Mittwoch, 13. Februar 2019
"Gewissheit - und was bringt dir das?"
Ich könnte mir vorstellen, dass es vielen Hochbegabten so geht: Irgendwann möchte man einen Intelligenztest machen, damit man es schwarz auf weiß hat. Wenn ich Kollegen davon erzähle, oder überhaupt irgendwelchen Mitmenschen, dann bekomme ich eine Reaktion besonders häufig: "Und was bringt dir das dann, wenn du weißt, ob du hochbegabt bist? Da ändert sich doch nichts für dich, deine Intelligenz wird dadurch nicht höher oder niedriger. Wird nach diesem Test irgendwas bei dir anders?"
Erste Reaktion, impulsiv und blöd - ich fasse das als Angriff auf. Ich habe ja sowieso den Eindruck, dass viele Menschen nicht gern über das Thema Hochbegabung sprechen. Vielleicht, weil sie sich dann herabgesetzt fühlen? Jedenfalls hat man sich bisher in jedem Kollegium über mich das Maul zerrissen. Aber dass ich arrogant und überheblich wirke, das hat mir ja schon meine erste Schulleitung expressis verbis mitgeteilt. "Was bringt dir das?" klingt wie "Völlig unnötig, willst du dich selbst beweihräuchern?" Wie gesagt, impulsiv und blöd.
Zweite Reaktion - ich nehme die Frage ernst, denn da ist ja Einiges dran: Wenn ich tatsächlich hochbegabt bin, dann wird sich an diesem Zustand nichts ändern durch eine dreistellige Zahl in einem Gutachten. Warum also möchte ich die Gewissheit haben? Was möchte ich damit bewirken? Ist das wirklich völlig unnötig? Was ändert sich für mich und mein Leben, wenn ich wissenschaftlich positiv auf Hochbegabung getestet worden bin?
Es gibt mir Ruhe.
Es nimmt mir die vielen Jahre Selbstvorwürfe - "Du benimmst dich vollkommen komisch, schau mal die anderen Menschen an, du bist ein komisches Kind." - "Na toll, und schon wieder stichst du aus der Masse heraus." - "Bist du einfach zu blöd, dich anzupassen?"
Als hätte ich es in der Hand gehabt. Als hätte ich den Umstand bewirkt, dass ich aus der Masse heraussteche, dass ich irgendwie anders bin. Als hätte ich jahrelang die Möglichkeit gehabt, normal zu sein und war einfach nur zu blöd dazu. Ich weiß nicht, wie es anderen HBs da draußen geht, aber ich habe mir oft Vorwürfe gemacht - dass ich alles falsch mache. Ich habe mich selbst dadurch kleingeredet. Ich habe auf Krampf versucht, kein Streber zu sein, und auf Krampf habe ich versucht, mir selbst einzureden, dass ich ja vollkommen normal bin. Jahrelang. Jahrzehntelang.
Dieses Gutachten, dieses Testergebnis würde mir die Gewissheit geben, dass ich nichts falsch gemacht habe. Dass ich ein freak of nature bin, so wie etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung. Dass ich nichts dafür kann. Dass die Natur mich so konfiguriert hat. Dass es nicht meine Schuld ist. Und dass ich OK bin, so wie ich bin.
Ich weiß nicht, ob man das nachvollziehen kann. Dieses Gefühl der Erleichterung, wenn all' diese Selbstzweifel abfallen. Ich hatte das damals, vor fünf Jahren, in einem Pädagogikmodul bei Biethahn (Besondere Lernausgangslagen), dass es mir wie Schuppen von den Augen gefallen ist. Ich fühle mich seitdem freier, richtiger in dieser Welt. Dieses Gefühl kann ich nicht mit Geld aufwiegen.
Das ändert sich, wenn ich die Gewissheit habe.
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