Samstag, 9. Februar 2019

Korrektursport

So, liebe Kinderchen, jetzt schauen wir mal, wie scheiße Klaus' Text geworden ist...

Es geht um eine Unterrichtsmethode, also seid Ihr herzlich eingeladen, passende Kommentare zu hinterlassen.

Ich habe die Beobachtung gemacht, dass der Anspruch im Fach Englisch nach dem ESA und MSA doch deutlich anzieht. Bis dahin reicht es vollkommen aus, wenn die Schüler Lückentexte ausfüllen können, Verben konjugieren und Ankreuzfragen zu Texten hinter sich bringen. Die größte Herausforderung stellt bereits da die Textproduktion dar, in der sie oft eine kurze Email schreiben sollen, in der sie einem Freund vom letzten Urlaub berichten, oder etwas ähnlich "Anspruchsvolles".

Aus irgendeinem Grund hassen es die Schüler, englische Texte zu schreiben. Da muss man ja englische Wortstellung lernen, und da muss man ja Grammatik anwenden und niemand sagt einem, welche Formen man einsetzen muss, und wo überhaupt. Nicht wenige verfallen dann in eine Art Schockstarre und schreiben, quasi als stream of German consciousness ihre Gedanken direkt aus dem Kopf auf das Papier, in deutscher Wortstellung, ohne Punkt und Komma, jedes Wort einzeln direkt in's Englische übersetzt. Und im MSA reicht das erstaunlich oft bereits wunderbar aus.

In St.Peter-Ording hatte ich Schüler, die echte Panik vor der englischen Textproduktion hatten, fast noch mehr als vor dem Englischreden - und wer schon einmal Haupt- und Realschüler unterrichtet hat, weiß, was für eine Herausforderung das darstellen kann. Mit Fünferkandidaten eine mündliche Englisch-ESA-Prüfung zu überstehen kann zur Tortur für alle Beteiligten werden.

Ich habe mich gefragt, wie ich ihnen die Angst vor dem Schreiben nehmen kann. Und selbst wenn sie etwas geschrieben hatten, hat sich niemand getraut, das vorzulesen oder abzugeben. Lernwert gleich null. Also habe ich es mit einer anderen Methode versucht, die ich seitdem immer wieder in Klassen anwende, um das Eis zu brechen - um die erste Angst vor englischer Textproduktion zu nehmen, auch wenn die ersten Hemmnisse sehr hoch sind.

Die Schüler bekommen eine Schreibaufgabe, möglichst einfach, muss auch nicht lang sein. Ich sage ihnen direkt an, dass sie auf dem Zettel links und rechts einen Rand lassen sollen (die meisten Zettel haben das heute praktischerweise). Ich sage ihnen die Zeitvorgabe und sage ihnen direkt, dass ich am Ende gern einen der Texte einsammeln würde. Ich erkläre ihnen, dass ich ihn für alle kopieren möchte, und dann spielen wir alle mit diesem Text Lehrer und suchen Fehler heraus - damit wir alle daraus etwas lernen können. Was ich ihnen nicht sage: Bei dem ersten Durchlauf schreibe ich sebst ebenfalls einen Text, und schreibe ihn möglichst fehlerhaft, mit klassischen Schülerfehlern im sprachlichen Bereich.

Am Anfang traut sich meistens niemand, seinen Text abzugeben - also sage ich, dass ich dann einfach meinen Text nehme, denn ich habe auch einen geschrieben und die Schüler dürfen mich dann gern in der Luft zerfetzen und alles rot anstreichen, was falsch ist. Ich lasse die Schüler kurz allein, sprinte in den Kopierraum, füge dem Text Zeilenangaben hinzu, fertige eine Kopie für jeden an und dann geht es los: Ein paar Minuten Korrekturzeit verstreichen, und dann schauen wir mal, was Dr Hilarius alles falsch gemacht hat. Das ist meistens ganz witzig, und Lachen hilft, die Angst vor so etwas zu nehmen.

Diese Methode ist äußerst fragwürdig: Hierbei entsteht bei Schülern die Angst, vor der Klasse vorgeführt zu werden, weil ihr Text besonders fehlerhaft sein könnte, und deswegen möchte vielleicht niemand abgeben. Deswegen muss ich es irgendwie schaffen, eine Basis von Vertrauen und Spaß in der Klasse zu erzeugen. Damit wir alle etwas aus den gemachten Fehlern lernen können. Dazu gehört auch, dass ich den Schülern klarmache: Wer seinen Text zur Klassenkorrektur abgibt, bekommt auf jeden Fall ein Plus, auch wenn der Text noch so fehlerhaft ist. Und ein Lernplus haben wir am Ende alle.

In manchen Klassen hat es nicht geklappt, das durchzuziehen, zugegeben. Aber dennoch glaube ich an die Sinnhaftigkeit dieser Methode und mache das auch weiter so, manchmal mit kleinen Belohnungen zusätzlich. Ich möchte die Angst vor Korekuren nehmen, ich möchte, dass die Schüler sehen, wie ich als Lehrer solche Texte korrigiere. Was wichtig ist. Was man machen darf. Und dass ein paar Fehler vollkommen in Ordnung sind.

Und warum nenne ich diesen Beitrag Korrektursport? Weil ich, seitdem ich diese Methode durchführe, oft im Unterricht aus dem Klassenraum gehe und einmal durch mehrere Gebäudeflügel laufen muss, bevor ich am Kopierraum ankomme, und wieder zurücklaufen muss. Manchmal bringt mich das richtig aus der Puste, aber irgendwie macht das Spaß und ich werde das wohl auch weiterhin ausprobieren.

post scriptum: Wer wirklich intelligente Filme sehen möchte, der sollte warten, was Shane Carruth als Nächstes raushaut. Ein genialer Kopf; sein erster Film war "Primer" (2004), ist in der Mindfuck-Liste, und heute habe ich seinen zweiten Film gesehen - "Upstream Color" (2013). Hochanspruchsvoll, das Gehirn rattert die ganze Zeit mit, aber es ist ein echter Filmgenuss.

2 Kommentare:

  1. Diese Methode ist auch wegen einem anderen Grund fragwürdig. Sie müssen nämlich bedenken, dass es auch die Art von Schüler gibt, die eine unsaubere Schriftart haben. Sie würden zwar gerne abgeben, wissen jedoch, dass die Mitschüler Probleme hätten ihren Text überhaupt zu lesen. Und ich denke, dass diese Angst für diese Art Schüler größer ist als die Angst davor, bei der Textbewertung "in der Luft zerfetzt" zu werden. Ich denke, würden Sie diesem Typ von Schüler die Angst nehmen, hätten Sie gleichzeitig eine Art Vorbild für die anderen Schüler geschaffen.
    Aber ich bin kein Lehrer und es liegt an Ihnen, was sie mit dieser Meinung machen ;)
    -Einer Ihrer Schüler

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    1. Vielen Dank für diesen Blickwinkel! Ich muss zugeben, daran hatte ich bisher noch gar nicht gedacht - es ist als Lehrer immer so leicht zu sagen "Denkt dran, sauber zu schreiben; was ich nicht lesen kann, kann ich nicht werten". In den Computerräumen ließe sich das ja recht einfach lösen, indem ich den abgegebenen Text direkt abtippe; in den anderen Räumen müssten wir den Text dann in der Folgestunde besprechen. Mal schauen, ich überlege mir da noch etwas!

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