Samstag, 3. Juli 2021

Der Stundenplan


Wo fange ich an zu schreiben? Vielleicht einfach mal mit dem post scriptum, in dem ich notiere, was ich am Tag in der Wohnung aufgeräumt habe. Gestern und heute nichts, daher kein PS, und das hat auch einen Grund, denn mein Stundenplan für das nächste Schuljahr ist angekommen - Es wird mal wieder Zeit für ein Glas Asperger Pur.

Natürlich ist ein bisschen Aufregung dabei, wenn man die Mail mit dem Betreff "Stundenplan für Hilarius, Dr" sieht. Endlich werde ich genau erfahren, welche Lerngruppen ich unterrichte, und ob es wieder geklappt hat, den freien Tag auf den Freitag zu legen. Also öffne ich die Datei, und mit dem ersten Blick bricht in meinem Kopf wieder alles zusammen.

Kein freier Tag. In dem Moment reduziert sich bei dem Aspi alles auf einen einzigen Gedanken: "Das ist nicht so, wie ich es geplant hatte", und das bedeutet, dass überhaupt nichts mehr klappen wird. Es kommen Gedanken dazu wie "Wenn ich keinen freien Tag habe, dann hätte ich doch auch mehr Stunden unterrichten können", wobei das für eine Vertretungslehrkraft natürlich immer mit dem zu vertretenden Stundendeputat zusammenhängt. 

Ich schaue noch nicht einmal nach, welche Klassen und Kurse ich unterrichte. Der Blick auf den Fünf-Tage-Plan reicht aus, um meine gesamte Tagesplanung in die Tonne zu treten. Nicht wie geplant. Meine über mehrere Jahre antrainierte Work-Life-Balance verschwindet mit einer einfachen PDF-Datei. Und so greife ich nach längerer Pause mal wieder zu einer psychedelischen Substanz, die mir dabei helfen soll, das zu verarbeiten - alle Implikationen eines solchen Stundenplans zu verstehen und ultimativ hoffentlich zu erkennen, dass doch nicht alles schlecht ist. Das ist ohne Hilfe in diesem Moment nicht möglich, eben ein klassischer Aspi-Zusammenbruch.

Ein zweiter Blick auf den Stundenplan zeigt mir, dass einige Stunden anders eingefärbt sind als der Rest - weil ich im nächsten Schuljahr nicht nur Englisch unterrichte, sondern auch eine Klasse in Lebenspraxis (LP). Meine Vernunft würde mir in dem Moment sagen "Du hast doch gesagt, du machst alles, was nötig ist, damit du bleiben kannst", aber bei einem Aspi-Blackout hat Vernunft nichts mehr zu suchen. Ein neues Fach unterrichten? Passt wunderbar zur unerwarteten Fünf-Tage-Woche, und ich bin kurz davor, alle kleinen Ansätze einer neuen Alltagsgestaltung wieder zu kippen; wozu soll ich das alles überhaupt noch machen, wenn es keinerlei Verlässlichkeit im Leben gibt?

Ich bin kurz davor, die große Buba zu versetzen, um das irgendwie verarbeiten zu können. Letztlich verschiebe ich sie nur etwas nach hinten am Abend, hinter die Meditation und den Versuch, diesem Stundenplan einen Sinn einzuräumen und der Panikattacke zu entkommen.

Und danach ist es etwas besser.

Was mir wieder nicht nur den Sinn von Meditationen vor die Augen führt, sondern auch das therapeutische Potential psychedelischer Substanzen bestätigt. Auch wenn es eine Menge Zeit gebraucht hat, und viele Neustarts im Nachdenken über die kommende Unterrichtssituation. Was ist also dabei herumgekommen?

Dass mir bewusst geworden ist, dass ich LP in der Sieben A unterrichten werde: Die I-Klasse, die ich an der Toni bereits seit anderthalb Jahren in Englisch unterrichtet habe, die mir in ihrer Vielfalt an's Herz gewachsen ist, und mit deren Klassen- und Förderlehrkräften ich mich gut verstehe. In der viele spannende Schüler sitzen, und noch mindestens einer, mit dem ich tatsächlich etwas weiter arbeiten wollte. Ich darf für ein weiteres Jahr mit vier Stunden in der Klasse bleiben, und eigentlich ist das toll, denn auch die Kiddies hatten sich gewünscht, dass ich bei ihnen bleiben kann.

Und bei'm weiteren Nachdenken über die Sieben A und LP: Ich werde da wahrscheinlich nur zwei oder drei Schüler haben, denn die meisten sind im Wahlpflichtbereich in Latein oder Französisch oder Technik et cetera. Das heißt, ich kann fast Privatunterricht machen und diesen Kids beibringen, wie man mit seinem eigenen Leben klarkommen soll. Ausgerechnet ich. Aber daran kann ich vielleicht wachsen.

Dann die generelle Auswahl der Lerngruppen: Ich unterrichte in den Klassenstufen Sieben bis Zehn. Keine Orientierungsstufe - nach Ewigkeiten mal wieder. Eigentlich ist die Mittelstufe doch genau meine Zielgruppe, oder? Ich unterrichte Englischkurse aller Stufen (Grund-, Aufbau- und Erweiterungskurs), habe da also eine gewisse Vielfalt, um meinen Horizont zu erweitern. Einen meiner Kurse aus dem letzten Jahr kann ich sogar weiterführen.

Bleibt nur noch das Problem mit den fünf Wochentagen. Das bekomme ich nicht so schnell in meinem Kopf aufgelöst - da dürfte nur der Buddhismus helfen: Nichts ist entspannender, als das anzunehmen was kommt, und das als Herausforderung zu sehen, als ein Hindernis, das es zu überwinden gilt und das tatsächlich auch überwindbar ist. Das Schlimmste ist die Umstellung (und die Angst vor eben jener); in einigen Wochen oder Monaten könnte es schon besser aussehen. 

Zwei Tage dieser Woche hat mir der Blick auf eine einfache PDF-Datei aber komplett gelöscht (inklusive Essenvergessen und zur Beruhigung vor Rätseln sitzen) - und das lässt sich scheinbar auch im Erwachsenenalter nicht so einfach abstellen. 

post scriptum: Spuckende Schnellkochtöpfe (Plantapomba) und Pustemonster - die große Buba ist wieder im Lande, und das tut gerade echt gut! Also doch PS.

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