Montag, 7. August 2017

"Du musst dir nur die Mutter anschauen..."

Diese Uhr - meine Armbanduhr - hat heute pädagogische Gedanken ausgelöst.

"...dann weißt du, woher das kommt."

Das ist mal wieder eine Phrase aus dem Lehrer-Bullshit-Bingo. Haben bestimmt einige schon gehört. Der Satz fällt gern, wenn an Schülern etwas in irgendeiner Hinsicht auffällig ist. Das kann lautes Reden sein, Neigung zu Gewalt, ungepflegtes Äußeres, besonderes Sprachregister - wir alle haben schon mal spezielle Kinder unterrichtet, und wir alle haben uns bei diesen Auffälligkeiten gedacht, dass etwas dahinter steckt. Und oft führen wir das auf die häuslichen Verhältnisse zurück, und oft ist das auch korrekt.

Was mir aber an Schulen bereits begegnet ist, ist eine voreingenommene Lehrerhaltung: Dieser Schüler ist auffällig, kein Wunder bei der Mutter (besonders beliebter Satz nach Elternsprechtagen, nicht wahr?), und eine Verschlossenheit. Wie Mutter, so Kind, wird mir da vorgelebt und ich finde es ganz schrecklich. Dass man dem Kind nicht einmal eine Chance gibt, individuell zu sein. Dass man sich selbst noch höher positioniert und auf den Schüler herabblickt.

Elitäre Schulsysteme neigen zu solch' einem Verhalten. Lehrer in diesen Schulen neigen dazu. Ich habe mich einmal an einer Schule vorgestellt, die ohne Klingelzeichen auskommt, weil die Kinder natürlich so gut erzogen sind. Selbstverständlich ein Gymnasium, das etwas auf sich hält, ich nenne keine Namen. Ich bin dort mit netten Worten hinausgebeten worden, und ich bin heilfroh! An jener Schule hätte ich nicht arbeiten können, denn das stellt sich mir verschlossen, arrogant und herablassend vor - und vor allem: voreingenommen. Ich kann damit nicht um.

Das war sicherlich einer der Impulsgeber für meinen Wunsch, an einer Gemeinschaftsschule zu unterrichten. Ich möchte wirklich jedem Kind an der Schule eine Chance geben - ob es daher rührt, dass ich selbst viel Ablehnung erfahren habe und es deswegen einfach besser machen möchte? Ich würde gern einen Aufruf an jeden meiner Kollegen loswerden:

"Lasst euch in eurem pädagogischen Wirken nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen, gebt jedem Kind eine Chance, egal, ob sein Umfeld verwahrlost, krank, an der Armutsgrenze, obdachlos oder auf psychologische Hilfe angewiesen ist, jedes Kind hat ein Recht darauf, dass ihr ihm die Möglichkeiten und Grenzen, Rechte und Pflichten unseres Lebens erklärt."

Anlass für diesen Beitrag gab es heute zweifach. Heute vormittag ist mir eine Familie aufgefallen, die manche Menschen beim ersten Anblick "abwerten" würden, und ich musste daran denken, dass es auch für jenes Kind eine Schulpflicht gibt, und wer weiß, vielleicht steckt da ein ganz helles Köpfchen drinnen! Ich kenne jemanden, der selbst aus einem, sagen wir mal, komplizierten Umfeld kommt und sich richtig dort heraus gekämpft hat. Das finde ich toll, und solche Menschen sind darauf angewiesen, dass "wir Pädagogen" ihnen eine Chance geben.

Außerdem war ich beim Juwelier Happe am Alten Markt; ich war dort schon vor zwei Jahren, um mich wegen meines Freundschaftsanhängers (für ihn) beraten zu lassen. Heute, um eine neue Batterie in meine Armbanduhr einzusetzen (brauche ich als Lehrer immer, früher haben mich Armbanduhren genervt). Damals wie heute bin ich unglaublich freundlich und offenherzig begrüßt und bedient worden, und so hat sich heute beim Abholen der Uhr dieser Wortwechsel entsponnen:

Hilarius: "Ich muss ihnen ja mal sagen, dass ich es toll finde, dass sie mich so freundlich behandeln, trotz meines etwas abschreckenden Äußeren."
Happe: "Aber das Eine hat doch mit dem Anderen nichts zu tun, das ist doch selbstverständlich."
Hilarius: "Ja, das sagen sie, aber ausgerechnet in meinem beruflichen Umfeld - Lehrer - wo ich eigentlich aufgeschlossene Menschen erwarten sollte, ausgerechnet dort schlägt mir von Kollegen immer mal wieder Ablehnung entgegen allein aufgrund meines Erscheinungsbildes, und das ist ein Armutszeugnis."
Happe: "Sehen sie mal, und es hat doch jeder Mensch ein Anrecht auf seinen eigenen Stil und auf einen freundlichen Umgang miteinander."

Solche Aufgeklärtheit würde ich mir häufiger wünschen, und deswegen gehe ich auch gern zu Happe, wohingegen mir die Türsteher bei Mahlberg Angst einjagen, und ich befürchte, dass man dort voreingenommener an mich als Kunden herangehen würde (wobei, vielleicht unterstelle ich den Juwelieren hier auch etwas, das sind schließlich Profis).

Schlusswort: Ich muss mich immer wieder daran erinnern, unvoreingenommen an Menschen heranzutreten!

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