Freitag, 4. August 2017

Auf zu neuen Ufern!

Es ist mehr als einfach nur irgendein Ausspruch Buddhas - und es wirkt...

Die große Buba ist in Aufbruchstimmung, es geht an eine neue Schule und in eine neue Wohnung. Das triggert Erinnerungen in meinem Kopf...

Und zwar an Kronshagen. Mein Leben war bis zum ersten Staatsexamen so rund, es passte einfach alles, die olle Areté wäre stolz gewesen. Ich hatte Burger King in zehn Minuten Gehweite - und den Laden habe ich in meinem Studium oft besucht! YazzTazz und ich hatten immer mal wieder BK-Dates, sozusagen, schnacken bei Fast Food, es war großartig. Aldi war in fünf Minuten zu erreichen, ich hatte zwei Bushaltestellen zur Auswahl, wenn ich in die Stadt fahren wollte, und das habe ich auch oft gemacht. Der Bahnhof Suchsdorf war nur einen kurzen Fußmarsch entfernt, und ich bin oft mit dem Zug in die Stadt gefahren, einfach, weil es Spaß machte. Suchsdorf-Kiel-Suchsdorf. Meinen Hausarzt habe ich dort gefunden, und meinen ersten Freund und meinen ersten Kuss - ich hatte alles in Reichweite, Freunde, meine WG mit Conny und Paul. Behördengänge waren ein Kinderspiel, nachdem ich mich an das Kronshagener Bürgerhaus gewöhnt hatte. Ich habe mir über neun Jahre hinweg ein Leben aufgebaut, eine Identität, alles so, wie es sein sollte, ich sag nur Areté.

Das Stellenangebot kam dann aus Husum. Ganz woanders. Darf man ein Stellenangebot ablehnen? Hab ich mir damals noch nicht so intensiv überlegt. Soll ich jetzt wirklich aus Kronshagen wegziehen? Ich hab' doch alles, was ich brauche, soll ich das nur für einen Job aufgeben? Aber irgendwoher muss das Geld kommen, und so war ich einigermaßen überfordert, als die Schulleiterin der Husumer Theodor-Storm-Schule mich kontaktierte, und ich sagte "Okay, dann muss das jetzt wohl so sein, das ist der Gang der Dinge, ich muss die Kronshagener Berge verlassen." Und ich wurde zu einem Häufchen Elend. Angst, traurig, mein Zimmer entmöblieren, helle Flecken an den Wänden, wo jahrelang die Poster hingen. Ich saß in der Ecke und weinte. All' das ist jetzt weg, kaputt, nicht mehr da.

Und dann haben sie mir alle gesagt, dass es total toll ist, dass ich eine Vertretungsstelle bekommen habe, wo doch die Lage für Junglehrer im Land so mies ist. Und die neue Schule soll einen sehr guten Ruf haben, und meine Mama hat aus ihrem Erfahrungsschatz berichtet: "Mach' Dir keine Sorgen, du wirst da nicht allein sein, du kommst in ein Kollegium, das dich aufnimmt. Da findest du schnell neue Bekanntschaften." Aber das wollte ich in dem Moment nicht hören. Mein Blick war nicht nach vorne gerichtet, ich sah nur, wie hinter mir alle Brücken einstürzten. Das war eine Scheißzeit, es fühlte sich an, als ob man mir alles wegnimmt...

Neue Wohnung besichtigen, und ich lächelte und zwang mich, die freigewordene Wohnung gut zu finden. Muss ja. Ist ja der Gang der Dinge. Und auf einmal war Schlüsselübergabe. Auf einmal lebte ich in Husum. Plötzlich waren sie alle weg. Alleingelassen in einer fremden Welt. Und ich hatte kein Smartphone und in der neuen Wohnung auch nicht sofort Telefon und Internet. Ich war komplett abgeschnitten von meinem alten Leben, gezwungen, jetzt in Husum neu zu funktionieren. Ich fand McD in Husum, ein Hauch von Bekanntem. Und Aldi, wo ich meine gewohnten Einkäufe tätigen konnte. Ich suchte überall nach Dingen, die mir bekannt vorkamen - überhaupt nicht aufgeschlossen für Neues, ich versuchte, mein altes Leben in Husum wiederzufinden.

Die ersten Wochen waren die Hölle. Freunde weg, Kronshagener Berge weg, YazzTazz weg, komische Kesseltherme für heißes Wasser, Wände dünn wie Papier, so dass ich den Nachbarn bei - Allem - zuhören konnte. Ich wollte mich nicht einfinden. Ich wollte mich nicht wohlfühlen. Ich wollte da nicht hingehören.

Aber Zeit bringt Gewohnheit, und so lernte ich meine Nachbarin von gegenüber kennen. Und lernte Kollegen kennen. Und genoss die Zeit in der Schule, weil es mir irgendwann ein Gefühl von Zugehörigkeit brachte. Das musste es sein, was Mama gesagt hat: Das Kollegium, dem ich gezwungenermaßen täglich begegnen musste, brachte mir eine neue Gewohnheit. Ein neues Sozialleben. Die Lerngruppen, die ich unterrichtete, das gab mir Kraft. Das waren neue Gefühle, die da mit der Zeit aufkamen, und es dauerte lange, bis sie kamen, aber sie bewirkten bei mir vor allem Eines: Sie waren der Beweis, dass es immer etwas Neues gibt am neuen Ort, an der neuen Schule - im neuen Lebensabschnitt.

Und so schließe ich diesen Beitrag mit Reminiszenzen an die emotionale Achterbahn, die ich damals durchgemacht habe. Trauer, tiefe Traurigkeit über den Verlust meines Kronshagener Lebensabschnitts. Angst davor, dass es in Husum nichts Neues geben würde ("Ich habe mir in Kronshagen ein Leben aufgebaut, das werde ich niemals wieder schaffen!"). Leere. Einsamkeit allein schon durch nicht funktionierendes Telefon und Internet. All' das hat mich so weit runtergezogen, dass ich irgendwann sehr empfänglich wurde für den Wandel, irgendwann akzeptierte ich, dass das Leben rückwärts verstanden, aber vorwärts gelebt wird.

Vielleicht erkennt der eine oder andere Leser sich wieder. Diese Gefühle. Und weiß mittlerweile, durch Lebenserfahrung, dass die neuen Ufer immer etwas bereit halten, man muss es nur empfangen wollen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen