Disclaimer: Diese
Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und
Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja
sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der
Autor sicher nicht fähig.
Identität – die
Geschichte von Timo und Julian
part 8
„Die Sahne!“
rief ich.
„What?“ fragte
Ju.
„Wir erzählen
Cory einfach, dass die Sahne im Kofferraum aufgeplatzt und ausgelaufen ist und
wir die Sauerei erstmal beseitigen müssen.“
„Aber warum
sollte die Sahne aufgeplatzt sein?“
„Sowas fragt
doch keiner. Keine Ahnung, weil da Sachen draufstanden. Genau, wir haben die
Getränkeflaschen aus Versehen draufgestellt.“
Julian
grübelte. „Okay“, meinte er schließlich, „machen wir so, ich hoffe mal, dass
sie uns das abkauft.“
„Sieh es mal
so, es ist ja nur zu ihrem Besten, damit sie nicht traurig ist, wenn sie
erfährt, dass wir schon eine Runde Spaß ohne sie hatten. Schau mich mal an!“
Wir hatten
etwa die Hälfte des Heimwegs zurückgelegt. Wir blieben kurz stehen, Ju schaute
zu mir und ich untersuchte seine Pupillen.
„Okay, deine
Augen sind ein bisschen blutunterlaufen und glasig, und deine Pupillen sind
winzig klein, das ist normal bei Opioiden.“
„Macht nichts,
wir erzählen ihr, dass das von gestern kommt und noch Katerstimmung ist.“
„Stichwort
Katerstimmung: Wie geht’s dir denn mittlerweile, etwas besser?“
„Ja, und wie,
seitdem die Wirkung vom Tee da ist, geht’s mir echt super.“
„Sehr schön,
noch ein positiver Effekt. Weißt Du, das ist auch einer der Gründe, warum ich
keinen Alk mehr trinke – die Nachwirkungen sind mir zu unangenehm. Gibt viel
schönere Substanzen.“
Den Rest des
Wegs legten wir schweigend zurück. Genau genommen war das erstaunlich, weil wir
so viele Gesprächsimpulse gesetzt hatten; wir hätten weiter über die Teewirkung
reden können, wir hätten auch schon mal unseren Trip ein wenig planen können,
aber so hing jeder seinen Gedanken nach. Julian zog sein Smartphone aus der
Hosentasche und rief Cory an, um ihr Bescheid zu geben. Ich konnte mir das
Lachen dabei nicht verkneifen.
Schließlich
waren wir zurück beim Auto. Wir luden die Zutaten für den Abend in den
Kofferraum und stellten die Kiste mit den Teeutensilien daneben; wir deckten
sie ab, damit niemand den Inhalt sehen konnte.
„Hoffentlich
werden wir nicht von der Polizei angehalten“, meinte ich mit einem Zwinkern zu
Ju. Dieser zuckte unmerklich zusammen.
„Hmm, was
würden wir denn dann machen? Könnte das irgendwie gefährlich werden?“
„Also, für
dich schon mal gar nicht. Du bist ja nur Beifahrer. Und ich würde dann sagen,
dass ich ein Medikament gegen Husten genommen habe, die enthalten öfters
Opiate. Aber ich werd mal zur Sicherheit unauffällig fahren.“
Ju schien
dadurch nicht allzu beruhigt zu sein.
„Bleib ganz
locker, genieß die Wirkung, passiert schon nichts.“
Als wir auf
die Schnellstraße Richtung City abgebogen waren, schaute Julian wieder zu mir.
„Also ich
bereue nicht, dass ich das gemacht habe. Danke für die Einladung, sozusagen!“
„Nix zu
danken.“
„Doch – du
hast mich gut beraten und ich habe das Gefühl, dass du auf mich aufpasst.“
„Ja, aber das
ist doch selbstverständlich“, antwortete ich ihm.
„Naja, ich
hätte nicht gedacht, dass wir beide mal was zusammen unternehmen.“
„Wieso? Ist
der Gedanke so abwegig?“
„Ich erinnere
mich noch ans Theater; ich hatte immer zu dir aufgeschaut, irgendwie hattest du
immer den Masterplan und alle haben auf dich gehört.“
„War das so?
Ich bekomme so was nie mit…“ Und das entsprach tatsächlich der Wahrheit. Ich
bin ein Egozentriker mit Tunnelblick. Mich interessiert nicht mehr, was Andere
über mich denken. Das war auch mal anders, aber ich bin froh, dass diese Phase
vorbei ist. Es ist einfach zu kompliziert, sich den Vorstellungen Anderer
anzupassen, nur um es ihnen Recht zu machen. Ich habe das jahrelang versucht
und irgendwann gemerkt, dass ich nur selbst dabei draufzahle.
„Ja, du
wirktest so erwachsen. Ich hab zu dir aufgeschaut, hab mich aber nicht getraut,
dich anzusprechen.“
Jetzt
ernsthaft? Ich konnte das in dem Moment nicht so richtig glauben.
„Du kannst
mich ruhig jederzeit ansprechen. Ich koche auch nur mit Wasser, und in diesem
Fall war ich es, der sich nicht getraut hat, dich anzusprechen.“
„Warum denn
nicht?“
„Ich habe
ziemliche Probleme damit, neue Leute kennenzulernen. Von mir aus gehe ich
eigentlich nie auf Andere zu. Auch nicht, wenn sie mir sympathisch sind, ich
hab da eine Blockade, meistens.“
„Na dann fühle
ich mich geehrt, dass es bei mir anders ist!“
„Bei dir wirkt
alles so unkompliziert, ich glaub, das tut mir ganz gut.“
Noch etwa zehn
Minuten, bis wir bei Cory waren.
„Und du sagst,
dein Mitbewohner ist auch schwul?“
„Jep“,
antwortete Ju, „ich hab damit kein Problem.“
„Hast du schon
mal einen Mann geküsst?“ fragte ich dreist. Wieder mal die Drogen.
„Nein… wie
kommst du darauf?“
„Also Reg
meinte nach dem Treffen bei ihr, dass du mindestens bi sein dürftest. Aber sag
ihr bloß nicht, dass ich das gesagt hab.“
„Keine Sorge.
Mindestens bi… das ist ja interessant…“
Den Rest der
Fahrt blieben wir still, jeder hing seinen Gedanken nach. Oder genoss weiterhin
die Wirkung des Tees, oder beides.
Endlich bogen
wir in die Münstersche Straße ein, in der Corys Eltern wohnten. Zur Zeit hatte
sie sturmfrei. Ein wenig gestresst – weil ich mich so sehr auf den Verkehr
konzentrieren musste – blickte ich mich um, auf der Suche nach einem Parkplatz.
Da war nichts zu machen… doch, am rechten Fahrbahnrand entdeckte ich eine
Lücke, kaum größer als mein Wagen. Na toll. Ich hasse seitliches Einparken, und
dann auch noch in diesem Zustand!
„Ju, ich kann
nicht so gut einparken, ist die Lücke nicht viel zu klein?“
„Nein, das
müsste passen. Warte, ich steig aus und lotse dich rein.“
„Aber nicht
lachen, wenns nicht gleich klappt!“
„Ach was“,
sagte Ju, stieg aus und gab mir Anweisungen. Dabei musste er selbst aufpassen,
dass er nicht das Gleichgewicht verlor. Oh mann. Was würde Cory bloß sagen,
wenn sie uns dabei sähe? Und dennoch: Mit einigen Zügen zuviel, schafften wir
es mit Teamwork am Ende doch, den Wagen in die Lücke zu bugsieren. Julian holte
die Box mit den Zutaten aus dem Wagen, ja, ich gaffte dabei wieder auf seine
Arme. Wir gingen zu Corys Haustür, er stellte sich hinter mich – damit sie
nicht gleich in seine Augen blicken musste – und ich klingelte.
Und wenn ich
ehrlich bin, habe ich gar keine Lust, von dem Abend zu erzählen. War für mich
eine totale Pleite. Der Anfang war ja noch okay, wir bereiteten alles für das
Essen vor und plauderten über belanglose Dinge. Zwischendurch saßen wir um den
Wohnzimmertisch herum. Cory ging ab und an in die Küche, um nach dem Essen zu
sehen; währenddessen warfen Ju und ich uns vielsagende Blicke zu. Irgendwie war
es ganz witzig, dass wir beide nen kleinen Insider zwischen uns hatten.
Das Essen war
wunderbar – erst danach begann das Gespräch sich zu wenden. Cory und Ju
sprachen über seine Exfreundin, was alles schiefgegangen ist und wie toll es
doch vorher war. Und Cory berichtete von ihren eigenen Erlebnissen. Ich wurde
ziemlich still. Nicht ernsthaft, oder? Ich fühlte mich ertappt… ertappt, wie
ich eifersüchtig wurde. Aber worauf denn eifersüchtig? Dass ich bei ihrem
Gespräch nicht mitreden konnte? Ich schaute ins Nichts und sagte überhaupt
nichts mehr.
Eifersüchtig,
dass Cory nur mit Ju redete? Nein. Ich wusste, dass Cory meine beste Freundin
war, alles im grünen Bereich. War ich… war ich ernsthaft eifersüchtig auf
Julian? Wollte ich tatsächlich lieber mit ihm allein sein? Aber wir hatten doch
heute schon eine schöne Zeit zu zweit. Mensch Timo, was ist Dein verdammtes
Problem, dachte ich und blickte auf den Boden. Ich bekam zu diesem Zeitpunkt
überhaupt nichts mehr von ihrem Gespräch mit. Es war kurz vor Mitternacht und
ich wollte nur noch nach Hause. Und zwar am liebsten allein. Ich hatte Angst
vor der Rückfahrt mit Ju. Was, wenn er mich fragte, warum ich so abwesend war?
Die Zeit
wollte einfach nicht vorüber gehen. Ich gähnte ein paar Mal demonstrativ, in
der Hoffnung, dass wir aufbrechen konnten – aber mein wortloser Appell blieb
unbemerkt. Die Wirkung des Tees war bei mir vollkommen verflogen und übrig blieb
nur dieses dumpfe, etwas traurige Gefühl.
Endlich, gegen
zwei Uhr, entschieden wir uns, aufzubrechen. Ich nahm Cory in den Arm, bedankte
mich für den schönen Abend – so heuchlerisch war ich lange nicht mehr gewesen,
aber ich wollte niemandem den Abend verderben. Ich hatte nur wenig gegessen,
beim Aufstehen setzte mein Kreislauf für einen Moment aus, aber ich versuchte
mir nichts anmerken zu lassen, ich wollte nur noch nach Haus. Allein sein.
Julian und ich
schwiegen auf der gesamten Rückfahrt. In Frohnau angekommen stieg er aus, wir
umarmten uns flüchtig.
„Ja, dann komm
gut nach Hause, und ich würde sagen, wir schreiben uns“, meinte er.
Ich drehte
mich um. „Jo, machen wir“, antwortete ich, ohne ihn anzuschauen. Ich stieg ins
Auto, startete den Motor und verließ den Vorort. Ich versuchte, nicht zu
denken. Leider funktioniert das bei mir nicht.
Der Morgen
danach, Email an Reg:
„Hi Reg!
Drei Stunden geschlafen, länger ist schwer, wenn
man sich wie Trash fühlt.
Ich... setz kurz nen Tee auf. Mein Körper is
vollkommen im Eimer und ich muss meinen Magen mal beruhigen. Moment...
Wasser heizt grad an. Okay, also eine kleine
Beschreibung von gestern. Autofahrt hat super gepasst, Stadtring war exakt bis
zu meiner Abfahrt frei, war auf die Minute genau (oder so ungefähr) bei Ju.
Der, total verkatert - was jetzt nicht die Überraschung war, aber wir kennen ja
Katermedizin, eine Koffein, zwei ASS und eine halbe Emesan, er war etwas
überfallen, aber egal. Und er war sowieso ziemlich aufgeregt, was denn nu
passieren würde. Naja, wir kochen also den Tee - der Beutel hat echt ne
seeeeeeeehr gute Qualität. Whatever, also runter damit, und dann sind wir in
nen Park gegangen, war echt einfach schönes Wetter und wir waren total
ungestört. Moment, muss mal eben in die Küche...
Naja, wir haben dann nebeneinander gelegen, weil
sitzen einfach zu unentspannt war, und ihn hats richtig weggebeamt. Er ist sehr
entspannt und happy geworden und ich auch, und wir haben viel erzählt. Und er
hat viele echt sehr sehr nette Sachen gesagt. Hätte er vielleicht lieber nicht
machen sollen, aber was hätte das geändert. In dem Moment war einfach alles
schön, und ich mein das aus seiner Perspektive, für mich war das ja so gesehen
nichts Neues. Ein, zwei Sätze hab ich Dir ja getickert... und es war 18 Uhr,
irgendwann um viertel nach hab ich ihn dann gefragt, ob wir mal los sollen,
wegen Cory halt... er meinte, ach, lass uns doch noch nen Moment hier bleiben.
Und für die Checkliste, ja, ich hab ihn von oben bis unten angegrabscht, und
das war SEINE Idee. Und das war schön. Und wir haben ziemlich viel Klartext
geredet. Und uns beiden war klar, dass der Moment zerbrechen würde, wenn wir
jetzt aufstehen, dass er dann einfach zu Ende ist. Wie das nun mal so ist. Aber
es führte ja kein Weg drumherum. Du hattest Recht. Es hätte zu zweit sein
sollen. Und ganz ohne irgendjemanden sonst. Ohne das Gefühl, dass der Moment
aufhören muss, dieses Gefühl, was wir beide da hatten (auch seine Worte). Ich
hab mit Jan damals stundenlang zusammengelegen. Aber wir haben Cory um 45
Minuten versetzt, ne halbe Ewigkeit, das muss reichen. Ju so dermaßen abgedichtet,
der sah echt - lustig aus…
Und die Autofahrt war eigentlich auch noch schön.
Weil er immer noch sehr schöne Sachen gesagt hat. Und auch bei Cory wars nett.
22 Uhr gings los, oder etwas später. Timo wieder stocknüchtern und dann haben
erst wir geredet, dann sie. Ich hab fast gar nix mehr gesagt. Und es war
ausnahmsweise mal nicht die Eifersucht, glaub ich zumindst. Es war der Umstand, dass sie mit allem,
was sie da besprochen haben, mein Leben, so wie es ist, kurz und klein
geschlagen haben. Teils einfach unbewusst und in keinem Fall böse gemeint. Und
ich sollte nicht so egoistisch sein. Denn für Ju war es wichtig und es hat ihm
gerade gut getan. Aber ich hab ab Mitternacht gebetet, dass ich endlich
wegkomme. Bis zwei Uhr hats dann noch gedauert.
Und...
Und das war eigentlich auch schon mehr, als ich
erzählen wollte, und ich mach jetzt Schluss, weil ich schon wieder anfange zu
heulen. Ich wollte anfangen, irgendwas für die Schule zu tun, aber ich werd
mich heute einfach nur noch hängen lassen.
Sorry für die ganze Texterei. Und die ganze
Ich-Bezogenheit. Vielleicht hilft das Dämpfen gleich. Ich zieh das Telefon
heute raus.
Liebe Grüße, Timo
PS.: Danke nochmal für den Tipp mit dem
Glückstagebuch, ich arbeite jetzt diszipliniert dran. Und komm auf Ideen,
hoffentlich, dass man ja so einen Nachmittag einfach wiederholen kann. Und ohne
Cory. Nur wir zwei. Und auch das war seine Idee."
fortsetzung folgt...
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