Immer auf der Suche nach der eigenen Identität, nach der richtigen Haarfarbe und dem richtigen Beruf - die richtige Haarfarbe habe ich mittlerweile gefunden ;-) (NICHT blond!) |
Ich habe über die Jahre hinweg eigentlich nie hinterfragt, dass ich Lehrer werden will. Korrigiere: Dass ich Lehrer werde. Mit Wollen hatte das nie etwas zu tun. Das stand irgendwie fest, wohl, weil ich aus einer Lehrerfamilie komme (Großvater, Mutter, Onkel, Tante, Tante, Brüder, Cousin). Es stand immer fest, dass ich nach dem Abitur erstmal den Zivildienst mache und dann zum Studieren nach Kiel gehe. Ich habe diese Setzung nie hinterfragt. Ich habe nie ernsthaft daran gedacht, dass es auch noch andere Berufe gibt. Dabei dachte ich immer, okay, Englisch und Latein, das kann ich, aber kann ich später wirklich mit Kindern arbeiten?
Im Studium hat das tatsächlich wie eine ganz entfernte Gewitterwolke immer im Karrierehorizont geschwebt. Studium - und was dann? Was mache ich, wenn ich mit Kindern nicht umgehen kann? Und vielleicht auch gar nicht will? Möchte ich eigentlich lieber eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen? Mit dem ersten Staatsexamen war die Gewitterwolke schließlich angekommen - nun hatte ich meine Fachabschlüsse in der Tasche. Mit Kindern arbeiten? Ich bin dafür vollkommen disqualifiziert. Bestimmt bewirke ich, dass sie irgendein schlechtes Verhalten von mir lernen.
You never know unless you try, dachte ich mir und habe ganz blauäugig mein nulltes Semester vor dem Referendariat in Husum unterrichtet. Ich weiß noch genau, wie ich zu meiner Schulleiterin im Vorstellungsgespräch sagte: "Ich sage ihnen ganz ehrlich, ich weiß gar nicht, ob ich mit Kindern arbeiten kann, ich würde das einfach gern mal ausprobieren - und nach einem halben Jahr könnte ich dann auch wieder aufhören, oder?" Drei Monate später wusste ich, dass es der richtige Beruf ist.
Es gibt immer wieder Situationen, die es mir bestätigen, und da es auch heute eine solche Situation gab, schreibe ich jetzt darüber. Heute hat sich ein "Anfangsverdacht" erhärtet. Ein Schüler, verhaltensauffällig, Klassenlehrerin fragt mich, ob ich irgendwie an ihn rankommen kann, weil er blockt. Ich beobachte ihn im ersten Halbjahr, meine Antennen scheinen irgendeine Information zu empfangen. Und dann der Verdacht: Vielleicht ist dieser Schüler hochbegabt! Seine schulischen Leistungen geben das nicht her, er provoziert die Lehrer, er nervt "und dabei könnte er eigentlich mehr, ich verstehe den Jungen nicht!".
Und dann beginnt in meinem Kopf dieses Gefühl. Dieses "Könnte das echt sein? Denk' mal gründlich drüber nach!" Und in meinen Meditationen habe ich mir diverse Szenen aus dem Unterrichtsalltag wieder vor Augen geführt, diesmal dann mit der Kameralinse "hochbegabt". Es fühlt sich so unglaublich gut an, wenn durch diese Linse hindurch viele Szenen plötzlich Sinn ergeben - dann werde ich richtig neugierig, bin voll bei der Sache. Ich gehe mit dem Schüler ins Gespräch unter vier Augen, unverbindlich, unkompliziert, und hake Symptome auf meiner inneren Checkliste ab. Aus der Kameralinse wird dann eine unsichtbare Brille, die ich im Unterricht aufsetze.
Und der Verdacht erhärtet sich immer weiter. Ich fühle mich wie ein Schatzsucher, der nach fleißigem Graben nicht nur eine Schatztruhe gefunden hat, sondern auch noch einen Hinweis auf eine verlorene Stadt - glücklich, voller Energie und Lust, weiterzuforschen. Ich fühle meinen HB-Spürsinn bestätigt, ich habe die Hoffnung, dass ich diesem Schüler, dieser Familie, dieser Klassenlehrerin etwas Gutes tun kann, indem ich mich einschalte und ein bisschen aufkläre. (Wäre nicht das erste Mal, es funktioniert tatsächlich) Und vielleicht öffne ich einem Jugendlichen tausend neue Möglichkeiten - und ein Bewusstsein für tausend Gefahren - und ich gebe zu, darauf bin ich ein bisschen stolz.
Und dann fragen mich manche Kollegen, ob ich mir vielleicht den falschen Beruf ausgesucht habe. So, wie ich mich das früher gefragt habe.
Die Antwort habe ich gefunden.
post scriptum: Manchmal habe ich mit meinem HB-Verdacht extrem viel Gegenwind im Kollegium, das ist leider immer so, unabhängig von der Schule. Nützt nichts, es hilft nur, den Glauben in die eigenen Fähigkeiten nicht zu verlieren. Egal, wie die Haarfarbe gerade ist.
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