Samstag, 10. Juni 2017

Er und ich und die Musik

Dieses Foto versinnbildlicht unsere Gedankenreisen ganz gut

Ich höre gern Musik - so weit ich zurückdenken kann. Die Musikstile haben immer wieder gewechselt, je nachdem, was damals gerade für mich neu war. Rave, Deutschpop, Metal in all' seinen Ausprägungen, Psytrance, Psybient, Downtempo. Es ist immer wieder schön, eine neue Musikrichtung kennenzulernen - auf Expeditionen in neue Klangschaften zu gehen.

Früher gingen diese neuen Entdeckungen immer einher mit der Überzeugung, dass jetzt, wo ich eine neue Musikrichtung entdeckt hatte, natürlich auch all' meine Freunde diese Musik unbedingt würden kennenlernen wollen und letztlich toll finden. Ich bin sehr gut darin, von mir auf Andere zu schließen, und oft ist es mir noch nichtmal bewusst (so denke ich auch immer noch, dass jeder Mensch The Crying of Lot 49 grandios finden dürfte).

Immerhin, ein wenig haben diese Schlussfolgerungen nachgelassen. Ich versuche nicht mehr so intensiv, anderen Menschen meine musikalischen Entdeckungen aufzuzwingen. Und wenn, dann gehe ich da ein wenig subtiler heran; wenn ich Besuch habe und im Hintergrund Musik läuft, dann ist diese in den seltensten Fällen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt - und ich spreche auch nicht weiter drüber. Es kommt dann häufiger mal zu der Frage, was wir da eigentlich gerade hören, fertig, "Ziel" erreicht. Und wenn nicht, dann macht das nichts - ich kann ja niemanden zu seinem Glück zwingen.

Das habe ich mir auch gedacht, als Er und ich damals mit unseren Gedankenreisen und Meditationen angefangen hatten (hier mehr zum Thema "Er/ich/Musik"). Ich hatte ein paar Jahre Erfahrungsvorsprung zu ihm und eine ungefähre Ahnung davon, welche Musik sich für solche Anlässe eignet und welche nicht. Da ich ihn aber nicht bevormunden wollte (yeah, whatever...), habe ich ihm da komplett freie Hand gelassen. Die ersten Male hat Er auch ordentlich herumprobiert, mit allen "Erfahrungen", die man mit ungünstiger Musik so machen kann.

Irgendwann hatte Er dann einst vergessen, seinen MP3-Player mitzubringen. Seine Kopfhörer lagen noch hier herum, und mein MP3-Player hat zwei Eingänge für Kopfhörer. Also hat Er sich dann einmal in meine fürsorglichen Hände begeben. Ich hatte mir Mühe gegeben, eine Playlist zusammenzustellen, die ihm gefallen könnte. Ich wusste, welche Musik Er gern hörte, also habe ich davon ausgehend ein paar musikalische Expeditionen zusammengebaut.

Das war ein komisches Gefühl, zu wissen, dass Er neben mir gerade die gleiche Musik hörte wie ich - quasi, als hätten wir die gleiche, gemeinsame Gedankenreise (Alliteration!). Als würden wir zusammen unterwegs sein, mein Kopf hat natürlich gleich diverse Szenarien erdichtet und ich komme nicht umhin festzustellen, dass ich das sehr schön fand. Denn ich hatte ihn wirklich sehr, sehr gern, und das gemeinsame Erleben... es wirkte so real. Gleichzeitig hatten wir ruhigere Passagen, in denen wir uns in der Fantasiewelt umschauen konnten, gleichzeitig wurde es dann wieder schnell und knallig, als seien wir auf einer Achterbahnfahrt der Gedanken.

Nachdem wir dann wieder "zurück" waren, stellte sich heraus, dass ihm diese Gedankenreise auch sehr gefallen hatte - aus den gleichen Gründen wie bei mir. Ich weiß noch, wie wir uns grinsend von einzelnen Szenen berichtet haben, die tatsächlich ähnlich ausgefallen sind. Und der schönste Moment war für mich, als Er dann meinte, dass wir das gern wieder so machen konnten - so zusammen. Er meinte, Er vertraut mir da vollkommen, und mein Herz hat einen kleinen Sprung getan.

Von da an gab ich mir viel mehr Mühe als sonst, aufregende, abwechslungsreiche Klangwelten zu gestalten, immer wieder mit Musik, die Er bereits aus seiner Jugend kannte. Für ein bisschen Nostalgie, für noch mehr Wohlfühlen, ich wollte, dass Er gern bei mir war und dass Er gern zusammen mit mir auf die Reise ging.

An eine Playlist und die damit zusammenhängende Reise kann ich mich noch sehr gut erinnern. Er auch - leider nicht nur aus positiven Gründen.

Ich wollte das Ganze diesmal noch immersiver machen. Ich wollte, dass Er sich einmal richtig fallen lassen kann. Ich wollte dem Bild in seinem Kopf gerecht werden, von meiner Wohnung als unserer "Weltraumbasis", oder als "Bubble", in der wir alles Andere einfach mal draußen lassen können. Und ich wollte ihm zeigen, dass da auf meiner Seite Menschen sind, die sich für uns freuen - weil Er auf seiner Seite leider auf sehr viel negatives Echo uns gegenüber gestoßen ist. Ich wollte, dass Er sich nicht für das rechtfertigen oder gar schämen muss. Es reichte schon, dass Er irgendwann niemandem mehr davon erzählen konnte. Also schmiedete ich einen Plan, um ihm ein wenig Selbstvertrauen zurückzugeben...

Ich wollte eine richtige Inszenierung starten. Wir hatten uns bereits einen Tag ausgesucht, an dem Er mich besuchen kommt - diesmal schickte ich ihm eine "offizielle" Einladung. Ganz im Stil der Weltraumbasis aufgemacht, um die Vorfreude zu steigern, und kündigte ihm ein ganz spezielles Erlebnis an. 
____________________________________________
 

Ihre Buchung vom 15.12.2014


Sehr geehrter Herr xxx,

wir bedanken uns für Ihr Vertrauen und freuen uns, Sie als Gast von Fantasy Airlines begrüßen zu dürfen. Wir übersenden Ihnen hiermit Ihr Flugticket in die Region des Unfassbaren. Die Details Ihres Fluges entnehmen Sie bitte den untenstehenden Daten. Bitte bedenken Sie, dass das Mitführen von Handys an Bord der Maschine nicht gestattet ist. Für die Dauer des Fluges wird jeglicher Kontakt zur Realität unterbrochen sein; setzen Sie bitte Ihre Mitmenschen in Kenntnis, dass Sie in diesem Zeitraum nicht erreichbar sind.


Mit freundlichen Grüßen
Fantasy Airlines - Ihr Partner für das Übersinnliche
_____________________________________________________


Diesmal sollte es eine ganz besondere Playlist werden für unseren Flug - und natürlich gehörten zu einem Flug auch Flugdurchsagen. Ich wollte, dass zwischendurch, über die Musik gelegt, Menschen, die uns kannten, schöne Grüße durchgeben, uns viel Spaß wünschen, ihm das Gefühl geben, dass es etwas Schönes ist, was wir machen. Dafür brauchte ich ein paar Verbündete; man merkt, ich hatte das lange vorher geplant.

Also sprach/schrieb ich ein paar Menschen, ich erzählte ihnen von der Idee und fragte, ob sie bereit wären, eine Flugdurchsage aufzunehmen und mir als Datei zu schicken. Ich fragte meine Eltern, die große Buba, die Sannitanic und YazzTazz und ich hatte von fast allen im Handumdrehen die MP3-Dateien. Aber das reichte nicht, das sind alles Menschen, mit denen ich mich identifizieren kann. Wenn ich aber eine Playlist speziell für ihn basteln möchte, sollte ich auch Menschen aus seinem Bekanntenkreis mit einbeziehen. Ich war mir unsicher - ich kannte diese Menschen ja kaum - aber schrieb dann seinen Mitbewohner an. Ich erklärte ihm, worum es ging. Das war mir sehr wichtig, denn damals waren Er und sein Roomie beste Freunde, dachte Er. 

Damals hatten wir noch anders gedacht; so dachte ich, dass ich ein Freund in seinem Freundeskreis sei, so wie die Anderen auch. Deswegen hatte ich mir dabei nichts Böses gedacht und war überzeugt, dass Er sich freuen würde, wenn auch eine Durchsage von seinem Mitbewohner käme. Der allerdings hat zuerstmal gar nicht geantwortet. Naja, 'nen Versuch war es wert, dachte ich mir. Und ich konnte nicht zu auffällig nachfragen, denn Er ahnte von alledem ja nichts, es sollte eine Überraschung sein.

Ich organisierte mir ein Musikbearbeitungsprogramm und schneiderte Musik und Durchsagen zusammen, innerlich aufgeregt, wow, wie würde Er wohl reagieren, wenn wir an die spannenden Passagen kommen? 

Und dann war es so weit, Er stand vor meiner Tür, nicht ahnend, dass ihm bekannte Stimmen um den Kopf schwirren sollten, und ich begrüßte ihn, breit grinsend, vorfreudig auf seine Reaktionen. Wir gingen in die Meditation/Gedankenreise wie üblich, erstmal den Körper runterfahren, langsame Atmung und alles, was dazugehört. Und etwa zwanzig Minuten in der Playlist kam dann die erste Flugdurchsage. Wir lagen nebeneinander auf dem Bett, Augen geschlossen, Kopfhörer aufgesetzt, vollkommen unbeweglich. Konzentration ist wichtig für die Gedankenreisen. Doch nachdem die erste Durchsage verklungen war und wir wieder im nächsten Musikstück angekommen waren, berührten sich unsere Arme, als eine Art Zeichen: Er hat sich wirklich darüber gefreut und wollte es mir auf diese Weise kundtun. Und unsere Gedankenreise ging weiter...

Ich gehe hier nicht weiter ins Detail, das hat hier nichts zu suchen, es war jedenfalls eine tolle Nacht, weil alles sich nach meiner Regie entwickelt hat. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das ein ganz besonderer Abend war. An jenem Abend habe ich herausgefunden, dass Er seinen Freunden zwar von mir erzählt hat, dass sie aber ziemlich misstrauisch waren und nicht wussten, was sie von mir halten sollten. Deswegen hatte sein Mitbewohner mir auch nicht geantwortet. Sie alle fanden Dr Hilarius ziemlich komisch. Damit konnte Er nicht gut umgehen, und in jener Nacht nahm Er sich vor, mit seinen Freunden nicht mehr über mich zu reden.

Das macht er auch heute noch so. Ich bin ein kritisches Thema und Er hat leider nicht das Rückgrat, sich dazu zu bekennen. Aber vielleicht wird Er erwachsener und eines Tages werden wir beide wieder zu einer ganz besonderen Playlist auf die Gedankenreise gehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen