Freitag, 17. März 2017

VERA, my love


Schade, mir hat der gestrige Beitrag so viel Spaß gemacht, weil ich mich so herrlich über Donald Trump aufregen kann, aber er hat verhältnismäßig wenig Klicks bekommen. Für mich als Hochbegabten ist es spannend, im Kopf die ganzen einflussgebenden Faktoren tanzen zu lassen und sie gegeneinander abzuwägen - woran mag die niedrige Klickzahl gelegen haben?

Whatever, heute habe ich in einer Klasse eine Vergleichsarbeit (VERA) im Fach Englisch schreiben lassen. Wer schon im Beruf ist, kennt das Prinzip: Alle Schüler einer Jahrgangsstufe (in der Regel 3, 6 und 8) schreiben die gleiche Arbeit, quer durch Schleswig-Holstein, und zwar in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathe.

Vielen Lehrern ist VERA ein Dorn im Auge, denn diese Vergleichsarbeiten bedeuten Aufwand. Damit meine ich nicht, dass man aus seiner regulären Stoffprogression aussteigt und Zeit aufwenden muss, um für VERA zu üben - denn das ist nicht zielführend, ich werde das unten noch genauer erläutern. Es ist aufwendig, eine Doppelstunde zu blocken, denn diese Arbeiten haben eine Bearbeitungszeit von sechzig bis achtzig Minuten. Es ist aufwendig, die Arbeiten zu korrigieren - dabei sollen sie nicht korrigiert werden, sondern es werden ausschließlich Punkte gezählt. Das kann eine Weile dauern, wenn man da sechsundzwanzig Testhefte mit jeweils sechsundzwanzig Seiten Umfang zu liegen hat. Es ist aufwendig, die Ergebnisse in das Online-System einzutragen - jede einzelne Aufgabe jedes einzelnen Schülers, das dauert. Und die Arbeit darf noch nichtmal als Ersatzleistung für einen regulären Leistungsnachweis verwendet werden.

Ich verüble es niemandem, wenn er deswegen VERA nicht mag. Und versucht, sich darum zu drücken: Nicht alle VERAs sind verbindlich, Vieles ist freiwillig. So war VERA 6 Englisch freiwillig, und unter den sechs sechsten Klassen war ich die einzige Lehrkraft, die mitgemacht hat. Wie gesagt, ich nehme es niemandem krumm, dass er sich diesen Arbeitsaufwand nicht antun möchte. Aber es lohnt sich!

Am Ende der Auswertungsphase erhält jede teilnehmende Lehrkraft umfangreiche Ergebnisse in digitaler Form. Es werden eine Menge Fragen beantwortet:

Wie schneidet meine Klasse im Vergleich zu anderen Klassen ab?
Wie ist der "Notenspiegel" bei einer objektiv gestellten und korrigierten Testung?
Wie schneidet meine Klasse ab im Vergleich mit dem, was im ESA bzw. MSA erwartet wird?
Wo liegen Stärken und Schwächen bei den Sprachfertigkeiten?

Jede Frage wird im Klassenverband beantwortet und jeder Schüler kann eine Einzelrückmeldung erhalten. Die Frage ist, was man als Lehrer daraus macht. Und deswegen erzähle ich, was ich mit meiner Klasse in St.Peter-Ording gemacht habe.

Die Klasse hat den üblichen Dr Hilarius-Effekt gezeigt: Laissez faire-Haltung, weil der Lehrer ja so cool und gechillt ist. Konsequenterweise rauschten die Noten in den Keller, wo 6 is'. Und vielleicht kennt der eine oder andere Leser das ja auch: Man versucht, an die Vernunft der Schüler zu appellieren, sie müssen mehr tun, um ihre Abschlüsse zu schaffen - nichts hilft. Auch nicht die 5 im Zeugnis.

Dann war es Zeit für VERA, damals in Klasse 8. Ich habe die Ergebnisse mit der Klasse am Smartboard in aller Ruhe besprochen. Und die Kiddies haben in Farbe, grafisch schön dargestellt, gesehen, wo ihre Leistungen liegen. Und da sind einige Münder aufgeklappt. Ja, ihr Lieben, da links, die gestrichelte Linie, da liegt ihr. Das bedeutet, dass zwei Drittel von euch nach dem aktuellen Stand der Dinge nicht einmal den Hauptschulabschluss schaffen. Macht euch das einmal klar! Leute, es wird jetzt Zeit, zu handeln, noch könnt Ihr das Ruder herumreißen. Der Schulabschluss wird euch nicht einfach hinterhergeschmissen (das Abitur ausgenommen), und wenn ihr euch nicht am Riemen reißt, dann steht ihr nächsten Sommer ohne Abschluss da, scheiße, und dann könnt ihr euch nicht mehr die geilen Klamotten kaufen und Justin Bieber-Konzerte besuchen, weil ihr kein Geld dafür habt. Weil ihr nämlich keinen Ausbildungsplatz bekommt, weil ihr nicht einmal den Hauptschulabschluss gepackt habt. Leute, ich sag' euch das jetzt seit Monaten, kriegt den Arsch endlich hoch - und jetzt seht ihr das mal vor euch. Im Vergleich zu den ESA-Anforderungen müsst ihr noch eine Schippe drauflegen. Ich helf' euch dabei, aber ihr müsst, verdammte Scheiße, mitmachen, lasst euch nicht weiter hängen!

Das hat wirklich geholfen, das war ein Weckruf für die Klasse (die ich bis heute ins Herz geschlossen habe) und sie sind aus dem Leistungssumpf gekommen. Weil sie endlich mal den Vergleich gesehen haben. Nicht nur das, was Dr Hilarius ihnen immer wieder gesagt hat, pffff, der kann alles Mögliche sagen - diesmal gab es eine Normreferenz. Und gerade die Objektivität ist die auffälligste Eigenschaft von VERA, gerade daher sollte man sich genau an die Durchführungsanleitung halten und vor allem nicht für VERA mit den Schülern üben. Es geht um eine Lernstandserhebung, um den status quo, nicht um die Frage, wie gut die Schüler sich auf eine Arbeit vorbereiten können.

Aus diesem Grund mag ich Vergleichsarbeiten. In den USA finden seit langer Zeit die Standard Aptitude Tests (SAT) statt, und wenngleich ich vor einigen Jahren noch ein Feind von Vergleichsarbeiten war und VERA für reine Schikane des IQSH gehalten hatte, so habe ich auch hier meine Meinung geändert.

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