schritte nach vorn, dort, dort ist ein Pfahl, vielleicht einer mit einem Straßenschild oben. Ich lege den Kopf in den Nacken, es ist schwer zu erkennen... ich bin am Karpfenteich, zum Glück, hier irgendwo hatte ich mein Auto geparkt - hier hatten auch viele andere Menschen ihre Autos geparkt und ich versuche, nach meinem Nummernschild Ausschau zu halten, oder stand die Karre auf der anderen Straßenseite?
Nein, ich habe den alten Opel erreicht, endlich, jetzt nur noch weg von hier! Ich schließe auf, springe in den Fahrersitz, Tür zu, rasch den Gurt angelegt, der Motor springt zum Glück sofort an. Ich schaue in den Seitenspiegel... oh fuck. Ich bin zugeparkt - und nicht nur vorne und hinten, auch direkt neben mir stehen Autos. Erst jetzt realisiere ich, dass die ganze Straße von Autos blockiert ist. Ich steige aus und versuche zu erkennen, wie weit der Stau reicht. Rendsburger Landstraße, mein Fluchtweg - vollkommen verstellt. Autos, soweit das Auge reicht - auch wenn es in diesem Staub nicht mehr sehr weit reicht; das laute und reichhaltige Hupen bedeutet mir, dass hier unzählige Autos festsitzen dürften. Scheiße, und das wusste ich doch vorher! Die Straße ist als Umleitung ausgewiesen für die Milliarden Menschen, die an jedem normalen Tag über die Hamburger Chaussee nach Kiel fahren, oder wieder raus.
Meine Hoffnung löst sich in Luft auf, ich kann sie quasi vor mir sehen, sie verweht mit dem Staub in alle Richtungen. Das war es, Endstation. Flucht unmöglich. Und die Lage scheint immer schlimmer zu werden, denn das Dröhnen und Rumpeln des Höllenabgrundes übertönt nun schon fast das gewaltige Hupen - ich halte es kaum aus, ich brauche Ruhe, ich muss einen Plan finden! Nur eine Möglichkeit: Ab nach Hause. Hinein in meine eigene Wohnung, meine Weltraumbasis, von der aus ich den Überblick habe, und dort kann ich hoffentlich einen Ausweg finden. Immerhin weiß ich jetzt, wo ich mich befinde, und komme schnell zu meiner Haustür, auch wenn es bedeutet, dass ich dem Lärm immer weiter entgegengehen muss.
Das ist ja seltsam... vor meiner Haustür ist der Abgrund noch gar nicht aufgebrochen, keine schwarze Masse, die alles verbrennt und aufsaugt. Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren? Doch in diesem Moment dröhnt es aus dem Staub, wie ein Nebelhorn, und aus dem ockerfarbenen Staubschleier taucht ein Schlachtschiff auf. Ich gehe drei Schritte zurück, um bis nach oben zu schauen, und kann meinen Augen nicht trauen. Vorn am Bug steht der Name des Schiffes - Lola - und es bricht sich seinen Weg durch die bisher noch unversehrte Erde. An Bord stehen sie, zahllose Männer in Warnwesten, mit diesem irren Blick ins Nichts, diesen roten Augen... wieder ertönt das Nebelhorn, und Lola frisst sich weiter durch den Asphalt. Endlich ist sie vorbei, und lässt hinter sich eine Spur der schwarzen Masse, die tödlich-gierig auf ihr nächstes Opfer wartet. Es geht zu Ende, jetzt hat es also auch mein Haus erreicht.
Ich renne durch das Treppenhaus nach oben, und sie alle kommen mir entgegen, Frau Kuntzmann, Herr Pfennig - "Wir müssen von hier verschwinden, bevor alles zu spät ist", hustet sie mir entgegen, aber ich versuche, cool zu bleiben. Endlich bin ich in meiner Wohnung unter dem Dach angekommen, und gerade als ich mich ruhig setzen will, erreicht mich eine Nachricht: "Pomsa, ich komme zu Dir rübergepotert, der Staub geht nur ein paar Meter hoch, in deiner Wohnung sind wir sicher!"
What?! Sie hat Recht. Die große Buba hat Recht: Ich schaue aus den Fenstern und sehe - nichts. Blauen Himmel. Und einige Meter unter mir beginnt irgendwo die Staubdecke. Von hier oben kann ich viel besser erkennen, was unten abgeht, und ich sehe diesen schwarzen, dampfenden Abgrund, der sich immer weiter auftut. Und da hinten ist sie! Ich winke der dicken Frau zu, die da durch den Staub rollt - ich Idiot, sie kann mich von unten doch eh' nicht sehen. Hoffentlich beeilt sie sich... ach du scheiße... der schwarze Abgrund! Sie muss da irgendwie rüber, um an meine Haustür zu kommen... hat sie überhaupt eine Ahnung, was mit denen passiert, die ihre Füße auf die schwarze Masse setzen? Ohgott, und sie kommt immer näher, geht fröhlich-spülend - oder ist es angestrengt-teigend? - auf den Abgrund zu. Ich schreie aus dem Fenster, versuche, sie zu warnen, aber der ohrenbetäubende Lärm verhindert jegliche Kommunikation.
Ohmeingott, jetzt ist sie am Abgrund angekommen, ohmeingott, und sie geht einfach weiter, nein, nein, ich kann das nicht mit ansehen, ich drehe mich vom Fenster weg, setze mich auf den Fußboden, schließe meine Augen und halte mir die Ohren zu... das passiert alles gerade nicht wirklich, das kann alles nicht wahr sein! Ich verharre in dieser Position eine Weile. Warum kann es nicht einfach nur ein Traum sein, und wenn ich meine Augen öffne, bin ich wach, in meinem Bett, und alles ist ganz normal?
Ich öffne meine Augen, nehme die Hände von den Ohren, aber ich bin nicht auf meinem Bett. Es ist alles real. Es ist alles genau wie in den letzten Minuten, wobei... etwas ist anders. Unheimlich anders - ich höre nichts. Gar nichts. Das Fenster steht sperrangelweit offen, aber draußen ist es still. Diese Stille ist verstörend. Es sollte knallen, poltern, krachen, drohen, aber ich höre... nichts? Warum ist es so still?
WARUM IST ES SO STILL???
Fortsetzung folgt...
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