Samstag, 20. August 2016

Barriere aus Schweigen


Ich denke mal, er wird das hier lesen. Deswegen wechsel' ich jetzt die Perspektive und spreche Dich an, wenngleich es ein Punkt ist, den ich allgemein für wichtig erachte. Deswegen auch hier.

Manchmal haben wir Angst, uns bei anderen Menschen zu melden. Besonders, wenn sie uns - in welcher Form auch immer - am Herzen liegen. Wir stellen uns viele Fragen: Wie denkt er jetzt wohl über mich? Ich habe mich lange nicht gemeldet, ob er darüber wohl böse ist? Er hat sich ja auch lange nicht gemeldet, will er vielleicht nichts mehr mit mir zu tun haben? Soll ich dann überhaupt schreiben? Wird ihn das womöglich sogar noch wütender machen? Ich warte lieber noch etwas länger.

Und mit jedem Moment, den wir länger warten, sei es nur ein Atemzug oder ein Tag oder ein Jahr, mit jedem dieser Momente wird die Barriere aus Schweigen zwischen uns größer. Wie eine unsichtbare Mauer. Denn je länger das so geht, umso intensiver stellen wir uns diese Fragen, und umso stärker halten sie uns davon ab, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Wir leben uns auseinander, wir sind "so nah und doch so fern", wie es oft heißt. Wir denken uns aktiv etwas zwischen uns kaputt, obwohl wir doch nichts weiter tun als zu schweigen.

Und mit jeder Entscheidung, sich nicht zu melden, wächst da vielleicht auch eine Angst. Eine Angst, dass wir uns in irgendeiner Situation überraschend wiedersehen. Dass wir dann nicht wissen, wie wir reagieren sollen. Obwohl wir schon so oft über diesen Fall gesprochen haben, sind wir unvorbereitet, fühlen uns für einen Augenblick hilflos. Dann rutscht uns vielleicht das Herz in die Hose, ich möchte dann vielleicht so schnell wie möglich verschwinden oder Du möchtest einfach nur unsichtbar sein, und wir wollen, dass dieser Augenblick vorüber geht.

Und dann sitzen wir danach jeder bei sich zuhaus, und wir fragen uns, ob das vielleicht der richtige Moment ist, um miteinander zu kommunizieren. Wir haben uns gesehen - sollten wir nicht irgendwie auf diese Situation reagieren? Und dann kommen wieder die Fragen, wieder die Zweifel. Was soll ich ihm denn überhaupt schreiben? Wie es mir geht? Das will er vielleicht überhaupt nicht wissen. Ich habe Angst, irgendetwas kaputt zu machen, noch mehr kaputt zu machen, als es sowieso schon ist, wenn ich jetzt die falschen Worte finde. Dann möchte er erst recht nichts mehr von mir wissen, und die Mauer des Schweigens wächst noch etwas höher und wird immer dicker.

Und das, obwohl wir uns eigentlich sehr mögen, obwohl wir miteinander doch eigentlich OK sind. Wenn da nicht Menschen wären, die das nicht verstehen, weil es zu ungewöhnlich oder zu komplex ist oder weil es nicht in einfach gestrickte Weltbilder passt. Und das wird es auch nicht, wenn wir uns jetzt schreiben, denken wir vielleicht. Dann wird das alles wieder losgehen: Sie werden wieder fragen, warum wir uns das antun, warum wir uns schreiben, warum wir uns wiedersehen wollen, wo doch scheinbar alles, was wir daraus in der Vergangenheit gezogen haben und vielleicht auch wieder daraus ziehen werden, ein Gefühl des Unglücklichseins ist.

Ich zitiere hier wieder Rainer Maria Rilke in seinem Brief an Friedrich Westhoff:

Man muss nie verzweifeln, wenn einem etwas verloren geht, ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück; es kommt alles noch herrlicher wieder. Was abfallen muss, fällt ab; was zu uns gehört, bleibt bei uns, denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, die größer sind als unsere Einsicht und mit denen wir nur scheinbar im Widerspruch stehen. Man muss in sich selber leben und an das ganze Leben denken, an alle seine Millionen Möglichkeiten, Weiten und Zukünfte, denen gegenüber es nichts Vergangenes oder Verlorenes gibt.

Wenn es also so bestimmt sein sollte, dass wir nicht zueinander gehören, dann sollten wir das wohl endlich wissen. Dann kann die Mauer des Schweigens höher und undurchdringlicher werden, ohne dass es uns etwas ausmacht, denn wir werden nicht berührt von dem Anderen. Wenn wir uns aber in all dieser Zeit Gedanken machen, nicht ununterbrochen, aber immer mal wieder, wenn wir uns tatsächlich die oben beschriebenen Fragen stellen, dann sollten wir einmal nachdenken, warum das so ist. Ich habe das getan.

Sie haben ja alle Recht. Ohne den Anderen wäre so Vieles einfacher. Wir haben das nun vielleicht beide in den vergangenen zwölf Monaten erlebt, und wahrschinlich werden wir das auch in der kommenden Zeit erleben. Wir haben uns in dieser Zeit vielleicht freier gefühlt, unbelasteter. Ich habe mich entspannter gefühlt, und glücklicher, und konnte mich wieder gut auf mein Leben konzentrieren, in dem Einiges vernachlässigt worden ist. Ich konnte den Kopf dafür aufbringen, meine Arbeit an der Westküste zu beenden und mich umzuorientieren. All das schien vorher blockiert.

Ich denke, dass auch Du viele Dinge in dem vergangenen Jahr anders hast angehen können, und wahrscheinlich auch einfacher. Sie haben ja alle Recht, ohne den Anderen ist so Vieles einfacher. Aber das ist zu simpel und nicht zu Ende gedacht.

Mir fehlt nämlich etwas. Und an dieser Stelle muss ich weg von dem Wir, denn ich kann nur für mich sprechen. Ich möchte Dir keine Worte in den Mund legen und keine Gedanken einfach so zuschreiben - dieser Satz dürfte Dir sehr bekannt vorkommen. Es sind die einfachen Dinge, mir fehlt Deine Nähe, Deine Sicht auf manche Dinge, Deine Treue. Es sind aber auch die folgenreicheren Dinge, die mir fehlen: Dass Du zu mir aufschaust und ich in Deinem Leben etwas bewegen kann, und dass Du mir Impulse gibst, umzudenken und etwas über mich selbst zu lernen. Das geht alles weit hinaus über den Wunsch, dass wir vielleicht zusammen die kommende dritte Staffel Twin Peaks schauen.

Was abfallen muss, fällt ab, hat er geschrieben. Ich höre nicht auf viele Menschen, ich habe meinen eigenen Kopf, aber sein Absatz gehört zu den wenigen Texten, mit denen ich mich vollkommen identifizieren kann und von denen ich gelernt habe. Was zu uns gehört, bleibt bei uns, das haben wir in unserer gemeinsamen Zeit so oft besprochen und analysiert. Ich habe Dir oft gesagt, dass ich Dich in meinem Leben haben möchte und dass ich das Gefühl habe, dass Du da hingehörst. Vielleicht fehlt uns manchmal der Mut, darauf zu vertrauen, und dass es auch noch so ist, wenn wir eine lange Zeit nicht miteinander kommunizieren. Das ist etwas, das uns bleibt und das auch in Zukunft bleiben wird.

Wir haben diese Barriere aus Schweigen jetzt durchbrochen. Und das heißt nicht, dass wir genau jetzt genau da weitermachen, wo wir zum Schluss standen. Das heißt nur, dass wir jetzt wissen, was der Andere über uns denkt. Das gibt uns Ruhe. Das macht mich glücklich, und auch ein bisschen vorfreudig, obschon ich weiß, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit sind, weiterzumachen. Aber wir wissen jetzt, dass es weitergeht. Es verhindert, dass die Mauer des Schweigens weiter wächst und uns immer weiter auseinander bringt.

Ich bereue nicht, dass ich mich endlich bei Dir gemeldet habe. Ich habe es so lange vor mir hergeschoben. Vielleicht aus Angst, wie Du reagierst. Vielleicht aus Angst, dass Du reagierst. Aber am stärksten war die Angst, Du könntest denken, ich sei wütend und böse auf Dich, und deswegen kam dieser Schritt zwar spät, aber vielleicht nicht zu spät.

Ich bin mir sicher, dass Du das lesen wirst. Das lesen sie jetzt alle. Und vielleicht werden bei dem Einen oder der Anderen Alarmleuchten angehen aus Sorge, wir könnten uns wieder verletzen oder in irgendeiner Form nicht gut tun. Aber irgendwann werden alle Beteiligten wissen, dass wir uns gut tun, solange wir uns nicht irgendwelchen Zwängen von außen unterwerfen müssen, die uns dazu bringen, dass wir nicht wir selbst sind, wenn wir Zeit zusammen verbringen. Genau das wussten wir eigentlich eine lange Zeit über zu genießen - das Bewusstsein, in dieser kleinen Bubble, auf unserer Weltraumbasis, uns nicht verstellen zu müssen. Lass' uns darauf auch weiterhin vertrauen, bitte.

Du weißt, dass ich Dich immer noch sehr lieb habe.

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