Liebe Schülerinnen und Schüler!
Ich weiß nicht, ob es sich schon bis zu Euch herumgesprochen hat, aber wir werden uns im nächsten Schuljahr nicht wiedersehen. Das tut mir riesig leid, es war nicht mein Wunsch, dass es so kommt, und ich bin nun wieder arbeitslos. Ich weiß, dass ich nicht Euch alle für meine Art gewinnen konnte, ich weiß aber auch, dass es Schüler gibt, die nur meinetwegen ein weiteres Jahr an der Schule geblieben wären. Deswegen finde ich es nur richtig, Euch darauf hinzuweisen, dass ich nicht mehr dort sein werde.
Vielleicht erinnert Ihr euch an unseren Unterricht, vielleicht erinnert Ihr euch an die Unit
The World of Work, in der wir genau gelesen und geübt haben, wie Jobsuche funktioniert: Ihr sucht eine Stellenausschreibung, dann schreibt Ihr einen
letter of application, wenn Ihr Glück habt, geht es zu einem
job interview und mit noch viel mehr Glück bekommt Ihr die Stelle. Es gibt aber eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass da Mitbewerber sind, die besser sind als Ihr - das klingt hart, aber so ist es einfach, genau wie es auch Mitbewerber auf Lehrerstellen gibt, die besser sind als ich.
Ich habe Euch im Unterricht erklärt, dass ich zum Beispiel sehr viel Angriffsfläche biete: Mein Erscheinungsbild, meine Ausdrucksweise, die Tatsache, dass ich einen Blog führe, all' das kann einer Schulleitung ein Dorn im Auge sein. Deswegen habe ich versucht, Euch klarzumachen, dass es bei Auswahlgesprächen in erster Linie um Oberflächliches geht; Ihr könnt ein toller, warmherziger, netter Mensch sein, aber das interessiert in der Situation nicht - und vielleicht auch später nicht.
Es gibt so Vieles, was bei der Kandidatenauswahl nur nachrangig berücksichtigt wird. Ob Ihr Ehrenämter ausgeführt habt, ob Ihr euch nachweislich jahrelang für andere Menschen eingesetzt habt, ob Ihr ein Einserschüler wart, ob Ihr womöglich mit Eurer Zielgruppe richtig gut arbeiten könnt, das ist manchmal nicht ausschlaggebend. Ich dachte, dass es so wäre, und vielleicht könnt Ihr aus dieser Sache mitnehmen, dass es nicht so ist.
Was zählt, ist der Eindruck, den Euer potentieller Arbeitgeber von Euch bekommt. Sehr Ihr gut aus? Seit Ihr freundlich? Schafft Ihr es, den Menschen das zu sagen, was sie hören wollen? Seid Ihr unauffällig? Könnt Ihr euch gut anpassen? Das zählt auf dem Arbeitsmarkt. In vielen Jobs müsst Ihr euch Eure Individualität für das Privatleben aufheben. Ich habe Euch von einigen Bewerbungsgesprächen berichtet, aus denen ich genau diese Erfahrung mitgenommen habe.
Wer weiß, vielleicht mache ich nächstes Mal alles anders. Ich werde kein schwarz mehr tragen, ich werde mir die Haare nicht mehr färben, ich werde mir die Fingernägel nicht mehr lackieren. Klar, das ändert nichts daran, wer ich bin, aber ein guter Mensch wird unter dieser schwarzen Maskerade nur von sehr aufgeschlossenen Menschen erkannt, und davon habe ich noch nicht so viele kennen gelernt.
Ich hatte überlegt, diesen Beitrag direkt zu schreiben, als ich meine Absage erhalten hatte. Denn ich war innerlich vollkommen zerstört, und wer mich kennt, weiß auch, wieso. Wer mich
nicht kennt, der könnte denken "Naja, ich teile ihm das lieber persönlich mit als in einem Anruf oder einer Mail, das finde ich besser" - dabei kann ich mit solchen Situationen überhaupt nicht umgehen, weil ich heillos überfordert bin.
Diesmal habe ich also wenigstens daran gedacht, mir etwas Zeit zu lassen. Es gibt sehr viele Beiträge hier in meinem Blog, die aus einem Impuls heraus geschrieben wurden. Das kann positiv sein - total verliebt, etwas Wichtiges geschafft, einen tollen Baustein für mein Leben gefunden - oder auch negativ - Wut, Trauer, alles durch aktuelle Ereignisse ausgelöst.
Mit einigen wenigen Ausnahmen habt Ihr mich als Lehrer erlebt, der ruhig bleibt, auch wenn sich jemand in der Klasse vieleicht völlig daneben benimmt. Das war früher anders, da wurde ich schon eher mal laut. Das lag daran, dass ich mich noch sehr leicht von Sachen habe beeindrucken lassen. Ich interessiere mich seit ein paar Jahren sehr für den
Buddhismus, denn die Denkweisen helfen mir, innerlich nicht mehr so leicht hochzukochen.
Es hat nichts daran geändert, dass ich auf meiner letzten Heimfahrt von der Schule geheult habe wie ein Schlosshund, weil ich mir in solchen Situationen leider immer wieder bewusst werde, wie unfair die Welt sein kann - und in der Regel auch ist.
Ich hatte oben von Ehrenämtern berichtet. Ich will Euch einen anderen Lebensentwurf beschreiben: Wenn ich nach meinem Abi mein Studium in den gut vier Jahren, der
Regelstudienzeit, durchgezogen hätte, wenn ich
nicht Zeit im Studierendenparlament, in der
Fachschaft Klassische Philologie oder sonstwelchen Projekten verbracht hätte, um meinen Kommilitonen, meinen Mitstudenten zu helfen, wenn ich mich nicht entschieden hätte, meiner Andersartigkeit durch mein Erscheinungsbild Ausdruck zu verleihen, wenn ich nicht beschlossen hätte, nur noch zu hundert Prozent ehrlich zu sein, wenn ich nicht beschlossen hätte, authentisch zu sein - also ganz ich selbst, und nicht das, was Andere sehen wollen - dann wäre ich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bereits verbeamtet, also unbefristet im Schuldienst beschäftigt.
Bin ich aber nicht.
Manchmal muss man sich entscheiden, wie wichtig einem die persönliche Authentizität, die "Echtheit" ist. Gerade in der Wirtschaft, in der man viele unbekannte Menschen trifft und es zuerst mal nur um Oberflächlichkeiten geht, muss man da ernsthaft überlegen - und ich muss zugeben, ich habe diese "Einschätzung eines Menschen nach seinem Erscheinungsbild" auch erst im Wirtschaftszweig explizit kennengelernt. Oder bin mir dessen zumindest bewusst geworden.
Man hält mich - und das ist kein Rumjammern, sondern nur eine sachliche Feststellung - für dumm, ohne Erfahrung, für asozial, eine Gefahr für die Schüler, für arrogant und überheblich. Vielleicht könnt Ihr das als meine Schüler, die mich jetzt ein Schuljahr lang erlebt haben, nicht nachvollziehen. Das liegt daran, dass es immer mehrere Blickwinkel für ein und dieselbe Sache gibt. Ihr habt mich in vier oder fünf Stunden jede Woche erlebt, während die Schulleitung mich nur aus vier Gesprächen
direkt kennen gelernt hat. Dazu dann Beschwerden über das, was ich im Blog schreibe, und wie ich im Unterricht arbeite - und machen wir uns nichts vor, die gibt es jedesmal - man sagt dazu "ich polarisiere", da ergibt sich ein sehr negatives Bild für die Schulleitung.
Ich könnte natürlich der Schulleitung Eure Zettelchen aus dem Unterrichtsfeedback zeigen (Ihr erinnert Euch sicherlich
an den Hut), und es haben auch schon Schüler "protestiert" für mein Verbleiben an der Schule, aber da muss man leider ehrlich sagen: Um die Schüler geht es der Schulleitung nicht - zumindest nicht immer. Es klingt seltsam, dass im Schulsystem nicht unbedingt der Schüler im Mittelpunkt steht, aber so kann es gehen. Eine Schulleitung stellt andere Anforderungen an eine Lehrkraft als ein Schüler - das ist leider so, und ich befinde mich weiterhin auf der Suche nach einer Schule, die mich akzeptiert, wie ich bin, und mit der ich Wege finden kann, wie ich gleichzeitig ich selbst und trotzdem angepasst sein kann. Das ist nicht leicht.
Es ist mittlerweile ein paar Wochen her, dass ich von meiner Schulleitung erfahren habe, dass man mich vor die Tür setzt. Ich habe niemandem davon erzählt, außer meinen Eltern. Ich bin es nämlich langsam müde, von allen Seiten Mitleid zu bekommen, ach mensch, und warum hat es denn diesmal nicht geklappt, ich möchte auf solche Fragen nicht antworten müssen. Meine Antwort lautet diesesmal: "Das wird dir die Schulleitung sicherlich besser erklären können als ich." Und dort wird man dann verweisen auf meine Verstöße gegen die Verschwiegenheit, durch all' die Interna, die ich hier in meinem Blog veröffentliche. Nur kurz vom rechtlichen Standpunkt: Es gibt Ausnahmen von der Verschwiegenheit, und ich habe meine Beiträge grundsätzlich abgetastet nach sensiblen Infos.
Ich glaube, ich bin ganz froh, dass ich rechtzeitig dort rausgekommen bin.