Irgendwann kommt in jeder meiner Englischklassen der Tag, an dem ich eine ganz spezielle Hausaufgabe aufgebe: "Bringt bitte zur nächsten Stunde alle ein Kopfkissen mit!" Daraufhin schauen sie meistens etwas überrascht, aber ich verrate natürlich nicht, wofür das sein soll. Sie sollen sich ruhig ein bisschen wundern, vielleicht kommt auch ein bisschen Vorfreude dazu.
In die folgende Englischstunde gehe ich mit CD-Player (je nach Lust auch mal mit mobilem 5.1-System); wir räumen alle Tische und Stühle beiseite und machen einen Sitzkreis. Ich erkläre das Konzept der Gedankenreise: Wir werden gleich ein Musikstück hören. Dabei machen wir die Augen zu und lassen unsere Gedanken auf eine Reise gehen. Es ist hilfreich, wenn alle Schüler mitmachen oder zumindest niemand die Atmosphäre stört.
Ich arbeite sehr gern mit dem Stück, das am Ende dieses Beitrags verlinkt ist. Sehr suggestiv, lässt aber noch genügend Freiräume und hat meiner Meinung nach genau die richtige Länge mit zehn Minuten. Wir gehen auf die Reise und entspannen uns.
Danach bleiben wir direkt auf dem Boden sitzen, jeder schnappt sich Zettel und Stift und versucht, Bilder aus der Reise niederzuschreiben. Zur Unterstützung läuft das Stück im Hintergrund noch einmal. Und dann beginnt die Arbeitsphase: Die Bilder und Szenen sollen in einem Text verknüpft werden, die Gedankenreise sozusagen verschriftlicht werden. Das Ganze auf Englisch und natürlich liegen ausreichend Wörterbücher bereit.
"Zeitverschwendung!" ruft da ein Kollege, der die Zeit lieber sinnvoller nutzen möchte und seinen Schülern eine Textform vorgibt - Essay, Brief, Erörterung und derer mehr. Ich bin allerdings ein glühender Verfechter der Gedankenreise: Hier können die Schüler einmal einen englischen Text schreiben, ohne dass ihnen Maßgaben zu Form und Inhalt vorliegen. Das macht erstaunlich viel Spaß!
Und was hat das mit Pädagogik zu tun? Nun, ich nutze diese Methode gern als Analytikum zur Lernstandserhebung im Schriftlichen - einmal das Sprachniveau pro Schüler erkennen und vielleicht ein paar literarische Genies entdecken. Ich habe in St.Peter-Ording dadurch die Hochbegabung einer Schülerin "entdecken" können - totaler Underachiever, aber in diesem Text konnte sie ihrem Geist freien Lauf lassen und ich habe noch nie einen derart anspruchsvollen Text von einer Neuntklässlerin gelesen.
Man mag das als Zeitverschwendung sehen. Ich könnte die Zeit kaum sinnvoller verbringen.
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